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Es liegt, so erzählt die Sage, irgendwo in der Welt eine Insel, die den Namen Cythere trägt. Immer blau ist dort der Himmel, ewig blühen die Rosen. Tagsüber liegt sie still wie ein schlafendes Dornröschen da. Doch gegen Abend, wenn die Erde sich in Schweigen hüllt, herrscht auf Cythere geschäftiges Treiben. Die Amoretten beginnen ihren Dienst. Schiffe werden ausgerüstet, um die Pilger herüber zu bringen, die dort drüben am Ufer harren. Junge Herren sind es und schöne Frauen, nicht mit brauner Kutte bekleidet, sondern in Seide und Sammet, blumenumwundene Hirtenstäbe in der Hand. Und wenn sie eingestiegen sind, wenn das Boot wieder dem verzauberten Eiland sich nähert, da ist die Welt vergessen. Eine weiche, sinnliche Atmosphäre umfängt sie; die Rosen duften, die Tauben girren. Das Marmorbild Aphrodites blinkt aus grünem Gezweig hervor, und klopfenden Herzens sinken sie zu Füßen der Göttin nieder.
Dieses Werk ist das triumphierende Titelbild zur Kunst des 18. Jahrhunderts.
Als das 17. Jahrhundert begann, durchflutete der Geist einer aufgerüttelten, wilden Frömmigkeit die Welt. Man that Buße in Sack und Asche nach den humanistischen Verirrungen der Renaissance. Dann war es zum Kompromiß gekommen. Der Katholicismus der Gegenreformation, anfangs so finster drohend, trug in Flandern Sinnenfreude und Fleischeslust selbst in die Dinge des Jenseits hinein. Frankreich hatte den Pomp der Barockkunst aus der Kirche in den Palast verpflanzt. Statt den Heiligen hatte sie dem Sonnenkönig gedient. Doch schließlich endete das Jahrhundert, wie es begonnen hatte. Der Roi Soleil war selbst vor seiner Gottähnlichkeit erschrocken. Seine unglücklichen Kriege, seine Geldverlegenheiten, die Todesfälle in der königlichen Familie – alles stimmte ihn düster. Die lauten glänzenden Feste hörten auf. Die Mode, lustig zu sein, sei abgekommen, ist die ständige Klage, die durch die Briefe der Elisabeth Charlotte geht. Im Verein mit Frau von Maintenon giebt er Glaubensedikte, läßt Kirchen bauen und Messen lesen. Trappisten und graue Schwestern schlichen durch die Säle des einst so strahlenden Schlosses. Frankreich hatte zu Anfang des 18. Jahrhunderts mehr Klöster als Italien. 90 000 betrug die Zahl der Mönche und Nonnen, 150 000 die der Geistlichen. Große Kanzelredner wenden alle Mittel ihrer glänzenden Beredsamkeit auf, Paris zur Buße zu rufen. Eine langweilige, von oben aufgedrungene Frömmigkeit, ein pfäffischer Geist lastete auf dem Lande.
Da starb der große König und die Gesellschaft atmete auf. Kein kopfhängerisches griesgrämiges Muckertum brauchte man mehr zu heucheln, brauchte nicht mehr hinter den Fächern zu gähnen. Denn der Regent selber, Philipp von Orleans, warf als erster die Maske ab. Alle Lebenslust, bisher in einem Käfig eingeschlossen, schäumte auf. Auch das Geld war vorhanden, um alle Wünsche zu befriedigen. Solange Ludwig XIV. lebte, waren die kühnen Handelsprojekte des Spekulanten Law nur Pläne geblieben. Der Herzog von Orleans war schnell gewonnen. Eine Reihe von Aktienunternehmungen und Gründungen brachten Summen in Fluß, die einen nie dagewesenen Luxus gestatteten. Man hatte gebetet, man wollte sich freuen, man hatte sich gelangweilt, man wollte lustig sein.
Die Bildnisse zeigen, daß plötzlich eine ganz neue Menschheit auf den Schauplatz trat. Keine stolzen Generale, keine würdevollen Erzbischöfe und audienzerteilenden Minister giebt es mehr. Es giebt nur noch Männer der Mode und der Eleganz. Alle gehen galant, sprechen galant, lächeln galant, kennen die schönsten Komplimente und ihre Wirkung auf das zarte Geschlecht. Nicht mehr gravitätisch, sondern weich und rosig sind die Züge. Nicht mehr imponierend, sondern fein und zierlich ist die Pose. Die Toilette, früher feierlich steif, kokettiert mit eleganter Nachlässigkeit und erhält eine Wendung ins Weibliche. Sammet und Seide in allen Nuancen, Spitzen als Halsschmuck und als Manschetten, Stickereien in Gold, Silber und Seide, werden selbst von alten Herren getragen. Alle sind sie so elastisch schlank, so effeminiert und ewig jung, so anmutig und von Rosenduft umhaucht, als ob es gar keine Männer, sondern erwachsene Amoretten wären.
Noch auffälliger ist die Wandlung, die die Frauen durchmachten. Die vom Schlusse des 17. Jahrhunderts in ihrem starren Fischbeinkorsett haben eine olympische junonische Größe. Majestätisch und voll ist die Gestalt. Blendende Schultern und prächtige Arme tauchen aus dem Hermelinmantel auf. Aber auch unweiblich, unnahbar hoheitvoll sind sie: der Typus des Louis XIV. und des großen Kurfürsten ins Weibliche übersetzt. Streng geschlossen ist der Mund, energisch männlich die Stirn. Das Auge blickt fest, metallisch kalt unter harten Brauen hervor. Fett und ausdruckslos ist die Hand. Es sind Frauen wie die stolze Montespan, bei deren Anblick Hebbel ausrief, solch ein Weib dürfe nur ein König lieben. Jetzt giebt es keine Frauen mehr von majestätischer Schönheit. Schienen sie damals alle 40 Jahre alt, so sind sie jetzt entweder unter 20 oder über 60. Suchten sie damals durch Formenfülle zu imponieren, so sind sie jetzt ätherische Wesen, die nur Esprit und Pikanterie verklärt. Die Figuren, damals mächtig, werden fein und leicht. Die Gesichter, damals stolz, werden kindlich, sind nicht mehr geschminkt, sondern hell gepudert. Die Linien des Mundes verlieren ihren hochmütigen Ernst und kräuseln sich in leiser Schalkhaftigkeit und liebenswürdigem feinen Lächeln. Die Büste hat ihre Fülle verloren und zeichnet nur leicht unter seidenem Mieder sich ab. Selbst die Schmucksachen sind andere. Die schweren Ringe und Ketten, die man früher trug, sind zarten Filigranarbeiten gewichen. Auf den Geschmack für das Imposante ist der für grazile Anmut, auf die unnahbare kalte Vornehmheit das Niedliche, pikant Verführerische, auf das Würdevolle das Kokette, auf den Triumph des rein Leiblichen die spirituelle Schönheit gefolgt.
Auch das Leben dieser Menschen steht in schroffem Gegensatz zu dem der Vergangenheit. Damals war der König der Mittelpunkt, um den alles sich drehte. Die Idee von der unbedingten Alleinherrschaft ging so weit, daß der eigene Bruder in Ludwigs Gegenwart stehend verharren mußte. Und dieses feierliche Hofceremoniell beherrschte die Welt. Entweder ging man, der Frau von Maintenon wegen, zur Kirche, oder man bewegte sich in würdevoller Steifheit, dem König huldigend, in den Prunksälen des Versailler Schlosses. Jetzt wird Ludwigs Wort »Der Staat bin ich« abgelöst durch das andere: »die Aristokratie ist die Menschheit«. Als Palastrevolution beginnt, was am Ende des Jahrhunderts in offener Volksrevolution endet. Vorher um den Königsthron geschart, geht die Aristokratie nun ihre eigenen Wege.
Kirche und Schloß, das sind die beiden Orte, wohin sie nicht mehr geht. Die religiöse Begeisterung, die im 17. Jahrhundert noch einmal aufgeflammt war, ist tot. Wie um sich zu entschädigen für den Zwang, den die letzten frömmelnden Jahre Ludwigs XIV. gebracht, kokettiert man jetzt mit Atheismus. Schon 1710 schreibt Tyssot de Patot seinen Roman »Voyages et aventures de Jacques Massé«, worin er von Christus wie von Mohammed oder Confucius spricht. Später wird Natoire, der Direktor der französischen Akademie in Rom, »wegen übergroßer Frömmigkeit« seines Postens enthoben. Auf das Jahrhundert der Religionskriege folgt das Jahrhundert, das jeden nach seiner Façon selig werden läßt, auf die Zeit der letzten Heiligen die der geistreichen Spötter, die weder an Himmel noch Hölle glauben.
Ci gît dans une paix profonde
Cette Dame de volupté
Qui pour plus grande sûreté
Fit son paradis de ce monde
lautet die Grabschrift der Marquise von Bouffiers, und diese Worte könnten über den meisten Gräbern des 18. Jahrhunderts stehen. Hatte man früher nach dem himmlischen Paradies gestrebt, so genoß man jetzt das Leben in vollen Zügen und starb mit dem frohen Bewußtsein, es genossen zu haben. So wie George Sands Großmutter ihrer Enkelin erzählt: »Dein Großvater war schön, elegant, sorgfältig gekleidet, fein, parfümiert, munter, liebenswürdig, zärtlich und froh bis an den Tod. Damals hatte man keine häßlichen körperlichen Schmerzen. Lieber starb man auf einem Ball oder im Theater als in seinem Bett zwischen vier Wachskerzen und häßlichen schwarzen Männern. Man genoß das Leben, und wenn die Stunde, wo man es verlassen mußte, kam, suchte man nicht andern ihre Lebensfreude zu rauben. Das letzte Lebewohl meines Mannes bestand in der Aufforderung, ihn lange zu überleben und mir das Leben angenehm zu machen.« Man hätte die Süßigkeit des Lebens nicht gekannt, wenn man nicht vor 1789 gelebt habe, schreibt Talleyrand.
Die königlichen Routs hatten nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehört. Darum flüchtet man jetzt aus dem erstickenden Hofleben in ein frohes Arkadien, aus den Prunksälen in die Natur hinaus. Herrschte damals das Repräsentierende, der Zwang einer steifen festgeregelten Etikette, so liebt man jetzt das Laisser aller, sehnt sich nach harmlosem Genuß. Schöner als ein prunkvoller Palast deucht ein strohgedecktes Bauernhaus, das man draußen auf dem Lande sich kauft. Schöner als die steifen Parkanlagen Lenôtres dünken die Wälder und Felder, wo die Kuhglocken läuten, die Meiereien mit ihrem Hühnerhof und dem Taubenschlag. Auf Wiesen, an Bächen und Waldlichtungen lagert man zwanglos sich hin. Bals champêtres, déjeuners sur l'herbe werden veranstaltet. Graziöse Gavotten tanzt man und neckische Menuetts. Nach dem nahen Dorf eilt man hinüber, wo die Landleute ihren Jahrmarkt feiern. Das festliche Hofkleid ist abgelegt, die Perücke verschwunden, und in zierlich ländlicher Tracht wird Bauer und Bäuerin, Schäfer und Schäferin gespielt. Ludwig XIV. hatte 1697 das italienische Theater schließen lassen, weil die Schauspieler sich Ausfälle auf Frau von Maintenon erlaubten. Der Herzog-Regent eröffnete 1716 wieder die italienische Komödie, und dieses Komödiespielen war seitdem ein wichtiger Teil im Vergnügungsprogramm der vornehmen Welt. Mit Bällen, Theatervorstellungen, musikalischen Abendgesellschaften und besonders mit Maskenfesten vergeht die Zeit. Nicht nur die Schauspieler der Comédie française, der Comédie italienne und der Oper wurden häufig ins Palais royal befohlen. Selbst die Seiltänzer galten als salonfähig. Die jungen Herren nehmen bei ihnen Unterricht. Die Damen studieren mit den Schauspielern die Stücke ein, die sie auf ihrer Privatbühne aufführen. Es war so lustig, bot so viel Stoff zu niedlichen Intriguen und galanten Erlebnissen, den bunten Flitter des Pierrot und der Colombine zu tragen.
Denn wie die Etikette verachtete man skrupulöse Schamhaftigkeit, weil sie pedantisch erschien. Die Ehe gilt als ein Bild in Grau, dessen Monochromie erst durch rosige Töne zu erheitern sei. »Was ist,« schreibt Frau von Pompadour nach der Lektüre von Rousseaus Héloise, »diese Julie für ein fades Geschöpf.« Paris wurde damals das Zauberland, wo die Nabobs der ganzen Welt zusammenströmten, die Insel Cythere, die jeden aufnahm, der Geld, Geist und Lebenslust mitbrachte. Doch selbst die Sinnlichkeit erhielt jetzt eine neue Nuance. Im grand siècle, das nur das Mächtige, Pathetische kannte, war sie eine große Leidenschaft gewesen. Brutal und tierisch hatte Rubens sie gemalt. Jetzt waren die Nerven müde geworden. Nicht mehr starke Erregungen, nur das Diskrete, Delicate vertragen sie. So macht das 18. Jahrhundert, das nur das Kleine liebt, auch die Liebe zum Flirt. »Die großen Leidenschaften,« schreibt Mercier, »sind heutzutage selten. Man schlägt sich nicht mehr für eine Frau, man sieht keinen verlassenen Liebhaber, der durch Gift seinem Leid zu entgehen sucht.« Was man früher mit Aechzen und Stöhnen sagte, sagt man jetzt plaudernd, in leichter Causerie. Keine glühende Begehrlichkeit giebt es, keine brüske Kraft; nur kunstreiches Hofmachen, Schmeichelei und Huldigung, Werben und Schmachten. Pikantes Lächeln tritt an die Stelle des breiten Grinsen, galantes Schäferspiel an die Stelle brutaler Derbheit.
Neue Menschen brauchen eine neue Kunst. Die große Kulturwandlung, die sich zu Beginn des Jahrhunderts vollzog, war also von einer ebenso tiefgehenden ästhetischen Revolution begleitet.
Vorher hatten der heroische Corneille und der klassisch strenge Racine die Litteratur beherrscht. Diesen pomphaft feierlichen Stilisten, die auf erhabenem Kothurn einhergingen, folgen jetzt die geistvollen Plauderer, die in prickelnd anmutigem Ton, ohne jemals plump zu werden, von Liebe, nur von Liebe reden. Dem nervösen Empfinden der Zeit entsprach nicht mehr die immer gleiche Wiederkehr eiserner Takte. Darum lösen die tyrannischen Rhythmen des Alexandriners sich auf. Die rauschenden Perioden Boileaus verpuffen in einem Feuerwerk von Esprit, Witz und Laune. Schalkhafte Grazie tritt im Briefstil an die Stelle des Schwülstigen. Auch die Amadis und Robinsons, all die Romane, die in China spielen, kennzeichnen den arkadischen Zug des Zeitalters. Das Natürliche, harmlos Freie, das man zu Hause vermißt, sucht man in der Ferne, auf einsamen Eilanden und im Reich des Confucius. Denn mit den Chinesen verband sich ein besonderes Interesse. Sie hatten den Thee gebracht, das neue Getränk, das für das 18. Jahrhundert so bezeichnend ist wie für das 19. das Bier. Zugleich galten sie als ein glückliches Naturvolk, das frei von höfischem Zwang an den Ufern des Stillen Oceans paradiesisch heiter dahin lebte.
Mit dieser Wandlung der Litteratur ging die der Kunst parallel. Die Architektur, die im 17. Jahrhundert die größten Kirchen und die größten Königsschlösser hatte entstehen lassen, schafft jetzt die feinsten Palais und Landhäuser. Der Adel, bisher an Versailles gefesselt, baut sich seine eigenen Quartiere. Das Faubourg Saint-Germain, die Villen um Paris entstehen. Und der Stil dieser Bauten ist das Gegenteil desjenigen, der vorher herrschte. Da man im Leben alles Machtvolle, Heroische haßt, muß auch die Architektur alles Wuchtige meiden. Auf das Mächtige folgt das Zierliche, auf das Blendende das Behagliche. Die Gemächer werden kleiner, haben nicht mehr der Repräsentation, sondern der Bequemlichkeit, dem feinen Genuß des Lebens zu dienen. Statt in starren glänzenden Prachtsälen – die besonderen Feierlichkeiten vorbehalten werden – lebt, liebt und plaudert man in kleinen Salons und Boudoirs. Aus der Wandgliederung schwinden die letzten Reste tektonischen Aufbaus. Denn nichts Festes, nichts Massiges darf die Grazie stören. Nachdem man so lange den Druck des Königtums getragen und nun sich frei gemacht, nimmt man den tragenden Gliedern ihre bauliche Funktion und macht sie zu lustigen Personen, die heiter mühelos, nur noch aus Höflichkeit die Rolle von Karyatiden spielen. Nachdem man vorher gemessene Würde gezeigt, soll auch das Ornament jenen freien beweglichen Schwung bekommen, wie er im Leben herrscht, soll jene flüssigen Formen, jene bezaubernden Unarten haben, mit denen der Weltmann sich über die Regeln der Etikette hinwegsetzt. Blumen und Arabesken, Thyrsus und Hirtenstäbe, Gläser und Trauben, Faune und Nymphen verschlingen sich in heiter tändelndem Spiel. Sogar das Unsymmetrische des Rokoko hat seine psychologische Erklärung. Nachdem man so lange pedantisch abgezirkelt hatte leben müssen, hat man jetzt am Ungebundenen, Kapriciösen solche Freude, daß man das oberste aller früheren Schönheitsgesetze, die Symmetrie geflissentlich vermeidet, alles aufsucht, was der Regelmäßigkeit in übermütiger Laune spottet.
Waren die Möbel im 17. Jahrhundert monumental, majestätisch pomphaft, als stammten sie alle aus den Sälen des Versailler Schlosses, so werden sie jetzt kokett und leicht, zierlich und klein, als seien sie alle für das Boudoir einer Frau bestimmt. Bequeme, schwellend gepolsterte Fauteuils, weiche mit Seidenkissen belegte Sofas treten an die Stelle der steifen, spitzen, geradlinigen Lehnstühle. Japanische Paravents und chinesische Pagoden, Sèvresvasen und kokette Uhren sind auf marmornen Kaminen, auf Tischen und Konsolen verstreut. Weiche süße Parfüms, Vanillenduft und Heliotrop mischen sich mit dem Odeur de femmes.
Die Plastik, die im 17. Jahrhundert ins Kolossale gegangen war, wird zur Kleinkunst, die nicht mehr Kirchen und Parkanlagen mit monumentalen Gruppen bevölkert, sondern gleichfalls im Salon, im Boudoir sich einnistet. Nicht Stein, Marmor und Bronze, sondern Gold, Silber, Fayence und Porzellan ist ihr Material. Namentlich die Porzellanfiguren sind für die Kunst des 18. Jahrhunderts dasselbe, was die Terrakotten für die griechische waren. Das Relief, vorher wuchtig herausgearbeitet, kennt nur noch zarte, hingehauchte Linien.
Daraus ergiebt sich, welchen Charakter die Malerei annehmen mußte, um in dieses Ensemble zu passen. Denn wie die Kunst unter Ludwig XIV. will die des Rokoko als ein Ganzes betrachtet sein. Ja, es hat vielleicht nie einen Stil gegeben, in dem alles so einheitlich dem geistvollen Zusammenspiel diente.
Bezeichnend ist zunächst, daß die Produktion überhaupt sich verminderte. Eine so spirituelle Epoche wie das Rokoko bevorzugte auch von Künsten die am wenigsten materielle: die Musik. Sie, nicht die Malerei ist die herrschende Kunst des Zeitalters. Ihr wird von den Malern in zahlreichen Allegorien gehuldigt. Weiter mußte das Format der Bilder sich ändern. Liebte das 17. Jahrhundert das Kolossale, so bevorzugt das 18. das Niedliche. Monumentale Aufgaben im großen, geschichtlichen Stil werden nicht mehr gestellt oder zunächst nur von Künstlern erledigt, die aus der Zeit Ludwigs XIV. herüberleben. Die Jüngeren, allen großen Maschinen feind, haben in Fächern, Pianinodekorationen und Paravents ihre zartesten Werke geschaffen. Selbst im Tafelbild tritt eine Verringerung des Maßstabes ein. Das Lebensgroße wird als plump empfunden. Nur das Feine, Kleine ist zulässig. Auch wird den Bildern, da man das Unsymmetrische liebt, gern ein apartes unregelmäßiges Format gegeben.
Mit der religiösen Malerei ist es zu Ende. All die frommen Märtyrer und verzückten Madonnen, die im 17. Jahrhundert gemalt wurden, konnten dieser Zeit nichts mehr sagen. Venedig, das alte starre Venedig ist die einzige Stadt, wo noch bedeutende religiöse Bilder entstehen. Sonst kommen nur Dekorationen vor, die dem freigeistigen Zuge des Zeitalters gemäß an die Nathansche Geschichte vom Ringe anknüpfen, also das Thema von der gleichen Wertung aller Religionen behandeln. Und ein Bild aus der Bibel ist besonders beliebt: wie Sara ihrem Gatten Abraham die schöne Hagar zuführt. Der ganze Geist des Rokoko liegt in solch einem Werk.
Nachdem man dazu gekommen, sich das Leben angenehm zu machen, wünscht man nur Bilder zu sehen, die auch dieses Evangelium frohen Sinnengenusses künden. Nachdem man vom Zwang der Etikette sich befreit, verlangt man von der Malerei, daß sie lebendig und geistreich sei, in eleganten Linien und zarten Farben das Leben widerspiegle, wie man es um sich sieht oder wie man es träumt. Das Thema der Werke ist also dasjenige, das Rubens einst in seinen Liebesgärten behandelte. Nur treten an die Stelle der vollblütig üppigen Weiber zarte Damen mit dünner Wespentaille, an die Stelle der plumpen derb zugreifenden Vlaamen schlanke Kavaliere mit galanten Manieren. Arkadisch gestimmt, wenn man aus chinesischen Tassen chinesischen Thee trinkt, liebt man ferner auch im Bild die Chinesen. Oder man träumt sich, schuldbewußt, in das selige Kindesalter zurück, liebt, der Stadt müde, ländliche Idyllen. Nicht den Bauer, der in harter Arbeit dem Boden seine Nahrung abtrotzt. Aber den Landmann, wie er im Romane lebt, der als glückliches Wesen in der freien Luft ein ätherisches Dasein führt.
Da nicht das Derbe, nur das Zarte, nicht das Leidenschaftliche, nur das Diskrete, nicht das Laute, nur das Leise salonfähig ist, werden auch koloristisch alle aufdringlichen Effekte vermieden. Die Zeit Ludwigs XIV. liebte knalligen Pomp. Leuchtendes Blau und Rot in Verbindung mit Gold waren die Lieblingsfarben des Königs, die das Kostüm der Menschen und den Geschmack der Maler bestimmten. Auch in der Dekoration der Zimmer herrschten Gold und pomphaftes Rot, braunes Holz und dunkle Gobelins vor. Das 18. Jahrhundert in seiner überfeinerten Zartheit fand, daß solche Farben dem Auge weh thun, und arbeitete nur in lichten, leichten, gebrochenen Tönen. Die lauten Fanfaren von früher wurden zur leisen Koloratur. Auf die schrillen Klänge der Blechinstrumente folgten die buhlenden, einschmeichelnden Töne der Flöte. An die Stelle des Knalligen trat das duftig Zarte. Namentlich der weiße Ton des Porzellans gefiel und bestimmte die Farbe der Zimmerdekoration wie die Skala der Bilder. Da man so gern in der freien Natur sich bewegte, liebte man auch die Salons von hellem Tageslicht durchflutet. Hohe bis zum Boden reichende Fenster führen den Zimmern Licht zu. Die Wände werden weiß getüncht, die Gobelins, die seidenen Fenstervorhänge, Holz und Stoffe der Möbel in hellem, lichtem Ton gehalten. Spiegel, im ganzen Zimmer verstreut, haben gleichfalls den Zweck, die Lichtzufuhr zu vermehren. Selbst das früher beliebte Gold der Ornamente weicht vielfach dem Silber. Und in diese weißen, vom Tageslicht oder vom Kerzenglanz venetianischer Lüster durchflossenen Räume paßte nur der kühle Silberton heller Malereien. Zarte Harmonien von mattem Gelb, lichtem Blau, von Hellrosa, Helllila, Graublau, Graugelb und erloschenem Grün sind besonders beliebt. Auch alles Oeligen, Fetten, Schweren wird die Oelmalerei entkleidet. Und da ihr trotzdem ein gewisser speckiger Glanz anhaftet, werden neue Techniken, wie die Pastellmalerei, geschaffen. Nur sie löste die Aufgabe, den Dingen alle irdische Schwere zu nehmen. Nur sie konnte diese flüchtigen Blumennaturen wiedergeben mit den knisternden Seidenroben und dem leichten Puder im Haar. »Sieh meinen feinen Flügelstaub, ich flattere und fliege« beginnt ein Rokokolied, das auch das Wesen der Malerei kennzeichnet. Die Bilder sind blaß wie der Teint der Menschen. Sie sind körperlos hingehaucht, wie die Menschen selbst aus schweren vollblütigen ätherische flatternde Wesen geworden. Auf die Zeit höchster Kraftentfaltung folgt die der höchsten Verfeinerung, auf das Jahrhundert der Leidenschaft und majestätischen Größe das der Grazie und Eleganz. Und kein Zufall ist, daß gerade Frankreich in dieser Epoche die Führung hat. Die einzelnen Nationen setzen immer in dem Moment ihre Stimmen ein, wo Zeit- und Volksgeist sich berühren. Im 17. Jahrhundert war Spanien, das schwarze Spanien das führende Land. Jetzt, als der Gegenreformation ein neues Aufschäumen der Sinnlichkeit folgte, stellt sich Frankreich an die Spitze und bringt zur Ausführung, was seit Foucquets Madonna und seit den Novellen des Parisers Boccaccio die Bestimmung der Franzosen zu sein schien.