Richard Muther
Geschichte der Malerei. V
Richard Muther

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8. Boucher.

Das Rokoko war die erste Zeit, die das Froufrou der Toilette zur Steigerung des sinnlichen Reizes verwendete. Ein Stückchen nacktes Fleisch, das unter einem Spitzenärmel hervorschimmert, nicht größer, als die Lippen darauf zu setzen, erschien pikanter als monumentale Nacktheit. Und da auf diesem Gebiet so viele feine Entdeckungen zu machen waren, mußte anfangs die große Geschichtsmalerei hinter dem Sittenbild um so mehr zurückstehen, als überhaupt der Sinn mehr auf das Kleine als auf das Große ging. Jean Restout, Jean Raoux, Pierre Subleiras, Carle van Loo, Lagrenée, Jean François de Troy, Charles Antoine und Noël Nicolas Coypel, die im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts sich Historienmaler nannten, stammen noch von der Lebrunschule her. Wenigstens bleiben die Formen mächtig und schwer. Es lebt in ihren Werken noch nicht der undefinierbare Funke, der in den Werken der Rokokomaler elektrisiert. Nur in den Stoffen spricht der Geist des Rokoko sich aus, so wie die Carracci einst die Stoffe der Gegenreformation in der Formensprache des Cinquecento vortrugen.

Liebesgeschichten werden wie in den Tagen Correggios und Sodomas ausschließlich behandelt, Bibel und Mythologie als ars amandi benutzt. Magdalena, für die Gegenreformation die reuige Büßerin, ist für das Rokoko wieder der Dämon der schönen Sünde. Das Thema »Loth mit seinen Töchtern« wird gemalt; es schien durch die Beziehungen des Regenten zur Herzogin von Berry aktuell geworden. Entführungen, Verfolgungen, galante Schäferscenen bietet die Antike. Psyche wird von Zephyr in den Palast des Amor geführt. Vertumnus bethört die Pomona. Andromeda streift die Fesseln ehelicher Gebundenheit ab. Telemach sucht seinen Vater bei der schönen Kalypso. Venus, die weitherzige Gemahlin des Hephästos, ist vom Hofstaat ihrer sämtlichen Verehrer umgeben. Sie kokettiert mit Adonis, mit Hermes oder Mars, läßt sich von Paris den Apfel überreichen, feiert – ein Hymnus auf Wein und Liebe – ihre Verbindung mit Bacchus. Niedliche Kammerzofen, als Grazien kostümiert, warten ihr auf; Amoretten schweben mit Blumen und seidenen Bändern durch die Luft. Dann die verliebten Abenteuer des Jupiter: wie er als Goldregen der Danae, als Satyr der Kalisto, als Stier der Europa naht; wie Latona sich auf die Insel Delos zurückzieht um ihren Zwillingen das Leben zu geben. Neptun, der Herrscher des Meeres, spielt eine Rolle, weil das Bad für die Rokokomenschen der Mittelpunkt seiner Freuden geworden war. An der Seite der Amymone thront er. Tritonen und Nereiden schaukeln und wiegen sich auf den Wellen. Auch die Zeiten finsterer Frömmigkeit ist man stolz, überwunden zu haben. Darum malt man den Lichtgott, wie er auf strahlendem Wogen durch die Lüfte zieht, feiert ihn, wie er früh das Haus der Thetis verläßt und abends in den Palast der Göttin zurückkehrt, nachdem er tagsüber die Daphne verfolgt oder der Leukothea, der Klytia gehuldigt. Herkules sogar ist der Held der Zeit, nicht der Riese freilich, der den Antaeus würgte, sondern der Musagetes, der als zierlicher Ballettmeister die Tänze der Musen leitet, der verliebte Phaeak, der am Spinnrocken der Omphale sitzt. Namentlich in dieser Scene fand das Rokoko seine eigene Lebensphilosophie bestätigt, zeigte, daß schon die Heroen der alten Welt im Frauenboudoir ihre glücklichsten Stunden verlebten. Auch andere berühmte Liebespaare – Angelika und Medor, Rinaldo, der der Zauberin Armida nach ihrem Eiland folgt – kehren häufig wieder. Die schönen Damen fühlen sich als Dejanira, wenn ein Marquis als Nessus sie entführt; trösten sich mit der verlassenen Ariadne oder der verlassenen Dido, wenn ihr Freund nach kurzer Amourette sie verläßt.

Und nachdem diese Meister Rokokogedanken mit den schweren Formen und den knalligen Farben Lebruns gehegt, führte François Lemoyne auch stilistisch das Rokoko zum Siege, gab der Geschichtsmalerei jene Wendung ins Freie, Leichte, Graziöse, die das Sittenbild durch Watteau erhielt. An die Stelle der schweren roten und blauen treten zarte, rosige, helle Töne. Zugleich wird das niedliche Körperchen der Rokokodamen nicht wie bisher von knisterndem Seidenkleid umwogt. Lemoynes Gestalten haben nicht die großen Bewegungen und schwellenden Glieder der vorhergehenden Zeit, ähneln nicht mehr dem heroischen, massigen Frauentypus des Barock. Sie haben zarte gebrechliche Körper mit kleinen pikanten Köpfchen und koketter Coiffure, mit sinnlich feiner Nase, weichen Armen und langen grazilen Beinen. Sie stehen auch nicht in mächtigen Architekturen vor faltig gerafften schweren Vorhängen. Leicht und ätherisch, in sorgloser Heiterkeit schaukeln sie sich auf den Wolken. Mag er sie Nymphen nennen oder als Grazien, Musen, Diana, Flora, Pandora zu einer Apotheose des Herkules vereinen – es sind Pariserinnen des Rokoko, elegant und geschmeidig. Ein schelmisches Lächeln, eine Mischung von Unschuld und Verdorbenheit umspielt ihren Mund. Ihre Taille war, bevor sie »saßen«, in enges Korsett geschnürt, ihr Bein eingepreßt in seidene Strümpfe. Schminke und Schönheitspflästerchen haben sie, kennen, obwohl sie antike Göttinnen sind, alle Toilettengeheimnisse und Raffinements, die erst die Marquisen und Opernschönen des 18. Jahrhunderts in die Welt gebracht. Malt er Apollo, so gleicht er einem jungen Stutzer, der aus der Oper kommt. Seine Musen sind porträtähnlich wie Falguières Statue der Merode.

So erhielt die Geschichtsmalerei durch Lemoyne eine neue Nuance. Es war eine neue Stufe der ars amandi, sich als antikes Liebespaar malen zu lassen. Wie ungeniert das geschah, zeigt das Bild, das der junge Herzog von Choiseul 1750 bestellte, als er die Tochter des Finanziers Crozat heiratete. Zur Erinnerung an seine Hochzeit ließ er als Apollo sich darstellen, wie er zu Klytia, der schönen Sterblichen, herabsteigt.

Charles Natoire als erster ging auf diesem Wege weiter. Bacchusfeste, Scenen aus dem Psychemärchen, Galatea von Amoretten umspielt, oder die verlassene Ariadne sind seine gewöhnlichen Stoffe. Rosig und leicht ist alles; fein sich einfügend in den hellen Ton der Zimmer und in den silbernen Glanz der Ornamente.

François Boucher faßt diese Fäden in seiner Hand zusammen. Seine Kunst ist die Apotheose des Rokoko. Der Karneval, der mit gemessenen Gavotten begann, ist zum ausgelassenen Cancan geworden. Nicht mehr die Menuette Watteaus malt er, sondern jene babylonischen Tänze, die das Balletcorps der großen Oper vor Ludwig XV. aufführte. Die Crébillon, Bernard und Grécourt in der Litteratur, die Pompadour und Dubarry auf dem Throne haben in ihm ihre künstlerische Parallele.

In manchem Betracht enttäuschen seine Werke. Er hat nicht die Delikatesse, die den besten Rokokomeistern eigen. Einen Maler von Marionetten hat ihn später Diderot genannt. Damit ist die Schwäche Bouchers gekennzeichnet. Es fehlt seinen Wesen der psychische Reiz, den Watteau in so hohem Grade hatte. Seele haben sie nicht, deshalb können sie nicht zur Seele sprechen. Ein malitiöses Lächeln, eine zärtliche Verliebtheit sind die einzigen Empfindungen, die in diesen Köpfen sich spiegeln. So viele Modelle sein Atelier durchliefen, Boucher ist selten individuell, giebt seinen Gottheiten und Nymphen etwas Typisches, Leeres, das ein wenig an die Wachspuppe streift. Auch in Form und Farbe ist er oft plumper als die andern. Purpurrote Töne herrschen in den Fleischfarben vor. Ein intensives Blau wirkt zuweilen fast schreiend. Namentlich die Werke seiner letzten Jahre sind weit von der liebenswürdigen Grazie der andern Rokokomaler entfernt: die Köpfe von grimmassenhafter Fadheit, die Körper in ihrer rundlichen Weichheit von oberflächlicher schematischer Eleganz. Die Arbeitsüberlastung seiner letzten Jahre veranlaßte ihn, sich eine Schablone zurecht zu machen, lediglich auf Chic, auf äußeren Effekt zu arbeiten. Doch diese Arbeitsüberlastung, die ungeheure Zahl seiner Werke deutet überhaupt die Sonderstellung an, die er inmitten seiner Epoche einnimmt. Das Rokoko ist mehr eine Zeit phäakischen Genießens als kühnen Schaffens, mehr eine Zeit tändelnden Spiels als ernster Arbeit. Auch die Künstler sind ästhetische Genußmenschen, die wenig von der Thatkraft der Aelteren haben. Im Gegensatz zu diesen überfeinerten Gourmets, die in früher Blasiertheit verstummen, scheint Boucher von Gesundheit zu strotzen. Gerade er galt späteren Zeiten als der echte Typus des Rokokomenschen, dessen Dasein in sybaritischer Weichlichkeit hinfloß. Er führte das Leben des Grandseigneur, verschwendete 50 000 Francs im Jahr; besoldete Balletteusen und gab Künstlerfeste, bei denen die ganze Bühnenwelt zusammenströmte. Er besaß eine Kunstsammlung, die Goldschmiedearbeiten und Bronzen, japanische Holzschnitte und chinesisches Porzellan, Bilder und Zeichnungen von fast allen großen Meistern enthielt. Zugleich steht er aber inmitten dieser epikureischen Zeit auch als mächtiger handfester Arbeiter: eine Art August der Starke, der sich in eine effiminierte Epoche verirrte. Seine Schaffenszeit umfaßt ein halbes Jahrhundert. Bis ins hohe Alter hinein saß er täglich zehn Stunden an der Staffelei. Namentlich unter der Regierung der Pompadour ist er der Mann für alles. Jeden Tag erscheint er in ihrem Palais, um ihr Malstunde zu erteilen und ihre Radierungen durchzusehen. Kein Hoffest, keine Theatervorstellung findet statt, die nicht Boucher leitete. Wie die Rolle des Garderobiers hat er die des Tapezierers, des Tischlers, des Juweliers und Dekorateurs zu spielen. Zur Lösung so vielseitiger Aufgaben wäre ein Träumer wie Watteau nicht fähig gewesen. Es mußte ein robuster, seiner Sache sicherer Ouvrier sein. Da Boucher das war, fehlt ihm die feine Note des Rokoko. Er erscheint als Handwerker unter Künstlern. Aber da er allein noch die Arbeitskraft der großen Alten besaß, ist er gleichwohl der repräsentierende Mann der Epoche, hat als der Kraftmensch, der reisige Werkmeister des Rokoko dem Geiste des Zeitalters in allen seinen Ausstrahlungen die feste körperliche Form geprägt.

Bouchers Thätigkeit umfaßt alles. Er malte einmal für die Marquise ein Bild: kleine Amoretten, die musizieren, meißeln, bauen, radieren, malen, in Thon kneten – eine Huldigung an die schöne Frau, die selbst als Dilettantin sich auf allen Gebieten der Kunst bewegte. Ein solcher Tausendkünstler war Boucher. Alles, was die Kunst liefern kann, um das Leben mit vornehmem Glanz zu umweben, macht er. Er arrangiert nicht nur die Ballette und japanischen Feerien, die im Hause der Pompadour stattfanden. Er zeichnet selbst die Kostüme für all die großen Namen, die am Hofe der Souveränin erschienen, und für all die kleinen Tänzerinnen, die sie von der Oper kommen ließ. Der Gartenstil erhält durch ihn einen neuen Charakter. In seinen Entwürfen »Diverses fontaines« tauchen zuerst jene Rosenlauben und Muschelgrotten auf, die seitdem ein paar Jahrzehnte den Stil beherrschten: all jene phantastischen Felsen, aus denen Wasser hervorsprudelt, jene chimärischen Ungeheuer, die mit schönen Frauen in verzauberten Grotten hausen. Nächst Aurèle Meissonier ist er der Führer des Kunstgewerbes. Unerschöpflich an Erfindung liefert er Vorlagen für Bildhauer, Elfenbeinschneider, Goldschmiede und Tischler, zeichnet Tapeten, Möbel, Sänften und Büchereinbände, Fächer und Geschmeide, modelliert Porzellanfiguren, Uhren und Kaminverzierungen, Vasen und Leuchter. Als Maler kennt er kein abgesondertes Fach. Mag es um Staffeleibilder oder Dekorationen, um Wand- oder Deckenbilder, um Surporten oder Wagenthüren, um zierliche Miniaturen oder Tischkarten, um Oel, Radierung oder Pastell sich handeln – er liefert alles. Für die Bühne zeichnet er Theatervorhänge und Coulissen; statuengeschmückte Gärten mit Grotten und Wasserfällen, Paläste mit Marmorkolonnaden, ländliche Maierhöfe in blauduftiger Landschaft. Als Direktor der Gobelinmanufaktur bestimmt er den Teppichstil, setzt Vasen und Guirlanden, Muscheln und Medaillons zu heiter phantastischem Spiel zusammen. Riesig ist die Zahl der Gemächer, die er für den König dekorierte. Namentlich die Schlafzimmer des Monarchen, in ganz Paris zerstreut, waren sämtlich Bouchers Werk. Auch das Schloß Bellevue, das die Pompadour sich baute, erhielt durch ihn seine Ausstattung.

Und wie er technisch die verschiedensten Kunstzweige beherrscht, kennt sein Stoffgebiet kaum die Grenze. Der Mann, der selber den Schneider und Tischler spielte, kannte von Grund aus das Mobiliar des Rokoko. Bilder aus der eleganten Welt sind also die Einleitung seines Oeuvre. Als er seine Illustrationen zu Molière schuf, dachte er nicht daran, daß sie eigentlich im Stil des 17. Jahrhunderts zu halten seien, daß diese Damen hohe Toupets und steife Küraßtaillen tragen und in den Gärten Lenôtres sich bewegen müßten. Der ganze Molière ist ins Rokoko übersetzt, ist kokett, amüsant und jung geworden. Gleich Watteau zeigt er sich als einen Führer der Mode, der immer neue Coiffuren, immer neue Toiletteneleganz erfindet. Die Scene spielt bald im Park oder auf der Straße, im Boudoir oder im Salon. Von bizarrer Eleganz sind die Möbel. Das Bett namentlich, ein mächtiges Himmelbett, fehlt im Hintergrund fast keines seiner Blätter. Ebenso hat er in einer Reihe von Bildern das vornehme Leben des Rokoko geschildert. Da sitzt eine junge Dame am Spiegel und überlegt sich, wo das Schönheitspflästerchen, das sie anbringen will, wohl am besten sitzt. Oder sie unterbricht ihre Toilette, um mit einer kleinen Modistin zu konferieren, die ihr Brabanter Spitzen zur Ansicht vorlegt. Oder sie steht am Fenster, damit beschäftigt, einer Brieftaube ein rosafarbiges Billet doux um den Hals zu binden. Oder sie läßt sich im Winter von ihrem Verehrer im Fahrstuhl über die Eisfläche fahren, eine elegante Boa um die bloßen Schultern gelegt, von glitzernden Schneeflocken wie von Federdaunen umspielt. Auch die Chinesen spielen in seinem Werk eine große Rolle, gewiß den wirklichen wenig ähnlich, aber um so ähnlicher den vornehmen Herren und Damen, die auf den chinesischen Maskenfesten der Pompadour sich bewegten.

Als Porträtist gehört er nicht zu den großen Psychologen. Bilder, wie den jungen Mädchenkopf des Louvre, die pikant und zugleich ähnlich sind, malte er wenig. Gleichwohl hat er in dem Bildnis der Pompadour ein Werk geschaffen, das den Geist der ganzen Epoche spiegelt. In ihrem Arbeitszimmer sitzt sie, auf einer Chaiselongue, ein Buch auf den Knieen. Das Klavier steht aufgeklappt, auf dem Taburett liegen Notenhefte; einige sind herabgeglitten und liegen neben Malutensilien auf dem Boden. Ein großer Spiegel hinter ihr reflektiert den Salon, die Bücher der Bibliothek und die Amoretten der Uhr. Mehr in das Atelier einer Künstlerin, als in das Boudoir einer Maitresse ist man versetzt. Es liegt über dem Bild der ganze Esprit des Zeitalters, das selbst die Liebe zur Kunst erhob.

Wegen seiner Hirtenstücke wurde er als Anakreon der Malerei gefeiert. Sowohl für Surporten wie für Gobelins und Radierungen hat er ländliche Scenen verwendet, und sie sind vertraulicher, verliebter, als bei den früheren. Da lehrt ein junger Marquis, als Hirt verkleidet, seinem Mädchen das Flötenspiel. Dort beugt er sich über sie, drückt ihr einen Kuß ins Haar, bietet ihr einen Taubenschlag, einen Vogelbauer oder die Büchse der Pandora. Oder sie küssen sich durch die Vermittlung von Weinbeeren, die er in schwärmerischer Verzückung ißt, nachdem die Lippen des Mädchens sie berührt.

Seine Köchinnen und Bäuerinnen bringen in dieses Liebesspiel noch eine andere Nuance. Von einer »Einkehr ins Volkstum« läßt sich gewiß nicht sprechen. Denn nicht Bäuerinnen sind es, wie sie mit der Hacke auf dem Felde arbeiten, sondern Bäuerinnen, wie der junge Marquis sie träumt, des Salons müde. Nachdem man das Parfüm der vornehmen Damen geatmet, beneidet man den Grenadier um seine Köchin, den Burschen vom Dorf um seine ländliche Schöne. Den Marquisen malt er die kräftigen Bauernburschen, den eleganten Roués die Dirnen mit gebräunten Armen und festen Schultern. Jules Lemaître in seinem Roman »Les rois« hat wohl am besten diese Stimmung des Zeitalters geschildert.

Damit hängt auch zusammen, daß in seinen Landschaften das Ländliche so hervortritt. Mit Watteau teilt er die Liebe für die grünende blühende Natur. Aber keine vornehmen Herren und Damen lagern auf den Wiesen. Kein Elysium ist ihm die Welt, sondern ein idyllisches Dorf, gesehen mit dem Auge des Salonmenschen, der zur Abwechslung im Geruch des Kuhstalles einen aparten Reiz empfindet. Strohgedeckte Bauernhäuser sieht man. Turteltauben sitzen girrend auf dem Dach. Hühner picken auf dem Mist. Bächlein winden sich an morschen Brücken vorbei durch die Wiese. Fischer werfen zum Forellenfang ihre Netze aus, und namentlich – schmucke Wäscherinnen, hoch geschürzt, beugen sich nieder.

Selbst religiöse Bilder kommen unter Bouchers Werken vor. Denn in dem Hotel der Pompadour war für die Liebe ebensogut wie für die Reue gesorgt. Der Architekt hatte die Schloßkapelle nicht vergessen, und Boucher hat die Altarbilder, die für solche Räume nötig waren, mit demselben Chic wie die Gazeröckchen der Balleteusen entworfen. Eine Geburt Christi, eine Anbetung der Hirten, eine Predigt des Johannes, eine Himmelfahrt der Maria giebt es von ihm. Und wenn er besonders gern das Christkind mit dem kleinen Johannes malt, wie sie zärtlich sich küssen, so zeigt sich darin wieder, wie sehr das Rokoko sich der Zeit Leonardos verwandt fühlte, die dieses Motiv zuerst gebracht hatte.

Doch Bouchers eigentliches Gebiet ist die nackte Mythologie. Als der »Maler des leichtsinnigen Hofes der Cythere« wurde er von den Zeitgenossen gefeiert und von den späteren verdammt. Nicht an Hirtenstücke und an fêtes galantes, sondern an die Geburt der Venus des Stockholmer Museums denkt man, wenn der Name Boucher genannt wird. Tritonen stoßen in ihre Muschelhörner und spielen mit den blonden Töchtern des Meeres, die auf dem Rücken freundlicher Delphine herankommen. In allen Lagen umkosen und umschmiegen sich die Körper, während Amoretten in der Luft ein Tuch wie eine flatternde Siegesfahne schwenken. Hell leuchtend, wie in Rosenduft gebadet ist der Himmel. Hell und leuchtend heben die Körper der Frauen sich von den hellblauen Wogen ab. Dieses Bild bedeutet für Boucher dasselbe, wie die Einschiffung nach der Insel Cythere für Watteau. Als Watteau auftrat, ergriff man den Pilgerstab. Jetzt ist das Ziel der Wallfahrt erreicht, Watteaus Heldin ist die Dame in seidenem Kleid und Brabanter Spitzen, die ihr niedliches Pantöffelchen über einer Welt von Kavalieren schwingt. Bouchers Herrscherin ist Venus in Person – freilich gleichfalls eine Venus des Rokoko: nicht die schreckliche, mordende Göttin, die Racine in der Phädra gefeiert, sondern eine Courtisane großen Stils, eine lustige Marquise, die vom Balkon des Olymp duftige Rosen ins Leben streut.

Der Frauenkörper ist der Traum von Bouchers Leben gewesen. Ihn zu feiern setzt er den ganzen Olymp in Bewegung, Phoebus, Thetis, Nymphen, Najaden und Tritonen schaukeln sich auf dem Meer und im Aether in weichen Bewegungen. Apollo mit der Lyra sitzt in den Wolken, Musen tanzen, Amoretten schmieden die Waffen des Vulkan. Da dehnt eine hellblaue duftige Landschaft sich aus. Venus verläßt ihren Taubenwagen, um ins Bad zu steigen. Dort wird die schöne Europa vom Zeusstier entführt. Und nicht erschrocken ist sie, Ihre Gespielinnen klagen nicht, sondern wünschen ihr Glück, daß sie die Auserwählte seiner himmlischen Majestät geworden. Oder er malt die drei Grazien, die einen kleinen Cupido im Triumph emporheben, – also Grazie und Liebe, die beiden Elemente des Rokoko; malt die Erziehung Amors, die Entführung des Cephalus durch Aurora, malt das wunderbare Bild des Louvre, wie Diana aus dem Bade steigt, benutzt das Motiv des Kirschensammelns, um junge Körper in den verschiedensten Bewegungen zur Schau zu stellen. Pausbäckige Putten tummeln und überschlagen sich auf den Wolken, schwingen triumphierend seidene Fahnen, schießen Pfeile ab und fesseln mit Rosenketten die Zaudernden.

Kann man Watteau den Giorgione, so kann man Boucher den Correggio des Rokoko nennen. Wie Correggio steht er dem Männlichen hilflos gegenüber. Alle Männer, die in seinen Bildern vorkommen, sind Puppen, die nicht aus Knochen, sondern aus Watte bestehen. Mit Correggio teilt er die Vorliebe für dicke Amoretten mit enormen Hüften. Mit ihm den Hautgout, der alle seine Werke durchweht.

Verschieden von Correggio ist er natürlich in Komposition und Farbe. Wo Correggio noch geometrischen Aufbau hat, ist bei Boucher der leichte Fluß, die prickelnde Freiheit des Rokoko. Während Correggio als Sohn der Renaissance dunkle, goldige Töne liebt, bewegt sich Boucher in einer silberhellen, bleichen, bläulich rötlichen Skala. Correggio braucht Schatten, braucht Kontraste um seine nackten Körper aufleuchten zu lassen. Bei Boucher ist alles, die Figuren wie die Landschaft, in sinnlich kosendem vibrierendem Licht gebadet.

Auch psychisch ist der Unterschied der Epochen deutlich. Was bei Correggio zitternde Erotik war, ist bei Boucher das verliebte Schönthun des alten Herrn, der einem Backfisch unters Kinn faßt.

Noch jünger als bei Lemoyne sind bei Boucher die Frauen: frühreif schon mit vierzehn Jahren – Typen wie die Murphy, jene Irländerin, die der Pompadour in der Gunst des Königs folgte. Zart und nervös sind die Beine. Delikat ist die Taille, noch ganz unentwickelt die junge, kaum sich wölbende Brust. Erst diente ihm seine Frau, eine siebzehnjährige Pariserin als Modell. Dann fand er durch den Verkehr mit der Oper das Mittel, daß seine Kunst nie alterte. Denn das Corps de ballet war damals sehr jung. Man liebte nur ganz schmächtige, grazile Körper. Und Boucher selbst sieht wie ein Ballettmeister auf dem Bildnisse aus, das Lundberg von ihm malte: der Kopf mit der gewellten Perücke hat etwas siegreich Selbstbewußtes. Wie im Fieber glänzt das Auge, weich und sinnlich ist der Mund. Die jugendlichsten, frischesten Gestalten suchte er sich aus. Man beobachtet sogar, daß er, je älter er wurde, ein desto raffinierteres Vergnügen empfand, ganz kindliche, knospende Körper heraus zu fischen. Gleichwohl war er als echter Abenteurer der Liebe in seinen Gunstbezeigungen nicht einseitig. Wie er neben ätherischen Marquisen robuste Köchinnen malt, denkt er nicht daran, nur die elastische Festigkeit kindlich langgestreckter Körper für schön zu halten, sondern geht von den mageren zu den fetten, freut sich an quammig, quappigen Leibern und an weicher, speckiger Haut. Es ist, als sei Rubens aufgelebt, mit solcher Leidenschaft hat er zuweilen jeden Fettansatz solch fleischiger Körper gegeben.


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