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Der Abend war gelungen. Die Gesellschaft im Parkett fächelte sich Zufriedenheit, delikates Bewußtsein, Katharsis zu. Da unterbrach ihn eine echt bourgeoise, nobelspießerige Geschmacklosigkeit. Aus dem Publikum winkte ein Arm. Der Justizminister Leimann in einer der vorderen Reihen erhob sich. Er glaubte der Versammlung aus dem Herzen zu sprechen, wenn er den Vortragenden für seine außerordentlich interessanten Ausführungen beglückwünschte. Eine Diskussion an diesem Orte zu eröffnen, wäre wohl abseitig. Aber er möchte von den Zukunftshoffnungen zurückleiten auf die praktische Gegenwart Das Thema des kriminellen Einflusses und seiner Bekämpfung sei zu kurz gekommen. Steward betrachtete den Minister, den er noch nicht kannte, mit Spannung.
Slim schien unschlüssig. »Wie meinen Sie?«
»Können Sie«, rief der Minister, »ein Beispiel von Verführung zum Verbrechen geben?«
Der Ton des Abends wurde durch diesen Zwischenfall gestört. Das Publikum erwachte aus der abhängigen Stimmung und rückte umständlich und mit Scharren in eine skandalösere Anmaßung hinüber. Slim merkte es und wurde kühler.
»Sie sehen, Nitra ist erschöpft. Es wäre fehlerhaft, ihre Kraft zu mißbrauchen. Überdies hängt alle Einflußnahme von der Gutwilligkeit des Mediums und seiner inneren Überzeugung ab. Sie können Nitra kein Verbrechen diktieren. Menschen, die Verbrechen begehen, auch unterm Einfluß Anderer, sind Verbrecher. Menschen, die sich auf Befehl entleiben, neigen von selbst dazu. Die beste Bekämpfung, der beste Gegeneinfluß ist Ausbildung der Logik. Bilden Sie das höchste geistige System aus, und Sie haben eine glatte Waffe gegen die geistigen Verbrecher der Zukunft. Nitra ist eine Buddhistin, es ist nutzlos, ihr eine böse Handlung zu suggerieren.«
Das Publikum wurde unruhig. Es besann sich auf sein Recht. Slim dachte nach. Dann machte er sich zu einem Versuch mit einem Medium aus dem Publikum erbötig.
Das Parkett schäumte auf und fiel dann gelähmt in sich zurück. Sie hatten Angst. Einige Leiber erhoben sich und sanken wieder zögernd zusammen.
Da schnellte in der ersten Reihe die Dame empor, die kurz vorher durch das Zeugnis starker Suggestibilität Aufsehen erregt hatte. Sie stieg flüssig zum Podium empor, gewohnt und offenbar gerne bereit, sich auszustellen Außerordentlich elegant, schmal, beweglich, machte sie dort oben Sensation. Ihr Haar schmetterte. Es war von einem Metallband mit Altsilberauflage um den Kopf gehelmt. Auffallend waren ihre harten und schmalen, aber sinnlichen Beine, die unter der hochrockigen schwarzen Abendrobe, die wühlend aus dem Schoß flackerte, aufbrachen wie die Stempel aus einem schwellenden Kelche. Es war Lady San Remo. Sie war blaß und ihre Übertriebenheit verriet Abenteuerlichkeit, Hysterie und Bangigkeit. Das Abbild westlicher Geübtheit in körperlicher Haltung und forschem abgehacktem Benehmen, bildete sie einen deutlichen Gegensatz zu der weichen Magerkeit der Inderin. Beide waren Vollblut durch und durch. Die Amerikanerin war größer. Sie hatte, wenn auch feine, Muskeln. Sport hatte ihr Knochengerüst wie bei einem jungen Manne herausgearbeitet, sie war heftig, ihre Bewegung abschüssig. Die Rocksäume spielten, geschickt balanciert und geschickter ausgenützt, ununterbrochen und kitzelnd an ihren Waden. Es ging ein Eindruck von unermüdlicher Selbstreizung, Verlangen, Erwartung, Übersteigerung von ihrer Erscheinung aus.
Sofort erkannte Slim ihre Brauchbarkeit. »Setzen Sie sich,« sagte er; sie schwang sich an den Stuhl heran wie in eine Umarmung und schon schlief sie. Die Füße waren niedlich über den Rist gekreuzt, die leise Kurve unter den Knien war ganz vom Rock freigegeben. Der Oberkörper war gestreckt, beinahe steif. Das Auge blickte starr, aber erregt. In ihrem Gesichte war ein unauslöschlicher Zug von Begier und intellektueller Wachsamkeit zurückgeblieben. Slim prüfte sie mißtrauisch. Das Lorgnon, an einer Kette um den Hals und am Gürtel eingeklemmt, legte er so auf ihre Knie, daß es bei der geringsten Störung fallen mußte. Da sie diese Versuchung nicht beunruhigte und er ihr so weitgehende Beherrschung keineswegs zutraute, konnte er annehmen, daß sie tatsächlich schlief. Sie war ja auch ein brillantes Medium.
»Carmen, auf deinen Knien liegt der Dolch,« rief er. »Steck ihn in den Gürtel, achte wohl, er ist scharf.«
Sie tastete zum Knie. Das Lorgnon rutschte ab. Sie schlief also wirklich. Sie fingerte dem Lorgnon nach, lachte ha! prüfte mit den Ballen der Finger die Schneide, die sie außerordentlich befriedigte. Mit robustem Schwung heftete sie den Dolch in den Gürtel, genau an die Stelle, wo sie das Lorgnon hinzustecken pflegte. Sie warf den Kopf, daß die Ohrgehänge blitzten, blickte stolz wie die Spanierin.
»Komm her,« rief Slim, »du bist die Geliebte des Räuberhauptmannes.«
Sie sprang schwungvoll auf. Ihre Gesten trugen die Reminiszenz der Oper. Der Rocksaum schwebte wie ein Reifen um sie. Sie hatte die Rechte am Dolche, die Linke in die Hüften gestemmt, das Knie herausfordernd gehoben. Ein Lächeln, wie unter einer Binde, voll Wollust über ein Versteckspiel, trennte ihre Lippen. Der eine Fuß war vorgestemmt.
»Siehst du den Räuber?« fragte Slim und zeigte auf die Musselinportiere.
Sie schwang herum, den Nacken vorgebeugt, gespannt.
»Der Tatare« – schrie sie und folgte mit den Blicken und dem ausgestreckten Finger der Gestalt des Professors Schmerz, der sich von Nitra lösend längs des Podiumrandes zu seinem Sitze begeben wollte.
Sie stieß plötzlich ein langes Geheul hervor. Aus dem Publikum kam Knurren und Zischen. Frauen machten ts, ts durch die Zähne.
»Was will er?« sagte Slim. Da schüttelte sie sich, barst in ein Schreien aus. Sie riß den Dolch aus dem Gürtel und hieb ihn mit einer unangenehmen abstoßenden Gebärde, die erotisch sein konnte, in das Gewühl der Stoffe im Schoße, hieb mehrmals zu, plump in den Unterleib, öffnete den Mund ganz und zeigte die Zunge.
»Skandal!« sagte eine Stimme laut. Zuschauer liefen angeekelt hinaus, unter ihnen Steward.
Slim stieß vor. » Halloh, halloh, how do you do, Missis San Remo?« rief er stark und schüttelte ihr wie bei einer Begegnung auf der Straße die Hand.
Sie erwachte, warf das Lorgnon weg, daß es riß und zu Boden klirrte. Ein Weinkrampf schüttelte sie. Es wurde ihr ein Sessel hingeschoben. Sie entzog sich, zerrte den Konzertschal herunter, knetete ihn, steckte ihn wütend in den Mund und zerriß ihn mit den Zähnen und Händen in lange Streifen. Es blieben ihr Metallschuppen im Speichel; sie spuckte sie aus. Im Saal entstand Tumult. Das Publikum, erregt, lachend, schimpfend, strömte weg. Professor Schmerz bemühte sich. Der Minister, der das Unheil angestiftet hatte, kam herbei und entschuldigte sich gedrückt. Wer hatte denken können, daß ausgerechnet diese Dame sich anbieten würde. »Man spielt nicht so mit solchen Dingen,« sagte Slim. Das Harfenorchester zerbrach klimpernd verlorene Anschläge. Drei Männer in Hemdärmeln schälten sich schwitzend aus dem Vorhang vor ihrer Badestube.