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VIII. Längs der Küste von Grönland bis an die »Roosevelt«

Müden Schrittes zogen wir nach Westen, um die »Roosevelt« wieder zu erreichen. Ein Eskimo mußte beständig auf gleicher Höhe mit uns in der Nähe der Küste marschieren und nach Hasen Ausschau halten. Allerdings nur Moschusochsen konnten uns retten, und anstatt die Luftlinie nach dem nördlichen Ende der Britannia-Insel zu wählen, den Weg, den ich im Jahre 1900 eingeschlagen hatte, entschloß ich mich, gerade nach der Nordspitze der Ellison-Insel und von da um das südliche Ende der Britannia-Insel herum, zwischen ihr und dem Festland hindurch, und dann die Küste herunter bis nach Kap May und Kap Bryant zu ziehen, da ich überzeugt war, daß wir in Nares-Land und in der Nähe von Kap May Moschusochsen finden würden.

Unser erstes Lager war gerade auf der Höhe des steilen schwarzen nördlichen Vorgebirges der Ellison-Insel. Clark und Pooblah kamen erst drei Stunden nach uns andern an. Sie konnten nur eben dahinkriechen. Als wir das Lager verließen, trieb ich sie fort, sobald sie ihren Tee getrunken hatten; sie kamen so langsam vorwärts. Bei klarem, ruhigem Wetter hielten wir auf das südliche Ende der Britannia-Insel zu.

Wir erreichten die flache Landzunge, die das Südende bildet, und ich sandte Panikpah landeinwärts, um nach Hasen auszuspähen. Bald nachdem wir um die Spitze herumgekommen waren und auf Kap May zuhielten, hörten wir einen Schuß. Wir setzten unsern Marsch fort, solange wir irgend konnten, jedermann schleppte sich weiter; Clark und Pooblah waren außer Sehweite im Nachtrab. Der Schnee war ungefähr drei Fuß tief; unpassierbar für eine Gesellschaft ohne Schneeschuhe, aber für Leute mit Schneeschuhen, die nicht erschöpft waren, gute Bahn. Für uns war es eine schwere Arbeit. Wir lagerten uns auf dem Eis an der Kreuzung unsres Kurses mit einer zwischen der Victoriabucht und der Beaumont-Insel gezogenen Linie. Kurz ehe wir halt machten, hörte ich einen zweiten Schuß von Panikpah. Wir hatten einen Hund für das Abendessen getötet, und waren dabei, ihn zu zerlegen, als Ootah, der das Land sorgfältig durch das Fernglas beobachtete, laut aufschrie: »Oomingmuksue!« (Moschusochsen.) Der Schrei wirkte elektrisierend auf uns alle. Ich sprang aus dem Zelt hinaus und fand ihn dabei, nach dem Ufer des Nares-Landes hinüberzuspähen. Ich ergriff das Fernglas und entdeckte sieben schwarze Punkte auf der Höhe des steilen Ufers, anscheinend gerade über dem Eisfuß.

Eilends nahm ich meine Fausthandschuh, band mir die Schneeschuhe an, befahl einem Mann, meinen Karabiner und die Patronen zu holen und den anderen, die Hunde an den leeren Schlitten anzuschirren; dann jagte ich, so wie ich war, in meinem Flanellhemd davon, da ich meinen Kooletah, den hirschledernen Rock, abgeworfen hatte, als ich mich im Zelt mit dem Zubereiten des Tees beschäftigte.

Ich war ebenso kopflos wie die andern, und erst als ich in einiger Entfernung vom Zelt merkte, daß ich förmlich rannte, kam ich wieder zur Besinnung.

Es war zu spät, um meinen Kooletah und den Petroleumofen zu holen, aber ich verlangsamte den Schritt etwas, der in unsrer Aufregung angeschlagen wurde.

Die Moschusochsen waren nicht weniger als sechs Meilen entfernt, und wir, schwach und wundgelaufen, wie wir nach dem anstrengenden Tagemarsch waren, der hinter uns lag, wollten in unserm Eifer auch noch rennen. Aber dann und wann ertappte ich mich dabei, daß ich wieder unwillkürlich zu laufen anfing. Wir waren unsrer neun, Henson, ich und sieben Eskimos. Clark und Pooblah und Panikpah befanden sich noch nicht im Lager, als wir aufbrachen. Ehe die Hälfte des Weges zurückgelegt war, fiel Henson ab und kehrte wieder um. Ich hätte mich ihm gern angeschlossen, aber die Moschusochsen bedeuteten zuviel für uns. Ich fühlte, daß das Wohl und Wehe der Gesellschaft von mir abhing. Wir hatten wenig Patronen, konnten uns nicht dem aussetzen, eine zu verschwenden, und ich durfte mich nicht auf meine erregten Leute verlassen.

Als wir ungefähr zwei Meilen von den Tieren entfernt waren, kamen mir einige Bedenken. Ihren Blicken voll ausgesetzt, kam es mir vor, als ob unsere Schneeschuhe einen donnerähnlichen Lärm mochten. Dann fürchtete ich, daß die aus Haut und Knochen bestehenden Wesen, die wir Hunde nannten, nicht Kräfte genug haben würden, uns das Wild zu stellen.

Wir hatten uns den Tieren jetzt bis auf eine Meile genähert. Ich schickte zwei Eskimos mit zwei Hunden voraus und folgte selbst mit meinem Karabiner dicht hinterher.

Als der graue Hund die Moschusochsen sah und losgemacht wurde, kehrte meine Furcht wieder: würde er Kraft genug haben, sie zu stellen und dabei ihren Hörnern zu entgehen?

Das Ufer bestand hier aus einem steilen Wall, ähnlich einem Eisenbahndamm, der in einem Winkel von ungefähr 30º abfiel und eine Höhe von etwa dreihundert Fuß hatte. Die Tiere waren gerade hinter dem Kamm des Walles.

Wie ein dünner Schatten lief der graue Hund geradeswegs den Abhang hinauf, während die kleine schwarze Hündin folgte. Ich sah die Moschusochsen aufspringen, um wegzulaufen, dann aber die Hunde annehmen.

Als dann der Kamm des Abhangs sie vor mir verbarg, sah ich plötzlich, wie der Körper der armen Hündin in die Lust flog. Das arme Tier, es war sehr treu gewesen, aber sein Mut größer als seine Kraft, und die scharfen Hörner waren ihm zu schnell gewesen. Würde ich zur Zeit kommen, oder würde der Ochse den grauen Hund der Hündin nachsenden und dann Meilen von Schnee und Felsen zwischen uns und seinen zottigen Harem legen, ehe er wieder anhielt?

Ich ging so schnell als möglich den Abhang hinauf, aber meine Geschwindigkeit war nicht groß, mein Herz klopfte, bis der Kamm des Abhanges über mir wie ein Nordlicht tanzte, und Mund und Nase zugleich konnten mir nur halb soviel Luft verschaffen, als ich brauchte. Die zwei Eskimos, die die Hunde geführt hatten, waren gerade vor mir, Ahngmalokto an meiner Seite, und die andern vier lagen am Eisfuß, um Atem zu schöpfen. Ich erklomm den Kamm und sah die Moschusochsen in der üblichen sternartigen Gruppierung mit den zottigen Gestalten, den weißen Hörnern und den funkelnden Augen; der Körper der Hündin lag ein Stück davon entfernt, während der graue Hund den Bullen anbellte und beharrlich seinen heftigen Angriffen auswich. Das arme Tierchen, seine schwachen Beine beugten sich unter ihm, es stolperte immer wieder bei seinen Versuchen, den Angriffen des Ochsen zu entgehen, und die Bewegungen seiner mageren Weichen waren schmerzlich zu sehen, aber die Blutgier leuchtete ihm aus den Augen, das Wolfsherz seines Vaters hielt den Hund an die Arbeit, und jedesmal, wenn der Bulle zur Herde zurückkehrte, erneuerte er seinen Angriff.

»Halte sie noch ein oder zwei Augenblicke, mein tapferer Grauer, bis ich Atem geschöpft habe, dann werden wir uns beide satt essen können.«

Ich stieß meine Schneeschuhe von den Füßen und setzte mich einen Augenblick darauf, um mich zu sammeln. In diesem Augenblick zogen alle die anstrengenden Tage, seit wir auf knappe Rationen gesetzt waren, an meinem Geist vorüber; die furchtbaren täglichen Mühen; die düstere Wartezeit am Styx, wo wir einer Gelegenheit, die Welt wiederzugewinnen, harrten; das erschöpfende Vorwärtsdringen durch das aufgebrochene Eis; das teuflische Stöhnen und Krachen der Eisschollen; die nie weichende Angst vor neuem, offenem Wasser; das unablässig nagende Gefühl des Hungers; die kranken und schmerzenden Füße; das Brennen der Augen und des Gesichts; die zunehmende Schwäche; die Tantalusqualen verursachenden Bissen von Hasenfleisch, seit wir das Land erreichten, und immer die Hoffnung und dies Bild vor mir, im Wachen wie im Schlafen: eine Herde Moschusochsen, die es uns noch einmal ermöglichen würde, uns satt zu essen, hier waren sie. Nun ans Werk! Ich zog meine Handschuhe aus, schob eine Patrone in den Lauf meines Karabiners und ging auf die Herde zu. Der treue Ahngmalokto rief: »Geh nicht so nahe, Peary«, aber diese winzige Herde Moschusochsen war eine Kleinigkeit im Vergleich zu der Rinne, deren schwarzen Fluten wir uns alle ausgesetzt hatten, und ich schritt mitten zwischen den grauen Hund und den Bullen hinein. Piff, paff! Ein kleines Büschel von Haaren flog gerade hinter dem Schulterblatt des Bullen heraus. Er hatte jetzt an andres zu denken als an den grauen Hund, obgleich er nicht zu Boden sank. Meine Kugel hatte sein Herz verfehlt und war durch die Lungen gegangen. Paff! der andere Bulle machte einen Sprung nach vorn, blieb stehen, taumelte ein oder zwei Schritte rückwärts, dann legte er sich auf die Seite. Ich hatte besser gezielt. Piff, paff! die beiden alten Kühe folgten. Paff! die junge Kuh ging denselben Weg. Die beiden Jährlinge standen dicht nebeneinander, starr vor Schrecken. Ich ging zwei oder drei Schritt auf die Seite und bekam ihre Schulterblätter in eine Linie; piff, paff! die eine Kugel durchbohrte die Herzen der beiden Tiere, schlug gegen einen Felsen auf der andern Seite, und die beiden Tiere fielen aufeinander. Ich hatte eine Kugel übrig, und diese schenkte ich aus Barmherzigkeit, um seinen Leiden ein Ende zu machen, dem großen Bullen, der mit zitternden Beinen und blutigen Nüstern dastand und nach Atem rang. Als er zu Boden sank, konnte ich mich von dem Gedanken nicht losmachen, daß es eine Schande sei, auf so mörderische Weise in ihr ruhiges Leben einzugreifen. Aber ihr Leben war friedlich und ihr Ende schnell gewesen, während wir durch den Vorhof der Hölle gewandert und Zoll für Zoll gestorben waren; und überhaupt, was würde es in hundert Jahren ausmachen, ob ihre Gebeine hier an diesen arktischen Abhängen bleichten, und meine – wer kann sagen wo?

Ich hatte dieselbe Sache vor elf Jahren durchgemacht, aber solche Erfahrungen steigern die Elastizität eines Mannes nicht. Ich warf mich auf den Körper des Ochsen, da er weniger kalt und hart war als der Schnee, und hörte das Geschrei meiner Eskimos, als sie auf die Leichname losstürzten, dann das Klappern der Messer und das Schmatzen der Lippen. Dann zwang mich die Kälte, mich aufzuraffen. Bis auf die Haut in Schweiß gebadet und außen mit einer Eisschicht umgeben, wußte ich, was für unangenehme Stunden mir bevorstanden, und als ich einige Bissen von dem rohen Fleisch gegessen hatte, hüllte ich mich eilends in eins der Felle ein, um mich zu erwärmen. Es half nichts. In meinem durchnäßten, erschöpften und ermüdeten Zustand schien das frische Fell mir keinen Schutz gegen den beißenden Wind zu bieten, und während der nächsten zwölf Stunden zitterte und fror ich in meinem Flanellhemd, während die Eskimos und Hunde aßen, bis sie am Platzen waren.

siehe Bildunterschrift

Quer über die Fieldenhalbinsel.

Dann wurden das Zelt, die wenigen übriggebliebenen Lagergeräte und der Rest der Abteilung hergeholt. Ungefähr eine Stunde ehe sie kamen, fing der Wind an mit noch größerer Heftigkeit über das Land hinzufegen, was mein Übelbefinden steigerte, und ich war mehr als glücklich, als ich in das Zelt kriechen konnte, wo die Nacht infolge des Windes kälter zu sein schien als irgendeine auf der ganzen Reise.

Die Moschusochsenherde bestand aus einem großen Bullen, einem kleineren Bullen mit leicht mißgebildeten Hörnern, zwei ausgewachsenen Kühen, von denen die eine ein wenige Tage altes Kalb hatte und die andere in einigen Tagen kalben sollte, einer jungen Kuh und zwei Jährlingen, der eine männlichen, der andere weiblichen Geschlechts.

Alle diese Tiere waren sehr mager und sahen beinahe aus wie Skelette, als das Fell entfernt war, aber ihre Mägen waren voll und die Felle in guter Verfassung, gar nicht zottig, wie die Felle der Moschusochsen an der Independence-Bai, die ich in den Jahren 1892 und 1895 um dieselbe Jahreszeit erlegte. Die Tiere waren auch kleiner und hatten viel weißere Flecken auf dem Rücken als die Moschusochsen von Grant-Land.

Das Zelt wurde aufgeschlagen, sowie es ankam, dann eine runde Schutzwehr gegen den Wind aus Schneeblöcken erbaut und dicht dahinter das Fleisch und die Knochen untergebracht. Im Zelt wurden die Felle ausgebreitet, ein schwaches Feuer von einigen in der Nähe gefundenen Weidenzweigen angemacht und mit Stücken von einem Schlitten unterhalten. Dann setzten meine Eskimos sich in einen Kreis und aßen mit gelegentlichen kurzen Schlafpausen ununterbrochen beinahe zwei Tage und Nächte lang. Ich aß auch mein Teil, und am Ende dieser Zeit hatte der Haufen von blankgenagten Knochen rings um die Schutzwand herum eine geradezu unglaubliche Größe erreicht. Wenn ich »blankgenagt« sage, so tue ich es in des Wortes vollster Bedeutung. Wenn ein hungriger Eskimo einen Knochen wegwirft, so würde selbst eine Fliege keinen Bissen mehr daran finden. Das Fleisch ist abgenagt, die Knochenhaut wie die Rinde von einem Zweig mit den Zähnen abgeschält, der Knochen zerspalten, das Mark entfernt und die Höhlung ausgesaugt und abgeleckt, bis sie trocken ist.

Unser erster Marsch nach Erbeutung der Moschusochsen brachte uns auf die Höhe der Stephenson-Insel und war besonders beschwerlich. Die schwächende Wirkung der überreichlichen Fleischaufnahme, wovon das meiste in rohem Zustande genossen worden war, machte sich nicht so sehr geltend, als wir ruhig im Lager lagen, war aber sehr fühlbar, als wir weiterzuziehen versuchten. Ich bildete mir wenigstens ein, daß ich mich auf unserem ganzen Rückmarsch nie so schwach gefühlt hatte. Aber mein Geist war rege, und als ich schnurgerade mechanisch auf Kap May zusteuerte und die anderen meiner Spur folgten, vertrieb ich mir die Zeit damit, Pläne zu machen für die Reise nach Westen, die ich nach unserer Rückkehr zur »Roosevelt« unternehmen wollte. Ich ging sogar über die Grenzen der gegenwärtigen Expedition hinaus und versuchte das Niederdrückende unserer jetzigen Umgebung durch Gedanken an die Heimat zu überwinden.

Der nächste Tagemarsch brachte uns nach Kap May, wo wir zahlreiche Hasenfährten bemerkten, aber keins der Tiere selbst erlegten. Einige Weidenzweige, die hier zu finden waren, ermöglichten es uns, einen Teil des übriggebliebenen Fleisches zu kochen.

Ich hatte gehofft, wir würden am nächsten Tag Kap Bryant erreichen und in der Lage sein, das umliegende Land nach Moschusochsen zu durchforschen. Meiner Überzeugung nach mußten sich welche in der Gegend von Kap Bryant bis nach dem Repulse-Hafen vorfinden. Aber unsere Kraft war der ganzen Breite der Sherard Osborn und St. George-Fjorde nicht auf einmal gewachsen, und wir lagerten auf dem Eis, vier oder fünf Meilen östlich von Kap Bryant. In diesem Lager aßen wir den letzten Rest des Moschusochsenfleisches. Da ich sicher war, wir würden in dem hügeligen Land westwärts von Kap Bryant Moschusochsen finden, machte ich keinen Versuch, meinen Leuten Zwang aufzuerlegen. Sowohl auf dem Marsch wie im Lager aßen sie andauernd, wenn sie nicht schliefen. Von diesem Lager aus wurde die ganze Küste von Kap Bryant bis hinein in den St. George-Fjord sehr sorgfältig nach Moschusochsen untersucht, aber ohne Erfolg.

Am nächsten Tag gelangten wir nach Kap Bryant, und stießen hier auf mehrere Tage alte Schlittenspuren, die von Norden kamen. Eine Untersuchung dieser ergab, daß hier zwei Schlitten durchgekommen, und die Leute mit ihnen nach einer beträchtlichen Anhöhe im Süden und im Osten von Kap Bryant, offenbar um Umschau zu halten, vorgerückt waren. Nachdem sie ihre Lage festgestellt hatten, waren sie gewiß dem Eisfuß um Kap Bryant herum gefolgt und nach Südwesten längs der Küste weitergezogen. Ich wußte mit Bestimmtheit, daß es nur Marvin und seine Abteilung gewesen sein konnte, aber die Fährte gab kein Anzeichen dafür, daß sie sich in Not befänden.

Indessen beunruhigte mich dieses allgemeine Zerstreutsein meiner Hilfsabteilungen mit Rücksicht auf Ryan und seine Leute nicht wenig; ob sie wohl eine der andern Abteilungen erreicht hatten, ehe der Sturm hereinbrach? Die Abteilungen des Kapitäns und des Doktors würden, da sie sich näher an Land befanden wie die anderen, nach meiner Überzeugung mehr außerhalb des Zerstörungsgebietes des Sturmes gewesen sein und wahrscheinlich keine ernsteren Schwierigkeiten gehabt haben, die Küste von Grant-Land wiederzugewinnen.

Am Kap Bryant sandte ich zwei Eskimos mit Karabinern und Patronen ins Land hinein, mit dem Auftrag, einige Meilen landeinwärts ungefähr parallel der Küste zu marschieren, um Fährten von Moschusochsen in der Gegend aufzuspüren. Sie hatten die Order, etwas östlich von der Hand-Bai ans Ufer zurückzukehren, an einen Platz, den ich zu unserm Lagerplatz für die Nacht bestimmt hatte. Am Eisfuß entlang gehend, trafen wir auf die Stelle, wo meine Hilfsabteilung Ootah und Pooblah bei ihrer Rückkehr von der Britannia-Insel im Frühling 1900 ein Depot von Moschusochsenfleisch angelegt und für mich zurückgelassen hatte.

Die zwei Jäger stießen am Lagerplatz wieder zu uns und berichteten, sie hätten keine frischen Fährten von Moschusochsen gesehen. Zwei Hasen, die sie erblickt, seien ihnen weggelaufen. So fest war meine Überzeugung, es müßte irgendwo in der Gegend um die Hand- und Frankford-Bai herum Moschusochsen geben, daß ich nach unserm Tee zwei andere Männer mit Büchsen, Patronen, Lunten, ein wenig Petroleum und einer leeren Petroleumkanne, um Wasser zu schmelzen, aussandte. Sie erhielten den Auftrag, sich um die oberen Enden der Baien herum vorwärtszuarbeiten und uns an einem Platz gerade östlich von den Black-Horn-Klippen, wo wir am Ende des nächsten Tagemarsches lagern wollten, zu treffen. Auf diese Weise blieben ihnen ungefähr vierundzwanzig Stunden. Unser Aufenthalt in diesem Lager und unser Marsch von hier nach dem östlichen Ende der Black-Horn-Klippen wurde sehr stark durch einen bitterkalten und schneidenden Westwind, der Schnee mit sich brachte, beeinträchtigt. Die Männer stießen bei diesem Lager zu uns; auch diesmal war der Erfolg ausgeblieben und sie waren sehr entmutigt, da sie nicht einmal Fährten von Moschusochsen gesehen hatten. Wir mußten also wieder alle zum Hundefleisch zurückkehren. Ich konnte den jetzigen Mangel an Moschusochsen in dieser Gegend nicht begreifen. Es ist ein sehr großes Gebiet, das mit dem Hügelland in der Nähe der St. George- und Sherard Osborn Fjorde zusammenhängt, und die sieben Moschusochsen, die wir im Jahre 1900 hier töteten, konnten doch sicher nicht die einzigen Tiere in dieser Gegend gewesen sein. Die einzig mögliche Erklärung dafür schien, daß die Tiere sich gerade um diese Zeit im Innern der Fjorde befanden.

Von einem dominierenden Punkt oben auf der Höhe sah ich kein Anzeichen von offenem Wasser vor den Black-Horn-Klippen, wo im Jahre 1900 sowohl beim Hinmarsch wie beim Rückmarsch offenes Wasser gewesen war, und als wir dies Lager verließen, überwanden wir diesen schwierigen und heimtückischen Teil der Reise längs der nordwestlichen Küste von Grönland ohne ernste Schwierigkeiten. Wir fanden kein Wasser, das Packeis vor den Klippen war leidlich, und der Eisfuß, der sich auf beiden Seiten der Klippen hinzog, passierbar.

Zwei Leute, die ich ostwärts vom Lager an Land hinter den Klippen herumschickte, trafen auf der westlichen Seite der Klippen wieder mit uns zusammen. Sie hatten einen Hasen erlegt, der, meiner Anordnung gemäß, von ihnen verzehrt worden war. In der Nähe des Eisfußes gerieten noch zwei Schneehühner in ihre Hände, die sie roh bis auf die Federn vollständig aufgegessen hatten, sogar ohne die Füße und Eingeweide wegzuwerfen. Als sie zu uns stießen, trug Ootah noch das völlig abgenagte Hasenfell und sog gierig daran. Am Ende dieses Tagemarsches schlugen wir das Lager im Repulse-Hafen auf. Auf dem ganzen Wege vom westlichen Ende der Klippen bis an den Hafen pfiff uns ein starker und bitterkalter Wind mit Schneetreiben ins Gesicht, und wir waren jetzt da angelangt, wo Beaumont seinen prächtigen Bericht von menschlichem Ausharren und Mut, der mit den Worten: »Gott helfe uns« schließt, schrieb und zurückließ. Wir waren nicht so schlimm daran wie er und seine Leute, konnten noch alle gehen und würden meiner Ansicht nach alle imstande sein, bis an das Schiff zu gelangen, aber es kam viel darauf an, daß wir sogleich über den Kanal gelangten. Wir wurden von Tag zu Tag schwächer.

Nach dem Tee stiegen wir auf das steile Felsufer hinter unserm Lager und konnten die »Roosevelt« erkennen, die bei Sheridan lag, und deren Anblick meine Leute sehr ermutigte. Er war auch für mich ein befriedigender, denn, wenn ich es mir auch nicht zugestanden hatte, mich in Gedanken darüber aufzuregen und den Schlaf zu verlieren, wie es wohl dem Schiff in unsrer Abwesenheit ergangen sein mochte, so bedachte ich selbstverständlich sehr wohl die Möglichkeit, daß der Sturm, der uns so weit östlich getrieben hatte, eine solche Bewegung im Eis bei Sheridan verursacht haben könnte, daß die »Roosevelt« auf den Eisfuß hinaufgehoben wäre und auf dem Trocknen läge. Und in unsrer gegenwärtigen Verfassung war der Gedanke, alle diese mir wohlbekannten ermüdenden Meilen zwischen Kap Sheridan und unserm Depot auf der Bache-Halbinsel zu Fuß zurücklegen zu müssen, durchaus nicht verlockend. Indessen nach allem, was wir durch die Ferngläser erkennen konnten, lag das Schiff so da, wie wir es verließen.

In diesem Lager ließen wir mit Ausnahme der Instrumente und der Berichte alles zurück, um es später zu holen, und hielten durch den Robeson-Kanal auf einen Punkt etwas nördlich von Kap Union zu, in der einzigen Richtung, die bei unsrer Untersuchung mit den Ferngläsern vorn Gipfel der Klippen aus passierbares Eis zeigte. Wir brachten einen trüben Tag mit Schneegestöber in unserm Lager im Schutz eines mächtigen Eishügels des Kanals zu, mehrere Meilen von der Küste von Grant-Land entfernt. Jedermann war durch die ungewohnte Anstrengung des Stolperns auf dem holprigen Eis vollständig erschöpft, nachdem wir die letzten Tage über die tote ebene Schneefläche längs der Küste von Grönland marschiert waren. Clark kam erst sehr spät an. Pooblah, der lahme Eskimo, kam überhaupt nicht. Ich war einseitig schneeblind. Ich hatte gehofft, nach einem mehrstündigen Schlaf und Ausruhen hier in einem Zug nach dem Schiff vorrücken zu können, aber teils aus Hunger, teils aus Erschöpfung schien niemand imstande zu sein zu schlafen, und schließlich sagte ich den Leuten, sie könnten noch einen Hund töten. Sie zögerten erst, indem sie behaupteten, wir und die drei überlebenden Hunde würden schon imstande sein, ohne noch einmal zu essen, bis ans Schiff zu gehen, aber ihr Hunger wurde zu groß, und noch ein armes, einherschleichendes Skelett ward getötet und verzehrt. Nach dieser Mahlzeit erboten sich Ootah und ein anderer, nach dem Schiff zu gehen, und uns jemand mit Lebensmitteln zu schicken, doch legte ich sofort gegen diesen Vorschlag ein Veto ein. Ich war bisher immer imstande gewesen, von meinen Ausflügen ohne Hilfe zurückzukehren, und ich beabsichtigte es auch diesmal zu tun.

Am nächsten Tag erreichten wir nach einem dreistündigen Marsch den Eisfluß nördlich von Kap Union, und als wir ihn betraten, rief Ootah aus: »Tigerahshua keesha, koyonni!« (frei übersetzt: Jetzt sind wir endlich da, Gott sei Dank.) Ahngodoblaho, der sehr lahm war, blieb im Lager liegen, und Clark, dem das Gehen auch ziemlich sauer wurde, blieb gleich von Anfang an weit zurück. Ich sagte ihm, er sollte so gut wie er könnte weiterziehen und sich ruhig Zeit nehmen, ich würde, sobald ich das Schiff erreicht hätte, jemand zu ihm zurücksenden und ihm etwas zu essen bringen lassen. Ich glaube, ich werde nie den Marsch von hier nach der »Roosevelt« vergessen. Auf die Gefahr hin, für überspannt zu gelten, möchte ich behaupten, daß es uns in der Tat so schien, als ob wir wieder ins Paradies zurückkehrten. Es war ein wundervoller Abend, klar und ruhig, die matten Strahlen der Sonne und die prächtigen, warmen Farben der Klippen boten einen ausgeprägten Gegensatz zu den wilden aufgetürmten Schollen des Treibeises und der schneebedeckten Küste Grönlands.

Die harte, ebene Eiskante bot den besten Weg, den wir, seit wir auf dem Lande waren, gehabt, und es dauerte nicht lange, bis wir Kap Rawson erreichten. Um das Kap herumkommend, sahen wir im gelben Schein der Maimitternachtssonne die schlanken Rahen der »Roosevelt« liegen.

Lange ehe wir das Schiff erreichten, erspähten uns einige Eskimos von der Küstenansiedelung, ich sah sie über den Eisfuß an das Schiff eilen, und ein paar Augenblicke später kamen mehrere Gestalten aus dem Schiff heraus, um uns entgegenzugehen.

An Bord gekommen, sandte ich sogleich zwei Eskimos und Gespanne mit Nahrung und Stimulantien ab, um die drei Nachzügler zu holen. Ich erfuhr, daß Marvin, Ryan und einige Eskimos nach der Küste von Grönland aufgebrochen waren, um Clark zu suchen, und daß Kapitän Bartlett und Dr. Wolf ihre Arbeit nördlich von Hecla noch eifrig fortsetzten. Ich sandte einen Boten aus, um Marvin zurückzurufen, und einen andern mit einem Brief nach Hecla für Kapitän Bartlett, sobald er zurückkäme.

Dann in mein Zimmer, wo ich schnell meine übelriechenden Pelzkleider auszog und sie auf das Hinterdeck hinauswarf; dann ins Bad. Hierauf ein Mittagessen, ein wirkliches Mittagessen mit solchen Speisen, wie sie zivilisierte Leute essen; ins Bett und geschlafen, ohne an den morgenden Tag zu denken.

Ich zitiere aus meinem Tagebuch für den folgenden Tag:

Welch köstliches Gefühl die Ruhe! Jos Bild an der Wand über mir, das Gesicht in Ahnighitos Kissen von Eagle Islands Tannennadeln vergraben und seinen unaussprechlich köstlichen Duft einatmend, wiederhole ich im Augenblick wenigstens aus tiefstem Herzensgrund Ootahs Ausspruch: »Ich bin wieder zurückgekommen, Gott sei Dank.« Und doch weiß ich, daß ich in kurzer Zeit denken werde, ich hätte noch mehr erreichen und trotzdem zurückkommen können. Aber im tiefsten Herzen habe ich die Überzeugung, daß wir bis zum äußersten gegangen sind, und daß wir, wenn wir die »große Rinne« nicht zu der Zeit, wo wir es taten, überschritten hätten, niemals zurückgekehrt wären.

Seit ich wieder auf dem Schiff bin, habe ich eine Abneigung gegen Federn und Papier gehabt, und habe nur dagelegen und gedacht und Pläne gemacht. Wenn man die Vorbereitungen, die Erfahrung, die Anstrengungen, die Mühen, das Ausnutzen aller Chancen und die vollständige Erschöpfung von mir und meinen Leuten bedenkt, wie klein ist dann die Reise, wenn man sie auf der Landkarte verfolgt, und wie weit ist sie hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben. Ich muß daran denken, daß ich noch einmal mein Ziel verfehlt habe, und daß ich nie wieder eine Gelegenheit haben werde, es zu erreichen. Dann höre ich auf, so zwecklos mit meinem Geschick zu hadern und fange an, Pläne für meinen Ausflug nach Westen zu machen, und daran zu denken, daß ich, wenn auch da meine Pflicht getan ist, wieder zu den Meinen nach Eagle Island zurückkehren werde. –

siehe Bildunterschrift

Kap Hecla und in der Ferne Kap Joseph Henry.


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