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Das schlichtere Leben Asiens braucht sich des krassen Gegensatzes mit dem Leben Europas, wo Dampf und Elektrizität herrschen, nicht zu schämen. Die alte Welt des Handels, der ländlichen Märkte und Dorfheiligenfeste, die Welt, in der kleine, mit den Produkten des Landes beladene Schiffe die großen Ströme befuhren, in der jeder Palast seinen Binnenhof besaß, wo wandernde Kaufleute schönen Frauen hinter Gitterfenstern Stoffe und Juwelen feilboten, ist nicht tot. Und unermeßlich wäre in Wahrheit der Verlust, wenn der Geist Asiens unterginge. Mögen die äußeren Formen sich wandeln; er ist seit Anbeginn zum Hüter eines uralten Schatzes künstlerischer und gewerblicher Kultur bestellt. Mit ihm würde nicht nur der Sinn für das Schöne, sondern auch die Individualität des Handwerks, nicht nur die Freude an der Arbeit, sondern auch ihre jahrtausendalte Humanisierung verloren gehen. Denn sich in ein Gewand kleiden, das man selber gewirkt, heißt, sich die Behausung schaffen, in der man wohnt, die Welt, in der der Geist sich heimisch fühlt.
Wohl ahnt Asien nichts von den wilden Freuden zeitverschlingender Verkehrsmittel, allein es kennt die weit tiefere Reisekultur des Pilgers und Wandermönches. Der indische Asket, der sich von den Hausfrauen des Dorfes sein Brot erbettelt oder sich in der Abendkühle unter irgendeinem Baum am Wege rauchend und schwatzend mit den Bauern unterhält, versteht in Wahrheit zu reisen. Er sieht in einer Gegend nicht nur ihre landschaftlichen Reize; für ihn stellt sie einen Komplex von Gewohnheiten und Beziehungen, von Individuen und Gebräuchen, den Schauplatz freundschaftlicher Gefühle und Erinnerungen an die Menschen dar, die, wenn auch nur auf einen flüchtigen Augenblick, die Freuden und Leiden seiner Erlebnisse geteilt haben. Der bäuerische Reisende Japans wiederum pflegt sich von keinem Ort des Interesses auf seiner Wanderschaft zu trennen, ohne vorerst sein »Hokku« oder kurzes Sonett zu hinterlassen, ein kunstloses Gedicht, das dem künstlerischen Verstände auch des Einfältigsten offen steht.
Dank diesen empirischen Methoden ist der orientalische Begriff vom Wesen der Persönlichkeit herangereift, unter dem das lebendige und abgeklärte Wissen, das harmonische Denken und Fühlen eines in sich gefestigten und gütigen Menschen zu verstehen ist. Durch diese Art Verkehr von Mensch zu Mensch, die im Gegensatz zu den gedruckten Mitteilungen Europas als das wahre Mittel zur Pflege der Kultur gilt, wird der Gedankenaustausch im Orient aufrecht erhalten.
Die Kette der Antithesen ließe sich noch bis in die Unendlichkeit verlängern. Der Ruhm Asiens beruht jedoch auf positiveren Werten. Er gründet sich auf den Frieden, der im Herzen eines jeden seiner Bewohner schlummert; auf die Harmonie, die Kaiser und Bauer eins macht; auf das göttlich-intuitive Gefühl der Zusammengehörigkeit, dessen natürliche Frucht Mitleid und Höflichkeit sind. Das gleiche Gefühl trieb Takakura, den Kaiser von Japan, in einer Winternacht dazu, seine Schlafgewänder abzulegen, weil der Frost schwer auf den Hütten der Armen ruhte. Dank ihm enthielt sich T'ai-tsung aus der T'ang-Dynastie freiwillig der Nahrung zu einer Zeit, da sein Volk von Hungersnot heimgesucht war. Aus dem gleichen Gefühl ist der Entsagungstraum der Bodhisattvas geboren, die auf Nirvâna verzichten, bis nicht das letzte Körnchen Weitenstaub zur Seligkeit eingegangen ist. Dies Gefühl hat auch die Liebe zur Freiheit erzeugt, die selbst die Armut noch mit dem Strahlenkranz der Größe umkleidet, und die einfach strenge Tracht der indischen Prinzen geschaffen. Endlich hat dieses Gefühl in China einen Thron errichtet, dessen Inhaber allein von allen großen weltlichen Fürsten dieser Erde niemals ein Schwert trägt.
Diese Dinge bilden zusammen die treibende Kraft, die dem Denken und Wissen, Dichten und Schaffen Asiens zugrunde liegt. Indien hätte sich, seiner Tradition und Religion beraubt, die die Wurzel seiner Eigenart sind, längst dem Kultus des Kleinlichen, Vergänglichen und Neuen zugewandt; und China würde sich im Todeskrampf seiner einstigen sittlichen Größe winden, die auch heute noch dem Wort seiner Kaufleute den bindenden Wert eines gesetzlichen europäischen Vertrages verleiht und den chinesischen Bauern zu einem Ebenbild des Wohlstands macht, wäre es auf einen Kampf mit den Problemen einer materiellen Zivilisation zurückgeworfen worden, statt mit ethischen Fragen zu ringen. Japan endlich, das Vaterland der Rasse Amas, würde seinen vollständigen Ruin besiegeln, wenn es den reinen Spiegel seiner Erkenntnis trüben und den Stahl der Schwertseele in gemeines Blei verwandeln wollte. Heute besteht die Aufgabe Asiens darin, asiatische Gesittung zu pflegen und zu schützen. Um dies zu erreichen, gilt es vorerst, diese Gesittung zu erkennen und zu entwickeln. Denn die Schatten der Vergangenheit sind auch die Verheißungen der Zukunft. Die Kraft des Baumes ist nicht größer als die seines Samens. Das Leben stellt stets eine Rückkehr zu seinem Ausgangspunkte dar. Wie viele Evangelisten haben diese Wahrheit ausgesprochen! »Erkenne dich selbst!« so lautete der mystische Ausspruch des Delphischen Orakels. »Alles in dir selbst«, spricht die ruhige Stimme des Konfuzius. Noch treffender verkündet das indische Märchen seinen Hörern die gleiche Botschaft. Es war einmal, so erzählen die Buddhisten, daß der Meister seine Jünger um sich versammelte, als plötzlich eine furchtbare Gestalt, die Gestalt des großen Gottes Çiva, vor ihnen erschien und die Sehkraft aller mit Ausnahme Vajrapânis, des Allweisen, vernichtete. Und da Vajrapâni erkannte, daß seine Genossen geblendet waren, wandte er sich an den Meister und sprach: »Warum habe ich, der ich unter allen Sternen und Göttern, zahlreich wie die Sandkörner an den Ufern des Ganges, nach ihm geforscht habe, noch nirgends diesen Strahlenden gesehen? Wer ist er?« Und Buddha sprach: »Er ist du selber!« Und Vajrapâni, heißt es, ward augenblicks des höchsten Zieles teilhaftig.
Dieser Selbsterkenntnis verdankt Japan gleichsam seine Wiedergeburt. Durch sie vermochte es dem Sturme zu trotzen, der einen so großen Teil der orientalischen Welt in den Abgrund fegte. Und allein durch die Wiedererweckung dieses gleichen Bewußtseins wird Asien sich zu seiner einstigen Kraft und Größe durchzuringen vermögen. Die Zeit ist förmlich verwirrt durch die unendliche Fülle der Möglichkeiten, die sich ihr erschließen. Auch Japan ist heute außerstande, aus dem vielverschlungenen Knäuel der Meiji-Restauration den Faden herauszulösen, der es in die Zukunft hinübergeleiten soll. Seine Vergangenheit ist durchsichtig klar wie ein kristallener Rosenkranz. In den alten Tagen der Asuka-Zeit ward das Schicksal des Landes entschieden und Japan, kraft des Genies seiner Yamato-Bevölkerung, zur Empfängerin und Sammlerin indischer Ideale und chinesischer Ethik bestimmt. Dann folgten die Übergangszeiten von Nara und Heian, bis ungeheure Volkskräfte sich in dem Begeisterungstaumel der Fujiwara und seiner heroischen Reaktion zur Kamakura-Zeit auslösten und in der strengen Hingebung und hoheitsvollen Entsagung der Ashikaga-Ritter gipfelten. Durch alle diese Entwicklungsstufen ist das japanische Volk, einer geschlossenen Persönlichkeit klar und deutlich vergleichbar, hindurchgeschritten. Selbst die Toyotomi- und Tokugawa-Zeiten stellen sich als eine Ruhepause dar, mit der wir nach Art orientalischer Völker den Rhythmus unserer Aktivität beschließen. In ihr konnte sich die Demokratisierung unserer Ideale vollziehen, und in der Tat machen sich die niedrigeren Volksklassen während dieser Zeit trotz scheinbarer Trägheit und äußeren Stumpfsinns die Weihe des Samurais, die Schwermut des Poeten und die göttliche Selbstaufopferung der Heiligen zu eigen, um dann das freie Erbe ihrer Nationalität anzutreten.
Jedoch die große Masse abendländischen Wissens bringt uns in Verwirrung. Der Spiegel von Yamato ist von Wolken getrübt, um in unserer Sprache zu reden. Wohl hat die Revolution Japan den Weg zur Vergangenheit gewiesen, allein wie alle echten Restaurationen stellt diese Bewegung eine Reaktion dar, die sich in einem Punkte von früheren Zeiten unterscheidet. In der Ashikaga-Periode hatte sich die Kunst aus eigenem Antriebe ganz der Natur geweiht; heute hat sie sich in den Dienst der Rasse, des Menschen, gestellt. Wir haben instinktiv erkannt, daß in unserer Geschichte auch der Schlüssel zu unserer Zukunft liegt, und suchen ihn mit blinder Inbrunst tastend zu erfassen. Ist dieser Gedanke wahr, liegt in unserer Vergangenheit wirklich ein neuer Frühling begraben, so müssen wir auch erkennen, daß es zu seiner Erweckung einer mächtigen, hilfreichen Hand bedarf; denn die sengende Dürre moderner Unkultur droht, das Leben wie die Kunst unfruchtbar zu machen.
Wir warten auf das funkelnde Schwert, das wie ein Blitz die Finsternis zerspalten wird. Die furchtbar brütende Stille muß gebrochen werden; mit verjüngender Kraft müssen sich die Regentropfen auf die Erde niedersenken, ehe ein neuer Blütenflor sie bedecken kann. Die große Stimme jedoch, die dieses Wunder heraufbeschwören soll, muß aus Asien selbst ertönen und von den uralten Heerstraßen, die das Volk gewandert ist, zu uns herüberdringen.
Sieg von innen oder ein gewaltiger Tod von außen!
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Die Umschrift der fremden Namen und Wörter ist dieselbe wie in Okakuras »Buch vom Tee« (Insel-Verlag). Man spreche also:
ch wie tsch
j wie dsch
sh wie sch
ç wie s oder sch
y wie j.
Wie in jenem Werke ist für die vom Verfasser gewöhnlich verwendeten sinico-japanischen Umformungen chinesischer Wörter die ursprüngliche Form ein- oder doch danebengesetzt worden; nur einige wenige davon haben sich in Ermangelung sicherer Anhaltspunkte nicht auf diese zurückführen lassen.