Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

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Lucille

Die Barfüßer in der Pension Julie trugen Harnische von blau-weißem Oxford und redeten von nichts als Knuten und Peitschen.

Riki erklärte, er könne die schrecklichen Leiden des russischen Volkes nicht länger ertragen und müsse ins Hotel Saint-Georges übersiedeln.

Die Saison hatte eben begonnen. Man sprach mit großer Bestimmtheit von Amerikanern, die da und dort an den Küsten aufgetaucht wären – der Pikkolo hatte sich gesalbt und lächelte. Agamemnon Papakerisopulos, Oberkellner, faßte Bankzettel der Jonikî Trapesa nur mehr angeekelt mit den äußersten Fingerspitzen an und rechnete fünfzig Drachmen auf ein Pfund. Sah man ihn, wie Riki das kann, mit jenem Blick an, der Löcher ins Gewissen brennt, antwortete der Herr Ober englisch.

Wir fanden es dennoch prachtvoll bei Saint-Georges, denn Lucille war da. Lucille, die Französin.

Sie war unwahrscheinlich, o, ganz unwahrscheinlich hübsch und zähmte zwei spitznäsige Kinder, Trudchn und Kurtchn, pommerschen Geschlechtes. Der zugehörige Erzeuger, Herr v. Sellnow, fraß viel, aber mit Widerwillen, weil et, wissen Se, doch allens nur keene jute pommersche Hausmannskost is – und die rüstige Gebärerin trug 142 eine Warenhaustaille mit spannlangen Messingtroddeln und oben eine Brosche mit Männes Porträt in Email.

Lucilles Augenbrauen aber waren inmitten zusammengewachsen.

Morgens trafen wir einander alle im Flursaal, setzten uns in die knallroten Korbstühle, gähnten und tranken Tee. Kaum wars getan, da verschwand Lucille wie ein Wiesel. Riki bot Zigaretten an, strohblonde, fade Zigaretten aus dem Kapnopolion, und Frau v. Sellnow zündete an. Wenn sie rauchte, hielt sie die Nasenlöcher offen und die Augen zu.

»Rauchen,« sagte sie zu Riki, »ist ein Göttergenuß,« schlug die Augen auf und sah Riki an. – Er aber gähnte.

So ging das vierzehn Tage.

Nach vierzehn Tagen – als sie ihn einmal ungewöhnlich innig angesehen und er ungewöhnlich roh gegähnt hatte, sprang sie auf, schmiß den Teelöffel weg und ging.

»Was is denn mit der gnä Frau Gemahlin?« fragte der Sanitätsrat Schabuschnigg in seiner hilflosen Neugier, machte einen breiten Schnabel und äugte, der Stieglitz, nach jedem besonders. – »Is sie auf uns bees?«

»Och nöo –!« muhte der Pommer, im Winter so dumm wie im Sommer. – »Weeß nich, wat se hat.«

143 Plötzlich kam über das agrarische Ledergesicht die große Erleuchtung. – »Ick sage immer: Laß de Jöhren zu Hause, se verkorksen ennem jedes Reisevajniejen. Aber se hört ja nich.« – Stand auf und schritt hinaus, voll väterlicher Gewalten.

Der Sanitätsrat blickte ihm nach – ein Rebus, der auf seine Lösung wartet.

Da wurde es mir zu dumm; ich sagte Riki, daß er sich sehr ungeschickt betrage.

Der Sanitätsrat sperrte das Maul auf, der Konsul von Pernambuco, der alte Hase, schmunzelte in sich hinein.

Zum Diner erschien Madame Sellnow stärker als sonst gepudert – in ihrem pestflaggenfarbigen Kostüm, aß wortlos von den ungeraden Gängen und ging wortlos, wie sie gekommen war.

»Das hast du von deinem Benehmen, Riki,« sagte ich, ich konnte nicht mehr an mich halten. »Eine Dame so kränken, ist keine Manier. Ich versteh überhaupt nicht, was du gegen sie hast. Sie is doch ganz nett?«

Da faltete der Sanitätsrat seine stummen Fragen und packte sie ein, denn er wußte alles. Vorwurfsvoll, besorgt, erbittert schwang er den Schädel, hätte gern was gesagt, nur fehlten ihm die Worte.

Der Konsul aber strich seinen Spitzbart. »Messieurs,« sprach er, »Sie tun vielleicht unrecht, überall auf Ehebruch zu sinnen. Ich bin garnicht dafür.«

144 »Jawohl,« rief der Sanitätsrat Schabuschnigg »das is . . . – . . .« Er schloß mit einem empörten Augenrollen, er konnte nicht weiter.

Es war ein Ausflug nach Mon Repos verabredet, um zwei Uhr machten wir uns auf. Frau v. Sellnow hängte sich in mich ein, Lucille mit den Kindern mußte vorausgehen. Hinten sprach der Pommer mit Schabuschnigg vom Essen. Alles, was hier zehn Franken kostet, kriegt man in Berlin für einen Taler, wobei nicht zu vergessen ist: es ist dort reichlicher.

»Und in der Qualität – ich bitt Sie, schaun S' her, Herr von Sellnoff – wann man bei uns in Wien – ich sag nicht einmal im besten Restohrahn – – aber in jedem gut bürgerlichen Lokal ein gewöhnliches Kalbschnitzel mit geröste Erdäpfel ißt – – no, sagen S' selber: was is das aber für ein Kalbsschnitzel und was sein das für Erdäpfeln?«

Frau v. Sellnow würdigte Riki keines Blickes. Sie hing an meinem Arm und zeigte dem Konsul, daß sie in der Achselhöhle niemals schwitze, niemals; der Konsul mußte sich überzeugen und fand das sehr merkwürdig, bei so vollen Frauen direkt selten.

Riki freundete sich mit Kurtchen an, der die Kakteen für ein gußeisernes Gitter gehalten, und ließ sich Onkel nennen. – So schlau wie Riki bin ich längst. Ich kaufe Trudchen eine jonische 145 Tasche und Kurtchen einen Olivenspazierstock, im Notfall sogar eine Flinte.

Endlich, im Park von Mon Repos, gelang es mir, Anker zu lichten. – Der Konsul vertäute sich in Madame und drängte sie zart an die Lorbeerbüsche. – Kurtchen hielt das Gitter für eine Allee.

An diesem Abend, Riki war noch im Lesezimmer, begegnete mir das große, große Glück. Als ich nämlich den obern Korridor entlang ging – irgendwohin, da kam eben Lucille des Weges – irgendwoher. Sie ward vor Verlegenheit brennrot. Ich aber sprach mit ihr, leise und höflich, mit stiller, sicherer Herzlichkeit. – Darauf fliegen diese einsamen Mädchen. – Ich fragte sie nach ihrer Heimat – warum sie nach Pommern gekommen wäre – und obs ihr erster Posten sei; fragte sie, wie sie zufrieden ist – warum sie Bonne geworden – ob ihr diese Art Leben gefalle – alles, alles fragte ich sie und ließ mir von ihr erzählen. Und sie, die immer schweigen muß, erzählte mir, und ich fragte sie immer wieder. Nur daß sie hübsch ist, sagte ich ihr nicht, das las sie gern in meinen Augen. – Wir schieden mit einem Händedruck. – Mein lieber Riki, du wirst vergebens mit Kurtchn Purzelbäume schlagen!

Als ich ins Lesezimmer trat, saßen sie alle noch da. Frau v. Sellnow hatte eine durchbrochene Bluse an, der Konsul sah mit Behagen ihren Busen wogen. Unverwandt blickte sie auf Riki, 146 seiner zu begehren, die βοῶπις Ἥρα, er aber rauchte still vor sich hin.

Da beschloß der Konsul wohl, sich ihr in Erinnerung zu bringen, und suchte unter dem Tisch Fühlung mit ihr. Worauf der Pommer Pardon knurrte, denn man war an ihn geraten.

Der Sanitätsrat aber musterte alle drei mit sichtbarem Groll, am meisten Herrn v. Sellnow, ob er denn das unanständige Treiben noch immer nicht bemerke.

Nein, er merkte es nicht. Er zeigte ein Ehrendiplom vor – vom langhaarigen Gebrauchshundeverein – man hatte es ihm heute nachgesandt, das Ehrendiplom erster Klasse. In ganz Deutschland habens alles in allem fünf Züchter, die Zielbewußtesten, darunter der Minister Podbielski. Nämlich erste Klasse; Diplome zweiter Klasse, die kriegt jeder Fatzke for jarnischt.

Als die Sellnows gegangen waren, redete ich Riki wiederum zu, es doch mit der Frau zu versuchen. – »Mein Gott, du kannst ihr doch einmal den Gefallen tun . . .? Behagt sie dir nicht, laß sie halt stehn. Die Französin kriegst d' ja doch nicht.«

Da legte aber der Sanitätsrat los – Herr der Haarscheren, er mußte es eingelernt haben: Familienehre, deutsche Treue und gebrochene Eide – das wirbelte nur so um. – »Ganz recht haben S' gehabt, Herr Konsul, wie S' gesagt 147 haben: die jungen Herren solleten net überall auf Ehebruch sinnen. Es is ein Schkandal, wie s' das Heiligste mit die Füß treten. Wir zwei, der Herr Konsul und ich, sein entristet über Ihnen, meine Herren. Wir sein in andre Grundsätze aufgewachsen, wir halten noch etwas auf den unangetasteten Ruf von einer Frau. Überhaupt: wann ich die Adress von Ihnere Herren Eltern wisset, möcht ich ihnen das schreiben.«

»Na, na,« sprach der Konsul begütigend, »ich glaube, Sie sind zu heftig, Herr Sanitätsrat.«

»Zu heftig? Ich bitte, haben Sie nicht selbst denen Herren empfohlen, sich ein bissel zu moderieren und nicht überall auf Ehebruch zu sinnen?«

»Gewiß, Herr Sanitätsrat.«

»No also?«

»Ja, aber . . . aber doch aus einem ganz andern Grund.« Er drehte seinen Bart und sprach langsam und wichtig: »Ich verabscheue ein dreieckiges Verhältnis, jawohl, und zwar vom hygienischen Standpunkt. Ehebruch – das ist mir nicht appetitlich genug. Weiber, insbesondre aber Zahnbürsten hab ich gern für mich allein.«

– – Da wurde es ringsum still, mäuschenstill – bis Riki flötete: »Gute Nacht, Herr von Schabuschnigg! Schlafen Sie süß! Oder werden Sie heute noch ein Fußbad nehmen?«

– – –

Auf der Spianata exerzierten die Kriegsvölker, 148 Kurtchen und Trudchen, Lucille mit ihnen, sahen zu. – Da besprach ich mit Lucille, wir sollten uns am Abend im obern Korridor treffen.

Am Abend spendete ich dem Stubenmädchen fünf Drachmen, dem Pikkolo zwanzig Obolen und hieß sie Wache stehen – sie an der Haupttreppe und den Pikkolo hinten.

Lucille schlich heran. Nur auf einen Augenblick, denn Madame würde gleich kommen. Sie hauchte mir einen Kuß hin – geschwinde, ganz geschwinde.

»Nicht mehr, Lucille?«

»Morgen, mein Err, vielleicht mehrr.«

»Wieder um acht?«

»Ja.«

»In meinem Zimmer?«

»Ja.«

Und weg war sie.

– – –

In dieser Nacht, die Lucilles Traumbild bei mir verbrachte, um kichernd mit meinen Lüsten zu spielen – in dieser Nacht beschloß ich, mich Riki anzuvertrauen und ihn in aller Form um seinen Beistand zu bitten. Er soll am Abend um dieselbe Stunde, wo Lucille zu mir kommt, Rendezvous mit der Frau haben – das ist er mir als Freund schuldig, das darf ich verlangen, das wird er mir auch zu Gefallen tun. – Denn wenn die Frau nicht beschäftigt wird, haben Lucille und ich keine friedliche Minute.

149 Beim Frühstück sagte ichs ihm.

Er nickte: ja. – Also hatte ich mich doch nicht in ihm getäuscht.

Mit Wohlgefallen sah ich ihn mit Hera ins Musikzimmer verschwinden. Als der Konsul ihnen nachwollte, ließ ich mir von ihm erklären, was ein Berat ist.

Mit Wohlgefallen sah ich Madame wieder hervorkommen. Ihre Augen leuchteten, jeder bekam ihrer Freude ein Teil ab – auch ich.

Um halb acht abend bezog das Stubenmädchen ihren Posten an der einen Treppe, der Pikkolo an der andern.

Ich aber saß im Zimmer und wartete.

Und als ich genug gewartet hatte, da pochte es.

Und als ich Herein gerufen hatte – mit stockendem Herzen – da flog sie in meine Arme . . .

. . . nämlich Frau v. Sellnow.

»Ah, Sie blonder Bösewicht, endlich finden wir uns – nach so langem Warten! Sie . . . Sie schüchternes Kind! Haben Sie wirklich nicht den Mut gehabt, mir Ihr Geständnis persönlich zu machen und erst Ihren Freund als . . . Liebesboten schicken müssen?«

Und sie war so konzentriert, daß sie nicht einmal das seidne Rascheln vor der Tür hörte.

Das war nämlich Lucille, die hereinwollte.

Und Madame hörte auch Riki nicht, der sich 150 draußen mit meinem, mit meinem, mit meinem kleinen Franzosen herumzog.

Als aber Schabuschnigg am nächsten Tag sagte: das Treiben im Hotel gehe ihm über die Hutschnur, er fühle sich als Ehrenmann verpflichtet, Herrn v. Sellnow aufmerksam zu machen, . . . da sprach Riki zu Schabuschnigg: »Sie sind ein Ass.«

Worauf der Sanitätsrat fuchsteufelswild versicherte: wenn ihm Riki das in Wien sagt, verklagt er ihn oh–ne Er–bar–men wegen Ehrenbeleidigung. 151

 


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