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Die Ashikaga-Periode

(1400-1600 n. Chr.)

Die Ashikaga-Periode hat ihren Namen von jenem Zweig der Minamoto-Familie, der in erblicher Nachfolge zum Shôgunat gelangte. Sie schlägt als natürliche Folge des Kamakura-Heldenkultus den Grundton der modernen Kunst an, den der Romantik im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Besiegung der Materie durch den Geist ist von jeher das Ziel der miteinander ringenden Weltkräfte gewesen, und jede neue Entwickelungsstufe der Kultur zeichnet sich, im Orient wie im Abendlande, durch eine Steigerung des zur Schau getragenen Triumphes über diesen Sieg aus. Die bei der europäischen Wissenschaft so beliebte Einteilung der Kunst in drei Abschnitte entbehrt zwar vielleicht der Genauigkeit, hat aber dennoch ihre unfehlbare Richtigkeit, da das Grundgesetz von Leben und Fortschritt nicht nur der Kunstgeschichte als Ganzes, sondern auch dem Erscheinen und Wachstum einzelner Künstler und ihrer Schulen unterliegt.

Der Osten hat seine eigene symbolische oder, besser gesagt, formalistische Kunst erzeugt, in der die Materie oder die materielle Form das Geistige beherrschte. Die Ägypter und Assyrer mühten sich, durch ungeheure Steinblöcke Erhabenheit auszudrücken, so wie der Inder durch zahllose Wiederholungen in seinen Schöpfungen die Unendlichkeit darzustellen sucht. Auch die Chinesen der Chou- und der Han-Dynastie wollen in der Großen Mauer und in den unendlich fein verschlungenen Linien ihrer Bronzen das Göttliche ausdrücken. Die älteste, von ihrer Entstehung bis zur Nara-Zeit datierende Periode der japanischen Kunst fällt, mag sie auch noch so sehr von dem reinen Ideal der frühesten nordbuddhistischen Schule beeinflußt sein, dennoch unter diese Gruppe, da sie die Form und die formale Schönheit zum Maßstabe der Kunstwertung nimmt.

Es folgt die sogenannte klassische Periode, in der die Vereinigung von Geist und Materie als höchste Schönheit gilt. Dem gleichen Antrieb unterlag auch die pantheistische Philosophie Griechenlands, und die Werke des Parthenons wie die unsterblichen Schöpfungen von Phidias und Praxiteles sind ihr reinster Ausdruck. Im Osten tritt diese Entwickelungsstufe als die zweite nordbuddhistische Schule in Erscheinung.

Während der T'ang-Dynastie und Nara-Periode sehen wir einen objektiven Idealismus unter dem Einfluß Indiens zur Zeit der Gupta seinen Höhepunkt erreichen und sich zur konkreten Kosmologie des esoterischen Pantheons verhärten. Die Verwandtschaft der japanischen Kunst dieser Zeit mit der Kunst der griechisch-römischen Periode beruht auf der weitgehenden Ähnlichkeit ihrer Umgebung mit der geistigen Atmosphäre der klassischen Völker des Abendlandes.

Allein der Individualismus, der in der Tiefe schlummernd dem modernen Leben und Denken als nährendes Feuer dient, lauerte nur darauf, die Kruste des Klassizismus zu durchbrechen, um als ewige Flamme der Geistesfreiheit aufzulodern. Der Sieg des Geistes über die Materie ist gewiß. Mögen die Eigenarten des morgenländischen und abendländischen Denkens auf noch so verschiedene Weise zum Ausdruck gelangen, hier wie dort zielt die herrschende Idee der Zeit auf die Romantik. Die lateinischen und teutonischen Völker suchten das romantische Ideal auf objektiv-materialistischem Wege zu erreichen, so wie ihre geographische Lage und ihre ererbten Instinkte es ihnen vorschrieben; während der chinesische Intellekt dieser späteren Zeit in Gestalt des Neo-Konfuzianismus und die seit den Tagen Ashikagas gleichsam mit indischer Geistigkeit und harmonischem Kommunismus durchglühte Seele Japans sich dem Problem von einem subjektiv-idealistischen Standpunkte aus näherten.

Der Neo-Konfuzianismus Chinas, der später unter der Sung-Dynastie (960-1280) seine höchste Blüte erreichte, war eine Mischung von taoistischer, buddhistischer und konfuzianischer Philosophie, die indes vornehmlich durch das taoistische Bewußtsein wirkte; so bei Chimpaku (Ch'en T'uan?), einem taoistischen Philosophen vom Ende der T'ang-Dynastie, dem es gelang, das All in allen drei Systemen zugleich mittels eines einzigen Diagramms auszudrücken. Wir begegnen jetzt einer neuen Auslegung der zwei im Kosmos wirkenden Prinzipien, des männlichen und des weiblichen, wobei zum ersten Male das Hauptgewicht auf das letztgenannte als auf das allein aktive gelegt wird. Diese Auffassung deckt sich mit dem indischen Çakti-Begriff und wurde von neokonfuzianischen Denkern zu ihrer Theorie vom Li und K'i, dem allgegenwärtigen Gesetz und dem schaffenden Geiste, ausgebildet. Stets dreht sich die asiatische Philosophie, von Çankarâchârya abwärts, um die alles bewegende Kraft des Universums als Mittelpunkt.

Überdies neigt das taoistische Bewußtsein dazu, sich von dem Menschen ab zur Natur zu wenden. Dies rührt daher, daß der Orientale sich stets in Gegensätzen auszudrücken sucht. Ihre angeborene Liebe zur Natur bannt die Ashîkaga-Kunst, die sich allzu sehr mit Landschaften, Blumen und Vögeln abgibt, in gewisse enge Grenzen. So birgt der Neo-Konfuzianismus Chinas eine konfuzianische Rechtfertigung alles Seins, gepaart mit einem neuen Hang zum Individualismus, und gipfelt in einer Wiedererweckung der zu frischer, tieferer Bedeutung gelangten Chou-Weltanschauung.

Es ist ein Beweis für das Vorhandensein der damaligen individualistischen Strömung, daß sie starke politische Parteiungen im Gefolge hatte, wodurch der Widerstand Chinas gegen den nächsten Tatareneinfall, der zur Herrschaft der mongolischen Yüan-Dynastie (1280-1368) führte, geschwächt ward.

Die japanische Kunst ist seit den Ashikaga-Meistern trotz einer kaum merklichen Degeneration, die während der Toyotomi- und Tokugawa-Zeit eintrat, dem romantischen Ideal des Ostens treu geblieben. Diese Durchgeistigung nahm in Japan jedoch keineswegs die Gestalt eines asketischen Purismus an, wie bei den frühchristlichen Kirchenvätern, noch glich sie den allegorischen Idealisierungsversuchen der Pseudo-Renaissance. Sie war weder Manier noch Selbstkasteiung. Das Geistige galt als der Inbegriff des Lebens, als ein Merkmal der Seele, als eine brennende Flamme tief im Inneren.

Schönheit war das herrschende Prinzip des Weltalls. Es funkelte im Sternenlicht, glühte in den Blumen auf, bewegte sich in der ziehenden Wolke und im fließenden Wasser. Die große Weltseele erfüllte Mensch und Natur zugleich, und durch Betrachtung des vor ihm ausgebreiteten Weltlebens, in den wunderbaren Phänomenen des Daseins, konnte der Künstler den Spiegel finden, der das Abbild seiner Seele zurückwarf. Daher rührt es, daß die Kunst der Ashikaga-Zeit sich in allen ihren Zügen von den Schöpfungen der vorangegangenen Perioden unterscheidet. Sie ist weder harmonisch, noch gesättigt, wie die formalistische Schönheit der Han-Bronzen oder der Spiegel der Sechs Dynastien, noch atmet sie das stille Pathos und die Gefühlsruhe der Nara-Statuen des Sangwatsu-dô oder die vollendete Erhabenheit und den zarten Idealismus der Kôyasan-Engel Genshins aus. Dennoch ist sie von starker, unmittelbarer und einheitlicher Wirkung, wie keine dieser älteren Schöpfungen. Geist spricht zu Geist, kraftvoll und selbstverneinend, unbewegt in seiner großen Einfachheit.

Jener vollkommene Zusammenklang von Geist und Materie, der sich in den Prä-Fujiwara-Perioden langsam zum krönenden Ideal der japanischen Kunst entwickelte, strömt überall die höchste Ruhe aus. Sie zu erreichen, ist das alleinige Ziel des Künstlers. Auf sie konzentrieren sich alle Kräfte seiner Phantasie. Allein andere schlummernde Energien sollten von neuem zum Durchbruch gelangen. Das Leben behauptet sich immer wieder in der Form zentripetaler Kräfte, und seltsame neue Typen tauchen auf. Der Individualismus nimmt an Macht und Fülle zu. Sein primärer Ausdruck ist stets Gefühl, die Bhakti des indischen Denkens, wie es sich auch in den Liebesromanen und -gedichten Europas und in der religiösen Bewegung der Fujiwara-Epoche enthüllt. Später, so zum Beispiel in unserer Ashikaga-Periode, nimmt es dann höhere Entwickelungsformen an: es wird zu der durch den persönlichen Willensakt gewonnenen Erkenntnis der Summe aller Erscheinungen, zur Einsicht, zu dem indischen » Jnâna«.

Das Ashikaga-Ideal verdankt seine Entstehung der buddhistischen Zen-Sekte, die zur Kamakura-Zeit die Oberhand gewann. Das von Dhyâna herstammende Wort Zen (Ch'an) bedeutet äußerste Ruhe und wurde in China von Bodhidharma, einem indischen Prinzen, eingeführt, der 520 als Mönch dorthin gelangte. Die Zen-Lehren mußten indes, ehe sie im Reiche des Himmels heimisch wurden, taoistische Ideen in sich aufnehmen, und erst in dieser Form kamen sie gegen Ende der T'ang-Dynastie dort zur Geltung. Die Doktrin der Baso und Rinzai unterscheidet sich wesentlich von der der älteren Vertreter dieser Lehre; der Zenismus stellt daher eine Entwickelung dar, und das Erbe, das er den Kamakura- und Ashikaga-Mönchen vermachte, war der sogenannte südliche Zenismus Chinas, der von dem nördlichen sehr verschieden ist. Dieser war von jeher den Satzungen der alten Zen-Patriarchen gefolgt. Im Laufe der Zeit hatte sich der Zenismus zu einer Schule des Individualismus entwickelt, und aus ihr gingen dann die Kriegs- und Geisteshelden der Kamakura-Zeit hervor, Alexander wurde in Ignatius Loyola verwandelt. Die Idee des Sieges und der Eroberungen wurde vollständig orientalisiert. Vom äußeren Sieg wandte man sich dem geistigen Siege, dem Siege über das Innere zu. Nicht das Schwert zu brauchen, sondern selber Schwert zu sein, keusch, heiter, fest, dem unwandelbaren Polarstern zugewandt, war das Ideal des Ashikaga-Ritters. Die Seele war alles; sie galt als das einzige Mittel, das Denken von den Fesseln des Wissens zu befreien. Ja, der Zenismus war mitunter sogar bilderstürmerisch, da Form und Ritual ihm gleichgültig waren, denn der zur Erkenntnis gelangte Zen-Anhänger pflegte die buddhistischen Götterbilder ins Feuer zu werfen. Worte wurden als Gedankenhindernisse betrachtet, und die zenistischen Lehren wurden in kurzen, abgerissenen Sätzen und kraftvollen Gleichnissen überliefert, sehr zum Nachteil der gepflegten chinesischen Gelehrtensprache, die darüber vernachlässigt wurde.

Den Zen-Philosophen galt die Seele als der Buddhaschaft teilhaftig. In ihr spiegelte sich das im Einzelnen sich offenbarende Allgemeine in seinem ursprünglichen Glänze, der, wie man glaubte, in der langen Nacht der Unwissenheit und des sogenannten menschlichen Wissens verloren gegangen war. Durch Befreiung der Gedanken von den Ketten irriger Kategorien war die wahre Erkenntnis zu gewinnen.

Die Übungen der Zenisten gründeten sich daher auf jene Methoden der Selbstzucht, die das Wesen der wahren Freiheit sind. Der vom Wahn befangene menschliche Geist bewegt sich tastend im Dunkeln, weil er fälschlicherweise das Attribut für die Substanz nimmt. Selbst religiöse Lehren können in die Irre führen, insofern sie den Schein als Sein darstellen. Dieser Gedanke wird häufig durch die Allegorie des Affen versinnbildlicht, der nach dem im Wasser sich spiegelnden Monde hascht: jeder Versuch, den silbernen Widerschein zu greifen, ruft nur eine Trübung der Wasserfläche hervor und endet nicht nur mit der Zerstörung des Phantasiegebildes, sondern auch mit dem Tode des Greifenden. Die weitschweifigen Sûtras von den sogenannten vierundachtzigtausend Pforten des Wissens gleichen dem sinnlosen Geplapper äffischer Gelehrten. Die einmal gewonnene Freiheit ermöglicht es dem Menschen, sich an dem Glanz und der Herrlichkeit dieser Welt zu freuen. Dann erst wird er eins mit der Natur, deren Puls gleichmäßig mit dem seinen schlägt, deren Atem er einsaugt, in inniger Verschlingung mit dem großen Weltgeist. Das Leben ist zugleich mikrokosmisch und makrokosmisch, Leben und Tod sind nur zwei verschiedene Phasen des einen großen Weltdaseins.

Mit Vorliebe wird der Fortschritt des Zen-Jüngers auch mit der Suche eines Kuhhirten nach einem verirrten, seiner Obhut anvertrauten Tiere verglichen. Der Mensch ist durch Unwissenheit seiner Seele beraubt, und so wie der aufgeschreckte Kuhhirt unter allen möglichen Hindernissen mühsam den kaum sichtbaren Spuren des verloren gegangenen Tieres folgt, setzt auch der Mensch seinen Weg fort, bis er zuerst den Schwanz, dann den Körper dessen findet, was er sucht. Dann folgt der Kampf um die Übermacht, – ein furchtbar wildes Ringen zwischen dem Weltsinn und dem inneren Licht. Der Hirte siegt, und auf dem Rücken des nun gefügigen Tieres reitend, verfolgt er seinen Weg, eine schlichte Melodie auf der Schalmei blasend und sein und des Tieres vergessend. Der Tag, die grünen Weiden und die purpurroten Blüten erfüllen ihn mit Entzücken. Sie schwinden dahin, und er weidet sich am Mondlicht, in dessen Schein er zugleich ist und nicht ist. So erscheint der Sieg über das Innere dem zenistischen Denker wahrer und wertvoller als die strengen Bußübungen des mittelalterlichen Eremiten, der sein Fleisch zermarterte, anstatt den Geist in Zucht zu nehmen. Der Leib ist ein kristallenes Gefäß, das den Regenbogenschimmer des großen Weltseins auffangen muß. Der Geist gleicht einem weiten, bis auf den Grund durchsichtigen See, der die über ihn hinziehenden Wolken widerspiegelt und mitunter wohl auch, von Winden gepeitscht, zornig überschäumt, danach aber wieder in ungetrübter Heiterkeit erglänzt und niemals seine Klarheit und sein natürliches Wesen verliert. Die Welt ist erfüllt von einer gewissen Tragik, die indes rein zufällig ist, und es gilt, mit Freude und Festigkeit zu kämpfen, als ginge es zu einer Hochzeit. Diese Lehren übten eine tiefe Wirkung auf das Leben und die Kunst aus und führten eine weitgehende Veränderung der Sitten herbei, die dem Japaner heute zur zweiten Natur geworden ist. Unsere Etikette beginnt mit der Anweisung zum Überreichen eines Fächers und endigt mit den Riten des Selbstmords. Ja, selbst in der Tee-Zeremonie gelangen zenistische Ideen zum Ausdruck.

Die in ihrer Art einzige Ashikaga-Aristokratie rang sich wie ihre Vorfahren vom Luxus zur Kultur durch. Sie liebte es, in strohgedeckten Hütten zu wohnen, die sich äußerlich in keiner Weise von denen der ärmsten Bauern unterschieden, deren Raumverhältnisse jedoch von Genies wie Shojo und Sôami entworfen waren, und die auf Pfeilern von kostbarem, wohlriechendem Holz aus den entlegensten Gegenden Indiens ruhten. Selbst die eisernen Teekessel im Inneren waren Wunder des Kunsthandwerkes des Sesshû. Nach der Meinung der Ashikaga-Ritter schlummerten das Schöne und die Seele eines Dinges stets tief im Verborgenen und konnten nicht durch äußere Mittel offenbar werden, und selbst den zufälligsten Erscheinungen wohnte das Leben des Alls inne. Nicht in der Deutlichkeit, in den Andeutungen lag das Geheimnis der Unendlichkeit. Die Vollkommenheit verfehlt, ebenso wie die höchste Reife, ihre Wirkung, da sie dem Wachstum eine Grenze setzt.

Sie fanden zum Beispiel Freude daran, ein Tintenfaß von außen mit schlichtem Lack, im Inneren dagegen mit den kostbarsten Goldverzierungen auszustatten. Der Teeraum pflegte als einzigen Schmuck ein Bild oder eine einfache Blumenvase zu enthalten, um das Gefühl der Einheit und Sammlung zu erzeugen, und die ganzen Kunstschätze der Daimyôs wurden in ihren Schatzhäusern aufbewahrt, von wo man sie einzeln hervorholte, um ein bestimmtes ästhetisches Bedürfnis zu befriedigen. Auch heute noch pflegt das Volk die kostbarsten Stoffe zu Unterkleidern und die einfacheren zu Obergewändern zu verwenden, und so war es auch der Stolz der Samurai, die herrlichsten Schwertklingen in den schlichtesten Scheiden zu bewahren. Das Gesetz der Veränderlichkeit, das das ganze Leben wie ein roter Faden durchzog, herrschte auch über die Schönheit. Wollte man anhaltende Wirkungen erzielen, so bedurfte es dazu der Kraft und Beweglichkeit, und der Phantasie die Ausführung einer nur angedeuteten Idee überlassen, hieß eine Notwendigkeit erfüllen, die allen Formen der Kunst innewohnt. Der freiliegende Seidenzipfel eines großen Meisterwerkes konnte zum Beispiel einen tieferen Sinn enthalten als das ganze Gemälde.

Bereits zur Sung-Zeit hatte es eine hochentwickelte Kunst und Kunstkritik gegeben, vor allem seit dem zwölften Jahrhundert und den Tagen des Kaisers Hui-tsung, der selber ein großer Künstler und Mäzen war. Daß auch die damaligen Maler den Geist der Zen-Philosophie verspürt hatten, geht aus den Werken von Ma Yüan und Hia Kui, Muh K'i und Liang Kai hervor, deren kleinste Bilder weltenweite Ideen bergen. Allein erst die Ashikaga-Künstler vermochten die zenistische Idee in ihrer reinsten, gesteigerten Form in sich aufzunehmen, kraft ihrer vom konfuzianischen Formalismus befreiten und unter indischem Einfluß stehenden japanischen Mentalität. Sie waren alle entweder zenistische Priester oder Laien, die fast als Mönche lebten, und die künstlerische Form neigte daher zur Reinheit, Feierlichkeit und Einfalt.

Die kräftigen Zeichnungen und Farben der Kamakura- und die weichen Umrisse der Fujiwara-Zeit mußten schlichten Tuscheskizzen weichen, die mit wenigen kühnen Pinselstrichen den ganzen Gegenstand wiedergaben. Auch die anmutig fließenden Gewänder jener Tage machten riesigen, steifen Pumphosen Platz. Die neue Idee verlangte, daß man die Kunst jedes fremdartigen Elementes entkleidete und in der äußeren Form so schlicht und unmittelbar wie möglich gestaltete. Die gegen Ende der Kamakura-Zeit aufkommenden Tuschemalereien erkämpften sich daher vor den farbigen Bildern den Vorrang.

Ein Gemälde, das das Universum darstellen will, muß sich billigerweise auch den Gesetzen des Lebens unterordnen. Komponieren heißt daher eine ganze Welt erschaffen und die lebenspendenden Gesetze in der Hand halten. So kommt es, daß ein Meisterwerk von Sesshû oder Sesson keine Abbildung der Natur, sondern ein Versuch zur Natur ist. Für diese Maler gibt es weder hoch noch niedrig, gemein noch erhaben. Ein Bild der Göttin Kwannon oder Çâkyas besitzt für sie keine größere Bedeutung als die Wiedergabe einer einzigen Blume oder eines Bambuszweiges. Jeder einzelne Pinselstrich hat seinen Moment von Geburt und Tod, alle zusammen suchen eine Idee, die Leben innerhalb des Lebens ist, auszudrücken.

Die beiden erwähnten Meister sind zweifellos die bedeutendsten Künstler dieser Zeit, wenn ihnen der Weg auch bereits von dem durch seine Landschaften und seine saftigen Tintentöne bekannten Shûbun gebahnt wurde.

Auch Jasoku hat an Kraft der Pinselführung und Geschlossenheit des Aufbaus kaum seinesgleichen.

Sesshû verdankt seine Stellung jener für das Zen-Bewußtsein so bezeichnenden Unmittelbarkeit und Selbstzucht. Bei der Betrachtung seiner Bilder gewinnen wir eine Sicherheit und Ruhe, wie kein anderer Künstler sie zu geben vermag.

Sesson dagegen ist die Freiheit, Anmut und Leichtigkeit eigen, die gleichfalls ein Merkmal des zenistischen Ideals ist. Es ist, als dienten seine Erlebnisse ihm nur zum Zeitvertreib, und als ergötze sich seine starke Seele an dem überquellenden Leben der freudigen Natur.

Eine große Schar anderer Künstler folgt den Spuren dieser Meister: Nôami, Geiami, Sôami, Sôtan, Keishoki, Masanobu, Motonobu, und ein ganzer Strahlenkranz berühmter Namen fällt in diese einzigartige Epoche. Denn die Ashikaga-Shôgune waren große Mäzene, und das Leben der Zeit neigte zu Kultur und Verfeinerung.

Allein unmöglich kann man von der Ashikaga-Periode zu einer späteren Zeit übergehen, ohne der Entwickelung der Musik zu gedenken. Nichts spricht so sehr für den geistigen Inhalt einer Epoche als die Musik, die gerade zur Ashikaga-Zeit ihre nationale Eigenart und Reife gewann.

Vordem kannte Japan, die schlichten, alten Volksweisen ausgenommen, nur die Bugaku-Musik aus der Spätzeit der Sechs Dynastien, die trotz ihres indisch-chinesischen Ursprungs mit der griechischen so eng verwandt ist. Und doch ist dies nur natürlich, da beide Schößlinge des großen Mutterbaumes ältester asiatischer Melodik und Sangeskunst. Die Bugaku-Musik hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Sie wird in Japan noch in der alten Tracht und im alten Tanzschritt durch die erbliche Musikerkaste, die zu ihrer Hüterin bestellt ist, vorgetragen. Heute ist sie zwar ein wenig mechanisch und ausdruckslos geworden, allein die Bugaku-Musiker sind immer noch imstande, die alte Hymne an Apollon in ihrer unverfälschten Fassung wiederzugeben.

Die Kamakura-Zeit brachte, den Bedürfnissen eines kriegerischen Zeitalters entsprechend, Barden hervor, die in epischen Balladen den Ruhm der Helden verkündeten. Die Fujiwara-Epoche gebar dann die Maskeraden, aus denen sich später die dramatischen Darstellungen der Hölle entwickelten, welche im Rezitativton zu schlichter Musikbegleitung gespielt wurden. Allmählich vermischten sich diese beiden Elemente und erzeugten zu Beginn der Ashikaga-Zeit die vom Geist der Geschichte durchtränkten Nô-Tänze, die dank der Tatsache, daß ausschließlich große Ereignisse aus der Vergangenheit ihnen zum Vorwurf dienten, einen der stärksten Faktoren des japanischen Musik- und Theaterlebens bilden und aller Wahrscheinlichkeit nach niemals aus dem Volksbewußtsein schwinden werden.

Die Bühne, auf der die Nô-Tänze vorgeführt werden, besteht aus rohen, unbemalten Brettern. Nur im Hintergrund ist eine einzige Fichte in konventioneller Weise abgebildet, wodurch eine erhabene Eintönigkeit ausgedrückt werden soll. Die Hauptrollen sind drei an der Zahl; der kleine Chor und das Orchester nehmen auf der einen Seite der Bühne Platz. Die Hauptdarsteller, die richtiger vielleicht Haupthersager genannt werden sollten, tragen Masken und suchen den Gesamteindruck noch mehr zu stilisieren. Das Gedicht handelt von geschichtlichen Begebenheiten, die stets durch buddhistische Ideen zum Ausdruck gelangen. Der Maßstab, nach dem der Wert des Stückes bemessen wird, ist seine suggestive Wirkung, die unbegrenzt sein kann; ausgeschaltet bleibt allein der Naturalismus.

In einer atemlosen Spannung, die nur von vereinzelten, leicht komischen Zwischenspielen unterbrochen wird, verharren die Zuschauer einen ganzen Tag lang. Das kurze, epische Drama des Nô-Tanzes ist voll von halbartikulierten Lauten. Windesbrausen im Fichtengezweig, tropfendes Wasser und fernes Glockengeläut, ersticktes Schluchzen, Kriegslärm und -getümmel, Echo der Weber, die ihr neues Gewebe gegen den hölzernen Webebaum schlagen, Grillengezirp und die unendlich mannigfaltigen Stimmen von Nacht und Natur, deren Stille noch inhaltsreicher ist als ihre Geräusche, sind da zu hören. Diese dumpfen, aus der ewigen Melodie des Schweigens geschöpften Laute mögen dem Uneingeweihten vielleicht seltsam oder gar barbarisch erscheinen, und doch kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sie die Merkmale einer großen Kunst an sich tragen. Niemals lassen sie uns vergessen, daß die Nô-Tänze unmittelbar von Geist zu Geist sprechen und ein Mittel darstellen, durch das der unausgesprochene Gedanke jenseits der Handelnden jenem unhörbaren und nicht hörenden Verständnis vermittelt wird, das im Herzen der Zuhörer brütet.


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