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Am 19. Februar brach Kapitän Bartlett endgültig nach Kap Hecla auf. Marvin und seine Abteilung folgten am nächsten Tag, Dr. Wolf und seine Abteilung am übernächsten, und ich selbst zwei Tage später.
Als ich die »Roosevelt« verließ, erstreckte sich eine offene Wasserrinne von Kap Joseph Henry über die Kaps Sheridan und Rawson hinaus. Der nördliche Teil des Robeson-Kanals war offen. Es gab offenes Wasser längs der Küste von Grönland bis an die Klippen von Black Horn und anscheinend bis nach Kap Bryant, auch zahlreiche Tümpel und Rinnen befanden sich auf der Strecke von Kap Henry bis Kap Bryant.
Drei Tagemärsche brachten mich nach Kap Hecla, wo die ganze Expedition versammelt war. Unser Lager bestand aus Kapitän Bartlett, Dr. Wolf, Marvin, Henson, Clark und Ryan, mir selbst und einundzwanzig Eskimos, dazu kamen 120 Hunde. Das war genügend Personal für eine Hauptabteilung und fünf oder sechs Nebenabteilungen. Ich hoffte, sie würden meinem Programm gemäß imstande sein, bis nach einer so weit nördlich wie Abruzzis »höchster Punkt« gelegenen Basis, die ich zu meinem endgültigen Ausgangspunkt machen wollte, Vorräte zu bringen und die Verbindung nach rückwärts aufrecht zu erhalten.
Point Moß, ungefähr zwanzig Meilen westlich von Kap Hecla, ward als Ausgangspunkt vom Land festgesetzt. Zwei Tage vergingen bei Kap Hecla damit, die Hunde ausruhen zu lassen, Schlitten, Geschirre und Ausrüstung auszubessern und die Schlittenladungen umzupacken. Die Expedition, in sieben Schneehütten untergebracht, nährte sich von vier Moschusochsen, die gerade hinter Kap Hecla erlegt worden waren.
Am 28. Februar verließ Henson Kap Hecla mit einer Pionierabteilung und drei leichten Schlitten. Kapitän Bartlett und seine Abteilung folgten am nächsten Tag, dann Clark und seine Abteilung, dann Dr. Wolf, dann Marvin, Ryan und ich selbst. Während unsres Aufenthaltes am Kap Hecla war offenes Wasser längs des Eisfußes, und eine große Rinne führte vom Kap nach Norden.
Ich zitiere aus meinem Tagebuch: 4. März. Noch immer ein unangenehmer Westwind mit dichtem Schneegestöber. Als meine Leute vom Füttern der Hunde kamen, waren ihre Kleider vollständig in Schnee gehüllt.
Selbstverständlich wird alles durch den wütenden Wind gehemmt. Henson sollte schon drei Tagemärsche weit auf dem Eise sein, Bartlett zwei und der Doktor einen. Clark ist bei Point Moß, ich bin hier mit vier Mann, und Marvin sollte auf der Fielden-Halbinsel sein.
Aber ich habe keinen Grund, mich über das Wetter zu beklagen. Vom 19. bis gestern haben wir niemals wirklich schlechtes Wetter gehabt. Die ersten fünf Tage hier waren vortrefflich, wenn man die Lage und die Jahreszeit in Betracht zieht, und sie haben es mir ermöglicht, ohne ernstliche Störung die Abteilungen abzusenden und auf alle wesentlichen Einzelheiten achtzugeben.
Jetzt sind wir gut mit Nahrung versehen; die Hunde haben eine Menge zu fressen und sind gut untergebracht. Der Wind hat alles Wasser geschlossen, wenigstens für den Augenblick. Meine neue Erfindung, der Spiritusofen, bewährt sich vortrefflich und stellt in kürzester Frist Tee oder Kaffee her.
Marvin kam um 9 Uhr am Abend des 9. vom Schiff mit drei Eskimos und Ryan, dem Heizer, der den Platz des jungen Percy einnehmen sollte, da dieser mit einem verletzten Auge zum Schiff zurückgehen mußte. –
Am 5. brachen die letzten acht Schlitten nach Point Moß aus. Ich bildete mit Inueto den Nachtrab, da ich dafür sorgen mußte, daß die bei Hecla zurückbleibenden Sachen sich in Ordnung befanden und der feste Igloo (Winterhaus) dort gegen Wind und Schneewetter dicht war.
Der Tag war klar und kalt, mit heftigen Windstößen aus Nordwest, die uns mitten ins Gesicht bliesen.
Mein Schlitten, mit schweren Stücken der Ausrüstung beladen, war etwas oberlastig und schlug wiederholt um.
Ich kam kurz vor Mitternacht nach einem guten aber anstrengenden Tagemarsch bei Point Moß an. Es war strahlender Mondschein, und das Dämmerlicht erstreckte sich jetzt beinahe über den ganzen Norden.
Am 6. März verließ ich Point Moß und fuhr nordwärts vom Land weg über das Polareis.
Im Jahr 1902 verließ ich Kap Hecla gerade einen Monat später, um nach Norden zu gehen, und vier Jahre vorher am 6. März Payer-Hafen mit achtzehn Schlitten, um eine Reise anzutreten, die mich auf 84° 17' nördl. Breite brachte; eine große Reise, was die Entfernung und die Breite anlangt.
Ich zitiere aus meinem Tagebuch: Wenn ich es diesmal ebensogut machen kann, so werden wir siegen. Gott und alle guten Engel mögen es zulassen, daß ich dieses Siegeszeichen für unsere Flagge gewinne. –
Es dauerte ziemlich lange, bis wir uns unterwegs befanden, und es war Mittag, als wir ungefähr zwei Meilen nördlich vom Land den Rand des Eises verließen. Hier war die Sonne für wenige Minuten durch einen Einschnitt in den südlichen Bergen sichtbar. War es ein gutes Omen? Ich hielt es dafür.
Ein wundervoller Tag, klar, ruhig und bitter kalt, der südliche Himmel intensiv gelb, der nördliche rosenfarbig wie meine Träume.
Die Bahn war im Anfang gut, obgleich sich unsere Fährte hin und her schlängelte, wurde aber später äußerst schlecht.
Als wir Hensons ersten Igloo erreichten, blieben Marvin, Ryan und ich zurück und fingen an einen neuen zu bauen. Die Eskimos schickte ich mit der halben Ladung voraus, um weiter vorn ein Depot für Lebensmittel einzurichten und das Eis zu untersuchen. Sie kehrten mit der Meldung zurück, daß das Eis, seit die gestrige Abteilung passierte, sich sehr gespalten habe und die Fährte fehle. Zwei Schlitten hatten durch das Tagewerk beträchtlichen Schaden gelitten. Mein Abendbrot und Frühstück, bestehend aus Tee und rohen, gefrorenen Moschusochsenbeefsteaks, waren mehr als vortrefflich.
Wieder zitiere ich aus meinem Tagebuch: Der Kampf hat endlich angefangen. Wir sind draußen auf dem Eis des Polarmeers und steuern direkt auf unser Ziel los. –
Der 7. war wieder ein schöner Tag, etwas milder als der 6. Ein bald stärkerer, bald schwächerer Nebel entzog das Land und die Sonne zeitweise unsern Blicken. Bis zu den vorausgeschickten Ladungen kamen wir gut vorwärts und fanden dahinter nach einigem Suchen die unterbrochene Fährte auf jungem Eis wieder. Beim Überschreiten dieses Eises trat eine starke Pressung ein, und überall um uns herum begannen sich Rinnen und Spalten zu bilden. Manchmal entstanden solche mitten zwischen zwei aufeinander folgenden Schlitten, und es erforderte Schnelligkeit und Entschlossenheit, alle Schlitten auf einer alten Scholle von ungefähr hundert Yards im Durchmesser zu versammeln, um einige Zeit zu warten, bis die Bewegung im Eis aufhörte. Als dies eintrat, machten wir nach einer zweiten kurzen Suche die Fährte nach dem Norden ausfindig und folgten ihr bis zum zweiten Igloo. Hier blieben zwei Eskimos mit mir zurück, um einen Igloo zu bauen, während Marvin und Ryan ihre Plätze in den Schlitten einnahmen, um die vorausgeschickten Ladungen des vorhergehenden Tages herzubringen und mit den andern zurückzukehren. Bei ihrer Rückkehr berichteten sie, daß das Eis hinter uns noch in Bewegung sei, und daß sie das Depot gerade rechtzeitig erreicht hätten, um verhindern zu können, daß es von einem ungeheueren Spalt verschlungen würde.
Bei unserem Lagerplatz spaltete sich auf einmal die Scholle, auf der die Igloos gebaut waren, in zwei Teile, die Igloos wurden zertrümmert, und das Eis brüllte und stöhnte andauernd unter dem starken Druck. Der 8. war ein schöner Tag mit etwas Nordwestwind, aber das Land durch den Wasserdampf, der sich über den zahlreichen, durch den Eisdruck entstehenden Ritzen und schmalen Rinnen bildete, verborgen.
An diesem Tag kamen wir verhältnismäßig gut vorwärts, außer dort, wo die Bewegung im Eis die Spur verwischt hatte. Noch zwei Schlitten wurden beschädigt und hielten gerade noch zusammen, bis wir an den Lagerplatz kamen. Bei diesem Lager spaltete sich wieder die Eisscholle, worauf meine Igloos standen. Die Igloos zitterten und bebten, so daß einige der Eskimos in Schrecken herausstürzten. Das Krachen und die Unruhe im Eis dauerten während unsres Aufenthaltes in diesem Lager fort. Das Tageslicht nahm jetzt rasch zu. Ein Eisfenster, das wir in unsern Igloo eingesetzt hatten, ermöglichte es uns die ganze Nacht die Gegenstände in ihm zu unterscheiden. Am 9. fand ein früher Aufbruch statt, trotz heftigen Nordwestwindes und einer unangenehmen Drift. Einige Stunden später traf ich den Kapitän, der mit seinen Leuten vom Depot am Ende der ersten Marschstrecke, das er, wie von mir bestimmt, am 6. März verlassen hatte, zurückkehrte. Er hatte sich am vorhergehenden Tag von Henson getrennt und auf dem Rückweg den Doktor und Clark getroffen, so daß eine Unterhaltung von wenigen Minuten mich von den Erlebnissen und der Stellung eines jeden, der mir voraus war, in Kenntnis setzte. Er berichtete, daß das Eis überall in Bewegung sei, die Scholle, worauf gestern die vorausgeschickten Ladungen untergebracht worden waren, sei eine Meile oder mehr nach Südosten getrieben und die Fährte ein langes Stück verwischt. Ich gab ihm ausführliche Anweisungen, und er verschwand hinter meiner Abteilung, um in Hecla neue Ladungen zu holen, wir legten an diesem Tage eine gute Strecke zurück, obgleich wir ständig ostwärts trieben. Ich hoffte, das Eis würde mit dem Aufhören der Springfluten und bei der anhaltenden bitteren Kälte dauerhafter werden.
Am 10. war das Eis ruhiger. Es war wenig Wind, das Wetter schön und die Bahn verhältnismäßig gut. Ich zitiere aus meinem Tagebuch: Die Umstände sind zu günstig. Ich fürchte, wir haben offenes Wasser vor uns. –
Am 11. holte ich Clark und den Doktor bei dem Depot Nr.I ein und konnte beider Arbeit in einigen Kleinigkeiten vereinfachen und verbessern. An den beiden nächsten Tagen war das Wetter schön, aber es herrschte bittere Kälte. Der Kognak in meinem Schlitten war ständig gefroren. Am 15. holte ich Henson und den Doktor, deren Abteilungen zusammen lagerten, ein. Henson meldete, er sei vom Wetter aufgehalten worden. Ich gab ihm genaue Anweisungen und sandte ihn weiter. Dann schickte ich Marvin und seine Leute nach Hecla, um neue Vorräte zu holen, damit Henson einen Vorsprung bekäme, und verwandte meine eigenen und Clarks Leute dazu, die Vorräte aus Depot Nr.I herzubringen und neue Ladungen von diesem Lager aus vorwärts zu befördern. Während wir uns hier befanden, kam der Kapitän zurück; er war von Hecla sechs Tage unterwegs gewesen. Die Leute, die ich auf Hensons Fährte vorausschickte, berichteten, die Bahn sei hier noch sehr gut.
Ich zitiere aus meinem Tagebuch: 17. März. Ein herrlicher Tag, klar wie Kristall, die Sonne hat beinahe zwölf Stunden geschienen. Das Land deutlich sichtbar, aber nicht so weit entfernt, wie ich wünschte. Der Kapitän und seine Leute brachen früh auf, und Clark und die Seinen folgten bald hinterher. Ich bildete ein wenig später mit meiner Abteilung den Nachtrab. Nachdem wir uns ungefähr eine Meile weit durch furchtbar holperiges Eis durchgearbeitet hatten, kamen wir auf ein Eis, das so aussah, und Gott weiß, wie sehr ich hoffte, es möchte wirklich der Fall sein, als wäre es das verhältnismäßig unaufgebrochene homogene Eis des zentralen Polarmeeres. Ein schöner Anblick, die ebene, leicht gewellte Schneefläche, die sich anscheinend bis ins Unendliche nach Norden ausdehnte.
18. März. Ein neuer herrlicher, aber bitterkalter Tag, der Branntwein gefroren und das Petroleum weiß und klebrig; meine Hunde sehr müde und schlaff. Es ist ärgerlich, bei solchem Wetter und solcher Bahn nicht schneller vorwärts zu kommen, und nicht angenehm, im Nachtrab zu sein, jeden Augenblick in Gefahr, den Anschluß zu verlieren. Aber ich habe den Trost, zu wissen, daß die vorderen Abteilungen ein gutes Stück voraus sind oder sein sollten, und daß ich in kurzem an dem mir zukommenden Platz, an der Spitze sein und die Luft einatmen werde, die direkt vom Pol kommt, ohne daß sie vom Leben in irgend einer Gestalt berührt worden wäre. In diesem Lager wurde ein neuer Schlitten aus zwei zerbrochenen gemacht. –
Und so ging die Arbeit weiter. Die verschiedenen Abteilungen gingen und kamen und ich selbst stand mit allen in Verbindung, indem ich meine Vordermänner antrieb und den Nachtrab vorwärtszog. Ich befand mich sozusagen in einer Stellung, wo ich jede Stockung ausgleichen und die Entfernungen zwischen den Abteilungen so abmessen konnte, daß das Bauen von Igloos auf das geringste Maß beschränkt und die Verwirrung, die entstehen mußte, wenn zwei oder drei Parteien zusammengepfercht würden, vermieden wurde. Es war eine stumpfsinnige, harte Arbeit bei bitterer Kälte. Der Branntwein hielt sich gefroren und das Öl klebrig, aber jedermann war eifrig und heiter. Der Kapitän, der Doktor und Clark die ganze Zeit auf dem »qui vive«, und die Eskimos mit ihrer gewohnten Bereitwilligkeit vorwärtsdrängend. Am 22. wurde an meinem Lagerplatz auf einer großen Scholle, die zu diesem Zweck ausgewählt worden war, Depot Nr.II eingerichtet. Wenn das Werk auch nicht mit der Schnelligkeit, die ich gewünscht hätte, vorwärtsschritt, so ging doch alles so unwahrscheinlich glatt, daß ich immer in Furcht lebte, es möchte weiter voraus ein unübersteigbares Hindernis unsrer harren. Und doch hatte ich das Gefühl, daß es einer zwanzigjährigen Arbeit voller Enttäuschungen und Opfer endlich beschieden sein müßte, zum Siege zu gelangen. In der Nacht auf den 21., die wir in diesem Lager verbrachten, frischte ein Wind von Westen auf, der mit scharfem Ungestüm am 22. Tag und Nacht wehte und deutliche Veränderungen im Eis verursachte. Unsere große Scholle krachte und brüllte häufig, und die Wände unsres Igloo spalteten sich, freilich nur so weit, daß sie noch ausgebessert werden konnten. Für die Hunde wurde ein Windschutz errichtet, und sie bekamen doppelte Rationen. Der 22., ein bitterkalter Tag, war der erste, seit ich das Land verlassen hatte, an dem ich mich durch das Wetter aufhalten ließ, ich hätte aber auch an diesem Tag die Reise fortsetzen können, wenn es notwendig gewesen wäre. Aber wir wären doch nur auf die Abteilung des Kapitäns gestoßen, der mir jetzt nur einen Tagemarsch voraus war. Dadurch hätten wir uns der unnötigen und unangenehmen Arbeit und Unbequemlichkeit ausgesetzt, bei dem Wind und Schneegestöber einen neuen Igloo bauen zu müssen. Beim Aufbruch fand ich, wie erwartet, daß der Sturm große Veränderungen im Eis verursacht hatte. Ein paar Meilen vom Lager bekamen wir Mühe, eine neugebildete Öffnung, die mehr als hundert Yards breit war, zu überschreiten, und an zwei anderen Stellen fanden sich gewaltige Druckrinnen quer durch die Spur des Kapitäns. Offenbar hatte sich das nördliche Eis nach Osten geschoben.
Einige schmale Rinnen, die von der Abteilung des Kapitäns überschritten waren, und auf denen die starke Kälte schon neues Eis gebildet hatte, bereiteten uns keine Schwierigkeiten. Das Lager am Ende dieses Tagemarsches wurde in einer Höhle zwischen zwei gewaltigen Hügeln auf einer großen alten Scholle aufgeschlagen.
Ich zitiere aus meinem Tagebuch: Obgleich ich beständig dagegen ankämpfe, kann ich es nicht lassen, unter Verhältnissen wie den heutigen mich Gedanken an Erfolg hinzugeben. Wenn ich meinen Weg dahinziehe, werde ich so ungeduldig, daß ich am liebsten nicht bei den Igloos verweilen, sondern unentwegt weiter geradeaus fahren möchte. Heute nacht kann ich kaum schlafen und warte nur darauf, daß sich die Hunde genügend ausgeruht haben, um wieder aufzubrechen. Dann muß ich daran denken, was es für eine Wirkung auf mich ausüben wird, wenn irgend ein unüberwindliches Hindernis, sei es offenes Wasser, oder völlig unpassierbares Eis, oder ein ungeheurer Schneefall, mich jetzt, wo alles so ermutigend aussieht, aus der Bahn werfen sollte. Wird es mir das Herz brechen, oder wird es mich einfach betäuben und stumpf machen? Und dann denke ich: Was kümmert mich das weiter, spätestens in zwei Monaten wird die Spannung vorbei sein, und ich werde wissen, welche Wendung die Dinge genommen haben. Und wie auch der Ausgang sein mag, ehe die Blätter fallen, werde ich wieder in Eagle Island sein und mit Jo und den Kindern über die wohlbekannten Stätten dahinwandern, wenn die Vögel singen, der Wind in den Bäumen rauscht und die Wellen gegen des Ufer plätschern. Gibt es das alles wirklich auf diesem erstarrten Planeten? –
Vier gute Tagemärsche wurden vom Depot Nr.II bei gutem Wetter zurückgelegt. Vor zehn Jahren hätte ich jeden dieser Tagemärsche für volle fünfzehn Meilen lang gehalten, jetzt hoffte ich, es möchten wenigstens deren zwölf sein. Auf dem zweiten Marschtage hatten wir ziemlich viel junges Eis, von dem ich fürchtete, es könnte dem Kapitän auf seinem Rückmarsch Schwierigkeiten bereiten. Ein starker Wind würde jederzeit zur Folge haben, daß es von den großen Schollen zu beiden Seiten wie Fensterglas zertrümmert würde, und nur einige unregelmäßige Spalten zum Zeichen, daß es einmal vorhanden war, zurückbleiben. An einem der Lagerplätze hatten wir die bisher unerquicklichste Nacht. Wir selbst und alles im Igloo waren mit einer dicken Eiskruste überzogen, und es schien unmöglich, den Ofen heiß genug zu bekommen, um unsern Tee zu kochen. Das Thermometer, welches ich bei mir getragen hatte, um einen Bruch zu verhindern, bekam bei einem Fall auf dem holprigen Eis eine Blase und konnte sich nicht wieder erholen. Es war indessen sicher, daß die Temperatur einige sechzig Grad unter Null betrug. Schwierigkeiten machten uns auf diesen Märschen mehrere Rinnen, die zu bedeutenden Umwegen nötigten. Die Aufzeichnungen vom Kapitän und Henson in den Igloos zeigten, daß es ihnen ebenso gegangen war.
Ich zitiere aus meinem Tagebuch: 25. März. Heute morgen vertauschte ich den leichten Rock aus Hirschleder, den ich bisher getragen hatte, mit einem älteren aber trockenen Rock. Der frühere war einfach aufgeweicht, solange ich ihn anhatte, fror fest, sobald ich ihn ablegte, und mußte am Morgen durch die Wärme meiner Hände wieder aufgetaut werden. Die letzte Nacht war etwas behaglicher als die vorige, aber nicht viel. Es gelang mir, die Blase aus dem Thermometer zu entfernen, und als ich es aus dem Igloo herausnahm, fiel es so schnell von -25° F, -31,7 °C der Temperatur unserer Lagerstätte, auf der es in der Nähe meines Kopfes gelegen hatte, daß ich zuerst fürchtete, es sei zerbrochen. Es blieb schließlich bei -61½° F -52,5 °C stehen. Ruf dem Marsch hat es von -55° -48,9 °C und -53° bis -50° -45,6 °C in der Sonne geschwankt und doch war heute der behaglichste Tag der vergangenen Woche. Meine Eskimos bekräftigen dies. Es tut mir leid, daß ich das Thermometer nicht früher in Tätigkeit setzte. Wir müssen einige Rekordtemperaturen gehabt haben.
Gestern las ich einen Hund, der von einer der vorderen Abteilungen zurückgelassen worden war, auf, gab ihm am Abend zu fressen und schützte ihn im andern Igloo so, daß der Wind ihn nicht erreichen konnte. Als ich dann heute zu ihm kam, spitzte er seine bisher herunterhängenden Ohren, und nachdem er ein zweites Stück Pemmikan gefressen hatte, legte er sich nieder und wälzte sich auf dem Rücken wie jeder zivilisierte Hund. Er ist gänzlich nutzlos, der arme Hund, aber er hat sich zweifellos redlich angestrengt, und da ich gerade Pemmikan übrig habe, soll er noch nicht sterben. Heute hat er sich in einem der Gespanne ganz gut gehalten, und seine bisher hoffnungslosen Augen glänzen, meine ich, wenn er mich ansieht.
Ein klein wenig junges Eis auf unserm heutigen Marsch und einige prächtige alte Schollen mit Eishügeln, die wie Bergketten aussehen. Die Sonne läuft schnell, um ihre Bahn zu vollenden; und heute mittag scheint mir eine leise Wärme in ihren Strahlen zu sein.
Heute ist es dunstig und nebelig gewesen, wie in den ersten Tagen, nachdem wir das Land verlassen hatten; ein Wetter, das ich nicht liebe, da es gleichbedeutend ist mit Spalten und Rinnen im Eise. Aber die kalte und ruhige Witterung, die wir jetzt haben, ist gerade geeignet, das Eis fester und fester zu kitten und schnell die neuentstehenden Spalten oder Risse passierbar zu machen. Ich hoffe, daß es sich so hält, bis wir wieder zum Land zurückkommen; je kälter und ruhiger, desto besser. Ich brauche keinen Wind und kein mildes Wetter, bis wir wieder an Bord sind.
26. März. Ein herrlicher Tag, und ein wundervoller Marsch, die schönste Bahn – und dann auf einmal: halt! – wie ich die ganze Zeit gefürchtet habe. Ich habe die letzten Tage zuviel geträumt; die Folge davon mußte natürlich die Vernichtung aller meiner Hoffnungen auf einen raschen Erfolg sein. –
Früh am Morgen hörten wir den bekannten Laut vom Mahlen des Eises, und sahen, daß die Rinne, neben der wir uns gelagert, so eng geworden war, daß wir uns dem unsicheren Eis nicht anzuvertrauen brauchten. Rasch hatten wir unsere Sachen gepackt, setzten hinüber und folgten der neuen Fährte des Kapitäns, die sich allmählich westwärts wandte, bis sie Hensons Fährte oberhalb seines Igloo schnitt. Das Thermometer hatte in der Nacht -60° F -51,7° C gezeigt und stand bei unserem Abmarsch auf -52° F. -46,1 °C
Auf Hensons Fährte gestoßen, setzten wir unseren Weg über große alte Schollen festen Eises fort. Ab und zu kamen nicht besonders schwer zu überschreitende Eisrücken, und nach einem tüchtigen Marsch erreichten wir Hensons Igloo.
Seine Aufzeichnungen besagten, daß er während des Sturmes am 22. hier gewesen und am 23. weitergezogen war. Eine nicht datierte Nachschrift teilte mit, daß sich etwas weiter nördlich ein Igloo befände und dann eine Rinne käme. Auch vom Kapitän fand sich eine Nachricht. Er war am 25. von hier aus aufgebrochen, um sich mit Henson zu vereinigen.
Als ich mich den Igloos näherte, nahm ich an dem nördlichen Rande der Scholle einen dunkeln Gegenstand wahr, und jetzt hielt ich ihn für eine leere Büchse oder ein weggeworfenes Stück Zeug auf dem Dach eines Igloo.
Nachdem meine Leute herankamen, fütterten wir die Hunde, brachten unsere Sachen herein und fingen an den Tee zu bereiten. Da sagte Ahngmalokto, daß er vor uns Hunde höre. Ich überließ es ihm, den Tee fertig zu machen und ging hinaus, um Nachforschungen anzustellen.
Bald sah ich den Kapitän auf mich zukommen und fand hier drei Abteilungen an einer breiten offenen Rinne angesammelt; die sich nach Westen und nach Osten, weiter als wir sehen konnten, quer durch unsern Kurs erstreckte. Ich fing augenblicklich an, die Rinne zu untersuchen. Von einem Gipfel sah es so aus, als wäre eine Möglichkeit vorhanden, sie in der Nacht zu überschreiten. Das Eis auf der nördlichen Seite der Rinne bewegte sich langsam nach Westen.
Ich befahl Henson, seine Leute fortwährend Wache halten und wenn die Möglichkeit eines Überganges sich böte, es jedermann wissen zu lassen, um so schnell als möglich hinüberzukommen. Dann ging ich nach meinem Igloo zurück.
Nach dem Tee sandte ich dem Kapitän eine kurze Mitteilung, er möchte, falls er hinüberkommen könnte, zwei Tage mit Henson weiterziehen und dann zurückkehren. Henson erteilte ich den Auftrag, bei der erstmöglichen Gelegenheit die Rinne zu überschreiten und weiter vorwärtszudringen.
Früh am Morgen des 27. ging ich hinaus, um nachzusehen, wie die Dinge lägen. Ich traf den Kapitän, der mir die Meldung brachte, Henson sei aufgebrochen, um in westlicher Richtung einen Übergang zu suchen, und er selber sei im Begriff, ihm zu folgen.
Als er wegging, erklomm ich einen Hügel, doch was ich sah, diente nicht dazu, mich zu ermutigen. Die Rinne wurde deutlich breiter. Ich ließ dem Kapitän sagten, er sollte, wenn er nicht hinüberkommen könne, mit allen Leuten zurückkehren und wollte ihn und Clark mit ihren Abteilungen zur Ergänzung unserer Vorräte zurücksenden. Ich konnte unmöglich alle Gespanne und Leute während eines Aufenthaltes, der sich tagelang hinziehen konnte, ernähren.
Der Kapitän und Clark waren vor Mittag mit sieben Schlitten unterwegs, und ich verlegte mein Quartier an die Rinne hinauf. In der Nacht verbreiterte sich die Rinne noch mehr und das Eis bewegte sich langsam nach Westen. Die tiefste Temperatur betrug während der Nacht -66° F, -53,9 °C am Tag ungefähr -60°. -51,1 °C
Das nördliche Eis war am 28., einem klaren Tag, noch immer in langsamer Bewegung nach Westen.
Ich sandte Henson und einen Eskimo mit einem leichten Schlitten nach Westen, um die Rinne abzugehen. Sie berichteten, daß die Rinne in dieser Richtung breiter würde und sich ein Zweig nach Nordwesten, einer nach Südwesten erstrecke.
Zwei Eskimos, die nach Osten gesandt waren, meldeten, die Rinne sei auf dieser Seite unpassierbar, ein Zweig erstrecke sich nach Südosten. Die Rinne verbreiterte sich langsam, so daß das junge Eis keine Zeit fand, fest zu werden.
Spät am Abend barst das Eis um uns herum nach einigem vorhergehenden Krachen mit lautem fürchterlichem Getöse, daß der Igloo erzitterte.
Ich sah, daß sich in unsrer Scholle eine ungefähr zwölf Fuß breite Spalte etwas südlich von uns gebildet hatte und wir von der Hauptscholle getrennt waren. Das Wetter war schön, wenn auch nebelig, die Bewegung im nördlichen Eis im Abnehmen, und die Rinne fror zu. Ein zweiter schöner Tag folgte. Die Bewegung im Eis hatte wirklich aufgehört, und die Rinne sich so weit geschlossen, daß der aus ihr aufsteigende dichte Dunst, der uns die Aussicht nach Norden versperrt hatte, verschwand.
Die Eskimos behaupteten, im Norden Wasser zu sehen, aber ich sah nichts als Luftspiegelung und weigerte mich, nicht eher daran zu glauben, als bis ich es vor meinen Füßen hätte.
Zuverlässige Messungen mit Sextant und Durchgangsfernrohr ergaben 84° 38' nördl. Breite und annäherungsweise 74° westl. Länge und eine westliche Mißweisung von 107½°. Wir waren etwas weiter westlich, als ich beabsichtigte, weil Henson und seine Abteilung die Gewohnheit hatten, allen Rinnen und allen Gebieten von schlechtem Eis nach links auszuweichen.
Ich schlief nicht viel in der Rächt zum 30., obgleich ich mich körperlich ganz wohl fühlte, und wir frühstückten zeitig.
Ein rauher, nebeliger, drohend aussehender Morgen mit einer Brise gerade von Südsüdwest, die, wie ich fürchtete, zu einem Sturm anwachsen konnte. Am Nachmittag und Abend klärte es aber auf und wurde wieder schön, so daß ich gerade noch meine Beobachtungen anstellen konnte.
Die Bewegung im Eis hatte jetzt gänzlich aufgehört, und am Nachmittag des 31. war das junge Eis auf der Rinne, die jetzt ungefähr zwei Meilen breit war, sicher, außer einem hundert Fuß breiten Streifen in der Mitte, der einen schmalen Spalt offenen Wassers umschloß.
Ich sandte Henson mit einem Mann und dem langen Schlitten nach Osten auf das junge Eis, und er berichtete, daß die Hauptrinne schmäler werde und sich in verschiedene Arme spalte, von denen der eine sich gerade nach Südosten erstrecke. Der Streifen von jungem Eis und die Wasserritze setzten sich nach Osten fort.
Am Nachmittag ließ ich die Leute eine Schlittenbahn durch das Eisgeröll, das an die Rinne grenzte, bis an das junge Eis aushauen, um gegebenenfalls den Übergang am nächsten Tage ausführen zu können.
Sonntag, 1. April. Heute war herrliches Wetter, kein Fleckchen oder Wölkchen am Himmel, und die Sonne schien strahlend und verhältnismäßig warm.
Es war eine Schande, bei solchem Wetter müßig zu liegen, und doch keine andere Möglichkeit. Man konnte auch bei solchem Sonnenschein nicht ernstlich niedergeschlagen sein. Am Morgen hatte sich die Mitte der Rinne geschlossen, so daß ein Mann, der weit ausschreiten kann wie der Polarbär, sie überschreiten konnte, aber eine östliche Bewegung des nördlichen Eises hatte im Laufe der Nacht eine ungefähr 200 Fuß breite Stelle auf der Nordseite der Rinne geöffnet, die den Übergang ganz unmöglich machte. Die Richtung der Strömung war immer noch westlich. Ein leichter Luftzug von Nordosten, Norden und Nordwesten während des ganzen Tages würde, wie ich hoffte, die Rinne bis zum Morgen schließen.
Wir fuhren fort, unsere Kleider in der Sonne zu trocknen und allerhand überflüssige Arbeiten zu verrichten, um uns die Zeit zu vertreiben und nicht denken zu müssen. Es war quälend, so viele Tage von seiner Arbeit und seinem Ziel zurückgehalten zu werden, aber es gab gewiß noch viele Aussichten auf Erfolg. War es doch noch früh im Jahr und Hunde und Menschen in guter Verfassung. Ich konnte den Glauben nicht fallen lassen, daß wir, wenn wir einmal diese Rinne (den Hudson River!) überschritten hätten, die ohne Zweifel die durch die Gezeiten hervorgerufene Spalte zwischen dem Landeis des Lincoln-Meeres und dem zentralen Packeis war, gute Bahn haben und nur wenig vom Wasser aufgehalten werden würden.
Ich ließ zwei Haufen von leeren Pemmikanbüchsen errichten, den einen auf dem Gipfel des Beobachtungshügels und den andern auf einem hohen Hügel im Westen.
Ich zitiere aus meinem Tagebuch: Am 2. April. Endlich den Hudson River überschritten, nach einem Verlust von sieben Tagen schönen Wetters.
Ryan kam gestern abend um neun Uhr mit seinen drei Leuten: Ahngodoblaho, »Teddy« und Itukashoo, hier an. Er berichtet von Verzögerungen durch offene Wasserrinnen, einmal an den Igloos, wohin der Doktor zurückkehrte, dann wieder diesseits von Depot II und auf seinem Marsch hierher, was die Gesichter meiner Leute lang werden läßt. Auch der Kapitän war durch offenes Wasser gehindert worden und hatte drei Tage bis zum Depot gebraucht. Ryan war ihm noch gerade auf unserer Seite begegnet.
Ferner berichtet er von den Igloos des Doktors in der Nähe des Landes, daß das Eis keine Bewegung gezeigt und am 22. dort kein Wind geweht habe.
Er brachte sehr leichte Ladungen. Aber alles hilft, und Marvin und Clark müssen dicht hinter ihm sein. –
Meine Ungeduld wegen der Rinne wollte mich nicht schlafen lassen, so daß ich um 2 Uhr nachts den Tee fertig hatte und zwei Leute zur Untersuchung ausschickte. Sie waren lange fort, und ich war zu dem Schluß gekommen, daß sie keine Übergangsstelle gefunden hätten, als sie mit dem Bescheid zurückkehrten, sie glaubten, das Eis würde an einer Stelle etwas westlich von dem Ort, wo wir es beobachtet hatten, den Übergang aushalten. Ich ließ alle Leute aufbrechen und sandte alle Schlitten mit leichten Ladungen hinüber. Sie kehrten leer wieder zurück und alles übrige wurde schleunigst aufgeladen. Dann schickte ich Ryan und zwei seiner Begleiter, den dritten nahm ich mit mir, zurück und ging selbst mit allen meinen Leuten hinüber.
Während diese das Eis untersuchten, hatte ich für Marvin, Clark, den Kapitän, den Doktor und Ryan selbst Verhaltungsmaßregeln aufgeschrieben, die der letztgenannte mitnahm.
Henson packte seine Schlitten und machte sich um acht Uhr morgens auf den Weg. Meine Leute bauten einen Igloo, versahen die Hunde mit einer doppelten Ration, während ich die Ladungen zurechtmachte und das Übrigbleibende unter einem Vorsprung an einem Hügel der alten Scholle verbarg, auf der wir lagerten. Es war schönes Wetter, aber kalt, und die Bahn nach Norden schien gut. Ich hoffte, sie würde es auch wirklich sein.
Der Standort macht viel aus: Von hier aus erschien der breite Hudson River viel schöner als von der andern Seite, und wenn man über seine glänzende Oberfläche nach den purpurnen Schatten unter den gegenüberliegenden Eishügeln blickte, konnte eine sehr lebhafte Phantasie sogar eine Ähnlichkeit mit seinem Namensvetter herausfinden.