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Daß doch der Wald, wie er sich so hinbreitet über Höhen und Täler – unabsehbar, wie er daliegt, grün und dunkel und weiterhin duftig blauend am sonnigen Sehkreis – der stille, unendliche Wald –, daß er doch auch seine Feinde hat!
Wie ist das eine schöne, säuselnde, rauschende, brausende, all-lebendige Ringmauer, schützend vor dem wüsten Unfrieden draußen! Aber – Waldfried ist gestorben.
Im Forste braust der Sturmwind, schlägt manchem jungen Tannling den lustig winkenden Arm weg, bricht manchem trotzigen Recken das Genick. Und in der Tiefe rauscht und schäumt in weißen Gischten und Flocken – wie ein brandender Wolkenstrom – der Wildbach und wühlt und gräbt und nagt das Erdreich von den Wurzeln, immer weiter und weiter hinein, daß der wuchtige Baum zuletzt schier in der Luft dasteht und sich oben mit starken Armen nur noch an den Nachbarn hält, um nicht zusammenzubrechen, endlich aber doch niederstürzt in das Grab, das ihm jenes Wasser heimtückisch gegraben hat. Jenes Wasser, welches er durch seinen Nebeltau gestärkt, durch seine dichte Krone vor dem Lechzen des Windes geschützt, durch seinen Schatten vor dem zehrenden Kusse der Sonne bewahrt hat. – Und auf den luftigen Wipfel hackt der Specht, und unter den Rinden frißt die Borke, und das Sägerad der Zeit geht allerweg, und die Späne fliegen – im Frühlinge als Blüten, im Herbst als gedörrte Nadeln und Blätter.
Es geht ewig zu Ende, und im Ende keimt ewig der Anfang.
Da naht nun erst der Mensch mit seiner Zerstörungsgier. Da schallt das Schlagen und Pochen, da surrt die Säge, da klingt das Beil auf das Stemmeisen im dunkeln Grunde; – wenn du oben hinblickst über das stille Meer der Wipfel, so ahnst du es nicht, welchen es angeht.
Aber das Stemmeisen und der Keil dringen tiefer und tiefer; da schüttelt einer der Hundertjährigen sein hohes Haupt, er weiß doch gar nicht, was die Menschlein wollen da unten, die kleinen, possierlichen Wesen – er kann nicht begreifen und schüttelt wieder das Haupt. Da geht ihm der Stoß ins Herz; – unten knistert es, schnalzt es, und nun wankt der Riese, knickt ein, rauschend und pfeifend in einem weiten Bogen kreist er hin, mit wildem Krachen stürzt er zu Boden. Leer ist es in der Luft, eine Lücke hat der Wald. Hundert Frühlinge haben ihn emporgehoben mit ihrer Liebe und Strenge; jetzt ist er tot, und die Welt ist und bleibt ganz auch ohne ihn – den lebendigen Baum.
Still stehen die zwei, drei Menschlein, sie stützen sich auf den Beilstiel und blicken auf ihr Opfer. Sie klagen nicht, sie jauchzen nicht, eine grausame Kaltblütigkeit liegt auf ihren rauhen, sonnverbrannten Zügen; ihr Gesicht und ihre Hände sehen auch aus wie von Fichtenrinden. Sie stopfen sich ein Pfeiflein, schärfen die Hacken und gehen wieder an die Arbeit. Sie hauen die Äste von dem hingestreckten Stamme, sie schürfen ihm mit dem breiten Messer die Rinde ab, sie schneiden ihn vielleicht gar in klafterlange Stücke; – und nun liegt der stolze Baum in nackten Klötzen.
Der Holzhauer denkt nicht daran, kann nicht daran denken, nur daß er sich, wenn der »Meisterknecht« nicht zugegen, ein wenig auf den weißen Stock mit den Jahresringen setzt und wieder ein Pfeifchen stopft oder – wie das bei den Waldleuten schon eine absonderliche Gewohnheit ist – sich gar einen Ballen Tabak in den Mund steckt, um einen halben Tag an ihm zu kauen. Das Tabakkauen ist dem Holzschläger ein eigener Genuß, es ist ihm, wie er sagt, das halbe Essen und dreiviertel Arzenei.
Die Baumstämme werden in diesen Gegenden zumeist zu Kohlen verwandelt und zu diesem Zwecke zu Scheitern oder längeren Stücken, den »Dreilingen« (drei hackenstiellangen Strünken), zerkleinert. Die Kohlen werden entweder zu Wagen oder, wo der Weg zu elend ist, auf den Rücken der Pferde oder Halbpferde hinausbefördert zu den Hammerwerken der Vorgegenden. Nur die schönsten Stämme werden als Bauholz verwendet. Die Buchen und Ahorne und andere Laubhölzer, wie sie hier wachsen, werden am wenigsten benützt, nur daß sie ihr Laub für Streu. und Lagerstätten liefern; sonst bleiben sie sich selbst überlassen, bis sie, inwendig verfault, ausgehöhlt, nach und nach absterben und zusammenbrechen. Dann entstehen schwammartige Auswüchse auf den vermodernden Strünken, und es kommt der Pecher oder der Wurzner, schlägt die Auswüchse los, mörsert sie platt, beizt sie ein und bereitet so den Feuerschwamm.
Der Holzhauer weiß freilich nichts von der Schönheit der Wildnis. Dem Holzhauer ist der Wald nichts anderes als dem Bauern das Feld, auf dem er erntet. Aber er erntet für andere. Wie ist das ein langes Tagwerk von der Morgenfrühe bis zur Abenddämmer, eine einzige Ruhestunde nur zu Mittag. Während der Waldteufel sein eigener Herr, ist der Holzhauer der Herren Knecht. – Was die Nahrung anbelangt, so ist der Holzschläger ein Geschöpf, das sich von Pflanzen nährt; außer er wäre ein tüchtiger Wilderer und ließe sich nicht erwischen. Doch schwelgt er in der Einbildung und nennt seine Mehlnocken gerne nach den Tieren des Waldes. So genießt er zum Frühstück, zum Mittagsmahle, zum Abendbrot nichts als Hirschen, Füchse, Spatzen, und wie er seine Mehlnudeln schon tauft. – Mich hat ein junger Mann eines Freitags zu einem »Hirschen« eingeladen. Ei, denke ich, der hält den Fasttag nicht, das ist sicher der Evangelischen einer, die von den Bauernkriegen her in den Alpen zurückgeblieben sein sollen. Aber jene »Hirschen« sind harmlose Mehlküchlein gewesen.
Achtzehn Groschen Arbeitslohn des Tages, das ist schon eine gute Zeit; mancher Wäldler hat sich davon ein Häuschen, Weib und Kind und eine Ziege angeschafft. Das ist dann ein eigener Herd, da kommt zu dem Mehlgerichte noch eine fette Ziegenmilchsuppe und zu der Suppe ein Häuflein schreiender Rangen – da geht's schon hoch her!
Indes ist der Aufwand in der Waldhütte nicht übertrieben. Es wird zum Glücke von braven Familienvätern nicht viel verlangt.
»Jo, won man's holt hot,
Kon ma lebn noch sein Gschmock,
Für die Kinder a Brot
Und für mih an Tabok!«
heißt ein Lied des Waldhäuslers.
Andere freilich, und wohl die meisten, ertränken ihr Erworbenes und ihre anspruchslose Zufriedenheit im Branntwein. Solche Junggesellen wohnen zusammen zu Dutzenden in einer einzigen Hütte, kochen ihr Mahl an einem gemeinsamen Herd, der in der Mitte der Klause steht. An den Wänden ringsum sind die Strohlager aufgestellt.
In jeder Hütte haben sie einen »Goggen« und einen »Thomerl«; der Gogg ist ein Holz- und Eisengestell auf dem Herde, welches die Kochpfannen über dem Feuer hält – es sind deren oft ein Halbdutzend um die Flammen aufgerichtet. Der Thomerl ist ein Mensch, der aber auch Hansi oder Lippi, oder wie er will, heißen kann, aber gewöhnlich einen großmächtigen Kopf, hohe Achseln und kurze Füße hat, der die Hände gerne bis zu den Knien hinabhängen läßt und allweg grinst und lächelt, ohne daß er selbst weiß, warum. Er ist das Stubenmädchen, der Küchenjunge, der Holz- und Wasserträger, allfällig der Ziegenhirt, die Zielscheibe für ledige Späße und – die Hausehre. Jede ordentliche Holzknechthütte muß einen Thomerl haben.
Ferner sind in der Holzknechthütte in irgendeinem Winkel, unter irgendeiner Diele stets geladene Kugelstutzen verborgen.
Der Werktagsanzug der Holzschläger hat keinen ausgeprägten Grundzug; er ist zum Teile ein zerfasertes Lodengewebe, zum Teile ein mattfarbiges Strickwollenzeug, zum Teile eine hornähnliche Lederrinde, alles mehr oder minder mit Harz überklebt, ausgiebig den inneren Menschen verdeckend. Das Wahrzeichen aber ist der hohe, gelblich grüne Hut mit dem Federbusche. Der Federbusch muß wohl in Ordnung sein, daran hängt, weiß Gott, eine Wilderer- oder Liebesgeschichte oder ein »saggerisch Raufen«.
Aber wenn einmal die Kirchweih kommt! – Die Kirchweih muß es sein, denn Sonntage gibt's hier nicht, fehlt ja doch des Sonntags Herz – die Kirche.
Zur Kirchweih ziehen sie hinaus zu den ferneren Orten, und da sind sie angetan, diese rauhen Waldmenschen, mit Frack und »Zylinder«; – 's ist kaum zu glauben. Aber der Frack ist ja aus grobem Loden, mit grünem Tuche verbrämt; ganze Bäumchen, aus grünem Tuche geschnitten, prangen am Rücken über den Schößen und an den Ärmeln, und große Messingknöpfe leuchten in die Ferne, und ein mächtig hoher Stehkragen bildet die Feste um den Kopf, auf welchem nun der ebenfalls aus groben Haaren, aber mit einem breiten grünen Bande und funkelnder Messingschnalle, breitkrempige, oben weit ausgeschweifte Zylinder sitzt.
Bis in die Alpenwildnis herein ist also die welsche Mode gedrungen!
Zum größten Teil sind es gutmütige Menschen; gereizt aber können sie unglaublich wild werden. Da hebt ihr Blut an zu brausen wie ein Sturmwind im Forst, und der kleinste Funken leidenschaftlicher Erregung wird zu einem Waldbrande. Die Augen dieser Waldmenschen, so tief sie stecken mögen hinter den Brauen, sind klar und glühend. Deutlich ist die Gutherzigkeit darin zu lesen und der Jähzorn.
Aber fromm sind sie, schier verdächtig fromm. Jeder hat sein Weihwasserfläschel und sein christlich Anhängsel an der Brust; jeder betet seinen Rosenkranz, mit Einschließung »aller armen Seelen im Fegfeuer, und zur Erlangung von Geld und Gut, so nutzlos vergraben ist in der Erden«. Und jeder hat in seinem Leben zum mindesten ein Gespenst gesehen.
Wie ich diese Leute bis jetzt kennengelernt habe, ist ihnen ein blutiger Raufhandel etwas Gewöhnliches, schier Selbstverständliches, ein Totschlag nichts so Seltenes. Hingegen Diebstähle kommen nicht vor.
So sind sie in den Hochwäldern. Der Holzhauer wird geboren unter dem Baume, sein Vater gibt ihm – möcht' ich schier sagen – fast eher den Axtstiel in die Hand als den Löffel, und anstatt nach dem Zulp greift der Kleine nach der Tabakspfeife. Wer Tabak nicht zu kaufen vermag, der macht sich ihn aus Buchenblättern.
Just sonderliche Armut ist ihnen nicht angeboren. Die stille Freude kennen sie kaum; sie fahnden nach gellender Lust. Selbst der Schmerz greift nicht recht an. Wenn einer sich mit dem scharfen Beil in das Bein fährt, so sagt er, es tat ein bißchen »kitzeln«. In wenigen Tagen ist alles wieder heil. Haut sich einer unversehens einen Finger weg, so ist das zuwider, des – Tabakfeuerschlagens wegen.
Tannenharz und Pechöl und ein alter Beinbrucharzt und Zahnbrecher sind in dieser waldschattigen Welt die ganze medizinische Fakultät.
Heimweh ist, wenn sie hinauskommen, ihr Seelenleid. Heimweh die Heimatlosen? – Das Leid heißt Sehnsucht nach den Waldbergen, in welchen sie einmal den Jahreslauf durchlebt.