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Die ersten Bilder muten noch mehr vlämisch als französisch an. Galante Feste, Hymnen auf die Liebe erwartet man, und Scenen aus dem Soldaten- und Lagerleben bilden den Inhalt der Werke.
Watteaus Jugend fiel in die Zeit des spanischen Erbfolgekrieges. Die Niederlande, seine Heimat, waren der Schauplatz eines bunten Kriegslebens. So begann er damit, ähnliche Scenen festzuhalten, wie sie die Holländer der Frans-Halszeit malten. Auf einem Bilde der Sammlung Rothschild ziehen bei schwerem Unwetter Rekruten über eine Ebene hin. In andern gruppiert er Soldaten und Marketenderinnen, Wagen und Zelte inmitten vlämischer Landschaften. Von solchen Darstellungen aus dem Kriegsleben geht er zu solchen aus dem Bauernleben über. Auf dem Bilde la vraie gaîté tanzt ein Paar vor dem Wirtshaus. Auf einem umgekehrten Kübel sitzt ein Mann, die Violine spielend. Auf einem andern Werk zecht eine Gruppe Bauern vor der Kneipe, und andere ziehen trunken nach Hause. Alles sind echt vlämische Gestalten. Ein neuer Teniers scheint zu kommen. Nur die Frauen gehören einer anderen Rasse an. Mit ihren weißen Häubchen und sauberen Schürzen, ihren eleganten Bewegungen und zierlichen Köpfchen haben sie etwas Schmuckes, Graziles, das nicht zu der bäurischen Art des Teniers stimmt.
Trotzdem ahnt man nicht, daß dieser Bauernmaler der Meister der Grazie werden sollte. Erst als er nach Paris zurückgekehrt war, ändern sich die Themen. An die Stelle des Magots tritt die elegante französische Gesellschaft. Verschiedene Bilder lassen verfolgen, wie allmählich sich die Wandlung vollzog. Eine Komposition, die nur im Stich erhalten ist, zeigt eine Gondelfahrt auf stillem Kanal. Die vierschrötigen vlämischen Gestalten sind graziös und vornehm geworden. Nur der Hintergrund mit seinen Kanälen und Schlössern ist noch im Sinne der Städteprospekte des Jan van der Heyden gehalten. Dasselbe gilt von dem Bild, das »der Spaziergang auf den Wällen« genannt wird: vornehme Damen und plaudernde junge Herren, aber im Hintergrund massige Türme und Citadellen von ganz niederländischem Charakter. Es folgt das Bild der »Hirten« im Neuen Palais in Potsdam: vorn ein junges Paar, dem ein alter Hirte zum Tanz aufspielt; rings Mädchen, die dem Tanze zuschauen, und ein Herr, der eine Dame schaukelt. Weiter die Darstellungen, die unter dem Namen la danse champêtre, das verfängliche Anerbieten, der Zeitvertreib, le faux pas, l'amour paisible, la mariée de village, assemblée galante und leçon d'amour bekannt sind – im Original fast sämtlich im Berliner Schloß befindlich, wohin sie durch Friedlich den Großen kamen. Und wenn diese Werke trotz des Rokokokostüms noch vlämische Schwere haben, so sind im nächsten, das er 1717 der Akademie als Receptionsbild einreichte, alle Bande gelöst, die ihn mit der Heimat verknüpften. Es ist die »Einschiffung nach der Insel Cythere«, jenes Bild des Louvre, in dem der Traum einer ganzen Generation Gestalt gewonnen. Watteau behandelte das Thema ein zweites Mal in dem Werke des Berliner Schlosses, das noch jubelnder als das Louvrebild ist. Aus dem Boot, das die Pilger nach dem verzauberten Eiland bringt, ist eine Fregatte mit wehenden rosaroten Segeln geworden. Amoretten klettern zum Mast hinan, schießen ihre Pfeile auf die Menschen, fesseln die Schönen mit Rosenketten. Und nun folgen in den wenigen Jahren, die er noch zu leben hatte, all jene Werke, die das gleiche Thema – Lebenslust und Liebe – in immer neuen Varianten behandeln: Boccaccios Decamerone in Rokokotracht.
Junge Männer in Sammet und Seide, eine Guitarre an breitem mattrotem Bande um die Schulter gelegt, streifen ziellos umher und machen schönen Frauen den Hof, bald im Walde, bald auf der Wiese oder im Dorf, nie aber in der Stadt, oder in der Nähe eines Schlosses. Keinen Hunger kennen sie, keine Arbeit, keine Sorgen. Feen haben ihnen alles, was sie brauchen, gegeben: ihre Atlasschuhe, ihre Notenbücher, ihre Hirtenstäbe und Mandolinen. Und die Frauen sind Kinder derselben elysischen verzauberten Welt. Aus blauen Augen, deren Frieden keine Leidenschaft stört, blicken sie ihre Verehrer an. Spitzenfächer haben sie und mattrote, violette oder gelbe Seidenkleider. Schlanke Arme mit langen weißen Fingern und rosigen Nägeln tauchen aus seinen Spitzen hervor. Nichts geschieht auf den Bildern. Man singt und spielt nur, man spricht und lacht. Anmutige Umarmungen, zärtliche Blicke, galante Worte werden gewechselt. Da bietet ein Herr der Dame die Hand, um sie ein paar Marmorstufen hinaufzuführen. Dort wird Gavotte getanzt, Blindekuh gespielt, oder junge Mädchen fangen weiße Rosen in ihrer Schürze auf. Dort entfernt sich ein Herr mit seiner Dame und lagert sich mit ihr auf dem Grase, am Abhang eines kleinen Sees, hinter einem Baum oder niedrigem Buschwerk. Bald schelmisch lächelnd, bald schmollend oder leicht gekränkt, halb versagend, halb gewährend nehmen die Damen die Huldigungen ihrer Kavaliere entgegen. Ihr Auge glänzt, zitternd atmen sie die Atmosphäre der Liebe, womit der Mann sie umgiebt. Und wenn es dunkler wird, löst sich allmählich der Schwarm. Plaudernd verschwinden die Pärchen. Der Gesang, der Klang der Guitarre verstummt. Nur noch süße stammelnde Worte hört man flüstern.
Zuweilen wird statt des seidenen Schäfergewandes auch Theaterkostüm getragen. Doch ist Watteau deshalb nicht der Maler der Gaukler und wandernden Komödianten gewesen. Wohl scheinen einige der Bilder, wie der Pierrot des Louvre, Porträts von Schauspielern zu sein. In andern wie der »Liebe auf dem italienischen« und der »Liebe auf dem französischen Theater« sind Scenen aus Komödien festgehalten. Doch die meisten dieser Theaterbilder sind auch nur galante Feste. Die vornehmen Herren und Damen haben das Kostüm der italienischen Schauspieler angezogen, benutzen Pierrots weißes Leinen, Harlekins bunte Seide und Scaramouches flotten Mantel, um Abwechslung in ihr Schäferspiel zu bringen. Wenn es Abend geworden, durchschwärmt ein bunter Maskenzug den Park. Pechfackeln werfen ihr Licht auf grotesk vermummte Gestalten, die dem Reiche Lucifers entstiegen scheinen und doch nur Schwärmer sind, die ihr Liebchen suchen.
Und für diese Menschen schafft Watteau auch die Natur, in die sie gehören. So wenig seine Landschaften mit den Parkanlagen Lenôtres gemein haben, so wenig gleichen sie denen der Wirklichkeit. Keine Wolken giebt es, kein wildes Gestrüpp, keine schroffen Felsen. Mächtige Bäume breiten ihre Wipfel wie schützend über die Paare. Weicher Rasen ladet zum Ausruhen. Rosen, Maßliebchen, Tausendschönchen blühen mitten im Wald, damit die Herren sie pflücken und Sträuße winden können. Holunder und Jasmin duftet von den Hecken. In der Luft tanzen die Schmetterlinge ein lautloses Menuett. Quellen und kleine Cascaden rauschen in der Nähe, wie um das Geflüster der Liebe zu übertönen. Da ist eine Schaukel angebracht. Dort blinken nackte Marmorbilder – Amoretten, eine Antiope, eine Venus, ein ziegenfüßiger Satyr, der eine schlanke Nymphe umfaßt, Apollo, der die Daphne verfolgt – aus grünem Gezweig hervor, die Menschen zu ähnlichen Neckereien lockend. Nicht Pan, sondern Amor führt in dieser Welt das Scepter. Der Schauplatz aller Bilder ist die Insel Cythere, wo die Rosen immer duften und die Nachtigallen flöten, wo es in den Bäumen säuselt und flüstert von Glück und Liebe.
Auch die Farben sind andere wie auf unserer Erde. Watteau hat lange gebraucht, um als Kolorist den Ausdruck seines Fühlens zu finden. Seine ersten Bilder zeigen den Zusammenhang mit den alten Meistern. Er hat die helle Leuchtkraft des Rubens oder die warme Glut des Tizian. Doch seitdem er die »Einschiffung nach Cythere« geschaffen, ist auch seine Farbenanschauung selbständig. Hört man bei Rubens Blechinstrumente, bei Tizian die vollen Fugen der Orgel, so lauscht man hier verklingendem Flötenspiel oder dem zarten, zitternden Silberklang der Geige. Die matte, krankhaft verfeinerte Farbe entspricht der ätherischen Anmut der Figuren. Ruhig, in mildem Glanz gebadet, liegt die Erde. Zitternd wiegen sich die grünlichen Wipfel der Bäume in der weichen Luft. Der Sonnenuntergang, wenn alles im Silberduft der Dämmerung verschwimmt, ist besonders die Stunde Watteaus. An der Schwelle des 18. Jahrhunderts hat er das Exquisiteste geschaffen, was das Jahrhundert überhaupt hervorbrachte, hat der Kunst die Bahnen gewiesen, in denen sie fünfzig Jahre sich bewegte.
Wie kam es, daß gerade Watteau der erste Schilderer der Pariser Eleganz wurde? Es scheint ein unerklärlicher Widerspruch zwischen seiner Kunst und seinem Leben zu bestehen. Denn weder war er Franzose, noch war er ein vornehmer Mann. Sein Geburtsort Valenciennes, obwohl seit dem Nymphenburger Frieden zu Frankreich gehörig, war doch eine vlämische Stadt. Sein Vater war Dachdeckermeister. Er selbst sollte Zimmermann werden und erreichte nur mit Mühe, daß er die Werkstatt eines Dorfmalers besuchen durfte. Da faßt er einen großen Entschluß. In Paris, dem Mittelpunkt alles Geschmacks und alles Schönen, will er sein Glück versuchen. Allein, ohne Verbindungen, ein schüchterner, schweigsamer junger Mensch steht er auf dem Pflaster der großen Stadt, den Kopf voll Pläne, aber die Tasche leer. Bei einem Händler am Pont Notre Dame tritt er ein, malt für 3 Francs wöchentlich Kopien nach niederländischen Bildern. Dann wird er von dem Theatermaler Gillot, später von Claude Audran, dem Konservator des Luxembourg bei dekorativen Arbeiten beschäftigt.
Wie wurde dieser vlämische Dachdeckersohn, der nur die Misere des Daseins kannte, der Maler der Grazien? Vielleicht ist die Erklärung gerade darin, daß Watteau Ausländer war, zu suchen. Alle Pariser Maler gingen an dieser Welt von Schönheit, die sie täglich um sich sahen, achtlos vorüber. Watteau entdeckte sie, da für ihn die Pariserin etwas Fremdartiges, Wunderbares war, das er mit den entzückten Augen des Bauernjungen, der in die Großstadt kommt, betrachtete. Nur Krämer, Gaukler, Vogelhändler und Rattenfänger, Kirmeßgelage und plumpe Bauerntänze hatte er in der Heimat gesehen. In Paris, als Gehilfe Audrans, lebte er im Mittelpunkt der eleganten Welt. Noch heute im Luxembourggarten, zur Abendzeit wird der Geist des 18. Jahrhunderts wach. Die alten hohen Bäume verschlingen ihre Aeste wie um Märchenhaine zu bilden. Durch die langen Alleen wandeln verliebte Pärchen. Auf Marmorbänken zu Füßen alter Statuen flüstern andere. Studenten und Grisetten sind es heute. Damals waren es junge Kavaliere und zarte Komtessen. Denn der Luxembourggarten war das Stelldichein der vornehmen Gesellschaft, hatte für das 18. Jahrhundert die Bedeutung wie für das 19. das Bois de Boulogne. Oft mag der arme Dachdeckersohn aus Valenciennes aus den hohen Fenstern des Schlosses scheu herniedergeblickt haben auf das elegante Treiben. Was er hier noch nicht gesehen, lernt er später bei Crozat, dem reichen Finanzmann kennen: den ganzen Luxus, die umschwärmtesten Frauen von Paris. Und da er Fremder war, malt er als erster, was die Pariser Maler noch nicht für kunstfähig hielten. Eine Erscheinung, die sich oft wiederholt: Jan van Eyck wurde der Vater der Landschaftsmalerei, weil er aus der Heimat nach Portugal kam; Gentile Bellini der Maler Venedigs, weil er vorher in Konstantinopel gewesen; Theodocopuli der erste Maler der Spanierin, weil er nicht aus Spanien, sondern aus Griechenland stammte.
Dazu kommt ein zweites.
Watteau war ein häßlicher, verbitterter Mensch. Ein unheilbares Leiden, das er in sich trug, hatte ihn menschenscheu und ungesellig gemacht. Traurig und furchtsam, mißtrauisch und ungeschickt im Verkehr nennen ihn seine Biographen, und die Porträts ergänzen die Beschreibung. Leer und ausdruckslos wie die eines Sperbers sind die Augen, rot und knochig die Hände. Schlaff ist der Mund. Ein Porträt, auf dem er ohne Perücke sich darstellte, sieht aus, als hätte er selbst seine Häßlichkeit und Krankheit verhöhnen wollen. Denn das Haar ist struppig und ungeordnet; die Kleider schlottern um die niedrigen Schultern und die schmale Brust. Von Reichtum, Schönheit, Koketterie und Eleganz ist er umgeben. Ihm selbst, dem Schwindsüchtigen, wird nichts von allem zu teil.
Auch er möchte lieben. Das zeigen die mythologischen Bilder, die er im Beginn seiner Laufbahn malte. Da träumt er von rosigen Körpern, gedenkt mit Neid des Paris, den die drei Göttinnen zum Schiedsrichter wählten; erinnert sich des Jupiter, der als bocksfüßiger Satyr die schöne Antiope gewinnen, des Vertumnus, der als häßliche alte Frau die schöne Pomona bethören könnte. Nur ihm, dem Kranken, ist die Liebe versagt. Ein Bild des entwaffneten Amor beschließt die Reihe seiner mythologischen Werke. Je mehr seine Krankheit zunimmt, desto menschenscheuer, desto ruheloser wird er. Er verschließt seine Thür, trennt sich von Crozat, weil ihm die Einsamkeit lieber. Bei einem Landsmann, dem Maler Bleughels nistet er sich ein, wo niemand ihn sucht. Dann verläßt er auch diesen, weil der Gedanke andern lästig zu sein ihn peinigt, fährt planlos nach London, nur um unbemerkt auf fremdem Boden zu sein. Zurückgekehrt, malt er noch das Ladenschild für seinen Freund, den Kunsthändler Gersaint, jenes ätherische Bild, das nur ein Schwindsüchtiger schaffen konnte: stofflos, wie hingehaucht die graurosigen Farben; die überschlanken Figürchen alles Fleischlichen entkleidet, ein Hauch, ein Nichts. Dann zieht er nach Nogent-sur-Marne sich zurück und beginnt noch ein Altarbild, das er der Kirche stiften will: eine Kreuzigung Christi, »mit einem Ausdruck des Leidens, den nur ein Todkranker geben konnte«. Am 18. Juli 1721 stirbt er, 36 Jahre alt.
Kennt man diese Biographie, so erscheinen die galanten Feste Watteaus in anderem Licht. Watteau wurde der Maler der fêtes galantes, weil er gar nicht Wirkliches, nur Fata Morgana-Gebilde, seine eigenen Träume von Schönheit und Liebe malte. Wenn jene andern Arm in Arm hinaussegelten nach den Gefilden der Seligen, blieb er, der kranke häßliche Mann allein auf der grauen Erde zurück und starrte hinaus nach den glücklichen Gestaden, von denen für ihn kein Schiff heranfuhr. Sein ganzes Schaffen war ein großes Sehnen, das Sehnen eines Kranken nach Frohsinn, das Sehnen eines Einsamen nach Liebe. In seiner Jugend, als er die andern kämpfen sieht, träumt er vom Soldaten- und Lagerleben, von Kriegsruhm und dem Schmettern der Trompeten – so wie Memling im Hospital von Brügge sich als Landsknecht malte, der auf weißem Schimmel durch die Landschaft sprengt. Später schwärmt der Schwache für die Kraft des Rubens. Er, der Häßliche, träumt von Schönheit. Während er sterbensmatt in seinem Krankenzimmer sitzt, tragen ihn die Fittige des Traumes in ein fernes Utopien, in ein Land des Glückes und der Liebe. Während er einsam ist, denkt er an Frauen, deren Gewand zu berühren eine Seligkeit ist. So erklärt sich die zitternde Wehmut, der melancholische Hauch, der diese Darstellungen frohen Lebensgenusses durchklingt. So erklärt sich, daß seine Gestalten, in der Wirklichkeit wurzelnd, doch einem fernen Elysium zu entstammen scheinen. Obwohl sie die Gewänder des 18. Jahrhunderts tragen, sind seine Frauen nicht diejenigen, von denen die Schriftsteller erzählen. Sie sind so unschuldig, so backfischhaft verschämt, als hätten sie nie früher einen Mann gesehen. Watteau besingt sie wie ein Gymnasiast, dem die Liebe ein heiliges Mysterium ist. Des Lebens Prosa ist vom Zauber des Märchens umwoben. Vielleicht hat sich sogar das Leben erst nach der Kunst geformt: das Zeitalter entdeckte seine Grazie erst, nachdem der Schwärmer Watteau sie gezeigt hatte.