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Man bewundert Gabriel Matkowitsch heute als den größten Schurken des Dreieinigen Königreichs – eigentlich aber ist er ein behäbiger Spießer gewesen. Wenn er nicht eben aß oder jagte, verkaufte er Seife, Leder, Eisen und Tabak, Briefmarken, Sämereien, Taschenmesser, Schnittwaren – und alles, was sonst in diese Fächer und dazwischen fällt. Er war Sparkassendirektor, Gemeinderat und zweiter Ehrenoberkommandant der Dolinaer Feuerwehr. Er hatte auch einen Pflaumengarten, einen Gemüsegarten – und im Vorort Sokowgaj ein Bauernlehen. Vor allem aber war er ein Wucherer ersten Rangs. Brauchten die armen Slowaken von Sokowgaj im Frühjahr Geld, da borgte er ihnen ein Faß künstlichen Pflaumenbranntwein und riet ihnen, das Faß bei Schandor Banjanin zu Geld zu machen. Banjanin aber war Gabriels Zapfenwirt. Denn Gabriel hatte auch einen Gasthof. Im Herbst fuhr er dann nach Sokowgaj und heimste ein Faß echten Schnaps ein. – Wenn aber ein wohlhabender Bauer um Geld zur Sparkasse kam, wies Gabriel ihn als nicht kreditwürdig ab und gab ihm dann das Geld zu Haus aus dem eigenen Schrank – nur aus reinem Mitleid und ganz ohne Zinsen. Zinsen nahm er nämlich nie, das ist gemein. Er nahm nur Mais oder Weizen.
70 Weil er nun niemals Zinsen nahm, verkehrte er in der besten Gesellschaft von Dolina – mit den Offizieren der Batteriedivision, mit den Beamten vom Komitat und mit der abgetakelten Baronin, die obenan zur Gesellschaft gehörte. Er hätte auch da prächtige Geschäfte machen können. Doch er hatte Grundsätze. Er machte nie Geschäfte in ›seinen‹ Kreisen.
Wie oft nahm ihn ein Oberleutnant beiseite oder ein politischer Adjunkt! Gabriel Matkowitsch lächelte liebenswürdig, zog bedauernd die Brauen hoch und schüttelte leise den Kopf. Sprach man dann länger auf ihn ein, ward seine klägliche Miene schmerzlich-süß – man sah, wie gewaltig er mit den Gefühlen kämpfte, die er für die bessern hielt – und schließlich, ja schließlich schüttelte er zusagend die pumpende Freundeshand.
Gabriel Matkowitsch borgte. Ungern und wenig, immer erst nach heldenmütiger Gegenwehr. Doch er mahnte nicht, verlangte nie sein Kapital, und am allerwenigsten verlangte er darüber.
Denn Gabriel Matkowitsch hatte eine krampfhafte Liebe für die ›beste Gesellschaft.‹ Vom Gerichtspraktikanten gegrüßt zu werden, war ihm ein Fest. Er stand auf der Straße und sah den Praktikanten kommen. Flugs wandte er sich herum. Er blickte nicht gradezu weg – sonst hätte sich der Praktikant vielleicht den Gruß erspart. Er sah 71 auch nicht gradezu hin – sonst hätte er vielleicht zuerst grüßen müssen. Er schaute angelegentlich zum Kirchturm auf, und sowie der Praktikant daranging, nur die Hand zu rühren, kam er ihm freudig zuvor:
»Ah, guten Tag, guten Tag, mein lieber Herr von Treschetz! Wie steht das werte Befinden? Gut geschlafen, Herr von Treschetz? Ebenfalls – danke sehr, danke sehr, Herr von Treschetz!«
Für die abgetakelte Baronin hatte er eine abgöttische Verehrung. Die Baronin nahm bei ihm Waren auf Quartalsrechnung. Das Viertel war um, da kam sie rauschend in den Laden, legte das Buch hin – und er rechnete zusammen. Sie stand dabei mit der Börse in der Hand. Gabriel Matkowitsch machte einen artigen Strich unter die Summe, schrieb ›Dankend saldiert‹ hin, und die Baronin erzählte ein Langes von ihren vornehmen Gewohnheiten und leiblichen Zuständen . . . bis sie das Buch nahm und ging – ohne bezahlt zu haben.
Gabriel Matkowitsch hatte eine Frau, die er eigens der besten Kreise wegen gefreit hatte. Schon der Name: Angelina. Was könnte eine Angelina andres tun, als Dame sein? Und das war sie, weiß Gott – da tat ihrs niemand zuvor. Sie brauchte nur unter die Frauen Dolinas zu treten, und augenblicklich wars still – denn man hatte von ihr gesprochen. Sie brauchte nur 72 ein himmelblaues Kleid anzuziehen, und die himmelblauen Stoffe stiegen im Preis. Sie brauchte nur an der Kaserne vorbeizugehen, und sogar der Herr Major nahm eine Pose an.
Frau Angelina war auf der Pußta aufgewachsen. Diese Augen hatten all die Mädchenjahre sinnend und sehnend ins Weite geblickt – nach dem großen Abenteuer. Da hatte Gabriel Matkowitsch sie entdeckt.
Angelina wußte: er war nicht der Rechte. Doch da ihr Glaube ein wartender war, hielt sie die Heirat mit dem Bauernhans für eine Stufe ihrer Himmelsleiter, sträubte sich nicht lang und sagte ja. So kam sie nach Dolina.
Der Ort war ihr ein kleines Paris. Die gesellschaftlichen Erfolge, der langbegehrte junge Liebesgenuß betäubten sie. Ihr wars eine Zeitlang, als habe sie gefunden . . . Als sie erwachte, sah sie ihre Wünsche größer als alles, was man ihr bieten konnte. Da wurden die seligen Augen wieder sinnend und erwartend und blickten ins Weite – an all den armseligen ländlichen Anbetern vorbei nach dem Rechten.
Gabriel Matkowitsch erwachte nicht. Er hatte alles, wonach ihn verlangte: das größte Vermögen, eine schöne, unnahbare Frau, die schönste im Komitat, und vornehme Leute, die ihn um der Frau willen doppelt und dreifach schätzten. – Er erwachte auch nicht, als Hauptmann Conte Callini 73 in Dolina erschien und Frau Angelina sich sichtbar vor aller Augen veränderte. Gabriel Matkowitsch hätte es doch merken müssen: so heiß hatten ihre Küsse nie gebrannt – wie jetzt, da sie einem andern galten. Ihre Wärme, die ihn hätte warnen sollen, wiegte ihn nur in noch tiefere Sicherheit.
Die Welt voller Herrlichkeiten, nach der es Angelina so oft über die Kimmung der Pußta hinausgezogen hatte – die Welt, die sie in schlaflosen Nächten geschaut – Callini hatte sie leibhaft durchwandert. Ehe ihn ein unbekanntes Ereignis, vielleicht auch galantes Erlebnis an die Peripherie vertrieb, war er bei Hof gewesen und drehte nun vor der aufhorchenden Runde seine Schnurren – so ruhig, als sei es etwas Alltägliches, den Kaiser und die Fürstlichkeiten, die Magnaten und Minister am Werk zu sehen, im Heim zu belauschen. Was er lachenden Mundes erzählte, war Weltgeschichte, der Geheimschlüssel zu den Ereignissen. Man hatte sie ja in der Zeitung gelesen. Daß sie aber so kleinlich zustand gekommen waren, hatte man nicht geahnt.
Gabriel Matkowitsch schwelgte in der Gegenwart des Hauptmanns. Er wurde so klein vor ihm, daß Callinis Verlangen nach Angelina über Gabriel wegsprang, ohne ihn zu berühren. Drüben aber die schöne Frau schien die Arme zu öffnen, und ihr Mund sagte:
»Küsse mich, du mein großes Abenteuer, nimm mich, Herr, ich will deine Sprache reden.«
74 Zwei Monate später war Angelina mit dem Conte eins: sie würde sich scheiden lassen, und sie wollten fort – zusammen in die Ferne.
Sie rechneten gut. Als Gabriel Angelina heimführte, da hatte er nicht nach ihrem Vermögen gefragt. Wozu auch – wenn doch keins da war? Doch er hätte nicht vollkommen den Edelmann zu spielen gemeint, wenn er ihr nicht das seine zur Gütergemeinschaft verschrieben hätte. Es wird ein schwerer Reichtum werden: der Conte hat etwas und Angelina viel; sie werden in Freuden leben.
– – –
Eines Tages kündigte die Broder Vermögensgemeinde ein ungeheures Gebiet der alten kaiserlich-königlichen Grenzwälder zum Verkauf an. Dutzendmal hatte man vordem Grenzwälder verkauft, ohne daß sich Gabriel Matkowitsch an die Sache gewagt hätte. Er war den sichern Bauernhandel mit Pflaumenbranntwein und sauern Heringen zu lang gewohnt, als daß ihm Unternehmungen mit Hunderttausenden in den Sinn gefallen wären. Heute zum erstenmal dachte er an so riesige Möglichkeiten. In Callinis Gesprächen hallte der Geist einer Millionen verschleudernden Menschenklasse, der Millionen erwerbende Schlaufüchse gegenüberstanden. Gabriel Matkowitsch verlor die Lust am Kreuzerwucher.
Er sann und sann – dann ging er hin und verlangte von der Bank in Esseg eine unerhörte Summe.
75 Lang ehe man ihm zusagte, rief ihn sein Advokat, Doktor Urban, zu sich ins Bureau. Gabriel Matkowitsch kam mit unglaublich würdevollem Gesicht. Man ist jetzt Großhändler – man verklagt nicht mehr Slowaken auf Branntwein.
»Herr,« begann der Advokat, »halten Sie mich für Ihren Freund?«
»Gewiß,« sagte Gabriel Matkowitsch mit dem Ton eines Menschen, der Gnaden zu vergeben hat und erwartet, darum angesprochen zu werden.
»Na also – wenn Sie mich dafür halten, dann sage ich Ihnen: Sie sind im Begriff, eine große Dummheit zu machen.«
»Herr . . .?« – Matkowitsch fühlte nicht sich beleidigt, sondern etwas, was er mehr liebt: sein neues Unternehmen.
»Jawohl, eine Dummheit. Sie haben schon einmal eine gemacht – trotz meinen Warnungen. Sie wissen doch?«
Matkowitsch weiß und lächelt: die Vermögensgemeinschaft im Heiratsvertrag.
»Was Sie jetzt tun wollen, ist ganz und gar überspannt. Sie nehmen so und so viel Tausender aus der Bank?«
»Woher wi . . .?«
»Lassen Sie – woher ichs weiß, ist gleichgültig. Esseg ist ein Nest, man erfährt alles. Hören Sie mich an, Matkowitsch: Sie dauern mich. Sie haben sich gerackert und all ihre Tage mit Bauern 76 herumgebalgt. Jetzt sind Sie daran, mit einem Schlag alles zu verlieren. Das möchte ich verhindern. – Ich sage Ihnen etwas, was Sie noch nicht wissen: Ihre Frau will sich von Ihnen scheiden lassen. Wenn Sie nun trotzdem die Broder Wälder kaufen wollen, tun Sies. Aber Sie werden Ihrer Frau nicht auszahlen können – und der Krach ist da.«
Gabriel Matkowitsch zuckt mit keiner Wimper. In rasender Eile schießen ihm die Gedanken. Was er monatelang nicht verstanden hat, versteht er. Hundert Einzelheiten treten ihm auf einmal ins Hirn. Das unendlich verwickelte Räderwerk greift im Nu Zahn um Zahn ein und schwirrt.
Gabriel Matkowitsch steht auf und hält sich an der Tischkante fest, um den Zusammensturz seiner Träume zu überdauern.
Er beißt seine Unterlippe blutig, sieht Urban fest in die Augen und geht stumm.
Ja – und tausendmal ja. Der Mann redet wahr: Angelina will sich scheiden lassen. Darum jenes Lächeln vorgestern – darum das Erröten heute morgen. Es stimmt, es stimmt.
Er wankt zu seinem Wagen. »Nach Sokowgaj!« krächzt er. Und kaum setzt sich der Wagen in Bewegung – hier mitten in der Stadt, ganz Rétfalu entlang, heult und krümmt sich Gabriel Matkowitsch, daß die müßigen Leute stehen bleiben und nachgaffen und der Kutscher sich für ihn schämt.
77 Vor der Maut wird das Heulen – Irrsinn. Ängstlich treibt der Kutscher die Gäule an – mit blitzenden Blicken von der Straße weg rückwärts nach dem verzweifelten Herrn.
In Sokowgaj springt Gabriel Matkowitsch aus dem Wagen und stürmt in die Stube seines Pächters. Niemand ist zu Haus. Matkowitsch sperrt sich ein und läuft um den kleinen Tisch – zwei, drei Stunden. Draußen fährt der Kutscher auf und ab und kühlt die dampfenden Pferde.
Die Pächtersleute kommen heim und möchten eintreten. Matkowitsch schreit sie an und verscheucht sie. Sie wechseln einen Blick mit dem Kutscher.
»Geht hinein und fragt ihn, ob ich warten soll,« sagt der Kutscher. Es kostet ihm aber Zureden, eh sie sich getrauen.
»Warten!« gibt Matkowitsch kurz zurück.
Dem Kutscher wirds zu lang – er spannt in der Schenke aus und füttert. Auch den Pächtersleuten wirds zu lang – sie gehen auf den Heuboden schlafen.
In der Bauernstube aber am Fenster steht Gabriel Matkowitsch und späht in den Abendhimmel. Ihn blendet nicht das blendende Gold, ihm glitzern nicht die glitzernden Sterne – er fühlt nichts, er sieht nichts, er denkt nur.
Sein Zorn ist verraucht. Er hat so lichterloh gebrannt, daß er alles in ihm verzehrt hat.
In der kühlen Dämmerung erst findet Matkowitsch seine Vernunft wieder. Die gackernden Hühner, 78 das muhende Vieh, die Tritte erwachter Menschen, ein knarrendes Tor – all die Geräusche des Morgens im Bauernhof erwecken ihn.
Um sechs Uhr fährt er nach Dolina. Die neuen Sonnenstrahlen wärmen ihm wohlig den Nacken. Gabriel Matkowitsch weiß genau, was er tun will.
Angelina ist eben aufgestanden. Er begrüßt sie mit einem Kuß. Ihn freuts, daß er ihr an Schlauheit über ist.
»Du bist doch nicht besorgt gewesen, Schätzchen – wie? Aber daran wirst du dich jetzt gewöhnen müssen – ich werde öfters ein paar Nächte wegbleiben.«
Daß ein schlecht verhehltes Frohlocken unter ihren Wimpern aufleuchtet, merkt er mit teuflischem Behagen.
Dann geht er in sein Bureau und arbeitet fieberhaft.
Zu Mittag pocht er an die Tür der Offiziersmesse. Die Herren sind über den ungebetenen Gast nicht wenig erstaunt – und auch verlegen. Man verkehrt ja mit Gabriel Matkowitsch, gewiß. Doch für so vollwertig, daß er hierher dringen dürfte, hat man ihn nie genommen.
Gabriel Matkowitsch setzt sich einfach neben Conte Callini.
»Lieber Freund,« beginnt er – man höre nur: lieber Freund – »ich muß für einige Wochen verreisen. Meine arme Frau bleibt allein zurück.«
79 Callini wird unruhig.
». . . Allein zurück. Und da braucht sie doch einen Schutz.«
Callini wirds peinlich. Schon darum, weil ihn der Kerl in der nächsten Sekunde öffentlich duzen wird.
»Wer sollte sie schützen? – Du.«
Die Leutnants grinsen, die Hauptleute schmunzeln. Der Herr Major ist indigniert.
»Ich verlange viel von dir, lieber Graf, ich weiß. Doch da ich mit niemand auf so gutem Fuß stehe wie mit dir, kann ich mich auch an niemand andern wenden.« Er erhebt sich, hält die Hand hin – Callini legt verblüfft die seine hinein. »Dein Ehrenwort also, lieber Freund, daß du meine Frau wie eine Schwester hüten wirst – wie lang ich auch wegbleibe. Wie eine Schwester. Dein Ehrenwort – die Herren haben es gehört.«
Gabriel schüttelt die willenlose Hand des ›Freundes‹ und ist schon davon, ehe Hauptmann Callini noch Luft erschnappt hat.
Nachmittag behebt Gabriel Matkowitsch zweimalhundertfünfzigtausend Gulden auf der Bank zu Esseg.
Seine ganze Habe hat er für das Darlehen verpfändet – und ist jetzt über alle Berge.
Dieser Schurk, der Matkowitsch! Auch die vielen Dutzende von Wechseln aus den ›besten Kreisen‹ hat er der Bank übergeben, ehe er nach Amerika ging. 80