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Trotzdem bleibt nicht verborgen, daß die holländische Produktion seit 1650 mehr in die Breite als in die Tiefe ging. Große kräftige Meister sind nicht mehr thätig, und den wenigen, die in die spätere Zeit hinüberlebten, erging es ebenso wie Hals und Rembrandt. Die Vorsichtigen suchten neben der Malerei einen andern Erwerbszweig. Goyen spekulierte mit alten Bildern, mit Tulpen und Häusern; Jan Steen, sein Schwiegersohn, pachtete eine Kneipe; Hobbema wurde Steuereinnehmer, Pieter de Hooch Verwalter; Jan van de Capelle betrieb eine Färberei, Adriaen van de Velde einen Leinwandladen. Andere wie Ruysdael kamen ins Hospital oder stehen auf der Liste der Zahlungsunfähigen – gerade diejenigen, die Leben, Geist und Bewegung in das eintönige Schaffen brachten.
Holland war, nachdem es der Hort der Freiheit gewesen, im Laufe der Jahre ein spießbürgerliches Krämerland geworden. Ausgestorben war das zähe Geschlecht der großen Staatsmänner, Seehelden und Koloniengründer, und eine Generation reicher Banquiers war an ihre Stelle getreten, die auch der Kunst die pedantischen Prinzipien aufdrängten, die den Inhalt ihrer Lebensphilosophie bildeten. Ebenso korrekt wie die Mynheers dahinleben, ebenso sauber und staubfrei wie die holländischen Stuben müssen die Bilder sein. Es ist so hübsch, wenn man eine Lupe zur Hand nehmen und durch das Vergrößerungsglas noch Dinge entdecken kann, die das bloße Auge nicht sieht. Das Ergebnis dieser Aesthetik war jene geistlose, aufs äußerste durchgeführte, glatte, geleckte Malerei, die in Gerhard Dou ihren ersten Vertreter hat.
Dou war der Stolz seiner Nation, der bestbezahlte Maler seiner Zeit. Die Accuratesse seiner Pinselführung imponierte ebenso sehr, wie die Genialität des Hals Aergernis erregte. Als die ostindische Compagnie den König Karl II. zu seiner Rückkehr nach England beglückwünschte, kaufte sie zu einem Meissonierpreis ein Bild von Dou und machte es dem König zum Geschenk. Ein Banquier zahlte jährlich 1000 Gulden, um sich das Vorkaufsrecht Dou'scher Bilder zu sichern. In allen Museen kommen sie vor, die verschiedensten Dinge stellen sie dar, und die philisterhafte Trockenheit ist stets die gleiche. Da sind Bildnisse, in denen jede Hautfalte und jede Runzel, an den Pelzen und Mänteln jedes Härchen und jede Faser mit mikroskopischer Genauigkeit – nicht im Sinne der Primitiven, sondern im Sinne pedantischen Philistertums – facsimiliert ist. Dann jene Halbfiguren in der Fensternische, die sein eigentliches Steckenpferd waren. Man sieht ein Fenster, aus dem eine Magd hervorlacht, ein anderes, wo eine Dame Toilette macht, ein drittes mit einem Mädchen, das die Blumen begießt, wieder eines mit einem Alten, der die Pfeife raucht, oder einer runzlichen Mutter, die bei der Näharbeit sitzt. Rings vereinigt er all die Dinge, auf deren blitzblankes Funkeln die holländischen Hausfrauen Wert legten: Kannen, Schüsseln, Gläser, Töpfe und Kessel, vergißt auch die Werkzeuge nicht, mit denen diese Sauberkeit erzielt wurde: Besen, Lappen und Bürsten. An den gemusterten Kleidern ist deutlich das Gewebe zu erkennen. Bei den Büchern versäumt er nicht, den Druck so genau wiederzugeben, daß man mit der Lupe ihn lesen kann. Statt des Fensters bildet zuweilen eine Felsenhöhle die Umrahmung und darin sitzen Einsiedler, erstens, weil solche alten Männer viele Runzeln haben, zweitens, weil die dazu gehörigen Kruzifixe, Totenköpfe, Sanduhren und Strohbündel Gelegenheit zu sauberer Kleinmalerei geben. Um diese Feinheit der Ausführung noch mehr ins Licht zu setzen, nimmt er zuweilen auch Kerzenbeleuchtung zu Hilfe. Man sieht eine Magd, die mit brennendem Licht in die Speisekammer tritt, eine Kuchenbäckerin, die mit brennender Kerze ihre Waaren beleuchtet. Kleine Scherze, die Stoff zum Lachen geben: eine Waffelbäckerin, die ihren Sprößling säubert, eine Maus, die in eine reinliche Stube sich verirrt hat – werden ebenfalls nicht verschmäht. Es ist eine witzlose, verknöcherte, öde Kunst, von keinem Gedanken erwärmt, von keiner Idee durchzittert. Es lebt in Dou die Seele jenes Holland, das Rembrandt, dem einzigen »Fliegenden Holländer« die Flügel beschnitt und Hals verhungern ließ.
Frans van Mieris unterscheidet sich von Dou nur dadurch, daß der Inhalt seiner Bilder noch salonfähiger ist. Junge Damen, die beim Austernfrühstück sitzen, mit einem Papagei oder einem Schoßhündchen tändeln, die Laute spielen oder sich im Spiegel betrachten, sind die gewöhnlichen Themen. Mit derselben Sauberkeit wie bei Dou die wollenen Jacken sind bei Mieris die schillernden Seidenkleider, die Federhüte, Perlenhalsbänder und Hermelinpelze gemalt. Willem Mieris, Eglon van der Neer, Caspar Netscher und Gottfried Schalcken liefern weitere Varianten solch kleinlicher Stoffmalerei. Man bemerkt zugleich, wie zu der glatten Mache eine fade Grazie tritt, etwas Rosiges, Süßliches, banal Hübsches, das die Köpfe dem Niobetypus nähert. Säulen und Reliefe, die mit dem Gegenstand nichts zu thun haben, werden überall angebracht. Schließlich änderten sich dem Beiwerk zu liebe die Stoffe selbst. Hatte man anfangs während der Flitterwochen des jungen Holland sich an kecken Bauernbildern, an Musikanten und Zahnreißern, an Quacksalbern und Rattenfängern gefreut, dann zur Zeit der Deftigkeit sich gelabt, wenn Dou einen Zinnkrug und einen Blumentopf, eine Majolikaschüssel und einen Besenstiel recht naturgetreu malte, so kamen nunmehr tändelnde Schäferscenen, bukolische Hirtenstücke von gezierter Eleganz in Mode. Die Kunst, erst derb und kräftig, dann verknöchert kleinlich, wird nun süßlich affektiert. Und die Bildnisse erklären, weshalb sie diese Wandlung durchmachte.
Steifnackige Demokraten, knorrige Plebejer sind auf den ältesten dargestellt. Behäbige Hausbesitzer, protzige Geldmenschen sind die Söhne. Die Enkel schämen sich ihres bürgerlichen Blutes und spielen den Edelmann, suchen ihren früheren Tyrannen ihre vornehmen Allüren abzusehen. In theatralischer Pose, einen bauschigen Cavaliersmantel um die Schultern gelegt, mit der weißen Hand kokettierend, die Brust mit goldener Kette geschmückt, stehen sie da. Parfümiert sind sie, damit sie nicht nach Heringen riechen. Byzantinisch dankbar beugen sie den Nacken, wenn ihnen ein auswärtiger Potentat einen Hoftitel oder die Ritterwürde giebt. Die Damen sind keine Köchinnen mehr, sondern lächeln diskret hinter dem Fächer hervor. Bücher erscheinen, die über vornehmes Gesellschaftsleben unterrichten. Höfe, heißt es da, sind der Sitz der feinen Kultur. Nur indem die jungen Leute auf Reisen gehen, können sie die Eleganz und den Schliff, die Gewandtheit und Anmut sich aneignen, die den Hofmann vor dem Bürgerlichen auszeichnet. Selbst im Briefstil und der Litteratur läßt sich das Hervortreten des höfischen Elementes beobachten. Anfangs derb und formlos, redet man sich jetzt mit schwülstigen Titeln an. Auf der Bühne, die früher Brederoos Volksstücke gab, werden die »erhabenen Schicksale durchlauchtiger Personen« gefeiert.
Diesem Weg vom Bürgerlichen zum Fürstlichen folgt auch die Kunst. Die ersten Symptome kann man schon darin sehen, daß Terborch den spanischen Hofstil auf das holländische Porträt übertrug, den biederen Kaufherren von Deventer das stolze Phlegma spanischer Granden gab. Sweerts unterschrieb sich eques. Wouwerman malte Banquierssöhne, die sich duellieren und wie ritterliche Junker mit ihren Namen zur Falkenbeize ausreiten. Weenix, Hondekoeter und de Heem behandelten ihre Stillleben so, als seien sie nicht für Bürgerhäuser, sondern für Königschlösser bestimmt. Nun ging die Bewegung überhaupt ins rauschend Dekorative oder geziert Schöngeistige über. Der Bourgeois prunkt mit klassischer Bildung. Selbst der Katholizismus, den man einst bekämpft, findet als die »Religion der Vornehmen« wieder Anhänger.
Gérard de Lairesse in seinem Schilderboek sprach das Wort, das allen auf den Lippen lag. Er verspottet Hals, der bei »Fisch- und Apfelweibern das Schöne gesucht«, und verlangt vom Künstler, daß er sich aneigne, was »die feine Welt einen guten Geschmack nennt«. Dieser gute Geschmack aber ist der französische Hofstil. Denn Lebrun wird für den größten aller Maler erklärt und den Landschaftern empfohlen Bilder zu malen mit »geraden Bäumen, stattlichen Palästen und zierlichen Fontänen«: also Landschaften im Stile Lenôtres. Sowohl die Besteller wie die Maler waren Cavaliere geworden, darum galt es, auch die Kunst zu »veredeln«, den großen Stil zu schaffen, den die Antike, den das Cinquecento lehrte.
Diesem Bedürfnis entsprach der Ritter Adriaen van der Werff, indem er mit dem zierlichen Pinsel des Mieris – klassisch korrekt und akademisch kühl – Stoffe der Historienmalerei behandelte, jene biblischen und mythologischen Themen, die zur Zeit der aristokratischen Kunstpflege beliebt waren. Ein Sohn des demokratischen, protestantischen Holland, geadelt, malt für einen katholischen Kurfürsten, dessen Hofmaler er ist, die Mysterien der katholischen Kirche. Damit endet die Tragikomödie des ersten Auftretens der Bourgeoisie. Unterdessen hatte die französische Invasion 1672 auch die Weltstellung des holländischen Staates vernichtet. Bürgertum und bürgerliche Kunst beugten sich wieder dem Scepter des Monarchismus.