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Wesen und Entwicklung der politischen Grenzen

Zwischen Gebieten verschiedenen Inhalts oder zwischen einheitlichen Gebieten, die sich scheiden und auseinanderklaffen, ziehen Grenzen . Die Grenze zwischen dem Meer und dem Land ist die Küste, die Grenze zwischen dem Land und einem Flusse ist das Ufer, die Grenze zwischen dem Gebirg und der Ebene ist der Übergang starken Gefälles in schwaches. Eine Granitmasse und eine Schieferschicht werden durch ein Quarzband getrennt und zwei Gesteinslager gleicher Art durch die Verschiedenheit ihrer Neigungswinkel, auch die Grenze zwischen zwei ursprünglich zusammenhängenden Staaten ist die Narbe eines geschichtlichen Risses. Ein Wald und eine Grasebene stoßen so hart aufeinander, daß die dunkle Masse jenes aus der lichtgrünen Flache dieser sich wie eine Mauer erhebt. Eine wirkliche Mauer bezeichnet die Grenze zwischen der Stadt und dem flachen Land. Außer solchen sichtbaren Grenzen gibt es viele andere, auf die wir nicht die Hand legen können, verwischte Streifen , die wir als Grenz gebiet zu zeichnen haben. Aber so sehen wir ja auch nicht die Linie der Küste, des Ufers, des Gebirgsflusses in der Natur, wie sie auf der Karte steht, sondern bei näherer Prüfung kommen wir überall auf das Grenz gebiet und erkennen: die Grenz linie ist nur eine Abstraktion von der Tatsache, daß, wo ein Körper sich mit anderen berührt, er Veränderungen erfahrt, die seine Peripherie von seinem Inneren unterscheiden.

Der Grenzsaum ist das Wirkliche, die Grenzlinie die Abstraktion davon. Diese kann man zeichnen, in das Gedächtnis einprägen und messen, jener ist seinem Wesen nach unbestimmt. Die Grenzlinie ist daher eine Stütze unserer Vorstellung, eine Erleichterung unseres Denkens, vergleichbar der Linie, die eine nie ruhende Bewegung abzeichnet, als ob sie einen Augenblick stehen geblieben wäre. Alle Grenzlinien, mit denen die Geographie zu tun hat: die Küstenlinien, die Linien gleicher Wärme, die Firn- oder Schneelinien, Höhenlinien der Vegetation, Grenzlinien der Völker oder Staaten: sie haben dieselbe Natur.

Die scheinbar starre Grenze ist nur das Haltmachen einer Bewegung.

Der Krieg hebt die Grenzlinie auf , die er als ein Gebilde und Symbol des Friedens ansieht. Mag die Grenzlinie gleich nach der Entscheidung des Streites wieder gezogen werden, dem Krieg als einem Aufeinandertreffen stürmischer Bewegungen widerspricht die starre Grenze völlig. Das Dasein der Verkehrs-, Besiedelungs-, Kultur- und Völkergrenzen kann aber nicht der Krieg an sich aufheben, wenn er auch später Anlaß zu ihrer Verschiebung geben mag. Man kann sagen: die wirklichen Grenzen muß auch der Krieg respektieren, die abstrakten Grenzlinien hebt er auf. Von der Kriegserklärung an betrachtet das Völkerrecht die Grenzverletzungen als erlaubt. Der Krieg schafft mit Sturmesgewalt neue Machtbereiche, deren junge Grenzen er durch neuen Krieg schützt. Die Grenze aber, die der Krieg in seinen Ruhepausen, im Waffenstillstand sich zieht, ist wieder etwas ganz anderes als die abstrakten Grenzlinien des Friedens. Sie ist ein Gebiet von mehreren Märschen Breite, ein neutraler Streifen zwischen den beiden Aufstellungen und als solcher ein weiterer Beleg dafür, daß die räumliche Ausdehnung eine notwendige Eigenschaft der Grenze ist, sobald sie dem Reiche der Wirklichkeit angehört. Keinem Feldherrn fällt es ein, eine ideale Grenzlinie mitten in diese Zone zu legen, sondern er sucht beim Ablaufe des Waffenstillstandes oder sogar kurz vorher sie rasch in ihrer ganzen Breite zu umfassen, wie Blücher im August 1813 in Schlesien.

Die Grenze ist also durch die Eigenschaften des sich Verbreitenden, sozusagen von innen heraus, und nicht minder durch diejenigen der Umgebungen immer ihrem Wesen nach veränderlich.

Ist die Grenze der peripherische Ausdruck einer räumlichen Entwicklung, so läßt die Form der Grenze nun auch die Art ihrer Bewegung erkennen: vorgedrängt, wo das Wachstum begünstigt ist, zurückfallend bei Hemmung, und um so unregelmäßiger verlaufend, je größer der Wechsel der äußeren Bedingungen ist. Die gehemmte Bewegung bricht aber nicht gleich schroff ab, sondern sendet noch einen Ausläufer voraus und ähnlich bleiben beim Rückzug Nachzügler hinter der Linie. Das ist gerade so, wie wir die Baumgrenze über der Waldgrenze finden und die Firnfleckengrenze unter der Firngrenze, die Treibeisgrenze vor der Packeisgrenze. Kleine Gruppen gehen weiter hinaus als große, einzelne noch weiter als jene Gruppen. Unter günstigen Bedingungen dringt die Grenze vor, gegenüber ungünstigen fällt sie zurück.

Wo wissenschaftslose Völker eine Grenze ziehen, ist es ein wirklicher Grenzsaum , in verstärkter Form eine Grenzwüste , eine Grenzwildnis oder ein Grenzwall . Die Staaten umgeben sich mit menschenleeren oder nur zeitweilig bewohnten Ländereien, die das unmittelbare Aneinandergrenzen hindern sollen, das Wechselwirkung, Annäherung, Wettbewerb und Fortschritt hervorbringt.

 

Alle kriegerischen Aufmärsche und Überschreitungen, sowie die Kämpfe um Grenzen lehren, daß militärgeographisch die Grenze nur als Raum zu fassen ist . Man stellt keine Armeen längs einer geometrischen Linie auf. Für den Feldherrn kann die Grenze nur einen Raum mit mehr oder weniger günstigen Bedingungen für militärische Operationen bedeuten, welche bald diesseits, bald jenseits der abstrakten Grenzlinie verwirklicht sind, dieselbe durchkreuzend oder unterbrechend. Die moderne Kriegskunst schafft zwar zumeist keine Grenzsäume durch Verwüstung, wie die Negerstaaten und wie die Germanen »in barbarischer Strategik« einst meilenweit um ihre Gebiete herum taten. Krösus verwüstete ganz Kappadokien zum Schutz seines Landes und Philippos machte ein weites Gebiet nördlich von Makedonien gegen die Einfälle der Dardaner zur Wüste. In solchen Öden mochte ein neuer Grenzwald ungestört aufwachsen. Heute lassen feindliche Armeen bei Waffenstillständen nur zu jeder Seite einer »Demarkationslinie« Räume von bestimmter Breite frei, in die keiner von beiden Kriegführenden vordringen darf.

 

Die Entwicklung der Grenzlinie aus dem Grenzsaum geht in der Weise vor sich, daß in die unbestimmten Räume der Marken von den Wohngebieten aus der Besitznahme und Besiedelung familien- oder dorfweise übergriff, bis endlich kein freier Raum mehr blieb. Oder zwischen schwachen Staaten schoben sich auch Fremde ein, die lange in ihrer Wildnis weder dem einen noch dem anderen Staate gehören mochten.

 

Das alternde Volk richtet sich immer fester in seinen Grenzen ein, wird sich derselben immer mehr bewußt, befestigt dieselben nicht bloß durch Gräben, Schanzen und Festungen, sondern durch Ausbreitung seine nationalen Eigentümlichkeiten bis jene Grenzstriche, wo früher peripherische Besonderheiten sich erhalten hatten. So ist eine alte Grenze etwas viel Sichereres, schwerer Verschiebbares als eine jüngere, und es gehört dies zu den Gründen der Festigkeit alter Staaten, die etwas von der Verknöcherung hat. Mit der »wissenschaftlichen Grenze«, über deren Verlauf an keiner einzelnen Stelle irgendein Zweifel herrschen kann, sind die Grenzkonflikte seltener, die Grenzverschiebungen aber auch schwieriger geworden. Denn die sichere Grenze liegt auch fester und wird immer fester.

 

Die meisten natürlichen Grenzen brauchen immerhin noch die künstliche Festlegung. Auch über den Gebirgsgrenzen schwebt die nur gedachte, aber genau bestimmte politische Grenzlinie, über deren Verlauf selbst der schärfste Gebirgsgrat und die klarste Wasserscheide Zweifel übriglassen könnten. Das ist besonders gegenüber der Neigung zu einem abschließenden Gebrauch des Begriffes »natürliche Grenze« zu erinnern.

Die Grenze an der Küste ist die beste aller politischen Grenzen innerhalb der Ökumene, weil sie die natürlichste ist. Sie trennt ein bewohntes Stück Erde von dem Unbewohnbaren. In dieser Eigenschaft kann sie gar nicht mit irgendeiner anderen Grenze verglichen werden. Darum ist auch die entwickeltste, formenreichste Küste für ein Land ebenso vorteilhaft, wie die kürzeste, geradeste Landgrenze, denn die Vervielfältigung der Berührung mit dem Meer ist oft vorteilhaft und nie nachteilig, die Berührung eines Staates mit einem anderen kann dagegen nicht kurz genug sein. Die Küste gibt uns die Natur selbst zum Nachbar, und dieser Nachbar ist trotz Brandung und Sturmflut zuverlässiger als der engstbefreundete Bruderstaat. Sie schließt uns zugleich die Schätze des Meeres und den Verkehr der ganzen Welt auf und ist daher die einzige Grenze, deren Wert fast für jede Erwägung mit ihrer Länge steigt.

Als der Grenzfluß oder Grenzbach für niemand ungehörig galt, was in deutschen Gebirgsgegenden wohl noch im 16. Jahrhundert der Fall war, konnte die Flußgrenze als der letzte Rest des Grenzsaumes betrachtet werden. Heute, wo die Grenze in den »Talweg« gelegt ist, wird Flußgrenzen hauptsächlich der Militär loben, weil sie als natürliche Terrainabschnitte und Annäherungshindernisse sich günstig erweisen, wie die Kriegsgeschichte von der alten bis zur neuesten Zeit in zahllosen Fällen zeigt. Umgibt man doch auch die Festungen außer mit Wällen noch mit wassergefüllten Gräben. Als die Römer am Rhein 50 Kastelle anlegten, war dieser Strom für sie ein einziger »nasser Graben«. Dabei sind ebenso wie in anderen Beziehungen nie von den Flüssen die Täler zu trennen und gerade der Militärgeograph wird dem Fluß noch die vorausgelegenen Talhöhen vorziehen, die den Fluß beherrschen. Ein Fluß als Verteidigungslinie bedingt also durch seine Länge die Verteilung der Verteidiger auf eine lange Linie und bietet zugleich wegen des Mangels hervortretender Querabschnitte wenig Gelegenheit zur Seitendeckung, weswegen die unter diesen Bedingungen doppelt gefährliche Umgehung die größte Gefahr einer Flußverteidigung ist; ihr entgegenzuwirken sind die an Flüsse sich anlehnenden Festungen bestimmt. Oder die Flußlinie geht in eine künstliche Verlängerung über, so wie der Trajanswall für die erste Ausbreitung der Römer gleichsam die Verlängerung der Donau zum Schwarzen Meer (bis Tomis) bedeutete; erst Hadrian zog den Nordwinkel der Donau in die Grenzbefestigung ein. Aber die Grenze besteht nicht nur aus Verteidigungsabschnitten, sie hat auch andere Aufgaben zu erfüllen. Es ist ein schädlicher Aberglaube, in den Flüssen die unter allen Umständen natürlichsten Grenzlinien und in jedem Fluß eine treffliche Grenze zu sehen. Aus den natürlichsten Gründen kann nicht jede Flußgestalt geeignet sein, eine politische Grenze zu tragen; weder ein Zickzackfluß wie der Main, noch ein in Seen und Brüche aufgelöster, wie die untere Spree, entspricht der Forderung der geradesten und kürzesten Erstreckung. Da aber die Anforderungen an die Grenzen im Lauf der Geschichte nicht dieselben geblieben sind, konnten zu einer Zeit Flüsse als Grenzen angenommen werden, die später dieser Aufgabe sich nicht mehr gewachsen gezeigt haben. Und besonders gilt das von der provisorischen und symbolischen Begrenzung durch Flüsse.

In den Zeiten, in denen eine Grenzlinie genau zu bestimmen nicht möglich war, bot sich der Fluß und Bach als natürliche Linie von selbst zur Bestimmung einer allgemeinen Grenze dar. Daher die zahlreichen Flußgrenzen in der Zeit des Überganges vom Saum zur Grenzlinie, sowohl bei primitiven Völkern von heute als in den großen Reichen, deren Peripherie nur durch Meere, Flüsse oder Gebirge einigermaßen sicher zu bestimmen war. Die natürlichen Grenzen, die Karl der Große seinem Reich scharfblickend gezogen, von der Eider über Elbe, Saale, Böhmerwald, Enns und Wienerwald bis zur Raab, haben für mehrere Generationen die Beziehungen der Völker festgelegt. Später noch las man auf der Brücke von Rendsburg » Eidora Romani terminus Imperii «. Karl der Große hat wie hier auch am Ebro und Tiber Grenzen seines Reiches bestimmt. So galten die Aare und der Rhein mit wenig Ausnahmen für Ostfranken, der Götha-Elf vom Wenersee bis zum Meer für Norwegen, Königsaue und Koldingfjord für Schleswig. Ist doch der untere Zab zwischen Assyrien und Babylonien eine der ältesten Grenzen, die wir kennen.

Mögen die Flüsse gute strategische und Zollgrenzen abgeben, so sind sie als Völkergrenzen und als politische Grenzen um so unwirksamer.

Beim Fortschritt der Besiedelung und der Verdichtung des Verkehrs mußte sich sehr bald zeigen, daß man den Fluß als Grenze im Sinne der neutralen Zone gelten lassen kann, daß er aber nicht von seinem Lande zu trennen ist. Sein Verkehr strebt ans Land und spinnt von Ufer zu Ufer seine Fäden. Nun strebt die Grenze auf Befestigung und Vertiefung der Sonderung hin: der Verkehr aber will alles aus dem Wege räumen, was seinem Streben nach Bewegung und Vermittlung entgegensteht. Und als Verkehrsweg dient nun der Fluß diesem Streben. Daher als, ein tiefer Zwiespalt, der übrigens nicht rein zwischen dem Verkehre und der Politik klafft.

 

Wenn im Gebirgsbau selbst die Richtung auf Sonderung nicht klar genug ausgesprochen ist, kommt die Wasserscheide der Flüsse als treffliches Hilfsmittel der Abgrenzung mit hinzu, wobei das Völkerrecht annimmt, daß in Zweifelsfällen die Gebirgsgrenze nach der Wasserscheide zu ziehen sei.

Die reine Wasserscheidengrenze ist übrigens weit entfernt, die Grenzvorteile gleich zu verteilen. Den besten Beleg dafür liefert die französisch-italienische Alpengrenze, die fast genau die Wasserscheide einhält, so daß die wichtigen Pässe: Kl. St. Bernhard, Mont Cenis, Mont Genèvre, Col d'Argentière zwischen beiden Ländern geteilt sind. Vom Col di Tenda ist sogar der südwestliche Abhang in den Händen der Italiener, Aber die Abhänge führen beiderseits sehr ungleich von dieser scheinbar so gerechten Linie hinab. Die italienischen führen rasch in breite, fruchtbare, bevölkerte Täler, und dort konvergieren die zahlreichen Zuflüsse des Po ebenso rasch und entschieden, wie hier zu der Rhone die Isère und Durance auf Umwegen gelangen, die zuerst weit Auseinanderstreben.

Eine wachsende Macht bleibt weder auf dem Kamm noch auf der Wasserscheide stehen, wie scharf diese auch trennen noch mag, sie folgt vielmehr den hinausziehenden Gewässern und steigt in die Täler hinab.

 

Die politische Geographie muß mit der politischen Grenze als der vertragsmäßig festgesetzten rechnen. Die natürliche Beschaffenheit Umgebungen kann die Zweckmäßigkeit solcher Grenzen beeinflussen, und eine oder die andere Funktion auch der künstlichsten Grenze wird in jedem Fall durch Wasser oder Wald, Berg oder Tal erleichtert. Aber auch als Folge oder Ausdruck der geschichtlichen Schicksale muß die Grenze, wie sie ist, für irgendeine Zeit hingenommen werden, wobei die Entwicklung des Volkes in einer schlechten Grenze so kräftig gedeihen kann, daß das Volk durch die Ausprägung seiner Individualität das ersetzt, was ihm die Grenze nicht bietet. Die Freiheit der Schweiz und der Niederlande ist gerade an den offenen Grenzen beider Länder kräftigst behauptet worden. Das Natürliche der Grenzen gehört nicht nur dem Boden an, es kann auch das Volk selbst dazu beitragen, das eine ethnographische Grenze entschieden behauptet. Irgendeine natürliche Grenze, die zugleich eine national-gleichartige Bevölkerung umschließt, wird dadurch wirksamer, daß sie in dieser Einheitlichkeit eine Quelle von politischer Kraft hervortreibt, die wieder der Grenze zugute kommt. Wo die Sahara Nordafrikaner und Neger, der Himalaya Mongolen und Arier, die Anden Waldindianer und indianische Kulturvölker voneinander trennen, sind Grenzen von menschheitsgeschichtlicher Größe entstanden.

Je höher ein Staat seine Selbständigkeit hält, desto größeren Wert wird er auf seine Grenzen legen. In der Festigkeit der Grenze liegt die Dauer des Staates. Zugleich stellt hier der Staat seine Macht dem Ausland entgegen. Besonders den Grenzfestungen gegenüber, die diese Macht zusammenfassen, fühlen Völker und Staaten, was ein türkischer Staatsmann von serbischen Grenzfestungen sagt: sie sind Pyramiden, Denksteine, die die äußersten Grenzen des Reiches bezeichnen.

Der Schutz gegen kriegerische Angriffe ist immer eine der wichtigsten Aufgaben der Staaten. Es ist natürlich, daß sich dabei die Frage erhebt, welche Eigenschaften einer Grenze die Lösung dieser Aufgabe erleichtern und welche nicht; und wesentlich in ihrer Beantwortung bilden sich die Begriffe gute und schlechte Grenzen .

Die Grenze hat in militärischer Auffassung ihre Stelle unter den Machtmitteln eines Staates, dessen Stärke oder Schwäche mit von dem Schutze abhängt, den sie gewährt. Andere Machtmittel stehen im Verhältnis zu ihr. Wenn der Besitz eines bestimmten Grenzplatzes eine Armee aufwiegt, so ist dies eben die Armee, welche notwendig gewesen wäre, vor seiner Erwerbung die soviel ungünstigere Grenze zu decken. Im militärischen Sinne ist die Grenze nicht bloß Verteidigungslinie sondern immer zugleich Angriffsfront . In fast allen Fällen wird die letztere Auffassung überwiegen, denn der Krieg will vorschreiten, will Raum gewinnen, und das kann er nur, wenn er die Grenze des Gegners angreift und überschreitet, und damit verkürzt der Angreifende in vielen Fällen die Linie, auf der er selbst angegriffen werden könnte.

In den Grenzgebieten großer Völker oder großer Staaten, ob dieselben sich nun unmittelbar berühren oder durch kleinere Gebiete getrennt sind, sondern sich Stellen von erhöhter Wichtigkeit aus, welche unter den verschiedensten Umständen und in den entlegensten geschichtlichen Momenten umworben oder umkämpft wurden. Ihre Entwicklung knüpft zuerst an die natürlichen Bedingungen an, wo diese politische Vorteile zu bieten scheinen. Aber auch wo wichtige Verkehrsstraßen die Grenzen schneiden und überhaupt in der Richtung der Verbindungslinie wichtiger Punkte dies- und jenseits der Grenze liegen Grenzstrecken von hervorragender Bedeutung. Außerdem kommt aber bei der Zerlegung der Grenzen eines Landes in natürliche Abschnitte auch das Staatenwachstum in Betracht. Nicht nur stammen die Grenzen der verschiedenen Teile eines Landes aus verschiedenen Zeiten und sind unter verschiedenen geschichtlichen Bedingungen gezogen, sondern auch heute noch ist ihr Wert nicht an allen Stellen derselbe, da sie nicht an allen in gleichem Maße Träger dieses Wachstums sind.

Energisches Wachstum prägt sich in der Grenze aus. Die Völker- und Staatenausbreitung verdichtet ihre Energie auf einzelne Strecken, die wie Wachstumsspitzen mit konzentriertem Leben erfüllt sind.

Die Grenze ist das peripherische Organ des Staats-, Wirtschafts-, Völkergebietes, durch die die Aufnahme und Ausgabe aller der Stoffe stattfindet, die das Leben eines Volkes und Staates braucht und abgibt. Ein beständiges Geben und Nehmen findet durch die Grenzen seine unzähligen Wege. Daher begegnen wir in ihr neben den Vorrichtungen zum Schutz auch denen zur Förderung des Austausches , und beide verbinden sich, wie in den Epidermoidalgebilden von Pflanzen und Tieren, zu sehr merkwürdigen peripherischen Organen: Kombinationen von Handels- und Festungsstädten, Brücken und Brückenköpfe, Forts, die aus verkehrsreichen Strommündungen sich erheben, oder befestigten Inseln, welche mitten im Getriebe eines Hafens des Welthandels – Governor's Island im Hafen von New York – fremdartig und doch tiefstzugehörig auftauchen. Durch diese Funktionen wird die Grenze zu einem höchst eigentümlichen Organ des von ihr umschlossenen Gebietes, dem offenbar wenig die Auffassung gerecht werden könnte, daß die Bedeutung der einzelnen Teile des Gebietes vom Mittelpunkt nach der Peripherie hin abnehme, vielleicht gar so regelmäßig, wie das Licht von einem Ausstrahlungsmittelpunkt.


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