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Seit wir Storm Camp auf dem Hinmarsch verließen, hatte mit größerer oder geringerer Stärke, aber ohne Unterbrechung ein Wind geweht, der etwas südlicher als rechtweisend westlich war. Als wir jetzt zurückkehrten, wehte er uns schräg von vorn ins Gesicht und war von einem seinen Schneetreiben begleitet, so daß wir die Empfindung hatten, als würden wir mit glühend heißen Nadeln gestochen. Schon ein guter Tagemarsch lag hinter uns. Jetzt mußten wir ohne auszuruhen und ohne Nahrung noch einmal eine ebenso weite Strecke zurücklegen. Als wir endlich ins Lager wankten, war ich beinahe blind von dem schneidenden Wind und dem Schnee, und von der ununterbrochenen Anspannung gänzlich erschöpft. Schwer wie Blei waren meine Füße. Der Reiz und die Erregung des Vorrückens waren vorüber und die Reaktion trat ein. Der Rückzug, wenn die Begierde und die Aufregung des Vorwärtskommens vorbei sind, ist immer der schwerste Teil des Werkes, von den vierzehn Ritzen und engen Rinnen, die wir auf unserm letzten Eilmarsch überschritten, hatten sich alle mit Ausnahme von dreien in den wenigen Stunden, die zwischen unserem Hin- und Rückmarsch verstrichen waren, wesentlich verändert, und zwei oder drei von ihnen so sehr ausgedehnt, daß es einige Mühe machte, unsere Spur auf der südlichen Seite aufzufinden. Im Igloo angekommen, zündete ich den Petroleumofen an, um den Tee zu bereiten, warf mich aber in völliger Erschöpfung mit brennenden Augen auf die Lagerstätte und ließ Ahngmalokto den Tee machen. Während einer Stunde oder noch länger fürchtete ich, daß der schneidende Wind und der Schnee verbunden mit der Anstrengung, die das Aufnehmen der Beobachtungen verursacht, mir einen akuten Anfall von Schneeblindheit verschafft hätte. Deshalb begrub ich meine Augen wiederholt in dem eiskalten Schnee, bis die Augenlider starr waren, und nach einiger Zeit empfand ich so viel Linderung, daß ich dank meiner grenzenlosen Müdigkeit in einen traumlosen Schlaf fiel. Alte Gefühle der Trauer und der Enttäuschung mußten zeitweilig der gebieterischen Forderung des übermüdeten Körpers weichen.
In diesem Lager schliefen wir zum erstenmal seit mehreren Tagen ordentlich aus, um dann mit der äußersten Schnelligkeit weiterzueilen. Tief in meinem Herzen hatte ich noch eine leise Hoffnung, die natürlich durch den Wunsch genährt wurde, daß Marvin vor den Eintritt des Sturmes die große Rinne gekreuzt und Storm Camp gefunden haben möchte. Dann würde er gemäß den Anweisungen, die ich in den Igloos bei Storm Camp niedergelegt hatte, dort Vorräte für uns zurückgelassen haben. Darum war ich eifrig darauf bedacht, unsere alte Spur bis nach Storm Camp beizubehalten. Jetzt, wo die Zahl meiner Hunde vermindert und einige meiner Schlitten zurückgelassen waren, hatte ich einige Leute zur Reserve, und ich wählte zwei der erfahrensten Fährtensucher unter meinen Eskimos aus, die mit mir einige hundert Yards den Schlitten vorausgingen. So zogen wir drei weiter, die Augen unverwandt auf das vor uns liegende Eis geheftet und auf die schwächste Andeutung einer Fährte achtgebend. Jedesmal wenn die Spur durch die Bewegung im Eis verloren gegangen war, zerstreuten wir uns in Plänklerordnung und schwenkten nach rechts, nach Südwesten, bis wir sie wiederfanden. Kamen wir an eine Ritze oder Rinne, die zu breit war, um mit den Schlitten darüber hinwegzusetzen, jagte der eine meiner Eskimos in vollem Lauf nach rechts, der andere nach links, und wer zuerst eine brauchbare Übergangsstelle fand, gab den Schlitten im Nachtrab Zeichen, indem er, wie es bei den Eskimos üblich ist, mit den Armen schwenkte; die Schlitten eilten sofort auf ihn zu, wir kreuzten die Rinne, machten die Spur auf der südlichen Seite ausfindig und zogen weiter. Auf diese Weise verloren die Schlitten keine Zeit, und wir waren imstande, einen ebenso raschen Schritt auf dem Rückmarsch wie auf dem Hinmarsch einzuschlagen, trotzdem das Eis in Bewegung war und wir die Spur einhalten mußten. Wir drei mußten häufig große Strecken im Laufschritt zurücklegen, um eine so große Entfernung zwischen uns und den Schlitten aufrecht zu erhalten, daß Zeit blieb, die Rinnen zu untersuchen, ehe die Schlitten herankamen. Am Ende des Marsches taumelten wir jedesmal vollständig ermattet in unsere alten Igloos, mit vom Wind und Schneetreiben entzündeten Augen, aber Gott dankend, daß wir uns nicht noch der Anstrengung, Igloos zu bauen, unterziehen mußten.
Wie auf dem Hinmarsch hörte der Wind auch auf dem Rückmarsch kaum einen Augenblick auf zu heulen und zu pfeifen und unsere Gesichter zu mißhandeln. Auf dem letzten Marsch nach Storm Camp, das wir – nur Gott weiß, in welchem Zustand – erreichten, kamen wir in einen neuen die Luft verfinsternden westlichen Blizzard mit Schneetreiben, bei dem höchstens ein Eskimo, und zwar nur ein sehr tüchtiger, die Spur fünf Minuten lang hätte festhalten können. Selbstverständlich fand ich hier keine Vorräte. Unsere Igloos waren mit Eiskristallen überzogen und fast voll von Schnee, aber sie waren ein Zufluchtsort vor den heulenden Elementen draußen, der nicht wenig geschätzt wurde. Ootah war der glücklichste Mann unserer Gesellschaft. Gerade ehe wir die Igloos erreichten, hatte er ein kleines Stück Pemmikan erspäht, das auf unsrer Fahrt von Storm Camp nach Norden von dem letzten Schlitten heruntergerutscht war; und er war darüber hergefallen und hatte es hinuntergeschluckt, als ob er ein Eskimohund wäre. In Storm Camp wurden wir durch den Sturm vierundzwanzig Stunden zurückgehalten, wobei das Eis in der bekannten Weise stöhnte und mahlte, dann setzten wir den Marsch mit einer wieder verringerten Anzahl von Hunden fort, von hier aus schlug ich den kürzesten Weg nach dem nächstgelegenen Teil der grönländischen Küste ein. Ich war der einzige, der wußte, wie weit wir nach Osten getrieben waren, und daß unsere Rettung an der Küste von Grönland mit seinen Moschusochsen zu suchen sei. Meine Eskimos dachten, wir würden an der Küste von Grant-Land, von wo wir ausbrachen, herauskommen; sie waren in der Tat infolge einer seltsamen Gedankenverwirrung fest in dem Glauben befangen, daß wir westwärts getrieben wären, denn sie sagten, das Eis auf der nördlichen Seite der »großen Rinne« sei stark nach Westen getrieben, ehe ich sie an der Rinne einholte.
Als wir in die Gegend kamen, wo meine beiden Eskimos bei ihrem Versuch, das Depot an der »großen Rinne« zu holen, aufgehalten worden waren, verstand ich vollkommen ihre Bestürzung, ja beinahe den Schrecken, womit sie zu mir zurückkehrten. Es war jetzt kein offenes Wasser mehr da, aber das Chaos von zertrümmerten und aufgebrochenem Eis, das sich nach Süden erstreckte, war unbeschreiblich. In diesem Gebiet kamen wir natürlich langsam vorwärts, aber ein angestrengter und erschöpfender Marsch, währenddem die Pickel ständig in Gebrauch waren, brachte uns doch hindurch.
Auf dem dritten Tagemarsch von Storm Camp kreuzten wir die Narbe der »großen Rinne«. Unter Narbe verstehe ich die Stelle, wo die Kanten der »großen Rinne« zusammengetrieben und festgefroren waren. Es war kein Irrtum möglich, und ich war töricht genug, mich durch den Gedanken ermutigen zu lassen, daß dieses Hindernis wenigstens überwunden und nicht mehr zu fürchten sei. Ich hätte mich solchen Gefühlen nicht hingeben sollen, denn ich hatte sicherlich genügend arktische Erfahrung, um zu wissen, daß man sich in diesen Gegenden nie durch etwas ermutigt fühlen und nur das Schlimmste erwarten darf. Auf dem zweiten Marsch von der Narbe südwärts kamen wir in eine Gegend mit gewaltigen, durch Pressungen entstandenen Rücken, die sich nach allen Seiten hin erstreckten. Das war ein unheilverkündendes Zeichen, und ich war nicht überrascht, als ein paar Stunden später ein Eskimo, den ich vorausgeschickt hatte, um einen Weg für die Schlitten ausfindig zu machen, mir von dem Gipfel eines Hügels aus »offenes Wasser« signalisierte. Ich kletterte hinauf und erkannte, daß es unsere Freundin, die »große Rinne« sei, ein breiter Streifen schwarzen Wassers, der ungefähr eine halbe Meile breit, unsern Weg kreuzte und sich nach Osten und Westen, weiter als ich sehen konnte, ausdehnte. Die Rinne war hier dreißig oder vierzig Meilen weiter südlich gelegen als die Stelle, wo wir sie auf der Hinreise überschritten hatten, aber es war dieselbe Rinne.
Ich wandte mich nach Osten und ließ einen Eskimo dicht an der Rinne nach einer passierbaren Übergangsstelle suchen, während die Schlitten parallel der Rinne, aber in einiger Entfernung, wo die Bahn besser war, vorrückten.
Einmal weckte er Hoffnungen in uns, indem er Zeichen gab, daß er eine Stelle gefunden habe, als aber die Schlitten hinkamen, erwies sich die Stelle als unpassierbar. Den nächsten Tag setzten wir unsern Weg nach Osten fort und fanden die Rinne mit einem Durcheinander von halbfestgefrorenem Eisgeröll, kaum imstande, uns zu tragen, überzogen. Die Schlitten wurden schleunigst hierher gebracht, und wir waren nur wenige Yards von dem festen Eis auf der südlichen Seite entfernt, als unsere Brücke versagte und das Eis unter uns sich fortzubewegen begann. Es entstand ein rasches und gefährliches, aber schließlich erfolgreiches Rückwärtsmanöverieren. Wir lagerten uns auf einem Stück einer großen Scholle, das auf der einen Seite von der ständig breiter werdenden Rinne und auf den drei andern durch Spalten von alpinem Charakter umgeben war. Hier blieben wir und trieben andauernd ostwärts, und sahen, wie auf dem Hinmarsch, die Rinne sich langsam verbreitern.
Beim Hinmarsch in den strahlenden, bitterkalten Märztagen an der »großen Rinne« aufgehalten, und als das Eis auf der fernen nördlichen Seite meinen sehnenden Augen als das verheißene Land erschien, da hatte ich der Rinne den Namen »der Hudson« gegeben. Als wir jetzt in diesem elenden Lager lagen und das ferne südliche Ufer betrachteten, jenseits dessen die Welt, alles was lieb und teuer war, und vielleicht das Leben selbst wohnte, während auf unsrer Seite nur das weithin sich erstreckende Eis und möglicherweise ein langsamer Tod lag, gab es nur einen passenden Namen für die schwarzen Fluten – »der Styx«.
Mit jedem Tag nahm die Zahl meiner Hunde ab, und Schlitten wurden auseinandergenommen, um als Feuerungsmaterial für die Zubereitung des Hundefleisches, das wir selbst aßen, zu dienen. Hier möchte ich entflechten, daß ich persönlich gar nichts gegen Hundefleisch einzuwenden habe, wenn es nur genug davon gibt. Eine ernsthafte arktische Arbeit bringt einen sehr bald dazu, in der Ernährungsfrage nur auf die Menge Wert zu legen. – Eines Tages bildeten sich Rinnen um das ganze Eis, auf dem wir lagen, und machten es zu einer Insel mit einem Durchmesser von zwei oder drei Meilen.
Später kamen zwei Eskimos, die ich nach Osten gesandt hatte, um die Rinne zu untersuchen, eilends mit der Nachricht zurück, daß einige Meilen vom Lager entfernt eine dünne Schicht von jungem Eis wäre, die sich quer über die ganze Rinne, die jetzt ungefähr zwei Meilen breit war, erstrecke, und die, wie sie meinten, imstande wäre, uns auf Schneeschuhen zu tragen. Wir eilten so rasch als möglich an die Stelle, da es uns allen klar war, jetzt gab es eine Rettung oder nie. Ich befahl, die Schneeschuhe anzubinden und den Versuch zu wagen. Ich band meine sorgfältiger fest als je. Ich denke, die andern taten das gleiche, denn wir wußten, daß ein Sturz oder ein Fehltritt verhängnisvoll werden würde. Wir hatten das Eis schon versucht und wußten, daß es uns keinen Augenblick ohne Schneeschuhe tragen würde.
Als wir loszogen, war Panikpah, der leichteste und erfahrenste von uns allen, an der Spitze, dann folgten die wenigen überlebenden Hunde, die wir vor den »Morris K. Jesup«, den langen Schlitten mit den breiten Kufen, gespannt hatten, und dann in einiger Entfernung hinter dem Schlitten der Rest der Gesellschaft nebeneinander in einer weit auseinandergezogenen Schützenlinie mit fünfzig oder sechzig Fuß Abstand zwischen jedem Mann, wir überschritten die Rinne schweigend; jedermann war mit seinen Gedanken beschäftigt und gab eifrig auf seine Schneeschuhe acht. Ich gebe offen zu, daß ich nicht gern mehr solche Erfahrungen machen möchte. Einmal unterwegs, konnten wir nicht anhalten und unsere Schneeschuhe nicht heben, wir mußten sie mit der äußersten Vorsicht und unter ganz gleichmäßigem Druck ruhig und beständig aneinander vorbeigleiten lassen, und von jedem einzelnen pflanzte sich, wenn er einen Schneeschuh vorwärtsschob, eine Wellenbewegung nach allen Seiten hin durch die dünne Schicht, die sich auf dem schwarzen Wasser gebildet hatte, fort, vor und hinter dem Schlitten bildeten sich breite Anschwellungen. Es war das erste und einzige Mal während meiner ganzen arktischen Arbeit, daß ich über den Ausfall im Zweifel war, und als ich ungefähr in der Mitte der Rinne beim Vorwärtsgleiten zweimal hintereinander mit der Spitze meines hinteren Kamik durchbrach, dachte ich bei mir selbst »jetzt geht es zu Ende«, und als etwas später einer in der Reihe einen Schrei ausstieß, entfielen mir unwillkürlich die Worte: »Gott helfe ihm! wer mag es wohl sein?« Aber ich wagte nicht, meine Augen von dem stetigen, gleichmäßigen Gleiten meiner Schneeschuhe zu erheben, und sie von dem Zauber, den die durchsichtige Anschwellung am vorderen Ende der Schneeschuhe ausübte, loszureißen.
Als wir das feste Eis an der südlichen Seite der Rinne betraten, hörte ich deutliche Seufzer der Erleichterung von den beiden Männern, die mir am nächsten waren. Ich selbst war mehr als froh. Der Schrei, den ich gehört hatte, war von einem meiner Leute ausgestoßen worden, dessen Schuhspitze, wie die meine, durch das Eis gebrochen war.
Um ein Bild von dem Temperament meiner Eskimos, das sie in so hohem Maße für arktische Zwecke geeignet macht, zu geben, will ich folgenden Zug erzählen. Der Obermaschinist der »Roosevelt« war ein ziemlich schwerer Mann, der gut seine 235 Pfund wog; und als wir uns bückten, um unsere Schneeschuhe loszubinden, wandte sich einer meiner Leute, Ahngmalokto, nach mir um und sagte, mit der Hand in die Tiefe weisend: »Pearyaksoah, wenn der Obermaschinist mitgewesen wäre, so würde er jetzt da unten sein, nicht wahr?« Und Ahngmalokto hatte vollkommen recht.
Wir banden die Schneeschuhe los, warfen noch einen Blick nach rückwärts, ehe wir uns nach Süden wandten, und sahen, wie ein schmaler schwarzer Streifen die zerbrechliche Brücke, über die wir geschritten, entzwei schnitt. Die Rinne fing wieder an breiter zu werden; gerade im letzten Augenblick waren wir herübergekommen.
Das Eis auf der südlichen Seite der Rinne war ein fürchterlicher Wirrwarr. Wir kletterten auf den Gipfel der höchsten aufgetürmten Masse, um zu sehen, ob ein passierbarer Weg hindurch zu finden sei. Bis an den Horizont erstreckte sich eine solche Hölle von aufgebrochenem Eis, wie ich sie bisher nie gesehen hatte und auch nie wiedersehen möchte. Eine Anhäufung von Eisstücken, von Pflastersteingröße an und buchstäblich und ohne Übertreibung bis zur Größe der Kuppel des Kapitols in Washington, alle abgerundet durch die fürchterliche Reibung, der sie in dem Rachen der »großen Rinne« ausgesetzt gewesen waren, wenn die Kanten der Rinne zusammenstießen und aneinander vorbeimahlten. Es sah nicht aus, als ob jemand, der nicht im Besitz von Flügeln war, dieses Gebiet bewältigen könnte, und ich wandte mich nach meinen Leuten um, um einige ermutigende Worte zu sagen, aber ich fing einen Blick aus ihren Augen auf und nahm einen Zug um ihren Mund war, den ich von früher her kannte, wenn sie und ich uns mitten in einer brüllenden Herde von wütenden Walrossen oder einem verwundeten Eisbären gegenüber befunden hatten, und ich schloß meinen Mund und sagte nichts, denn ich wußte, Worte waren hier überflüssig.
Auf diesem Tagemarsch, dem nächsten und einem Teil des übernächsten stolperten wir verzweifelt durch diesen eisigen Hades südwärts. Wir fielen andauernd hin und bekamen unzählige unangenehme Stöße. Meine ungeschützten Schienbeine waren ihnen besonders ausgesetzt, und es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß beim ersten Lager meine Kinnbacken ordentlich weh taten, von der Heftigkeit, mit der ich auf dem Marsch vor Schmerz meine Zähne immer wieder hatte zusammenbeißen müssen.
Auf dem ersten Tagemarsch, nachdem wir die südliche Grenze des Gürtels von aufgebrochenem Eis passiert hatten, erblickten wir die fernen schneebedeckten Gipfel der Berge von Grönland, und das trug nicht wenig dazu bei, die Stimmung meiner Leute zu beleben. Einer oder zwei von ihnen hatten während unsres Aufenthaltes nördlich der Rinne behauptet, daß sie von einem der hohen Hügel dicht an der Rinne Landwolken sehen könnten, aber ich konnte nichts erkennen, und die andern Eskimos waren nicht sicher. Jetzt war kein Irrtum möglich, und von hier an wurde auch die Bahn besser. Es gab sehr wenig Rinnen, und diese waren schmal und verschwanden schließlich ganz, es war keine erkennbare Bewegung im Eis, und ich erkannte jetzt, daß wir uns nun unter dem Schutz von Kap Morris Jesup befanden und nicht mehr in Gefahr waren, daran vorbei und in das Meer von Ostgrönland hineinzutreiben.
Am Tag, nachdem wir das Land zu Gesicht bekommen hatten, fanden wir einen Baumstamm in einer großen Scholle eingebettet. Der Teil, der aus dem Eis hervorragte, war ungefähr neun oder zehn Fuß lang, und der Durchmesser an der Eisfläche betrug etwa zehn oder zwölf Zoll. Das Holz war weich, anscheinend Kiefernholz; wir nahmen eine kleine Probe mit, um es später genauer bestimmen zu können.
Das Land schien verhext zu sein. Es rückte jede Nacht ebenso weit von uns weg, wie wir am Tag vorher vorwärts gekommen waren. Indessen wurden allmählich die Umrisse schärfer, und ich hielt gerade auf die wellenförmige Küstenstrecke bei Kap Neumeyer zu, wo ich sicher einige Hasen zu finden glaubte. Ich hoffte, wir würden in der Umgegend des Mascart-Inlet auch Moschusochsen treffen.
Endlich schleppten wir uns bis an den Eisfuß bei Kap Neumeyer, und nach Ablauf einer Stunde hatten wir vier Hasen erlegt, die köstlich schmeckten, obgleich sie ohne einen solchen Luxus wie Salz oder Feuer zubereitet waren.
Kurz ehe wir das Land erreichten, kreuzten wir eine frische Schlittenspur, die mit dem Land parallel nach Osten lief. Einen Augenblick dachte ich, es könnte eine Abteilung sein, die nach uns suche, aber eine Untersuchung der Fährte ergab sofort, daß es sich hier um ein Unglück handelte. Drei leichte Hunde waren vor einen einzelnen Schlitten gespannt, dem vier Leute mit langsamen und unregelmäßigen Schritten gefolgt waren. Ich vermutete, daß es Marvin und seine Leute wären, und sobald wir wenige Stunden geschlafen hatten, sandte ich Ootah und Ahngodoblaho nach Osten der Fährte nach, um ausfindig zu machen, was sie zu bedeuten habe. Am nächsten Tag kamen sie mit Clark und seinen drei Eskimos zurück. Sie waren wie wir nach Osten getrieben und an der Küste von Grönland heruntergekommen. Aber Clarks Eskimos, die wie die meinen in dem unsinnigen Gedanken befangen waren, sie seien westwärts getrieben und, wie sie sich ausdrückten, an der hinteren Seite von Grant-Land heruntergekommen, hatten darauf bestanden, nach Osten zu gehen und waren im Begriff, sich geradeswegs vom Schiff zu entfernen. Meine beiden Eskimos fanden sie einige Meilen östlich von unserem Lager an einem Platz, der ihr letztes Lager gewesen wäre. Erschöpft hatten sie sich einige Tage lang von ihren Reservepelzstiefeln genährt, hatten drei Andeutungen von Hunden bei sich, die sie im Begriff waren zu töten, und nach kurzer Zeit wäre das Ende gekommen. Neu belebt durch die Nachricht, daß ich so nahe wäre, besaßen sie genug Energie, um nach unsern Lager zu gehen, aber sie kamen gespensterhaft und schwankend an. Zum Glück konnte ich ihnen etwas zu essen geben, da seit dem Weggange der zwei Männer mehr Hasen erlegt worden waren. Ich hatte auch zwei Leute mit einem ausgedienten Hund als Proviant nach dem Mascart-Inlet herumgeschickt, um Moschusochsen aufzuspüren. Während ich auf ihre Rückkehr wartete, kletterte ich auf den höchsten Punkt in der Nähe des Kaps, von wo aus ich die Bahn bis nach Kap Britannia und den Beaumont-Inseln untersuchen konnte. Vorher hatte ich noch zwei Eskimos nach Hasen ausgeschickt. Ich war sehr dankbar, als ich sah, daß der Rand des Baieises weiter entfernt war als im Jahre 1900, und die Oberfläche der Bai glatt und eben dalag. Ich wußte, daß das Eis wahrscheinlich mehr oder weniger weich sein würde, aber wir hatten unsere Schneeschuhe bei uns, und es ist überraschend, welche Entfernungen Männer mit ein wenig Hundefleisch im Magen zurücklegen können, auch wenn sie halb verhungert und ganz entkräftet sind, wenn es sich einfach nur darum handelt, sein Gewicht ein wenig vornüber zu legen und den einen Schneeschuh an dem andern vorbeigleiten zu lassen, bis der äußerste Punkt der Erschöpfung erreicht ist. Meine Leute in dem Mascart-Inlet kamen ohne Erfolg zurück, aber die zwei Hasenjäger brachten sechs Hasen mit, was den Dingen ein etwas freundlicheres Gesicht verlieh. Aber wie man leicht verstehen kann, hatte das hinzukommen von vier verhungerten Männern zu meiner Abteilung von acht halbverhungerten Leuten meine verantwortungsvolle Lage keineswegs erleichtert. Eins war günstig für mich. Die Schlittenreise längs dieser Küste im Jahre 1900 hatte mir die Plätze bekannt gemacht, wo die Moschusochsen, die unsere Rettung werden mußten, am wahrscheinlichsten zu finden sein würden. Ich richtete nun den Marsch nach dem Ende der Ellison-Insel, und von da zogen wir durch den Kanal zwischen der Britannia-Insel und Nares-Land, um die Küste von Nares-Land bis nach Kap May zu untersuchen.