Friedrich von Oppeln-Bronikowski
Der Schwarzkünstler Cagliostro
Friedrich von Oppeln-Bronikowski

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Straßburg, den 7. Juni 1781.

»So umständlich und so wahrscheinlich als es in dieser Sache möglich ist, will ich Ihnen alles dasjenige vortragen, was ich in Rücksicht auf den Grafen Cagliostro habe erfahren können. Ich sage so wahrscheinlich, denn man sagt soviel für und soviel wider diesen außerordentlichen Mann, er ist auch selbst in der Hauptsache so geheim, daß ich glaube, man müsse noch zurzeit auf völlige Gewißheit in Ansehung seiner Verzicht tun. Er hat enthusiastische Freunde und bittere Feinde; er scheint sehr offen zu sein; mais le coup de maitre reste dans mon coeur, sagte er selbst hier zu einer Dame, die er, gegen seine sonstige Gewohnheit und Grundsätze,Verachtung des weiblichen Geschlechts im ganzen war ein Kunstgriff, dessen Cagliostro sich auch hier bediente, um sich solchergestalt der Dankbarkeit und des Enthusiasmus derjenigen um desto mehr zu vergewissern, die er zu den Ausnahmen zählte. sehr hoch schätzte. Durch diesen Kanal hauptsächlich habe ich folgendes erfahren. Der Graf Cagliostro sagt, er habe zu Medina die Medizin studiert und freilich daselbst anders die Natur kennen gelernt, als unsere europäischen Ärzte; wir gingen zu flüchtig über die Zeichen der Krankheiten und überhaupt der Veränderungen im menschlichen Körper hin: in seiner Schule werde man angeführt, nicht nur den Puls (welchen, nach allgemeinem Eingeständnis auch der Ärzte, Cagliostro vortrefflich verstehen soll),Dieser Meinung sind bei weitem nicht alle Ärzte. sondern auch die Gesichtsfarbe, den Blick, den Gang und jede Bewegung des Körpers medizinisch zu erforschen, daher denn die Physiognomik ein natürlicher Teil der Arzneikunde sei. Sei es nun durch diese Verbindung oder durch einen anderen Weg, genug, Cagliostro scheint ein Menschenkenner zu sein und hat unter anderen unseren größten Physiognomisten, Lavatern, sehr gut physiognomisch aufgenommen: Die Krankheiten selbst, sagt er ferner, liegen vorzüglich im Blute und in dessen Verteilung; darauf muß also der Arzt lossteuern. Da die ganze Natur miteinander verwandt ist, so muß der Arzt sie im großen Umfange kennen, und die Chemie muß ihm dann zur Auflösung und Zusammensetzung zu Gebote stehen; und auch in dieser soll er große Kenntnisse besitzen.Dies wußte er auszubreiten, weil er es selbst von sich sagte. Aber er war darin höchst unwissend, wie in Mitau schon in unserer Gesellschaft bemerkt ward. Man sehe die oben S. 24 erzählte Geschichte. Da ferner alles auf alles wirkt und dies nicht bloß von unserer Erde, sondern von unserem Sonnensystem zu verstehen ist, so sei auch die Kenntnis von dem Einfluß der Gestirne einem Arzte unentbehrlich. So hält Cagliostro vorzüglich viel auf das Äquinoktium, und in dieser Zeit präpariert er seine meisten Arzeneien. Dieser gegenseitige Einfluß aller Dinge begrenzt sich aber nach Cagliostros Meinung nicht bloß auf die Körperwelt. Diese ist Wirkung; der Geist ist Ursache: die Geisterwelt ist eine zusammenhängende Kette, aus welcher immer Wirkungen ausströmen. Die wahren Naturkenner seien also die, welche ebensogut hinauf als hinab sehen können, oder welche mit Geistern wie mit Materie in Verbindung stehen. Zu dieser geheimen Kenntnis sei er gleichfalls in Arabien und zwar in einer Gesellschaft zu Medina eingeweiht worden; er habe daselbst, wie jeder Aufgenommene, das Gelübde tun müssen, zum Besten der Menschheit eine gewisse Zeit in der Welt herumzuwandern und unentgeltlich das wieder zu geben, was er selbst ebenso empfangen habe. So sei er durch Ägypten nach Europa gekommen.

Von seinem Aufenthalte im Norden brauche ich Ihnen nichts zu sagen; von seinem Aufenthalt in Straßburg weiß ich folgendes. Er logierte einige Zeit in einem Gasthofe, dann etliche Wochen bei Vogt in dem Zimmer Ihres seligen Bruders, wenn ich nicht irre. Noch zeigte er sich nicht im geringsten als Arzt. Niemand erwartete das auch von einem Grafen (welcher Grafentitel, wie er jemanden so ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, sich auch nicht auf Geburt, sondern auf seine geheimen Kenntnisse gründet). Plötzlich erfuhr man, es sei ein fremder wohltätiger Herr hier, der Kranke umsonst übernehme und ihnen nicht nur Arzeneien, sondern selbst oft auch noch Geld und andere Unterstützungen zukommen ließe; und dies ist Wahrheit. Nun kamen nach und nach und noch schüchtern einzelne Arme zu ihm. Er empfing sie liebreich, gab ihnen Essenzen, Elixiere, andere Arzeneien, befreite manchen vom Fieber und anderen Zufällen, besuchte selbst auch manche schwere Kranke in ihrer Behausung. Sein Ruf stieg, und bald waren nicht bloß seine Zimmer, sondern die Treppen und die Haustüre mit Hilfsbegierigen besetzt. Er war etwas leicht und zuversichtlich im Versprechen der Heilung, und dies gab allen Bresthaften um so mehr Mut. Freilich sind ihm nun bei der Menge der Kuren viele verunglückt, besonders bei Taub- und Blindheit; allein Glück in mehreren Fällen, das Fremde, das Sonderbare, das Unentgeltliche machten ihn doch jetzt zum Gegenstand aller Gespräche und bei manchem schon zum Gegenstand der höchsten Bewunderung. Die Neugierde trieb eine unzählige Menge Leute hin: Gelehrte, Offiziere, Ärzte, Naturkundige, Freimaurer. In dieser letzten Rücksicht besuchten ihn auch einige Prinzen und andere Herren; es wurde nach und nach Mode, zu Cagliostro zu gehen, und da er gerade am Paradeplatz logierte, so strömte um Mittag ein großer Teil der Garnison hin; man ging in die Assemblee zu Cagliostro. Hier wurde nun freilich mancher junge Leutnant durch seine übergroße Neugierde dem guten Grafen lästig; und um dieser Gattung von Gesellschaften los zu werden, oder um ihrer zu spotten, erzählte er ihnen sehr ernsthaft, daß er auf dem Roten Meer geboren sei, daß er einhundertundfünfzig Jahre alt sei, und dergleichen.Der Erfolg hatte gezeigt, daß Cagliostro dergleichen Erzählungen nicht sowohl aus Spott, als aus der Absicht, sich als Wundermann bekannt zu machen, ausbreitete. Zu dieser Zeit wurde ein Sekretär unseres Kommandanten, des Marquis de la Salle, krank; sein Arzt gab ihn auf, als einen wirklich vom Brand angesteckten, der noch vierundzwanzig Stunden zu leben hätte. Auf Bitten des Kommandanten selbst unternahm ihn Cagliostro und stellte ihn, zu allgemeiner Verwunderung, so gut als gänzlich wieder her. Nun hebt sich die glänzende Periode dieses Mannes an; alle Generalspersonen, alles was bei uns vornehm ist oder gerne um Vornehme sich herdrängt, besuchte nun täglich den Herrn Cagliostro. Viele machten bei Cagliostro nicht eben ihm, sondern diesen Herrn den Hof. Die Damen taten ein gleiches, nahmen seine Arzeneien und lobten seine Kuren. Cagliostro wurde überall hingezogen: der gute Ton war, von ihm zu sprechen, ihn zu brauchen und zu erbeben. Eine unglaubliche Menge von Fremden kamen von allen Orten her zu ihm; verschiedene baten ihn, mit einigen unserer besten Ärzte in Konsultationen sich einzulassen; dies schlug er immer ab, wie er denn auch für alle Ärzte keine anderen Benennungen kennt, als solche, die aus dem Tierreich entlehnt sind.Daß Cagliostro von groben Sitten, auffahrerisch und stolz war, habe ich schon bemerkt. Ob auf der anderen Seite die Ärzte in ihren Urteilen über ihn immer Wahrheit, oder falls auch dieses ist, Wahrheit ohne Bitterkeit, ohne Eifersucht gegen ihn sagen, kann freilich ich nicht bestimmen; doch haben mehrere Kranke, auch Fremde, sich von Cagliostro weg wieder in die Arme der ordentlichen Ärzte geworfen. Diese haben auch durch eine und andere triftige Anmerkung viele ziemlich schüchtern gemacht im Gebrauch des Herrn Cagliostro. Er pflegt z. B. sehr häufig den Extrait de Saturne und zwar in sehr großer Dosis (wie überhaupt seine Medizinen) zu verordnen; man hat gezeigt, daß dieser Bleizucker zwar im Augenblick von guter Wirkung sei, bei Wunden und anderen Zufällen, wo schleunige Hilfe nötig ist, daß er aber auch oft eine gewisse Steifigkeit zurücklasse und innerlich gebraucht, nicht selten die unglückliche Colique de Poitou verursache. In verschiedenen Zeitungsblättern und Affiches unserer Gegend sind bittere Satiren gegen ihn herausgekommen. Sein Zulauf hat wirklich abgenommen; er empfängt wirklich nur dreimal die Woche, und dies nur zu gewissen Stunden, Besuche. Mehrere Fremden, die seinetwegen hierher kamen, hat er in der Hälfte der Kur verlassen, andere gar nicht angenommen; gegen einige ist er außerordentlich gütig, gegen andere ebenso auffahrend und rauh. So auch in der Gesellschaft bei bloßen Besuchen; er nimmt sich sehr für oder wider die Personen ein, und dies oft auf den ersten Blick.

Er fühlt sich ganz und spricht deswegen von Fürsten und mit Fürsten wie ein Mann, der ihnen, nicht sie ihm Gutes tun können. Er redet schlecht Italienisch, gebrochen Französisch; Arabisch konnte er mündlich mit Professor Norberg von Upsal, der aus Konstantinopel kommt, nicht sprechen. Von unserem Heiland spricht er mit Geringschätzung und von der Geistlichkeit – wie von den Ärzten. Man sollte vermuten dürfen, daß der Mann einen weitaussehenden Plan habe, dazu ihm Straßburg ein allzu kleines Theater darbot. Straßburg liegt am Eingang des Königreichs; vielleicht will er seinen Ruhm vorangehen lassen und erwartet, daß ihn der König von freien Stücken berufe; er spricht ohnehin viel von seiner Bekanntschaft, die er mit Ludwig XV. hatte, sowie von der mit der russischen Kaiserin.Bei dieser großen Monarchin, auf welche Cagliostro so sehr zu wirken wünschte, hat er gar keinen Eingang gefunden. Was darüber in den Mémoires authentiques de C. steht, ist erdichtet, und so ist denn wenigstens eines seiner Hauptgeschäfte, zu welchem er von seinen Oberen ausgesandt war, mißlungen; vielleicht hat er dafür in Warschau durch Geldmangel büßen müssen und sich daher durch Geldschneidereien dort auszuhelfen gesucht. Man hat angemerkt, daß er weder durch Wechsel noch in natura durch irgend jemanden von hier sein Geld beziehe und doch immer richtig, freigebig und im voraus bezahle, ohne hier das mindeste, wenigstens unmittelbar,Es ist wohl ein Zeichen, wie leichtgläubig wir werden, wenn unser Geist einmal gestimmt ist, Wunder zu erwarten, – daß Cagliostro durch dieses ausgesprengte Vorgeben das Publikum an verschiedenen Orten hat hintergehen können. Cagliostro gab doch an jedem Orte gangbares gemünztes Geld aus. Gesetzt auch, er hätte Gold und Silber machen können, so konnte er es doch nicht münzen. Es war also bei einigem Nachdenken wohl einzusehen, daß er entweder durch mittelbare Geschenke oder durch heimlichen Verkauf seiner Arzneien Geld einnahm, oder daß er insgeheim von anderen Orten unmittelbare Geldremessen empfing. einzunehmen. Einige sind daher auf die Gedanken gekommen, er sei ein Emissarius der Exjesuiten, usw.

Dies alles sind Vermutungen; auch folgendes gebe ich Ihnen nur für eine, aber mir wenigstens und vielen sehr wahrscheinliche Vermutung: daß nämlich Cagliostro den größten Teil seiner Zeit und seines Ruhmes bei uns schon wirklich durchlebt habe. Wo er aber hernach sich hinzuwenden gedenke, weiß, glaube ich, niemand. Einige seiner großen Verehrer sind ihm abtrünnig geworden: sie klagen wechselweise heftig übereinander. Seit einiger Zeit fertigt er viele seiner Patienten sehr kurz durch allgemeine Tisanen u. dgl. ab. Unser Herr Marschall, der vor kurzem erst aus Paris in die Provinz wieder gekommen, hat Herrn Cagliostro sehr gütig empfangen und dadurch verhindert, daß man ihn nicht als einen Charlatan sans aveu aus dem Reiche verbannte.

Dies ist das Glaubwürdigste, durch die meisten Zeugen der denkenden Klasse Bestätigte, was mir möglich war, nach der sorgfältigsten Nachfrage und Vergleichung der Nachrichten, Ihnen darlegen zu können. Möchten Sie es als einen Beweis der Freude annehmen, mit der ich die mir gütigst angebotene Gelegenheit, Ihnen meine tiefe immerwährende Ergebenheit zu äußern, ergriffen habe. Ich kann freilich nicht dafür stehen, daß, obgleich sehr wider meinen Willen, in meiner Erzählung manche Unrichtigkeiten sich befinden. Entdecke ich sie in der Folgezeit, so werde ich mir eine Pflicht daraus machen, mich sogleich bei Ihnen selbst zu widerlegen. In historischen Dingen ist es schwerer als in moralischen, zu wissen, was ist Wahrheit? Und dies achte ich für unser aller unaussprechliches Glück, daß die Heilkunde der Seele für den, der ernstlich will, so leicht zu finden sei. Wer wahrhaftig ernstlichen Vorsatz hat, dem wird gegeben, daß er noch mehr habe. Wie herrlich muß also nach Ihrer Bemerkung der redliche Forscher in einer besseren Welt erleuchtet, erquickt werden, wenn er nach langem Durst in sandiger Wüste plötzlich vor der Quelle der Wahrheit steht! – Heil denen, die sich wirklich daran laben und denen, die gerade auf dies Ziel losgehen! –«

* * *

Ehe ich meinen Aufsatz vom Jahre 1779 mitteile, muß ich meine Leser bitten, in Erwägung zu ziehen, daß ich ihn zu der Zeit mit vollem Glauben an Cagliostros Wunderkraft niederschrieb und ihn dazu bestimmt hatte, ihn im Archive unserer Loge d'Adoption, teils als Lehre der Magie und teils als Beweis dessen aufheben zu lassen, wie hoch menschliche Kräfte selbst in unseren Tagen steigen könnten, wenn wir uns zur Gemeinschaft mit höheren Geistern einweihen ließen und nach diesem Zwecke unermüdet strebten.

Ich lasse diesen Aufsatz so, wie er geschrieben war, weil ich glaube, daß es dem Freunde der Wahrheit und dem Menschenkenner interessant sein wird, das treue Gemälde einer Seele zu sehen, – die Irrtum für Wahrheit hielt, ein eigenes System auf diesen Irrtum baute und dadurch von einem intriganten Gaukler so hingehalten ward, daß Wahrheit und die Rechte der Vernunft sich für sie in undurchdringliche Nebel hüllten.

Ich lasse diesen Aufsatz vom Jahre 1779 auf der einen Seite und meine jetzige Überzeugung nebst den in dieser Sache gemachten Entdeckungen auf der anderen Seite drucken, auf daß man Cagliostros Plan und den Gang seiner Betrügereien um so eher übersehen könne.Aus Gründen der Raumersparnis konnte der Neudruck dieser Textanordnung nicht folgen. Die »Anmerkungen und Erläuterungen« von 1787 sind daher als Fußnoten gebracht. Ich ersuche die Leser, jederzeit die durch Zahlen bezeichneten Anmerkungen von 1787 gleich nach den gegenüberstehenden denselben entsprechenden Stellen des Aufsatzes von 1779 zu lesen, und bitte besonders diejenigen, die noch Hang zum Wunderglauben haben, wohl zu erwägen, wie leicht man dabei mit den besten Absichten von groben Betrügern hintergangen wird. – Welchen Nachteil es der Menschheit gebracht hätte, wenn mein Aufsatz vom Jahre 1779 als Tatsache und historische Wahrheit in geheimen Gesellschaften bekannt geworden wäre, ohne dagegen Cagliostro zugleich als Betrüger aufzustellen, wird jeder fühlen, der den heutigen Hang zum Wunderglauben kennt. Auch in dieser Rücksicht danke ich Gott, daß ich meine ehemaligen Vorurteile habe erkennen lernen.

Mitau, den 3. Februar 1787.

 


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