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XVII. Meine Eskimos

siehe Bildunterschrift

Studie in Bronze. (Typisches Gesicht einer Eskimofrau.)

Plumpe und gedrungene Gestalten, ausdrucksvolle Gesichter, bronzefarbige, scharfäugige, schwarzhaarige Bewohner einer Eiswüste; einfach und ehrlich, gelegentlich launisch; ein umherziehendes, heimatloses Volk: das sind meine Gefährten, die Eskimos.

Ihren Ursprung kann niemand mit Sicherheit bestimmen; aber ihr Aussehen spricht mit großer Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der von Sir Clements Markham, dem ausgezeichneten Präsidenten der Royal Geographical Society in London, aufgestellten Hypothese, nämlich daß sie die Überreste eines alten sibirischen Stammes der Onkilon sind. Viele von ihnen haben eine Gesichtsbildung, die auffallend an den mongolischen Typus erinnert.

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Ahroeahgoodloo.
Vierjähriges Eskimomädchen in Kapetah von Blaufuchsfell und Kamiks von Seehundfell.

Was uns zunächst auffällt ist ihre Neugier. Dr. Hayes erzählt von einer Eskimofrau, die sich einer Temperatur von fünfunddreißig Grad unter Null und der Gefahr, jederzeit von einem Sturm überrascht zu werden, aussetzte. Sie war mit ihrem Kind vierzig Meilen weit auf einer Bahn gereist, deren Unwegsamkeit sie häufig zwang, vom Schlitten zu steigen und zu Fuß zu gehen, nur um die weißen Männer, ihren Igloo und ihre merkwürdigen Schätze zu sehen.

Man stelle sich die Ankunft einer Kiste vor, die in einer zivilisierten Gesellschaft für eine Ladung Gerümpel angesehen werden würde. Wenn sie in den Bereich unverdorbener Eskimos gelangt, so verwandelt sie sich in Dantes Grotte, gefüllt mit dem Stoff, aus dem Träume gemacht werden. Mit fuchsartiger Neugier treten sie an den Gegenstand heran. Jedes einzelne Stück wird angefaßt, befühlt und untersucht, und später, wenn die Klatschbasen zusammenkommen, hören wir dem heiteren Wortschwall von Sairy Gamp und Megipsu zu, die die Reichtümer des Koblunah (weißen Mannes) besprechen.

In einem Land, wo Männer, Frauen und Kinder in vollständiger Isolierung leben, wo Vegetation, Metalle und etwas so Alltägliches wie das Salz unbekannt sind, wird im allgemeinen eine Nachahmungsfähigkeit des Volkes sich nur mutmaßen lassen. Aber als die Eskimos mit meiner Expedition in Berührung traten, haben sie wundervolle Beweise von geradezu orientalischer Nachahmungs- und Anpassungsfähigkeit gegeben, wenn sie ein Gewehr, eine Axt oder ein Messer als Muster in die Hand bekommen, so werden sie sie in Miniatur aus Walroßzahn mit einer Treue und Genauigkeit nachahmen, die angesichts ihrer Werkzeuge und ihres bisherigen Mangels an Übung beinahe unbegreiflich erscheinen. Die Männer lernen auch mit großer Leichtigkeit und Schnelligkeit mit den Werkzeugen des Schmiedes und des Zimmermannes umzugehen.

Im Jahre 1897 nahmen wir einen Eskimoknaben mit uns nach Neuyork, teils wegen seines unstillbaren Durstes nach Abenteuern und neuen Erlebnissen, teils auch weil wir hier eine gute Gelegenheit hatten, die Wirkungen äußeren Einflusses auf einen primitiven Menschen zu studieren. Innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit hatte sich der Knabe eine gute Kenntnis der englischen Sprache angeeignet, und weder im Lernen noch in körperlichen Übungen stand er dem Durchschnitt der amerikanischen Knaben seines Alters nach.

In ihrem eigenen Land geben sich die Eskimos wenig oder gar keine Mühe, andere Sprachen zu erlernen. Es ist eine Tatsache, daß ihre wilde Umgebung und der beständige Kampf ums Dasein auf jedes Lernen, das über das absolut Notwendige hinausgeht, lähmend wirkt. Einigen von ihnen brachten wir den Gebrauch der Zahlen, des Alphabets und einige leichte Wörter bei; und diese Leute hatten ein erstaunliches Geschick, abgerissene Seemannsausdrücke papageienähnlich aufzufangen. Aber ihr gesunder Menschenverstand sagt ihnen, daß es, um eine gegenseitige Verständigung zu ermöglichen, für uns viel einfacher sei, ihre Sprache zu lernen.

Ihr Wortschatz setzt sich aus vielen komplizierten Präfixen und Suffixen und nach ungefährer Schätzung aus mehreren hundert Wurzeln zusammen, von Natur schlagfertig, haben sie keine Mühe, sich auszudrücken, und an ihrer Unterhaltung sind ihre Gesichtszüge und ihr ganzer Körper beteiligt. Ich habe oft die ausfallende Lebhaftigkeit des Buges, das plötzliche Zucken des Mundes, die langsamere oder raschere Bewegung der Arme und Beine beobachtet, wenn ein Eskimo seine Geschichte erzählt. Auf diese Weise erregt er Interesse, und die Zuhörerschaft wird durch die unbeabsichtigte dramatische Wirkung gefesselt. Ich erwähne, daß das Weib wie überall in der Welt, so auch in der arktischen Gegend im Ruf der Geschwätzigkeit steht; es hat das »letzte Wort«.

Kirche, Schule und Regierung sind hier unbekannt. Aber in jeder Familie pflanzt sich ein ausgebildetes Erziehungssystem zum Nutzen der aufwachsenden Generation fort. Schon im frühesten Alter lernt ein Eskimoknabe, wie man es anfangen muß, eine Harpune zu werfen; etwas später bringt man ihm bei, die Hunde vor die Schlitten zu schirren; und wenn er zwölf Winter hinter sich hat, wird er mit zu den Walroßgründen genommen, um zu lernen, wie man ein Mann wird.

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Jnuaho. Eskimomädchen mit Hund.

Eine Eskimomutter fängt so früh als möglich damit an, ihre Tochter mit den Pflichten einer guten Hausfrau bekannt zu machen. Die Verrichtungen des Haushalts werden mit ebenso großer Sorgfalt, soweit die Verschiedenheit der Materialien es zuläßt, wie in jedem anderen häuslichen Kreis erfüllt. Das Nähen bringt die liebe Mutter ihrer Tochter mit einer Geduld bei, die nicht einmal von Griseldis übertroffen werden könnte. Mit vierzehn Jahren und noch früher ist das junge Mädchen reif zum Heiraten. Während meiner fünfzehnjährigen Bekanntschaft mit den Eskimos habe ich wenig von der barbarischen Treulosigkeit gesehen, von der so oft die Rede ist. Ganz im Gegenteil! Diese Leute sind uns in der erfreulichsten Weise behilflich. Allerdings waren sie im Anfang unsrer Unternehmungen geneigt, über unsere schwerfälligen Anpassungsversuche an die polaren Verhältnisse zu lachen. Aber als wir sie mit dem Gebrauch des Kompasses usw. bekannt machten, verwandelte sich ihr Lachen bald in Äußerungen der Bewunderung und des Staunens.

Die Stellung der Sonne und die Bewegungen der Gestirne sind für die Eskimos die Maße für Raum- und Zeitbestimmungen. Infolgedessen haben sie, wie wir sehen werden, bestimmte astronomische Vorstellungen, wenn auch natürlich beschränkter Natur. Für die, die mein früheres Werk nicht gelesen haben, will ich rekapitulieren, welche Bedeutung die Himmelskörper für die Eskimos haben. Sie sehen in dem Großen Bären eine Renntierherde; die drei einen Winkel bildenden Sterne der Kassiopeia sind die drei Steine, die eine himmlische Steinlampe tragen. Die Plejaden sind ein Hundegespann, das einen Bären verfolgt, die drei glänzenden Brillanten im Gürtel des Orion Stufen, die ein himmlischer Eskimo in eine steile Schneebank ausgehauen hat, um mit ihrer Hilfe die Spitze zu erklimmen. Die Zwillinge sind die zwei Türsteine eines Igloo, der Arkturus und der Aldebaran Personifikationen; und der Mond und die Sonne eine Jungfrau und ihr sie verfolgender Liebhaber. Weniger scharf in ihren Beobachtungen als die arabischen Hirten, haben sie nicht bemerkt, daß ein Stern in der Mitte steht, um den all die anderen sich bewegen. Auch haben sie die Planeten nicht unterschieden, sondern diese sind nichts anderes für sie als große Sterne. Wahrscheinlich ist das eine Folge davon, daß die Bewegungen der Gestirne nur während dreier Monate im Jahr beobachtet werden können.

Untereinander legen sie wenig Wert auf Pünktlichkeit. Aber es ist nie vorgekommen, daß ich mich bei meiner »alten Garde« unter diesem Volk nicht vollständig hätte darauf verlassen können, daß sie meine Anordnungen ausführten. Wenn ihnen befohlen ist, sich zu einer bestimmten Zeit bereit zu halten – z. B. bei Tagesanbruch am nächsten Morgen – so wird man mit der größten Pünktlichkeit die Schlitten gepackt und alles in Ordnung finden.

Sie haben einen ausgeprägten Sinn für Humor. Das kann man aus den Spottnamen, die sie sich gegenseitig und besonders den weißen Männern geben, erkennen, und dann aus ihren Zeichnungen. Diese lassen, wie kunstlos sie auch sein mögen, nie den geringsten Zweifel, wer das Opfer ist. Krumme Beine, Hakennasen und ein vorstehender Bauch, das sind die Gebrechen, auf die sich die einheimischen Künstler mit Freuden stürzen, und die sie in ihren Zeichnungen besonders hervorheben.

Eine große Geschicklichkeit legen sie in ihren Schnitzereien an den Tag. Wenn man die kleinen, etwa einen halben Zoll langen Walroßzähne sieht, aus denen die Sachen gearbeitet sind, so wird man immer und immer wieder an die Geschicklichkeit der Chinesen und Japaner erinnert. Trotz dieser Begabung für Ornamentik finden die Eskimos wenig Gefallen an Schmucksachen und Putz. In Erinnerung an die Geschichten von Kapitän John Smith und den Indianern brachten wir auf unsern ersten Reisen nach Norden Ringe, Arm- und Halsbänder mit, da wir erwarteten, damit Anklang zu finden. Aber diese Dinge wurden höchstens mit Dank für den guten Willen in Empfang genommen. Keine der Frauen trug sie oder schien sich etwas Besonderes daraus zu machen. Gelegentlich wurden sie von einem Nagel an der Wand, wo sie eine Zeitlang gehangen hatten, heruntergenommen und mit einer gewissen Neugier betrachtet. Aber sich selbst damit zu schmücken – auf so eitle Gedanken verfielen sie nicht.

Die Tupiks (Zelte) und die Igloos (Winterhäuser) sind alle nach dem gleichen Plane gebaut, und die Wohnung des einen unterscheidet sich nur durch die Güte der Ausführung von der eines andern. Wir sehen bisweilen eine interessante Form des Wettbewerbs, wenn mit dem Bau zweier Hütten gleichzeitig begonnen wird: Nupsah hat einen großen Stein gefunden, und es gelingt ihm, ihn in die richtige Lage zu bringen. Die Nachbarn erklären ihn durch ihre beifälligen Blicke für einen Meister im Bauen. Darauf findet Pooadloonah einen noch größeren Stein als sein Rival. Dieser wird schweigend in die richtige Lage gebracht. Während dieses ganzen Vorganges fällt von beiden Seiten kein Wort; aber in der Brust des Siegers bebt unleugbar ein Gefühl des Triumphs und der Befriedigung. Es ist charakteristisch für diesen schweigenden Wettbewerb, daß immer, auch wenn es sich um größere Dinge als um das Herbeischleppen von Steinen handelt, auf beiden Seiten die beste Haltung bewahrt wird.

Duelle und Kämpfe finden nie statt, und nur ein Fall eines Mordes unter den Eskimos ist mir zu Ohren gekommen.

Kyo war ein Angakok (Medizinmann). Er wußte genau, wie viele Sinnipahs (Nächte) verstreichen würden, ehe dieser oder jener Mann stürbe – fast ebenso genau, wie unser Wetterbureau das Kommen eines Sturmes vorhersagen kann. Oft geriet er in Verzückung, denn das ist notwendig, wenn man ein Angakok ist. Aber man hört es nicht gern, wenn einem gesagt wird, daß man dem Tode nahe ist, besonders wenn die Zeit beweist, daß der Medizinmann sich verrechnet hat. Das war auch der Fall bei unsern Eskimos. Die Optimisten unter ihnen lehnten sich gegen einen Mann auf, der den Kranken soviel Schrecken einflößen konnte, und schließlich hatte sich ein Komplott gebildet, um diesen unheilvollen Geist zu beseitigen.

Ihr Komplott war nichts als ein schlechter Streich; sie selbst hielten es für Gerechtigkeit. Eines Tages baten sie Kyo, an einem Jagdausflug teilzunehmen, und wenig ahnend, daß er selbst der Gegenstand der Jagd sein sollte, schloß er sich an. Etwa fünf Meilen vom Lager entfernt, versetzten sie ihm von hinten einen Schlag, und er fiel zu Boden, kaum imstande, sich eine Vorstellung davon zu machen, was vorgefallen war. Dann begruben sie ihn, und damit der Geist nicht entkommen sollte, beschwerten sie das Grab mit Steinen.

Eine Hinrichtung geht bei den Eskimos immer in dieser Weise vor sich. Da jede Regierung und alle Gesetze fehlen und sie sogar ohne Häuptling leben, steht es dem Rächer frei, über das Schicksal des Verbrechers zu entscheiden. Eins muß hervorgehoben werden: eine Fehde wird nie durch offenen Kampf beigelegt, sondern immer durch List. Auf der andern Seite sind aber die Eskimos ganz und gar nicht feige, was sie zur Genüge bei ihren Angriffen auf die Eisbären und Moschusochsen beweisen.

Ein Eskimo wird selten mehr als sechzig Jahre alt. Es ist erstaunlich, daß er es der Ungunst der Verhältnisse zum Trotz auf ein so hohes Alter bringt.

Wir haben einen besonders rührenden Fall erlebt, wo ein Eingeborener seit fünfzehn Jahren auf seine Mitmenschen angewiesen war. Als wir ihn zuerst sahen, schien er von einem leichten Anfall von Rheumatismus geplagt zu sein, eine Krankheit, die in diesen Gegenden ziemlich häufig ist. Aber sein Zustand verschlimmerte sich von Jahr zu Jahr, und heute ist sein ganzer Körper – bis auf den Kopf – sozusagen verknöchert. Alle diese Jahre hindurch wurde ihm jede Unterstützung zuteil. Verdient diese Fürsorge, die das Volk dem Kranken angedeihen läßt, nicht unsere Bewunderung? Die Gemeinde selbst findet nichts Besonderes dabei. Man läßt weder alte Leute noch Kranke Not leiden, sondern sorgt für sie, ohne an eine Belohnung zu denken.

Die hauptsächlichen Todesursachen sind Lungen- und Bronchialleiden.

Es kommt bei diesen Leuten eine Art von Hysterie vor, die unter dem Namen Piblocto bekannt ist, von der Frauen häufiger als Männer befallen werden. Mit demselben Namen bezeichnen sie auch eine ihre Hunde häufig befallende Krankheit. Während dieser Anfälle befreit sich der Wahnsinnige von allen Kleidern und stolziert herum wie ein Broncho. Als wir im Jahre 1898 mit der »Windward« bei Kap d'Urville im Winterquartier lagen, bekam eine verheiratete Frau mitten in der Nacht einen solchen Anfall, vollkommen nackt spazierte sie auf das Deck des Schiffes hinaus, und noch größere Freiheit suchend sprang sie von der Reeling auf das Eis und den gefrorenen Schnee herab. Es verging eine Zeit, bis wir sie vermißten, und als sie endlich ungefähr eine halbe Meile weit vom Schiff wiedergefunden wurde, stolzierte sie noch herum und schrie aus Leibeskräften. Man nahm sie fest und brachte sie wieder zum Schiff zurück, hier begann jetzt eine merkwürdige Vorstellung, bei der jeder erdenkliche Schrei von den Vögeln und Säugetieren der Gegend in der Kehle der Inaloo nachgebildet wurde. Dieselbe Frau machte zu andern Zeiten erfolglose Versuche, auf der Decke ihres Igloo spazieren zu gehen.

Ein Anfall von Piblocto dauert fünf Minuten bis zu ungefähr einer halben Stunde. Bekommt jemand drinnen in der Hütte einen solchen Anfall, so regen sich die Mitbewohner nicht weiter darüber auf und geben nicht auf die Wunderlichkeiten des Kranken acht. Erst wenn dieser Anstalten macht, sich ins Freie zu begeben, werden seiner Bewegungsfreiheit Schranken gesetzt.

Alkohol und andere tückische Getränke gibt es nicht. Überhaupt fehlen die Exzesse, wenn man nicht die Neigung sehr stark zu essen, die die Lebensverhältnisse der Eskimos mit sich bringt, einen Exzeß nennen will. Auf der andern Seite ist der Hunger für diese Leute keine besondere Beschwerde. Ihre Gestalten sind wohlgerundet durch eine Fettablagerung, die anscheinend dem Höcker des Kamels entspricht.

Freigebigkeit und Gastfreundschaft sind charakteristische Züge der Eskimos. Es gibt hier oben im Norden keine persönliche Armut und keinen persönlichen Reichtum. Es besteht das ungeschriebene Gesetz, daß ein Mann, der auf der Jagd besonderes Glück gehabt hat, den Reinertrag mit seinem Stamm teilt. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit ist es, das die Rasse erhält. In andern Angelegenheiten ist jede Familie im Grunde gänzlich unabhängig. Ein jeder steht für sich ein und ist in allen Sätteln gerecht.

In der Regel bleibt keine Eskimofamilie länger als zwei Jahre hintereinander an demselben Ort. Dafür gibt es mehrere Gründe; der Hauptgrund ist vielleicht ein ihnen angeborenes Gefühl der Unruhe. Der Eskimo empfindet deutlicher als jedes andere Volk, daß nicht der Besitz selbst, sondern das Erringen des Besitzes den Menschen glücklich macht und ihm das Gefühl von Macht verleiht. Dazu kommt dann der Wunsch, die Nahrung zu wechseln. Wenn er eine längere Zeit hindurch auf Bärenfleisch angewiesen gewesen ist, so wird ihm diese Kost durch ihre Eintönigkeit ebenso langweilig wie dem Seemann der harte Schiffszwieback. Mangel an Wild ist ein weiterer Hauptpunkt. Haben sie sich mehrere Monate lang in einer Gegend aufgehalten, so geht der Vorrat an Nahrung mehr und mehr auf die Neige, und dann bleibt ihnen nichts anderes übrig als umzuziehen.

Der Seehund ist das Hauptnahrungsmittel des Eskimos. Er ist ihnen auch insofern die wertvollste Quelle der Erhaltung, als er den Rohstoff für Kleider, Stiefel, Zelte, Harpunenleinen, ferner Wärme, Licht und Hundefutter liefert. Man spart hier ebenso sorgsam für den Winter wie in jedem andern sparsamen Haushalt. Während der Monate des Winterschlafes richtet der Eskimo seinen Appetit nach den vorhandenen Vorräten ein; er streckt sich sozusagen nach der Decke.

Man muß leider zugeben, daß in Sachen der Reinlichkeit ein Zustand vollkommener Verwahrlosung bei ihnen herrscht. Es übersteigt das Verständnis dieser einfachen Leute, warum das Waschen zum Wohlbefinden des Menschen notwendig sein soll. Als sie uns beim Gebrauch einer Zahnbürste ertappten, gerieten sie gänzlich außer sich. Wir müßten wirklich schmutzige Leute sein. Wenn der Mund unrein ist, welcher Teil von uns ist dann rein? Kann sich verletzte Unschuld in schlichteren Worten kundtun?

In das Wasser, in dem eben ein Walroßessen zubereitet werden soll, kann man oft das Fett von den darüber hängenden Kleidern heruntertropfen sehen; oder es fällt vielleicht der guten Hausfrau, angeregt durch die neue Zivilisation, ein, in dem Moment ihre Hände darin zu waschen.

Wir verzweifeln daran, diese Leute auf immer zu kultivieren. In der Zeit, wo wir bei ihnen sind, scheinen sie Fortschritte zu machen. Aber aus dem Auge, aus dem Sinn wird der Zwang, den sie sich damit auferlegten, wieder abgeworfen.

»Von viel Kindern und wenig Brot befreie uns der liebe Gott«, scheint das Gebet der Eskimos zu sein, denn in keiner Familie findet man mehr als sechs Kinder. Wenn man ihnen auch eine gewisse Heißblütigkeit nicht absprechen kann, so sind sie doch kein fruchtbares Volk. Die Frauen erlangen ihre Geschlechtsreife weder sehr früh noch sehr spät, aber nach ihren eigenen Angaben bekommen sie trotz der ausgiebigsten Gelegenheit frühestens drei Jahre später Kinder, und ich bin geneigt, ihre Angaben im wesentlichen für korrekt zu halten.

Da die Männer bedeutend in der Überzahl sind, herrscht eine ständige Nachfrage nach Frauen, und die Mädchen heiraten häufig, wenn sie noch so flachbrüstig und schmalhüftig wie Knaben sind.

In moralischer Hinsicht stehen diese Leute für unsere Begriffe auf keiner hohen Stufe. Das Weib ist ebensosehr ein Stück persönlichen Eigentums, das verkauft, ausgetauscht, verliehen oder geborgt werden kann wie ein Schlitten oder ein Kajak. Es muß indessen zu ihren Gunsten gesagt werden, daß sie für die Kinder sowie für alte und gebrechliche Mitglieder des Stammes gut sorgen, und daß die Eltern die lebhafteste Zuneigung für ihre Kinder an den Tag legen.

Die Eheschließung scheint ohne besondere Zeremonie stattzufinden. Häufig wird die zukünftige Ehe von den Eltern vereinbart, während die Beteiligten selbst noch Kinder sind.

Da das Weib viel früher heiratsfähig ist als der Mann, kommt es vor, daß ein Mann, dessen Frau gestorben ist, von dem Mädchen Besitz ergreift, bis der, dem sie anverlobt war, das nötige Alter hat, um heiraten zu können. Manchmal bleibt das Verhältnis bestehen, oder der frühere Bewerber macht seine älteren Rechte geltend. Das ist dann rein eine Sache gegenseitiger Übereinkunft.

Junge Paare wechseln in den ersten ein oder zwei Jahren häufig mehrere Male die Partner, bis beide Teile zufrieden sind. Dann bleibt die Vereinigung meist dauernd bestehen, abgesehen von gelegentlichen Unterbrechungen, wo ein Austausch mit einem andern Mann stattfindet, oder das Weib einem Freund geliehen wird.

Die Mutterschaft und die verschiedenen andern weiblichen Funktionen verursachen ihnen kaum mehr Beschwerden als den Tieren.

Die Männer sterben hauptsächlich, um einen kurzen Ausdruck des Westens zu gebrauchen, »in den Stiefeln«.

Ein Kajak kippt um, und der Insasse stürzt in das eisige Wasser; ein Jäger harpuniert ein Walroß oder einen bärtigen Seehund vom Eis aus, dabei schlingt sich die Leine ihm um Arm oder Bein, und das gewaltige Tier reißt ihn in den Tod; ein Eisberg schlägt um, während er daran vorbeifährt; eine Stein- oder Schneelawine von den steilen Uferklippen zermalmt ihn; oder ein Bär trifft ihn tödlich mit einem Schlag seiner Tatze usw. In früheren Zeiten ist es gelegentlich vorgekommen, daß ein ganzes Dorf durch Hungersnot zugrunde ging.

Bei dem Tode eines Mannes oder einer Frau wird der Leichnam mit dem Gesicht nach oben auf ein oder zwei Felle gelegt, und darüber einige weitere Kleidungsstücke gebreitet. Dann bedeckt man ihn mit einem andern Fell, und über das Ganze errichtet man einen niedrigen Steinbau, um den Leichnam gegen Hunde, Füchse und Raben zu schützen. Neben dem Grab wird eine Lampe mit etwas Tran aufgestellt, und wenn der verstorbene ein Mann ist, sein Schlitten und sein Kajak mit seinen Waffen und Geräten. Dann erwürgt man seine Lieblingshunde, die ihn begleiten sollen, und schirrt sie vor den Schlitten. Wird eine Frau begraben, stellt man in der Nähe des Grabes ihre Kochgeräte und das Gestell, an dem sie die Familienstiefel und -handschuhe getrocknet hat, auf. Hatte sie einen Hund, wird er erwürgt, um sie zu begleiten, und wenn sie ein Kind in der Rückenkapuze trägt, so muß auch dieses mit ihr sterben.

Stirbt jemand in einem Zelt, so entfernt man die Stangen, daß es zusammenfällt, und es wird nie wieder benutzt, sondern verfault und wird schließlich weggeweht. Stirbt einer in einem Igloo, so wird dieser verlassen und lange Zeit nicht wieder in Gebrauch genommen.

Die Verwandten des Verstorbenen müssen eine Zeitlang gewisse Formalitäten in Kleidung und Nahrung beobachten. Der Name des Toten wird nie ausgesprochen, und andere Mitglieder des Stammes, die denselben Namen tragen, müssen einen andern annehmen, bis ein Kind geboren ist, dem dieser Name beigelegt werden kann, wodurch der Bann behoben wird.

Eine Religion im eigentlichen Sinne haben sie nicht. Was man so nennen könnte, ist nichts als allerhand Aberglauben und der Glaube an gute und böse Geister. Es ist äußerst schwierig, über diese Dinge Bestimmtes zu erfahren, und wahrscheinlich werden wir den Kernpunkt erst ergründen, wenn sich ein Forscher aus Begeisterung dazu entschließt, fünf oder sechs Jahre unter den Eskimos zu leben, sein Leben so einrichtet, wie sie es tun, und in Wahrheit einer der Ihren wird.

Ihre Vergnügungen sind nicht sehr mannigfaltig. Im Sommer finden Wettkämpfe unter den jungen Männern des Stammes statt, die in Ringen, Rudern, Heben und einer rohen Art von Boxen bestehen. Im Winter sind sie auf die ehelichen Freuden und auf die Lieder und Improvisationen der Angakoks oder Medizinmänner angewiesen. Bei diesen Liedern fällt die ganze versammelte Gesellschaft in den Refrain ein.

Zu diesen Thorliedern, die manchmal die ganze Nacht andauern, wird eine Art Tambourin benutzt, um den Takt zur »Musik« zu schlagen. Es ist aus einer zarten Haut vom Hals des Walrosses gemacht, die zwischen das Geweih eines Renntiers gespannt wird. Der Tanz ist nur unter den Bewohnern des südlichen Grönland bekannt. Diese Leute haben ohne das Hindernis der Kleider oft eine entzückende Anmut und sind wie die Neger unermüdlich.

Ich bin oft gefragt worden: Welchen Nutzen haben die Eskimos für die Welt? Sie sind zu weit entfernt, um bei Handelsunternehmungen in Betracht zu kommen, und außerdem mangelt ihnen jeder Ehrgeiz. Sie haben keine Literatur und auch keine Kunst im eigentlichen Sinne. Sie schätzen das Leben nur wie ein Fuchs oder ein Bär aus Instinkt.

Aber wir wollen nicht vergessen, daß diese Leute durch ihre Zuverlässigkeit und Ausdauer noch ihre Bedeutung für die Menschheit beweisen werden, nur mit ihrer Hilfe wird die Welt den Pol entdecken.

siehe Bildunterschrift

Akatingwah. Ooblooyahs Weib mit Kind.


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