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Das Hirtenvolk ist das erste gewesen. Die Hirten sind von den Menschen, denen man in diesen Waldbergen begegnen kann, die harmlosesten. So habe ich mit dem Hirtenvolke angefangen.
Hab' jetzund auch schon ein gut Stück Schäferleben ausgekundschaftet. Bis auf die zweie oben in der Miesenbachhütte sind sie aber nicht allhier daheim; die Hirten sind nirgends recht daheim, sind Wandersleute. Zur Winterszeit leben sie draußen in den vorderen Gegenden, hausen in Bauernhöfen, denen sie angehören. Sie leben zwar dort bei den Menschen, schlafen aber bei den Rindern und Ziegen. Dann kommt das Frühjahr; die Ähren auf dem Felde gucken schon ein wenig aus den grünen Hülsen hervor und gen Himmel auf, zu sehen, ob nicht die Schwalben schon da sind. Die Frühlingsgießbäche schwinden und trocknen. – Jetzt tun sie ihren Viehstand aus dem Stall und ziehen selbander den Almen zu. Die Kühe tragen schellende Blechglocken, die Kalben und Stiere tragen grünende Kränze, wie am Gottsleichnamstag die Menschenkinder.
Bei dem Auftriebe zur Alm, wenn junge Leute und Rinder mitsammen wandern, geht das Bekränzen ohn' Ärgernis ab; wenn aber nach vielen Flitterwochen auf lichten Höhen die Rinder zum Spätherbst wieder mit frischen Kränzen zurück ins Tal kommen, so trägt nicht immer auch die Sennin den grünen Zweig noch im Haar. Auf der Alm gibt es viel Sonne und wenig Schatten, und das frische Wasser muß der Almbub weiten Weges herbeischleppen – da verdorrt bigott nichts leichter als so ein zart Sträußlein im Lockenhaar.
Zur lieben Sommerszeit ist es da oben gut sein. So sind sie denn gut und froh, und ich – wahrhaftig und bei meiner Treu, ich bin's mit ihnen. Gram und Herzweh sind wie Glashauspflanzen, die wollen in der frischen Alpenluft nicht gedeihen. Gar der Alte, der sonst brummbeißige Ochsenhalter, der seine schwerfällige Schar auf den Almen weidet, hat ein hölzern Pfeiflein bei sich, das trotz der heiser gewordenen Lunge des Alten noch rechtschaffen hell mag jauchzen. Allerweil singen und blasen, sonst wird er mager, der arme, einsame Narr, und das Öchslein nicht fett.
Und in der Sennerei, da ist's gut bestellt; da ist hübsch alles beisammen. An dem Herd mit der Flamme und den rußigen Töpfen sitzt die Häuslichkeit. Vor dem wackelnden Tisch an dem kindisch aufgeputzten Hausaltar kniet die Religion. Und wo die Bettstatt steht, da hätte Gott nichts Besseres mehr hinzustellen vermögen. Aus rauhen Brettern ist das Bett gezimmert, mit Moos und Binsen gefüttert – weiter geht's mich nichts an. In der Nebenkammer stehen Kübel und Töpfe; da ist das Milch- und Buttergeschäft, dessen Erträgnis dem Eigentümer der Sennerei redlich zugeliefert wird.
Die ganze Wirtschaft schließen vier Holzwände ein, in denen die Almerin nächtlicherweile das Goldmännlein klöpfeln hört; dieses Klöpfeln bedeutet ihr die Erfüllung des Herzenswunsches. – Ich habe der gläubigen Aga nicht sagen mögen, daß ich meine, das klöpfelnde Goldmännlein dürft' ein fleißiger Holzwurm sein. Was der Tausend gingen auch den Holzwurm ihre Herzenswünsche an! Diese werden aber doch erfüllt; die einfältigen Leute da herum haben lauter Wünsche, die erfüllbar sind. Und wie die Maid in der Hütte, so schlummert im Stall der Hirtenbursche. Sein Wunsch ist: ausschlafen!
Am Morgen, da schreit die helle Sonne zum Fenster herein. Sie schreit, es ist Zeit! Da will die Sennin mit dem Kübel in den Stall, wo unter vier Füßen die weißen Milch- und Butterbrünnlein fließen. Auf die Milch wartet schon die Flamme des Herdes und auf die Suppe der Hirtenbursche. Er jodelt und jauchzt, da vergeht die Zeit. Das Einfachste aber ist schon, wie's der Berthold macht; er legt sich unter die Kühe und trinkt das Frühstück aus dem Euter heraus.
Just bei dem Berthold und der Aga in der Miesenbachhütte hab' ich meine Erfahrungen gemacht. – Nimmt nach der Morgensuppe die Aga den Korb auf den Rücken und steigt hinab gegen die Futterwiese der Talmulde, auf daß sie als sorgsame Hausfrau ihrem vierfüßigen Gesinde den Tisch bereite, bei dem es sich melken läßt. Mahl hält die Herde den ganzen Tag; schon zur Morgenfrühe leitet sie der Berthold auf die taufrische Weide.
Ich habe zu solcher Stunde einmal der Aga zugehört. Sie trillert und singt, und ich schreibe mir so Sachen gerne auf:
»Wan da Winkelboch va Milch wa,
Und da Hochkogl va Butta,
Und is Winkeltol vul Sterz dazua,
Däs war a Fressn, mei Bua!«
Der Berthold hört's, besinnt sich nicht lange; auf ein so sachlich Lied gehört ein noch sachlicheres. Er steht auf der Wand und singt dem Mädchen zu:
»Van dei rot's Hor va Guld va,
Und dei Kröpfl vul Tola,
Und dei Miada vul Edelstoan,
Däs wa ma recht, däs kunt's toan!«
Und drauf sie:
»Die Tola tatn dih juckn,
Die Edelstoan tatn dih druckn,
A guldanas Hor war olls z'viel zort
Fü dein borstadn Bort.«
Sie bleiben einander nichts schuldig im Schnaderhüpfelgefecht.
Wie es aber nur kommen mag, daß im Waldland für Lieb' und Zärtlichkeit nicht so viele Worte wachsen wollen wie für Spott und Posse? Ist schon die Lieb' da unten nicht gar so geschwätzig, so ist sie hier oben bei den Legföhren und Kohlröschen stumm wie der Fisch im Wasser. Der Kuß wird hier auch nicht so abgeschäkert wie anderswo. Es ist, möchte ich sagen, als wie wenn sich das warme Blut nicht Zeit nehme, bis an die Lippen heraufzuspringen zu einer Weile, wo es anderwärtig so viel zu tun gibt. In die Arme fährt alles hinaus, und weiß sich so ein verliebter Bursche mit seiner Empfindung nicht anders zu helfen, so faßt er sein Mädchen, wie der Müller den Kornsack, und schwingt es hoch in die Luft und tut ein Jauchzen dabei, daß schier die Wolken auseinanderfahren, wenn ihrer am Himmel stehen.
Der Berthold macht es um kein Tüpfelchen anders. – Es sind zwei junge, blutarme Leute, auf der einsamen Alpenhöh' sich selbst überlassen. Was ist da zu beginnen? Je nun, je nun, ich denk', für mich dieweilen noch gar nichts.