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Die Heian-Periode

(800-900 n. Chr.)

Die Idee der Verquickung von Geist und Materie sollte im japanischen Geistesleben immer mehr Raum gewinnen, bis eine vollkommene Verschmelzung der beiden Begriffe erreicht war. Auffallend dabei ist, daß der Schwerpunkt dieser Vereinigung eher im Materiellen als im Geistigen ruhte: das Symbol wird für Wirklichkeit genommen, jede Handlung für Glückseligkeit, diese Welt für eine Welt der Ideale. Mâyâ gibt es letzten Endes nicht. In Indien führt dieses starke Gefühl für das Physisch-Konkrete als leuchtendes Sakrament des Spirituellen einerseits wohl zum Tantrikismus und zur Phallus-Anbetung, anderseits jedoch – und das ist bemerkenswert – zur lebendigen Poesie des Familienlebens und der Erfahrung.

Geradezu eine Flucht aus dieser Ideenwelt bedeutet das Leben der Sannyâsin, wogegen die Mönche der Shingon-Sekte in Japan selbst in ihrem Gottesdienste auszudrücken suchen, daß das Leben des Alltags nicht nur dem wahren Leben gleicht, sondern dieses Leben selber ist, und daher vorübergehend die symbolischen Abzeichen des Familienvorstandes anlegen.

Dank dieser Verschmelzung von Geist und Körper wird der Aberglaube des Volkes zur Würde und Bedeutung der echten Wissenschaft erhoben. Nichts ist so gering, daß es nicht der Beachtung des schärfsten Verstandes wert wäre. Hohe Gedanken und verfeinerte Gefühle werden gleichsam demokratisiert; das Volk speichert ungeheure Vorräte an gebundener Energie auf, und wir bereiten uns allmählich auf einen Ausbruch der Kräfte vor.

In jener Epoche der japanischen Geschichte, die durch eine abermalige Verlegung der Hauptstadt im Jahre 794 von Nara nach Heian oder Kyôto unter dem Namen Heian-Periode bekannt ist, sehen wir eine neue Welle des Buddhismus, die sogenannte Mikkyô- oder Esoterische Lehre, sich erheben, deren philosophische Grundlage so breit ist, daß sie die beiden buddhistischen Extreme: die selbstquälerische Askese und den Kult der physischen Glückseligkeit, zu tragen vermag. Diese Bewegung wird in China zuerst von den Südindern Vajrabodhi und seinem Neffen Amoghavajra vertreten; dieser kehrte 741 auf der Suche nach gleichen Ideen nach Indien zurück. Jetzt erst ergießt sich der Buddhismus in das breitere Becken des Hinduismus, und der Einfluß Indiens in der Kunst und Religion wird damit überwältigend.

Der Ursprung der neuen Schule in Indien selber liegt im Dunkeln. Spuren von ihr scheinen schon in älteren Zeiten vorhanden gewesen zu sein; ihre endgültige dogmatische Form nahm sie jedoch erst im 7. und 8. Jahrhundert an, wo es nötig wurde, die brahmanische Lehre mit der buddhistischen zu vereinigen. Nun erhielt auch die als Protest gegen die übertriebene Verklösterlichung des Lebens entstandene Râmâyana ihre letzte Fassung. In Japan bedeutet dieser neue philosophische Standpunkt einen Fortschritt gegenüber der Hossô- und der Kegon-Schule, die die Vereinigung von Geist und Materie und die Erkenntnis des höchsten Wesens in einzelnen Verkörperungen lehrten. Die neuen Denker gingen weiter: sie rühmten sich ihrer unmittelbaren Abstammung von Vairochana, dem höchsten Gotte, von dem Çâkya-Buddha nur eine Offenbarung ist. Sie suchten in allen Religionen und Lehren die Wahrheit und erblickten in jeder einen Weg zum letzten Ziel.

Die Verschmelzung von Geist, Körper und Wort in der Meditation war eines ihrer Gebote, wenn auch jedes für sich in seiner Vollendung die höchsten Ergebnisse zeitigen konnte. Das Wort oder geweihte Zaubersprüche, von denen sie glaubten, daß sie an der Grenze von Geist und Körper lebten, galt bei ihnen als das wichtigste Mittel zur Erreichung ihres Zieles; weshalb sie auch mitunter die Sekte des wahren Wortes oder die Shingon-Sekte genannt wurden.

Kunst und Natur erscheinen jetzt in einem neuen Lichte, denn jedem Dinge wohnt Vairochana inne, der Unpersönlich-Allumfassende; ihn ganz zu erkennen ist das Endziel des wahren Gläubigen. Von diesem transzendental einheitlichen Standpunkte aus gesehen erscheint das Verbrechen nicht minder heilig als die Selbstaufopferung, der niedrigste Dämon als ein ebenso natürlicher Mittelpunkt des Pantheons wie der Allerhöchste selbst. Die Mythologie wird allmählich ein Schimmer, von dem jedes Teilchen Brennpunkt werden und alles übrige vorübergehend in den Schatten stellen kann. Der Grundgedanke der neuen Lehre ist eine der vielen Auswirkungen des gewaltigen Ringens der Inder um Samadarçana (»Auf alles mit gleichen Augen schauen«); gleichzeitig aber gelangen die wissenschaftlichen Ideen der Zeit, trotz der dem Buddhismus angeborenen Kraft zu tiefgehender geistiger Analyse, seltsamerweise nur in der Zauberei oder im Erforschen des Übernatürlichen zum Ausdruck. Vielleicht lag der Grund hierfür darin, daß die Philosophie alles Leben in die fünf Elemente Erde, Luft, Feuer, Wasser und den als Geist gedachten Äther schied – von ihm glaubte man, daß die übrigen vier sich in ihm lösten und er daher zu ihrem Fortbestande unerläßlich sei, – ein Gedanke, der für das Verständnis der ungeschulten Massen zu subtil war. Diese philosophische Schule belud selbst die alltäglichste Handlung mit Ritual, ähnlich wie es Varâhamihira in seiner Brihat-sam-hitâ für die Architektur und der Mânasâra für die Plastik tut. Bei einem Tempelbau zum Beispiel pflegte der Âchârya oder Meister den Boden mit einem kosmischen Muster auszulegen, in dem jeder einzelne Stein seinen bestimmten Platz hatte und selbst der innerhalb des Umrisses gefundene Unrat als Versinnbildlichung der Fehler und Unvollkommenheiten des eigenen Ichs galt. Architektur, Skulptur und die ganze Anordnung des Tempelbaues wurden in den Dienst der kosmischen Idee gestellt.

Diesen Einflüssen verdankt der Buddhismus die Geburt seiner zahlreichen Götter und Göttinnen, die an sich zwar einen fremden Bestandteil der Lehre bilden, durch das neue Dogma von der Offenbarung der höchsten, alleinigen Gottheit in vielerlei Gestalt aber möglich wurden. Wir haben jetzt ein wohlgeordnetes Pantheon, das sich in vier Unterabteilungen um den Begriff Vairochana aufbaut: Fudô Fudô (Puh-tung), der Unbewegliche, die Übersetzung von Achala, einem der Namen Çivas., Hôshô, Amida, Çâkya, als Vertreter der Macht des Wissens, des Reichtums der schöpferischen Kraft, des als göttliches Verständnis auf die Menschheit sich herabsenkenden Erbarmens, der Arbeit oder des Karma, das die Offenbarung der ersten drei im irdischen Leben, d. h. Çâkyamuni selber ist.

Das ist der Symbole abstrakter Sinn. Konkret betrachtet vertritt Fudô, der Unbewegliche, der Gott des Samâdhi Samâdhi oder die Offenbarung durch Konzentration. In Japan unterscheidet man drei Stufen, beginnend mit dem durch Meditation hervorgerufenen Trance-Zustand, wobei das Bewußtsein an der Oberfläche haftet, und gipfelnd in der vollkommenen Vereinigung mit dem Absoluten. Diese ist vereinbar mit irdischer Arbeit und gleichbedeutend mit Buddhaschaft. Sie ist die in Indien als Jîvanmukti bekannte letzte Stufe., die furchtbare Gestalt Çivas, die erhabene Vision der aus Feuer geborenen, ewigen Bläue. Übereinstimmend mit der zeitgenössischen indischen Auffassung wird er mit einem dritten Auge, dem dreischneidigen Schwert und dem Schlangenlasso dargestellt. In seiner anderen Gestalt als Kôjin, als der Wilde Gott (Rudra?) oder Makeisura (Maheçvara), trägt er ein Halsband von Schädeln, Schlangen als Armspangen und das Tigerfell der Meditation.

Sein weiblicher Widerpart tritt als die löwengekrönte, furchtbare Aizen mit dem gewaltigen Bogen auf, die Göttin der Liebe, der Liebe in ihrer stärksten Gestalt, deren verzehrend reines Feuer Tod bedeutet, die den Geliebten vernichtet und in der Vernichtung zur Vollendung emporträgt. Vairochana wird mit Fudô und Aizen zur Dreieinigkeit, kraft des symbolischen Chintâmani-Edelsteines, dessen mystische Form aus einem zum Dreieck hinstrebenden Kreis besteht. Denn das Leben, heißt es, vollendet sich nie, sondern durchbricht auf ewig die Vollkommenheit in dem Aufwärtsstreben nach höheren Kreisläufen der Erkenntnis.

Die indische Idee der Kâli wird durch Kariteimo (Hârîtî), die Göttermutter des Himmels, vertreten, der ein tägliches Granatapfelopfer dargebracht wird, eine seltsame Auslegung des unter buddhistischem Einfluß umgewandelten, uralten Blutopfers. Saraswatî als Benten mit der wogenzähmenden Vînâ; der den Schiffern heilige, adlerköpfige Kompiva (Kumbhîra) oder Gandharva; die Glück und Liebe spendende Kichijôten oder Lakshmî; der schlachtenlenkende, siegausteilende Taigensui (Kârttikeya); der elefantenhäuptige Shôden, der Pfadbrecher, dem bei jedem ländlichen Opfer die erste Anrufung gilt und dessen gefürchtete Macht nur durch die den indischen Gedanken der allumfassenden Mutterschaft ausdrückende, jetzt weibliche Gestalt annehmende elfköpfige Kwannon im Zaum gehalten wird: sie alle sind nur unmittelbare Anpassungsformen der Hindugottheiten.

Diese spätere Auffassung unterscheidet sich insofern von der weit kühleren der älteren Buddhisten, als die Gottheiten nunmehr wirkliche, konkrete Gestalten annehmen.

Die künstlerischen Leistungen der Epoche sind durchglüht von einem starken, früheren Zeiten fremden, alles beherrschenden Gefühl des Gottnaheseins. Wir haben bereits erwähnt, daß die Mikkyô-Lehre 719 von Vajrabodhi in China eingeführt wurde. Dieser übersetzte eine Sûtra über den Yoga, und sein Nachfolger, Amoghavajra, brachte bei seiner Rückkehr aus Indien im Jahre 746 neue Wissensschätze mit. Nach Japan wurde die Mikkyô-Lehre von Kûkai getragen, der sie von dem Jünger Amoghavajras, Keika, empfangen hatte. Alle diese weisen Männer glaubte das Volk im Besitze übernatürlicher Kräfte; sie standen daher in hohem Ansehen, und von einem der Führer der buddhistischen Bewegung in Japan, von Kûkai, geht die Sage, daß er immer noch auf dem Berge Kôya, wo er 833 als Yogin in das Samâdhi eintrat, in Meditation versunken sitze. Kûkai hat zahlreiche Werke hinterlassen. Die von ihm gemalten »Sieben Patriarchen der Sekte des wahren Wortes« zählen zu den kostbarsten Schätzen des Tôji-Tempels in Kyôto und lassen ganz und gar die lebendige Kraft und Gedankengröße dieses erstaunlichen Genies erkennen. Die von ihm selbst angeleiteten Jünger Jitte, Jikaku und Chishô studierten die Lehre in China und pflanzten die Bewegung fort. Die Glaubenslehren und Tempel der frühen Nara-Periode erlagen mit wenigen Ausnahmen diesen neuen Einflüssen, zumal die breiten Grundsätze der Lehre in keinem Gegensatz zu dem älteren Dogma standen.

Eines der besten Exemplare der damaligen Plastik ist der Yakushi-Buddha, der Erhabene Arzt, der unter der persönlichen Aufsicht Kûkais entstanden ist und heute in dem Jingo-ji-Tempel bei Kyôto aufbewahrt wird. Ein anderes Werk, die elfköpfige Kwannon vom Togan-ji (Kwannon-dô) in Ômi, wird Kûkais großem Nebenbuhler, Saichô, zugeschrieben. Auch die Nyo-i-rin-Kwannon des Kansin-ji und die anmutige Kwannon des Hokke-ji in Nara seien an dieser Stelle genannt.

In der Malerei stellen die zwölf im Saidai-ji zu Nara aufbewahrten Devas Die zwölf Devas sind: Bonten (Brahma) mit dem weißen Vogel Haku-ga, dem Schwan, als Abzeichen; Kwaten (Agni); Içâna Taishaku (Indra); Futen; Vishamon (Vaiçravana), dessen Gemahlin die Glücksgöttin Kichijôten ist; Emma (Yama), reitend auf einem Büffel, mit dem großen zweiköpfigen Todesstab; Nitten, der Sonnengott; Getten, der Mondgott; Suiten, der Wassergott, auf einer Schildkröte reitend, und Shôden (Ganeçâ).
Wenn ein Mönch seine Weihen empfing, stellte der Achârya oder Meister den Vairochana dar; der Aufzunehmende den Vairochana der Möglichkeit. Die Bildnisse der Devas wurden als Schutzzeugen in der Halle aufgehängt; auf einem Wandschirm im Hintergrund waren Berge und Wasser abgebildet, und dahinter wurden dem Mönche die Geheimtexte ins Ohr geflüstert.
von Kûkai, sowie der Ryokai-mandara im Senju-in das Höchste dar, was auf diesem Gebiete geleistet worden ist.

Die Heian-Kunst ist stark und lebensfähig, weil konkret. Sie ist gleichsam von kraftvoller Sicherheit, jedoch unfrei und ermangelt der Ursprünglichkeit und Losgelöstheit des großen, echten Ideals. Überdies trägt sie alle charakteristischen Merkmale einer notwendigen, langsam sich entwickelnden Assimilation buddhistischer Ideen in sich, die bisher als etwas von dem Gläubigen getrennt Existierendes behandelt wurden. Jetzt aber nimmt ihr Einzeldasein ein Ende: sie beleben den Kunstwillen der Heian-Zeit mit frischer, wenn auch leicht alltäglich angehauchter Energie, und die darauffolgende Epoche zeigt sie uns als vom Volksleben aufgesogen und als Gefühlsausdruck zu neuem Dasein erweckt.


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