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Schreckliches Unglück des Fräuleins Aurora Pogge. Der deklamierende Künstler Herr Julius Schminkert begeht eine entsetzliche Indiskretion
Der Mond schien bleich in Ruthvens Angesicht, das heißt, er beleuchtete, seinen Schein mit dem eines in eine Flasche gesteckten Dreierlichtes vermischend, das heitere Gesicht Julius Schminkerts, welcher seit einiger Zeit, das heißt seit dem Brande, ungemein häuslich geworden war. Die frühere »geniale Elastizität«, auf die er sich so viel zugute tat und welche sonst sich bei ihm, zum großen Verdruß manches ehrlichen Mannes, mehr nach außen hin betätigt hatte, schien sich jetzt mehr der innern Teile seines Wesens bemächtigt zu haben. Seit der großen Feuersbrunst brachte Julius nicht mehr jede Nacht zu zwei Dritteln außerhalb des Hauses zu.
Er studierte! – – Ja, er studierte mit allem Nachdruck, dessen ein Charakter, wie der seinige, fähig war.
Er studierte das Tagebuch des Fräuleins Aurora Pogge; und so sehr beschäftigten ihn die inhaltvollen Blätter desselben, daß er an nichts anderes zu denken vermochte, als was sich aus diesem himmlischen Buch mit den schnäbelnden Tauben lernen und – was für ein Nutzen sich daraus ziehen ließ.
Wer ihn gesehen hätte, wie er saß, wühlend in den Haaren, Seufzer, unartikulierte Töne des höchsten Behagens, des Erstaunens und der allerhöchsten Verwunderung ausstoßend, der hätte sich mit Recht ebenfalls verwundert. Der Schüler des Adepten, dem in des Meisters Abwesenheit das große Buch der Geheimnisse, der Schlüssel und Dietrich aller Kräfte über und unter der Erde, in die Hände fiel, mußte so ausgesehen, so in den Haaren gewühlt, solche Töne von sich gegeben haben. Es war aber auch ein Buch der Geheimnisse in die Hände Julius Schminkerts gefallen, und er schmeichelte sich, besser damit umgehen zu können als jener unglückliche Zauberlehrling, der mehr Geister beschwor, als er bändigen konnte. Was für Erfahrungen waren in diesen unorthographisch beschmierten Blättern niedergelegt! Über Diesseits und Jenseits, über die Nummer zwölf und jede andere Nummer in der Musikantengasse, über das Nächste wie das Fernste, über das Höchste wie das Tiefste ließ sich Aurora Pogge aus. Seine eigene nicht besonders schmeichelhafte Charakteristik fand Herr Julius Schminkert neben der eingehenden, wenn auch gerade nicht liebevollen Charakterzeichnung der schönen und angenehmen Angelika Stibbe.
Die junge Dame schien, gleich dem größten Teil der übrigen Menschheit, nicht sehr hoch, ja noch eine Stufe niedriger als alles andere in der Achtung der Memoirenschreiberin zu stehen. Übertrieben treu ward über ihr Tun und Lassen, ihr Reden und Gebaren, ihren Gang, ihre Haltung und Kleidung, ihre Frisur, ihr Kopfschwenken, Lächeln, Lachen, ihren zu großen Fuß und ihre zu kleine Nase Buch geführt. Der geflügelte italienische Buchhalter im Bureau des jüngsten Gerichtes konnte nicht schärfer Achtung geben auf die Erde und ihre Bewohner, als Fräulein Aurora Pogge acht hatte auf das Haus Nummer zwölf in der Musikantengasse und die Musikantengasse selbst.
Jedermann und jedes Weib bekam sein Teil, der Polizeischreiber Friedrich Fiebiger wie Robert Wolf, der tailleur de Paris Alphonse Stibbe wie seine Tochter. Auch über den Hausbesitzer und Rentier Herrn Mäuseler konnte man manches in diesen Ergießungen einer schönen Seele lesen; Makaria – Aurora Pogge redete aber gut von ihm, wir – wissen nicht weshalb.
Alle Augenblicke sprang Julius Schminkert von seinem Sitze auf, um eine Art von indianischem Tanz um den Tisch, das Dreierlicht und das Manuskript zu beginnen. In den seltsamsten Körperverrenkungen mußte er seiner Seelenaufregung Luft machen, und der Schreiber, sowie Robert Wolf nebenan hörten dem Lärm, welchen er dabei hervorbrachte, mit Verwunderung zu. Der Deklamator besaß Selbstüberwindung genug, um fürs erste niemand an seinem Jubel, seinem Ärger teilnehmen zu lassen. Er wußte genau, was für ein Gebrauch im gegebenen Augenblick von diesem blauen Buch den übrigen Hausgenossen, der Verfasserin und vorzüglich dem Vater der lieblichen Angelika gegenüber zu machen war; und für jetzt zeigte sich seine Schlechtigkeit klar in der teuflischen Freude, die er über die Verzweiflung der Schriftstellerin in der Beletage hatte.
Als die Pythagoräerin Periktione ihr bezauberndes Buch »über die Harmonie des Weibes« schrieb und dasselbe ihrem hellenischen Buchhändler in Verlag gab, hatte sie gewiß keine Ahnung von den Disharmonien, welche der Verlust eines Tagebuchs in einer edlen Frauenseele erregen kann. Aurora Pogge trug den Verlust ihres Manuskripts, wie eine Tigerin den Verlust ihres Jungen erträgt. War sie vorher kein Engel, so wurde sie jetzt zu einem wahren Dämon und fing an, in der Dunkelheit schweflicht zu leuchten. Zu einer Nachtwandlerin wie Lady Macbeth wurde sie, und mehr als einmal wurde sie von dem halben Leibes über das Treppengeländer hängenden Julius Schminkert beobachtet, wie sie in der tiefsten Stille der Nacht mit einer Lampe umherschlich und dunkle Winkel durchstöberte. Der Immermannsche Hofschulze, das Schwert Karls des Großen suchend, war nichts gegen Fräulein Aurora Pogge auf der Suche nach dem himmelblauen Buch mit den sich schnäbelnden Tauben. Die Vorstellung, wie viel Injurienprozesse entstehen würden, wenn diese Gedenkblätter in die rechten Hände fielen, brachte sie fast um den Verstand. Sie machte das Unmögliche möglich und wurde noch magerer, als sie bereits war. Hulda, die Camerista, die sich so manches Jahr in Geduld gefaßt hatte und welche viel ertragen konnte, sagte den Dienst auf; was und wie die Arme im Leben gesündigt haben mochte, durch die im Dienste Auroras verbrachten Jahre hatte sie alles reichlich, überreichlich abgebüßt. Selbst die Katze, die doch vor allem einen weichen Platz in dem sehr mangelhaft gepolsterten Herzen Auroras innehatte, hielt es in der unmittelbaren Nähe ihrer Herrin nicht mehr aus; sie wurde gesehen, wie sie mit gesträubtem Haar, kümmerlich, nachdenklich, melancholisch auf dem Treppengeländer saß und wehmütig-resigniert den schönen Schwanz herabhängen ließ. Es gehörte ein gutes Nervensystem dazu, dem Fräulein Pogge jetzt unbewegt entgegenzutreten; gräßlich war die Gemütsstimmung der Dame, heillos ihre Angst, grauenhaft ihre Wut, entsetzenerregend ihr Anblick. Der junge Ehemann auf der andern Seite der Musikantengasse, grad den Fenstern Auroras gegenüber, hielt den ganzen Tag die Vorhänge niedergelassen, damit das Gesicht des Gegenübers seine kleine Frau nicht zu Tode erschrecke und kaum auszudenkendes Unheil hervorbringe. –
Während der Weise im Giebelzimmer des Nikolausklosters in gewohnter Art nach seinen Sternen sieht, während der Mann aus dem Lärm der Gassen, Friedrich Fiebiger, sich träumerisch in die Wolken seiner letzten Abendpfeife hüllt, während Robert Wolf mit dem Achilleus den hellumschienten Achaiern zürnt und zwischen den Zeilen, den volltönenden Versen immer an das schöne bleiche Gesicht denkt, welches heute zum erstenmal auch an dem Krankenlager des Meisters Tellering erschienen war, an das Gesicht Helene Wienands, – während der Meister Johannes auf seinem Lager unendliche Schmerzen leidet, während das Freifräulein Juliane von Poppen die Nachtmütze aufsetzt und noch einmal den Kopf schüttelt über ihren armen Geschäftsfreund, den Bankier Wienand, während Helene Wienand in der Kronenstraße unsäglich angstvoll auf den ruhelosen Schritt im Nebenzimmer horcht: während alledem wollen wir Herrn Julius Schminkert über die Schulter blicken, um einige Stellen aus dem Manuskripte Aurora Pogges unserm eigenen Manuskripte einzuverleiben. Wir lernen daraus, daß andere Leute die Personen unserer Geschichte anders ansehen als wir selbst.
Beim idealen Lichte Lunas und beim realistischen Schein des zerfließenden, qualmenden, stinkenden Talgstümpels beginnen wir unsere Blumenlese und wissen wie Kinder auf der Wiese nicht, wohin wir zuerst greifen sollen, so reich ist das Feld, zwischen dessen Früchten wir die Wahl haben.
Auf gut Glück! Da steht in fester Handschrift, wenn auch die Rechtschreibung manches zu wünschen übrig läßt:
»1 April. Das heilige Abentmal genoßen in der Furgt des Herrn. Alle eure Sorge werfet auf ihn, er wirds wohl machen. Mamsell Stibbe wieder mit einem neuen Hut. Hochmuht kommt vor dem fall. Naseweiser Blick der dummen Triene. Dir wirt's auch noch gezeigt werden. Kalbfleisch 4 Groschen das Fund, wobei kein Mensch bestehen kann. Hulda im Verdacht von wegen Schwenzelpfennige – wäre zu arg doch. Abends Thee und Madamen Mollenkopf.
5 April. Heute waren der Herr pastor Nothzwang von der Sankt Matthäikirche bei mich; ein rechter Leuchter des Herrn. Schokoladeh. Betrachtungen über die Sindhaftigkeid der Menschheid und vorzühglig der niedern Stände. Dem Herrn Pastor die Thür gewiesen vom alten hochnähsischen Tischler im Hofe. Pack!!! Freches Volk alle miteinander; Herr Renthier Mäuseier sollde kurzen Prozes mit sie machen; – Mimi unartig gewesen. Gescholden mit Hulda. ragout für Mimi.
Nohdabehene. Ist der junge Strolch, welchen der alte schreiber zu Wintersanfang ins Haus gebracht hat, der unnatürlige Sohn des alden Fiebicher? Heulsahme Betrachtunchen über die Lasterhafdigkeid der Menschheid.
8 April. In der Matthäikirche Herr Pasthor Nothzwang wie ein Engel Gottes geprediget. In Schmolkes Hauspostile gelesen, große Erbauung. Ärger über die Schneidertriene, welche mich nachlacht, als ich aus dem Haus will. Was sich die Person einbilted! Aber 's ist noch nicht aller Dage Abend und der Krug geht so lange zu Wasser, bis er briechd. Bielded sich was ein auf ihr Lärvgen – Affe! Betrachtungen über Gottes Langmuth. Viehsaviehs Cigarrenladen Bankerot gemacht; erinnert mich am 25 September vergangen Jares Feifenasche auf den Kopf als ich aus dem Fenster sehe; verbitte mich das – dagegen unhöfliches Benehmen und Antword des Herrn Polizeischreibers Fiebger. Das will Bolihzei sein!
4 Uhr Nagmittags. Mimi hat einen blumentopf mid Krauseminze aus den Venster geworfen, einen jungen Mann, auf den Kopf. Hut auf die Nahse. Thud mir Leid, aber abscheiliches Benehmen des jungen Mannes, – rühdes Eindringen in die unbeschitzde wohnung einer schuzlosen Jungfrau. Muß den Hud bezahlen, kriege das Zittern in die Bei – Füße. Krämpfe!!!
Notahbeneh Krampfstillendes Mittel.
99½ Tropf. Arrak deh Goah oder Rhum.
½ Loth Zucker
Edwas Zitrohnensaft
Muß alle finf Münuten wiederhohlt werden.10 April. Begrießung und unterhaltung mid Herrn Parthiküliegeh Mäuseler. Sehr feingebildeter und feiner Mann. Weiß eine Dame zu erkennen; steht unter dem pantoffel seiner Haushälderin. Was die kreatur sich einbilded! Betrachtungen über das sichfindenderseelen.
Nächtliche Erweckung durch den Bummler Schminkert. Kommt betrunken nach Haus fällt auf der Dreppe. Höchst arrogahnter, lümmelhafter Gesell, der längst im Zugthause sitzen sollte, wenn die Polizei besser wäre. Männliches Pandang zu Fräulein Angelika Stibbe.
Konnte nicht wieder einschlafen. Werde morgen früh Herrn Renthier Mäuseler ein Viesithe machen von wegen des Hanswursts des Schminkerts. Vergleich des Herrn Mäuseler mit dem albernen Schneider Barterre. Was doch manche Menschen für eine Meinung von sich haben – Taljeur deh Paris! wird mir jedesmahl übel zu Muth, wenn ich bei dem Fips vorbeigehe. – Angstvolle Betrachtunchen über das steigen und Sinken der werthpapire. Nun wir stehen Alle in Gottes Hand. Will morgen den Herrn Renntier um seine Ansigt von die Nordbahnactien fragen. Beschlossen für die Mission unter die schwarzen Indianer drei Paar wollene Socken zu stricken. Der Herr wird die Gabe der Jungfrau ansehen.
20 April. Der strolch ist wirklich der natürliche oder unnatürliche Sohn des Schreibers Fiebiger. Herr, Du lässest Deine Sonne scheinen über Jerechte und Ungerechde! Hätte das doch nicht gedacht! Die Mutter war eine Bäckerstochter aus der Rosenstraße und hat sich ins Wasser gestürzt. Der alte Sünder ist bei der Bolizei; da hackt keine krähe die andere die Augen aus, und Mancher klemmt sich da den Finger nicht, wo ihn Mancher sich klemmt.
2 Mai. Beim Knopfmacher Semper drüben ist das achte Kind angekohmen. Das folk muß doch auch der Regierunch übern Koppf wachsen. Was für ein Ende wil das nehmen? Zähle in diesem augenblick vom Fehnster aus einundzwansig Rangen in die Gasse!!!
Eben der rechnungsräthin Huggendubel zugenickt – nicht wieder gegrüst! Abgeschmackte Perschon, ihr Vater war Kalfacter im Viehnanzministerium. Plebbs!!!
Besuch des Herrn Pastor Drönemeier. Madehra und Bisqwit. Erbauliche Betrachtungen über das Verbrechen so im Finstern schleichet. Ob ich nichts weiß über den Mann hinten im Kloster, den alten Ulex? Und ob! Hexenküche im Niclasklohster! Zauberhöhle. 's ist aber nichts so fein gesponnen, es Komt entlich ans Ligt der Sonnen. Was da ausgebrütet wirt vom alten Ulex und dem alten Fiebicher und dem alten Hinkefräulein das mag was Schönes sein. Das sie falsches Gehld machen, glaube ich nicht; daß sie aber an nichts Guten sinnd, weis ich siecher. Madam Mollenkopf meint, sie sagten aus den Sternen wahr, madam Strauß meind, sie machten eine grausame Maschinehrie, ein Perpedibum nobile. Das mag mich auch ein nobeles geschäfft sein. Fräulein Jöre meint, sie stellten sich und Andre das Sthereoskrop, und ich glaube, sie thun allesmiteinander und nog viel Schlimmeres dahzu; ich mach gar nicht dran denken. Den jungen Strolch des Schreibers verführen sie auch, er liecht tag und nacht im Kloster – son unglickliches Wurm!
9 Mai. Besuch vom hern Parhtikübligeh Mäuseler. Sehr erfreid. Gans scharmanter Mann! Weiß was es ist um eine unbeschitzte Junckfrau. Schade daß son Mann von solchen Thier von Würdschafterin zu Tot geqwält wird. Beruhigung von wegen die Eisenbanahcttzien. Indereßant zu erfahren, wie mann die Feifen am behsten reinicht.
10 Juli. Große scene im Barterr. Schneider Fips in Wudh, Barohn Schleifenbein Durchgebrand mit unbezahlte Rechnung. Außerdem wigtige entdekkung von mich gemacht: Schauspielerlumpp aus die Dachkammer macht geputzten naseweisen Gans unten, Angelikah Stibbe den Hof. Mitleidiges Gefil mitn armen Stibbe. Sollte so hart doch nicht gestrafft werden.
20 Juli. Hulda hat gehört es spuke wieder hinten vom kloster her. Unterirrdischer Gang bis in unser Haus, wo weiser Mönch und schwarze Nohne umgehen. Vorne Schneidertriene, nägtliges Rumoren hinten, Mimis Unruhe in die Nacht. Miauzen. Herzspann.
Notabehne. Eine verlassene Jungfrau ist ein einsahmes unglückliches Wäsen!
21 Juli. Der junge musikande im Eckhaus hat sich todgeschossen. Auch das noch! Viel Schlimmes gehört an diesem Tage. Wird gegen des Herrn gebod wien ordendlicher Krist begraben und komt nicht nach die Anatomie und in Sphiritus! Ansicht des Herrn Pastohr Nothzwang darüber. Konnte die ganze vergangene nacht nicht schlaffen. Mimi sehr unruig.
22 August. Wenn der Schauspieler nichd auszieht, so ziehe ich. Unerträgliger Lerm in der Nacht. Kopfweh und Mihgrähneh. Besuch beim Herrn Renntier Mäuseler (natürlich im Begleitung von Hulda). Liebenswürdiger Mann – gut conversirt für seine Jare. Will sehen was mit dem Lumpp zu machen ist. Lumpp soll aus dem Hause. Begegne in die Hausflur beim Ausgehen aufgedonnerte Schneidermamsell. Ponsoseidenes Kleid, weiser seidener Shwal o deh mil flöhrs. Kann mir nicht enthalten, lasse ein Wort fallen von Schminkert und was ich weiß. Gesichd was die Krabbe macht, denke an Giffd dabei. Warte nur, wollen schonst nen Stecken dabei stecken.
23 August Krank!!! Totkrank vor Ärger Schrecken. Abscheilich, abscheilich. Krank im Bett, Mimi auf die Füße. Komme gestern Abend nach ölf Uhr aus die Betstunde, steiche die Dreppe hinauf – weiße Gestalt mit feurige Augen – Ohnmacht! Erwache in die Ahrme von Fräulein Stibbe und das gantze Haus. Stehen alle um mich und lachen. Gans lacht, Schneiderbock lacht, Bolizist Fiebicher lacht, natürlicher Sohn lacht, – Histehriohne lacht auch. Kein Gespenst mehr zu sehen; schwazen alle auf mir ein, schreie ich nach Hulda nach Hausher, kommen entlich angestirzt und reißen mich aus die Hände von die Rotte Mörderrotte, auswurf von der Menschheid. – Werde von Hulda zu Bett gebracht – Krämpfe, Weinekrampf gantze Nagt, Doctor gehohlt – werde sterben dran. Am Morgen von Hulda ein hohler Kirbüs mit Augen, Nahse und Mund im Kellerhals gefunden und an mein Bed und zu Herr Mäuseler gebracht.
Histehrione muß weg, boshaftige grinsende Schneidertriene muß weg, Schneider muß weg, Strolch muß weg, Bolizei muß auch weg. Alle müssen aus dem Hause.
Nodapeneh. Krampfstillendes Mittel:
Schlage ein ei zu Schaum und in ein Glas Franzbrandewein, Zucker atlibedumm. Vanillge, Wird heiß genommen.
Nhodabene. So heiß als möchlig!!
7 September. Kaffegesellschafd bey Frau Sekräterin Flenner. Weinerliche Perschon dünner Caffeh. – Zikorijen!! Arrogans von die jötzigen jüngern dämchen. Soll wol kratziöses Wäsen sein, wenn sieh naseweis sind gegen gereifdere Dahmen; – Affen! – Allerlei erfaren. Strolch magt süße Augen nach dem jungen Geschöpff, die Togder von Banqwieh Wienand. Dreikähsehoch von Mägdchen mit Taubenblicke – man kennd daß. Bei nachhausekunft von Hulda gehörd, das Histeriohne und Schneidermamsell wieder eihn Rahngdefuß im Hausganck gehabt haben. Soll so wahr ich das läben habe das letzte sein. Will Pinnsel von Vater die Augen öffnen, daß ihn ein gantser Lightzieherladen aufgehen soll. Alter Donjuhan von Bolizeischreiber ist mir auch wieder in stichdunkle nacht mit dem alten lahmen Freilein von Poppen begegend; der Her Pastor Drönemeier« – –
Hier brach das Tagebuch ab. In der Nacht vom siebenten auf den achten September war das Feuer in der Fabrik von Semmelroth und Kompanie ausgebrochen, und aus dem Bette, auf den Vorplatz stürzend, hatte Fräulein Aurora Pogge, die hagere Tochter des weiland so ungemein wohlbeleibten Proviantkommissärs, ihre himmelblauen Seelenergüsse, ihre liebenswürdigen Aufzeichnungen mit allen sich schnäbelnden silbernen Tauben aus dem Busen und dem Nachtrock an der Treppe verloren.
Der, welchem sie das süße Büchlein am letzten gezeigt hätte, der Popanz ihrer jungfräulichen Seele, der »Histeriohne« Julius Schminkert hielt es in den teuflischen Klauen und hätte es, obgleich er den Wert von fünf Talern sehr wohl zu schätzen wußte, um alle Reichtümer der Welt nicht herausgegeben. Mit diesem Buche in der Hand ließen sich durch einen Schlaukopf wie er merkwürdige Resultate erzielen. Was würde zum Beispiel Monsieur Alphonse Stibbe sagen, wenn man ihm einige Bruchstücke, einige Epitheta, welche seine eigene achtungswerte Persönlichkeit betrafen, daraus vortrüge? Was würde der »Bartikuglieh« Herr Mäuseler zu einigen Stellen aus dem himmelblauen Buch sagen?
»Es ist zu himmlisch! Es ist zu göttlich! Man sollte es nicht glauben, wenn man es nicht schwarz auf weiß vor sich hätte!« rief der Schauspieler, mit der Faust auf Auroras Schatzkästlein schlagend. »Wie das Weib losgeht! Alle Teufel, wenn ich doch das Ding in der Lilie vorlesen dürfte! Aber sachte, Julius – wirf dir nicht selbst den Milchtopf um; immer ruhig und bedachtsam, wir wollen das Feuerwerk nicht am hellen Tage abbrennen. Hurra, die Schwärmer, Frösche, Feuerräder und Raketen! Wenn nur nicht die ganze Nummer zwölf und die halbe Musikantengasse mit in die Luft fliegt!«
Julius Schminkert hatte in der letzten Zeit immer mehr Terrain in dem hochromantisch blühenden Herzen Angelikas gewonnen. Die Memoirenschreiberin hatte in ihren Beobachtungen vollkommen recht: Angelika Stibbe schwärmte für die leichtsinnige Lebensart des genialen Julius. Es lag doch Poesie und Schwung darin! Angelika Stibbe liebte die Art, wie der deklamierende Künstler die struppige Mähne aus der Stirn warf, und nicht weniger gefiel ihr sein blühender Redestil und die Art der Mimik, mit welcher er seiner Rede Nachdruck gab.
Sie hatten sich »Rangdefuß« gegeben, und – sie gaben sich ferner welche.
Wieder einmal öffnete Julius Schminkert sein Fenster, sog die ambrosische Herbst- und Nachtluft in die jubelnde Brust und sang in den Hof hernieder einige Takte einer Opernarie, in welcher ein höchst verliebter Jüngling in Trikots, Mantel und Federhut einer Donna sein Nahen verkündete.
Nachdem er auf diese Art seine eigene Innamorata benachrichtigt hatte, daß er noch in der Höhe vorhanden sei, schlich er in Pantoffeln die Treppe hinunter, horchte mit teuflischem Grinsen an der Tür Auroras und schlüpfte aus der Hintertür des Hauses in den Hof, der zu jetziger Stunde einzig durch einen matten Schimmer des Krankenlämpchens des Meisters Tellering erhellt wurde.
In einer Ecke dieses Hofes über einem Regenfaß befand sich das keusche Kammerfenster Angelikas, und wenn jemand dem Zuge seines Herzens folgte und auf besagtes zugedecktes Regenfaß trat, so konnte er grade mit Bequemlichkeit die zarte weiße Hand fassen, welche ihm aus dem rosigverhangenen Kammerfenster niedergestreckt werden mochte.
Julius Schminkert kannte bereits die beste Art, sich auf die morsche Tonne zu schwingen und sich mit übervollem Herzen auf dem gefährlichen Standpunkt im Gleichgewicht zu halten. Er voltigierte, stand, balancierte, flüsterte Worte der Liebe; – das Fenster erklang, leiseste Gegenflüsterungen durchzitterten die Nacht. Mit glühenden Küssen bedeckte der Liebende die zarte weiße Hand der ätherischen Huldin, an welche er seine göttliche Seele verloren hatte. Und währenddem lag der ahnungslose Papa, der Unvergleichliche, Herr Alphonse Stibbe, der doch à Paris so viel erlebt und erfahren hatte, im tiefsten Schlummer, nur geängstigt von einem Traum, in welchem er den Baron Schleifenbein im unbezahlten Frack ausreißen sah, während er selbst festgewurzelt stand, die abgerissenen Schöße des Fracks in der Hand.
Und währenddem warf sich Fräulein Aurora Pogge, welche dem Tailleur das Liebesverhältnis seiner Tochter noch nicht verraten hatte, ruhelos auf ihrem Lager hin und her und kramte in Gedanken noch einmal alle Schiebladen, Kasten, Kisten, Schränke, Ecken und Winkel nach ihrem verlorenen Tagebuch aus. Es war gut, daß ihre Haare sicher auf einem Haubenstock neben dem Bette standen, sie würde sie sich sonst jedenfalls ausgerauft haben. –
»O mein Julio!« flüsterte eine Stimme parterre im Hofe, über der Wassertonne.
»O meine Romea – meine einzige, ewige Liebe, mein Engel, meine Angela, Angelina, Angelika!« hauchte der Deklamator; und dann flüsterte die Schöne in ganz veränderter Tonart:
»Schminkert, ich weiß jetzt, wer dem grünen Jungen aus dem Walde, welchen der alte Narr, der Fiebiger, aufzieht, das Herz gebrochen hat.«
»Und wer, meine Seele?« fragte der Tragöde auf der Wassertonne.
»Die Tochter des Bankiers, der seit dem Brande verrückt geworden sein soll – Fräulein Wienand, die jetzt immer über den Hof zum alten Tellering zieht; der Junge weiß jedesmal, wenn das kleine Ding kommt, und ist hinter ihr her, wie – wie –«
»Wie Don Julio Schminkertino hinter Donna Angelika Stibbelini, – so geht's in der Jugend. Magst übrigens recht haben, Scharfäugigste deines Geschlechts. O Gott, Gott, du hast alles wohlgemacht; aber die Weiber hast du doch zu schlau erschaffen. Na, ich will dem Mann der öffentlichen Sicherheit bei Gelegenheit einen Wink geben über die Fährte, auf welcher sein Zögling jagt. Die kleine Wienand jedoch ist ein reizendes Kind, ein allerliebster Wurm – wonnige Augen – seelenvolle Stirn – himmlische Locken – ein Entzücken, eine Selig–«
Ein Wasserguß aus dem Fenster der mit Recht empörten Angelika Stibbe ersäufte beinahe den unbedachtsamen Jüngling auf dem Fasse, welcher, für eine solche Lobrede einer anderen, Zeit und Stelle sehr schlecht gewählt hatte. Das Gleichgewicht verlor er ebenfalls; er stürzte, die Tonne stürzte, der Deckel derselben brach – Gekrach, Geprassel – sich ergießende Fluten trüben stinkenden Wassers! Flucht des betäubten Julius ins Haus, – treppauf – nasse Spur die Stiegen hinauf bis ans Dach, – erschreckte gespenstische Gestalten an Fenstern und Türen! – – –
Bedenkliche Blicke wurden am folgenden Morgen, vorzüglich von dem weiblichen Teil der Bevölkerung des Hauses, auf das umgestürzte Faß und das Fenster der armen Angelika geworfen. Auch die feuchte Spur, welche sich die Treppe hinauf verlor, verfolgte man mit Kopfschütteln und Kopfnicken, und der gute Ruf einer gewissen jungen Dame bekam dadurch abermals ein bedenkliches Loch. Der Schauspieler Julius Schminkert aber bekam den Schnupfen, und der Papa Stibbe rückte ihm »auf die Bude«; verließ sie aber in besserer Stimmung, als man sich vorstellen sollte, – Julius hatte ihn bloß betrunken gemacht und noch nicht die große Reserve, die Tagebuchsblätter Aurora Pogges, ins Gefecht geführt.