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Um gut bedient zu werden, würde ich mich mit weniger Dienerschaft umgeben. Das ist zwar schon einmal gesagt worden, aber es schadet nicht, es zu wiederholen. Ein Bürger wird von seinem einzigen Diener in Wirklichkeit besser bedient, als ein Herzog von den zehn Herren, die ihn dienstfertig umringen. Ich habe schon hundertmal bei mir überlegt, daß ich bei Tische, mit meinem Glase neben mir, trinken kann, so oft es mir gefällt, während am einer großen Tafel erst zwanzig Stimmen meinen Befehl weiter befördern müßten, bevor ich meinen Durst zu stillen vermöchte. Alles, was man durch Andere ausrichten läßt, wird mangelhaft ausgeführt, möge man es anstellen, wie man will. Ich würde nicht zu den Kaufleuten schicken, sondern selbst zu ihnen gehen. Ich würde diesen Schritt thun, damit meine Leute nicht vor mir mit ihnen ein Abkommen treffen könnten, damit mir möglich wäre, eine bessere Auswahl zu treffen und billiger einzukaufen. Ich würde selbst gehen, um mir eine angenehme Bewegung zu machen, um ein wenig Umschau zu halten und zu sehen, was außerhalb meiner vier Pfähle vorgeht. Dies dient zur Erholung und kann auch bisweilen belehrend sein.
Endlich würde ich gehen, um zu gehen, und das ist doch auch immer etwas. Bei einem allzu eingezogenen Leben beginnt sich die Langeweile zu regen; macht man sich dagegen viel Bewegung, so empfindet man wenig Langeweile. Thürsteher und Lakaien sind schlechte Dolmetscher. Ich wünschte wahrlich nicht, daß diese Leute die stete Vermittlung zwischen mir und der übrigen Welt bildeten. Eben so wenig möchte ich immer in rasselnder Kutsche einherfahren, als ob ich befürchtete, angeredet zu werden. Die Pferde eines Menschen, der sich seiner eigenen Beine bedient, sind stets bereit. Sind sie ermüdet oder krank, so weiß er es eher als jeder Andere, und braucht nicht zu besorgen, daß er unter diesem Vorwande das Haus hüten muß, wenn es seinem Kutscher einmal einfällt, sich einen guten Tag zu machen. Unterwegs stellen sich ihm nicht tausenderlei Hindernisse entgegen, daß er vor Ungeduld vergehen möchte, und nöthigen ihn nicht, in dem Augenblick, wo er sich Flügel wünschte, still zu halten. Kurz, wenn uns Niemand so gut bedient als wir selbst, so sollten wir uns auch, und wären wir mächtiger als Alexander und reicher als Crösus, von Anderen nur solche Dienste erweisen lassen, die wir selbst nicht verrichten können.
Ich möchte als Wohnung keinen Palast haben, denn in diesem Palaste würde ich doch nur ein einziges Zimmer bewohnen. Jedes gemeinschaftliche Gemach gehört Niemandem, und das Zimmer eines Jeden meiner Leute würde mir gerade eben so fremd sein wie das meines Nachbars. Trotz ihrer großen Ueppigkeit haben die Orientalen doch nur höchst einfache Wohnungen und Hausgeräthe. Sie betrachten das Leben als eine Reise und ihr Haus als eine Herberge. Dieser Grund findet bei uns abendländischen Reichen, die wir uns einrichten, als sollten wir ewig leben, wenig Anklang. Für mich würde jedoch ein ganz anderer Grund den Ausschlag geben, um dieselbe Wirkung hervorzubringen. Ließe ich mich an einem Orte nieder und richtete mich daselbst mit so großem Aufwande ein, so würde es mir vorkommen, als verbannte ich mich dadurch von allen anderen und lebte in meinem Palaste gleichsam hinter verschlossenen Thüren. Einen wie schönen Palast bildet doch die Welt! Gehört dem Reichen eigentlich nicht Alles, wenn er es nur genießen will? Ubi bene, ibi patria (wo es mir wohl geht, da ist mein Vaterland); das ist sein Wahlspruch. Dort schlägt er seinen Herd auf, wo sein Geld Alles vermag; seine Heimat reicht so weit, wie seine Geldkiste gelangen kann, gleich wie Philipp jede Festung schon für erobert hielt, in welche ein mit Geldsäcken beladenes Maulthier eindringen konnte. Ein durch seine prächtige Kleidung Aufsehen erregender Fremder antwortete, als man ihn in Athen fragte, aus welchem Lande er wäre: »Ich bin reich!« Ich halte diese Antwort für sehr treffend. Weshalb sich also zwischen Mauern und Thüren einschließen, als ob man sich in der Welt nie wieder bücken lassen wollte? Verjagt mich eine ansteckende Krankheit, ein Krieg oder ein Aufruhr von einem Orte, so begebe ich mich nach einem andern und finde mein Haus schon vor mir daselbst angekommen. Weshalb soll ich mich erst der Mühe unterziehen, mir selbst eins zu bauen, da sich über den ganzen Erdboden hin die Bautätigkeit für mich regt? Weshalb sollte ich mir, da uns Eile Noth thut zu leben, schon so lange im Voraus Genüsse vorbereiten, die ich schon heute zu befriedigen vermag? Vergeblich ist jedes Bemühen, sich ein angenehmes Loos zu bereiten, wenn man sich unaufhörlichen Widerspruch mit sich selbst setzt. Deshalb tadelte Empedokles die Argentiner, daß sie sich von einem Vergnügen in das andere stürzten, und bauten, als ob sie niemals sterben würden. Montaigne, livre II, chap. I.
Welchen Nutzen würde mir übrigens eine so weitläufige Wohnung gewähren, da ich mich nur mit so wenigen Leuten, mit denen ich sie beleben könnte, zu umgeben gedenke, und noch weniger Sachen zu ihrer Ausstattung anschaffen würde. Mein Hausgeräth würde einfach sein, wie mein Geschmack; ich würde mir weder eine Gemäldesammlung noch eine Bibliothek anlegen, zumal wenn ich die Lectüre liebte und Verständniß für die Malerei besäße. Ich würde dann die Einsicht haben, daß dergleichen Sammlungen nie Anspruch auf Vollständigkeit machen können, und daß wir über den Mangel dessen, was uns fehlt, mehr Verdruß empfinden, als darüber, daß wir gar nichts besitzen. Auf diesem Gebiete ruft gerade der Ueberfluß Elend hervor. Es möchte sich schwerlich ein Sammler finden, der dies nicht erfahren hätte. Wer ein wirklicher Kenner ist, darf sich keine Sammlung anlegen. Man wird nicht leicht eine Sammlung haben, um sie Anderen zu zeigen, wenn man sie für sich selbst zu benutzen versteht.
Für einen reichen Mann ist das Spiel durchaus kein Zeitvertreib; nur ein Tagedieb greift nach diesem Unterhaltungsmittel. Meine Lustbarkeiten würden mir viel zu viel Beschäftigung geben, um mir viel Zeit zu lassen, für die es keine bessere Verwendung gäbe. In der Verlassenheit und Armuth, in der ich lebe, spiele ich gar nicht, außer hin und wieder eine Partie Schach, und das ist schon zu viel. Wäre ich indeß reich, so würde ich noch weniger spielen, und zwar nur zu einem ganz niedrigen Einsatze, damit ich weder anzusehen brauchte, daß irgend Jemand mißmüthig wäre, noch ich selbst es würde. Da die Gewinnsucht für einen Reichen unmöglich einen Antrieb zum Spiele bilden kann, so kann das Interesse am Spiel auch nur bei einer schon tief gesunkenen Seele bis zur Leidenschaft ausarten. Der Gewinn, welchen ein Reicher beim Spiele machen kann, übt stets weniger Eindruck auf ihn aus, als der Verlust, und da bei der Art der mäßig hohen Spiele, bei welchen der etwaige Gewinn auf die Länge der Zeit doch wieder zugesetzt wird, der Verlust den Gewinn im Allgemeinen übertrifft, so kann man sich bei richtiger Ueberlegung nicht allzu sehr zu einem Zeitvertreibe hingezogen fühlen, bei dem das Risico nicht unbedeutend ist. Wem es zur Befriedigung seiner Eitelkeit dient, daß ihm das Glück günstig ist, der kann eine gleiche Gunst des Glückes bei weit reizenderen Gegenständen suchen; auch tritt diese Gunst in dem niedrigsten Spiele eben so wie im höchsten hervor. Geschmack am Spiele, der lediglich die Frucht des Geizes und der Langenweile ist, kann nur in einem leeren Geiste und leeren Herzen Wurzel fassen, und ich denke doch Gefühl und Kenntnisse genug zu besitzen, um eine solche Beihilfe nicht nöthig zu haben. Man wird selten bemerken, daß Denker großes Gefallen am Spiele finden, da es die Eigenschaft hat, die Gewohnheit des Denkens zu unterbrechen, oder zu unfruchtbaren Berechnungen zu führen. Hierin zeigt sich auch eine der guten Folgen, die der Geschmack an den Wissenschaften hervorgebracht hat, und vielleicht die einzige, daß er nämlich diese schmutzige Leidenschaft einigermaßen dämpft; man wird sich lieber damit beschäftigen, den Beweis für den Nutzen des Spieles zu führen, als sich ihm selbst zu überlassen. Ich für meinen Theil würde mitten unter den Spielern wider das Spiel ankämpfen und mehr Vergnügen daran finden, sie auszulachen, wenn ich sie ihr Geld verlieren sähe, als es ihnen selbst abzugewinnen.
In meinem Privatleben wie im Umgange mit der Welt würde ich mir stets gleich bleiben. Nach meinem Wunsche müßte mein Vermögen überall Behaglichkeit verbreiten und nie ein Gefühl der Ungleichheit aufkommen lassen. In tausendfacher Hinsicht ist der Flitter des Putzes mit Unbequemlichkeit verbunden. Um mir unter den Menschen alle nur mögliche Freiheit zu bewahren, würde ich mich so kleiden, daß ich in jedem Stande an meinem Platze zu sein schiene, und man mich in keinem als nicht zu ihm gehörend betrachten könnte, daß ich ohne Ziererei und ohne eine Aenderung an meiner Kleidung vorzunehmen, in der Schenke für einen Mann aus dem Volke und im Palais-Royal als zur guten Gesellschaft gehörig gelten müßte. Da ich hierdurch mehr Herr über mein Benehmen wäre, würde ich mir die Vergnügungen aller Stände zugänglich machen. Es soll Frauen geben, die vor gestickten Manschetten ihre Thür verschließen und nur Personen in Spitzenmanschetten empfangen; deshalb würde ich meine Zeit anderswo verbringen. Wären diese Frauen indeß jung und hübsch, so könnte ich wol auch hin und wieder Spitzen anlegen, um allenfalls eine Nacht mit ihnen zu verleben.
Das einzige Band, welches meine Gesellschaften zusammenhielte, würde gegenseitige Zuneigung, Uebereinstimmung im Geschmack und Gleichheit der Charaktere sein. Ich würde als Mensch und nicht als Reicher in ihnen leben. Nie würde ich zugeben, daß ihr Reiz durch Eigennutz vergiftet würde. Wenn mein Reichthum noch einen Rest von Menschlichkeit in mir zurückgelassen hätte, so würde ich meinen Diensten und Wohlthaten eine sehr weite Ausdehnung geben. Allein ich wünschte eben nur eine Gesellschaft und nicht einen Hof, wünschte Freunde und keine Schützlinge um mich zu sehen; deshalb würde ich nicht der Gönner, sondern nur der Wirth meiner Gäste sein. Die Unabhängigkeit und Gleichheit würde meinen freundschaftlichen Verhältnissen die ganze Reinheit des Wohlwollens lassen; und da, wo Verpflichtung und Eigennutz schweigen, gilt Vergnügen und Freundschaft als das einzige Gesetz.
Weder Freundschaft noch Liebe läßt sich erkaufen. Frauen kann man zwar leicht für Geld bekommen, aber auf diesem Wege wird man nie wahre Liebe finden. Liebe ist für Geld nicht käuflich, sondern wird von demselben vielmehr unfehlbar ertödtet. Wer Liebe bezahlt, wird, und wäre er der allerliebenswürdigste Mensch, schon aus dem einzigen Grunde, weil er bezahlt, nicht lange geliebt werden. Bald wird er für einen Anderen bezahlen, oder dieser Andere wird vielmehr mit seinem eigenen Gelde bezahlt werden, und bei dieser doppelten, aus Eigennutz, aus Wollust, ohne Liebe, ohne Ehre, ohne wahres Vergnügen angeknüpften Verbindung verscherzt das habgierige, untreue und elende Weib, das von dem Schändlichen, welcher von ihr Bezahlung annimmt, eben so behandelt wird, wie es den Thoren behandelt, welcher sie bezahlt, Beider wahre Zuneigung. Es würde süß sein, gegen den Gegenstand seiner Liebe den Freigebigen zu spielen, wenn sich nur nicht eine Art Kaufverhältniß daraus entwickelte! Mir ist nur ein Mittel bekannt, dieser Neigung gegen seine Geliebte nachzukommen, ohne die Liebe gleichzeitig zu vergiften. Es bleibt kein anderer Rath übrig, als ihr Alles zu geben und sich von nun an von ihr ernähren zu lassen. Ich möchte aber wol wissen, wo die Frau wäre, der gegenüber eine solche Handlungsweise nicht als ein sehr thörichtes Wagniß erscheinen müßte?
Jener Mann, welcher sich rühmte: »Ich besitze die Lais, ohne daß sie mich besitzt,« sprach ein Wort ohne Sinn. Der Besitz, welcher nicht auf Gegenseitigkeit beruht, ist so gut wie gar keiner; es ist höchstens der Besitz des Geschlechts, aber nicht der Person. Wo die Liebe nicht die Sittlichkeit zur Grundlage hat, ist an dem Uebrigen nicht viel gelegen. Nichts läßt sich so leicht finden als das. In diesem Punkte steht ein Maultiertreiber dem Glücke näher als ein Millionär.
O, wenn man im Stande wäre, die Inconsequenzen des Lasters genügend nachzuweisen, wie oft würde man sich da überzeugen können, daß sich der, welcher demselben fröhnte, trotz Erlangung des Begehrten, sehr verrechnet hat! Wo schreibt sich diese rohe Begierde her, die Unschuld zu verführen, eine junge Person, der man schützend hätte zur Seite stehen sollen, sich als Schlachtopfer auszusuchen, und sie mit diesem ersten Schritte unvermeidlich in einen Abgrund des Elends zu stürzen, aus der ihr nur der Tod Rettung bringen kann? Von viehischer Lust, Eitelkeit, Unverschämtheit, Verirrung und von nichts weiter. Sogar dieses Vergnügen ist nichts Natürliches, es beruht auf einem Vorurtheile und zwar auf einem Vorurtheile der verächtlichsten Art, weil es von der Selbstverachtung unzertrennlich ist. Wem sein Gefühl sagt, daß er der erbärmlichste unter den Menschen ist, der fürchtet den Vergleich mit jedem anderen, obgleich er als der beste gelten möchte, um weniger Verachtung einzuflößen. Ueberzeuget euch doch selbst, ob diejenigen, welche nach diesem eingebildeten Genusse am lüsternsten sind, je zu den liebenswürdigen jungen Männern gehören, ob sie wol werth sind, Gefallen zu erregen, und mehr Entschuldigung verdienen, wenn sie deshalb schwer zu befriedigen sind! Nein, bei einem gefälligen Aeußeren, bei wirklichem Werth und Gefühl fürchtet man die Erfahrung seiner Geliebten nur wenig. Voll gerechter Zuversicht sagt man zu ihr: »Du bist mit den Freuden zwar schon bekannt, gleich viel, mein Herz verheißt dir Genüsse, die du noch nie kennen gelernt hast.«
Allein ein alter, in Folge seiner Ausschweifungen abgelebter Satyr, ohne jegliche Anmuth, ohne Zurückhaltung, ohne Rücksicht, ohne irgend eine Spur von Ehrbarkeit, unfähig und unwürdig, irgend einem Weibe, welches mit liebenswürdigen Leuten Umgang gehabt hat, Gefallen einzuflößen, glaubt bei einer jungen Unschuld dies Alles dadurch ersetzen zu können, daß er sich ihre Unerfahrenheit zu Nutze macht und ihre noch schlummernde Sinnlichkeit wachruft. Ihm bleibt nur noch die eine Hoffnung übrig, durch die Neuheit zu gefallen. Unstreitig ist dies der geheime Beweggrund dieser seltsamen Neigung. Trotzdem täuscht er sich. Der Abscheu, den er erregt, ist nicht weniger natürlich als die Gelüste, die er erregen möchte. Auch in seiner thörichten Erwartung sieht er sich getäuscht; dieselbe Natur trägt auch dafür Sorge, ihre Rechte wieder zurückzufordern. Jedes Mädchen, welches sich verkauft, hat sich schon zuvor hingegeben, und da es dabei seiner eigenen Wahl gefolgt ist, so ist es doch im Stande, die Vergleichung, welche jener fürchtet, anzustellen. Er erkauft sich folglich nur ein eingebildetes Vergnügen und wird darum nicht weniger verabscheut.
Würden in mir, wenn ich zu Reichthum gelangte, auch noch so viele Veränderungen vorgehen, in einem Punkte würde ich mich sicherlich nie verändern. Vermöchte ich mir auch weder Sitte noch Tugend zu bewahren, so würde mir doch wenigstens einiger Geschmack, einige Vernunft, einiges Zartgefühl bleiben, und dies würde mich dagegen schützen, mein Vermögen wie ein Narr dazu anzuwenden, daß ich Hirngespinsten nachjagte und meine Börse und mein Leben erschöpfte, um mich dem Verrathe und dem Gespötte von Kindern auszusetzen. So lange ich jung wäre, würde ich die Vergnügungen der Jugend suchen, und da ich sie in ihrer ganzen Wollust genießen möchte, würde ich sie nicht in der Rolle eines reichen Mannes suchen. Bliebe ich, wie ich bin, so würde es freilich etwas Anderes sein. Ich würde mich kluger Weise auf die Vergnügungen meines Alters beschränken, würde nur an dem Gefallen finden, wovon ich wirklichen Genuß haben könnte, und alle Neigungen ersticken, die mir nur zur Qual wären. Ich würde meinen grauen Bart nicht dem höhnischen Gespötte junger Mädchen aussetzen, würde es nicht ertragen, wahrzunehmen, daß meine widerwärtigen Liebkosungen sie mit Ekel erfüllten und ihnen auf meine Kosten den Stoff zu den lächerlichsten Erzählungen lieferten, würde die Vorstellung nicht ertragen können, wie sie die abscheuliche Wollust des alten Affen schilderten, um Rache dafür an ihm zu üben, daß sie dieselbe hatten ertragen müssen. Hätten schlecht unterdrückte Gewohnheiten meine alten Lüste in Bedürfnisse verwandelt, so würde ich sie vielleicht befriedigen, aber mit Scham, mit Erröthen vor mir selbst. Ich wurde mich dem Bedürfnisse nicht mit Leidenschaft hingeben, zur Befriedigung desselben meine Wahl auf eine möglichst geeignete Persönlichkeit lenken, und dabei würde es sein Bewenden haben; indeß würde ich aus meiner Schwäche keine Beschäftigung mehr machen, und vor Allem würde ich wünschen, daß es nur einen Zeugen derselben gäbe. Das menschliche Leben bietet andere Freuden dar, wenn ihm jene fehlen. Dadurch, daß man vergeblich nach den fliehenden hascht, beraubt man sich auch noch derer, welche uns geblieben sind. Laßt uns unsere Neigungen mit den Jahren ändern und die Lebensalter eben so wenig wie die Jahreszeiten verrücken; Jeder muß zu allen Zeiten er selbst sein und nicht wider die Natur ankämpfen. Die vergeblichen Anstrengungen sind für das Leben aufreibend und hindern uns, dasselbe recht anzuwenden.
Das Volk langweilt sich nicht, es bringt sein Leben in Thätigkeit hin; sind seine Vergnügungen auch nicht sehr abwechselnd, so sind sie dafür selten. Nach vielen Tagen mühevoller Arbeit bereiten ihm seine wenigen Feiertage desto größere Genüsse. Die Abwechselung langer Arbeit mit kurzer Muße verleiht den Vergnügungen dieses Standes eine eigene Würze. Für die Reichen bildet die Langeweile eine furchtbare Plage; im Schooße so vieler mit großen Kosten erkaufter Vergnügungen, inmitten so vieler Leute, die nur darauf ausgehen, ihnen zu gefallen, verzehrt und tödtet sie die Langeweile. Ihr ganzes Leben hindurch fliehen sie vor ihr und fallen ihr wieder zur Beute. Sie vermögen ihre unerträgliche Last nicht abzuschütteln; namentlich werden die Frauen, die sich nicht mehr zu beschäftigen noch die Zeit zu vertreiben wissen, von ihr unter dem Namen »Vapeurs« aufgerieben. Sie nimmt ihnen gegenüber die Gestalt eines entsetzlichen Uebels an, das ihnen bisweilen den Verstand und am Ende wol gar das Leben raubt. Ich meinerseits kenne kein traurigeres Loos als das einer hübschen Pariserin, ausgenommen das ihres Anbeters, der in ihren Fesseln schmachtet und sich, da er wie sie die Rolle eines müßigen Frauenzimmers spielen muß, auf diese Weise in doppelter Beziehung von seinem Stande entfernt, und dem nur die Eitelkeit, die Gunst seiner Dame erlangt zu haben, die Länge der trübseligsten Tage, die je eine menschliche Creatur ausgestanden hat, erträglich macht.
Die Regeln der Schicklichkeit, die Moden, die Gebräuche, welche der Luxus und die vornehme Lebensweise herbeigeführt haben, zwängen das ganze Leben in die Schranken der widerwärtigsten Einförmigkeit ein. Jede Freude, die man in den Äugen Anderer genießen will, ist für Alle verloren: weder erkennen Andere sie als solche an, noch empfindet man sie selbst. Um sich den Anschein zu geben, als führten sie ein sehr genußreiches Leben, haben es sich zwei Weltdamen zum Gesetze gemacht, sich nie vor fünf Uhr Morgens schlafen zu legen. Mitten im strengsten Winter müssen ihre Leute die Nacht auf der Straße zubringen, um sie zu erwarten; während sie sich oft kaum vor dem Erfrieren zu schützen vermögen. Eines Abends, oder richtiger eines Morgens, kommt man zufällig in das Zimmer, in welchem die beiden Frauen, die einen so lustigen Lebenswandel führten, die Stunden ungezählt verrinnen ließen, und findet sie ganz allein, jede in ihrem Lehnstuhle schlafend. Die Lächerlichkeit, welche die allgemeine Meinung mehr als Alles fürchtet, geht ihr fortwährend zur Seite, um sie zu tyrannisiren und zu strafen. Man macht sich nie so lächerlich als gerade durch einmal feststehende Formen. Wer bei den Verhältnissen, in denen er sich bewegt, und bei seinen Vergnügungen eine gewisse Abwechselung zu beobachten versteht, verwischt heute den Eindruck, den er gestern hervorgebracht hat. Er verliert in den Augen der Menschen alle Bedeutung, aber er hat einen wirklichen Genuß, denn er ist zu jeder Stunde und bei allen Dingen mit ganzer Seele. Meine einzige feste Form würde die sein, daß ich mich in jeder Situation nie mit einer andern beschäftigen und jeden Tag für sich selbst genießen würde, unabhängig vom vorhergehenden und vom folgenden. Wie ich mich unter den niederen Ständen als ein Glied derselben betrachten würde, so würde ich mich auf dem Lande zu den Bauern zählen, und wenn ich vom Ackerbau spräche, sollte der Landmann keine Gelegenheit haben, sich über mich lustig zu machen. Auf dem Lande würde ich mir keine Stadt erbauen, noch mitten in der Provinz Tuilerien vor meinem Zimmer aufführen. Am Abhange eines freundlichen schattenreichen Hügels würde ich mir ein Häuschen nach ländlicher Weise einrichten; weithin müßte es durch seine weiße Farbe und seine grünen Fensterläden sichtbar sein; und obgleich ein Strohdach für jede Jahreszeit das beste ist, so würde ich gleichwol, um meiner Wohnung ein freundlicheres Aeußere zu verleihen, zwar nicht dem düstern Schiefer, wol aber einem Ziegeldache den Vorzug geben, weil dasselbe ein saubereres und gefälligeres Ansehen hat als Stroh. Da man sich nun auch in meiner Heimat keines anderen Deckungsmittels bedient, so würde es mich hin und wieder an die glückliche Zeit meiner Jugend erinnern. Mein Hof würde sich in einen Hühnerhof, mein Pferdestall in einen Kuhstall verwandeln, damit es mir nicht an Milch fehlte, die ich sehr liebe. Mein einziger Garten würde ein Gemüsegarten sein, und als Park würde ich einen hübschen Obstgarten benutzen, dem ähnlich, von welchem sogleich die Rede sein wird. Das Obst, dessen Genuß den Spaziergängern unbenommen bliebe, ließe ich von meinem Gärtner weder zählen noch pflücken. Meine in mancher Beziehung doch nur karge Prachtliebe würde den Blicken nicht herrliche Spaliere, die man kaum zu berühren wagt, zur Schau stellen. Diese geringe Verschwendung würde gleichwol nur mit geringen Kosten verbunden sein, da ich meinen Wohnsitz in irgend einer entfernten Provinz aufschlagen würde, wo wenig Geld, aber viele Lebensmittel zu finden sind, und wo Ueberfluß und Armuth herrschen.
Dort würde ich eine mehr gewählte als zahlreiche Gesellschaft um mich versammeln, einen Kreis von Freunden, die das Vergnügen liebten und sich darauf verstünden, von Frauen, die fähig wären, sich von ihren Lehnstühlen zu erheben und in ländliche Spiele zu mischen, und die, statt immer zu dem Weberschiffchen und zu den Karten ihre Zuflucht zu nehmen, mitunter auch nach der Angel, der Leimruthe, dem Heurechen und dem Korbe der Winzerinnen langten. Dort, wo aller Stadtton vergessen werden würde und wo wir uns auf dem Lande nur als Landleute fühlten, würden wir uns einer Menge verschiedenartiger Vergnügungen hingeben können, die uns jeden Abend nur in die Verlegenheit setzen würden, für den folgenden Tag eine Auswahl zu treffen. Die Bewegung und das thätige Leben würden unsern Magen verjüngen und uns einen neuen Geschmack geben. All unsere Mahlzeiten würden sich in Festessen verwandeln, bei denen uns mehr die Fülle als die Leckerhaftigkeit Behagen einflößen würde. Frohsinn, ländliche Arbeiten und muntere Spiele sind die besten Köche der Welt, und feine Ragouts können Leuten, welche von Sonnenaufgang in Athem sind, nur höchst lächerlich vorkommen. In der Zurüstung der Tafel dürfte sich eben so wenig künstliche Ordnung als Eleganz aussprechen. Ueberall ließe sich der Speisesaal herstellen, im Garten, in einem Boote, unter einem Baume; hin und wieder in größerer Entfernung, in der Nähe einer rieselnden Quelle, auf grünem, frischem Rasenplatze, unter Erlen- und Haselgebüsche. Ein langer Zug fröhlicher Gäste müßte unter Gesang Alles, was das Fest erforderte, herbeitragen. Der Rasen müßte die Stelle der Tafel und der Stühle vertreten, die Einfassung einer Quelle den Schenktisch ersetzen, und den Nachtisch müßten die Bäume darbieten. Obgleich die Speisen ohne bestimmte Ordnung würden aufgetragen werden, würde der Appetit alle Complimente unnöthig machen. Jeder würde zuerst ungenirt für sich selber sorgen und es ganz recht finden, wenn jeder Andere eben so handelte. Aus dieser herzlichen und nicht in Ueberschwänglichkeit ausartenden Vertraulichkeit, die sich von Grobheit, Falschheit und Zwang fern zu halten wüßte, würde sich ein scherzhafter Wetteifer entwickeln, der hundertmal reizender wäre als die herkömmliche Höflichkeit, und sich auch weit mehr dazu eignen würde, die Herzen zu vereinigen. Kein lästiger Diener dürfte auf unsere Gespräche horchen, unser Benehmen in gemeiner Weise bekriteln, uns mit neidischem Auge die Bissen in den Mund zählen, sich damit belustigen, uns auf das Trinken warten zu lassen, oder darüber murren, daß sich die Mahlzeit zu lange hinzöge. Wir würden, um unsere eigenen Herren zu sein, selbst unsere Diener spielen; Jeder würde auf die Dienste Aller zählen können; die Zeit würde verrinnen, ohne daß Jemand daran dächte, die Stunden zu zählen; die Mahlzeit würde uns als Ruhezeit dienen und so lange wie die Tageshitze währen. Ginge nicht weit von uns ein Landmann vorüber, der sich, mit seinen Werkzeugen auf der Schulter, wieder an die Arbeit begäbe, so würde ich durch einige freundliche Worte, durch ein paar Schluck guten Weines sein Herz erfreuen, so daß er freudiger sein Elend ertrüge. Auch für mich würde es eine Freude sein, zu fühlen, daß mein Inneres bewegt ist, und im Stillen zu mir sagen: »Ich bin doch noch immer ein Mensch!«
Versammelte irgend ein ländliches Fest die Bewohner des Ortes, so würde ich mit dem Kreise meiner Freunde zu den Ersten gehören, die dazu einträfen. Würden in meiner Nachbarschaft Hochzeiten, die hier vom Himmel gesegneter als in der Stadt sind, gefeiert, so würde man wissen, daß ich die Freude liebe und mich dazu einladen. Ich würde diesen guten Leuten einige Geschenke mitbringen, die mit ihrer eigenen Einfachheit in Einklang ständen und geeignet wären, zur Erhöhung der Festlichkeit beizutragen, und dafür würde mir ein Lohn von unschätzbarem Werthe zu Theil werden, Güter würden mein Lohn sein, welche meinen Standesgenossen so wenig bekannt sind, nämlich Offenherzigkeit und wirkliches Vergnügen. Heiter würde ich am Ende ihres langen Tisches mit ihnen essen, mit dem Chor in die Schlußverse eines alten Volksliedes einfallen und auf ihrer Tenne mit größerem Frohsinn tanzen als auf einem Balle im Opernhaus.
So weit ist ja Alles ganz herrlich, wird man sagen; aber wie steht es denn mit der Jagd? Kann man auf dem Lande wol weilen, ohne zu jagen? Ja, ja, ich begreife; ich wünschte mir nur eine Meierei und darin hatte ich Unrecht. Ich habe ja angenommen, daß ich reich bin, und da habe ich ganz besondere Vergnügungen nöthig, Vergnügungen, bei denen Alles auf das Vernichten ausgeht. Das ist natürlich etwas ganz Anderes. Ich bedarf Ländereien, Waldungen, Waldhüter, Grundzinsen, herrschaftliche Ehren, vor Allem aber Weihrauch und Weihwasser.
Sehr gut. Dieses Landgut wird indeß Nachbarn haben, die nicht allein auf ihre Rechte eifersüchtig, sondern auch von dem Wunsche beseelt sind, die Rechte Anderer an sich zu reißen. Unsere Waldhüter werden in Streitigkeiten gerathen, und vielleicht sogar die Herren. Daraus entwickeln sich denn Hader, Zwistigkeiten, Haß, und wenigstens Processe; das gehört schon nicht zu den Annehmlichkeiten. Meine Lehnsleute werden es auch gerade nicht mit Vergnügen anblicken, wenn meine Hasen auf ihrem Getreide äsen und meine Wildschweine ihre Bohnen verwüsten. Obgleich Keiner wagen wird, den Feind, der seine Arbeit vergeblich macht, zu tödten, so wird ihn doch Jeder von seinem Feld verjagen wollen. Nachdem sie den Tag über ihre Aecker bestellt hätten, würden sie dieselben des Nachts beschützen müssen. Sie werden sich dazu ihrer großen Hunde bedienen, werden sich Trommeln, Hörner und Schellen anschaffen und mich durch all diesen Höllenlärm aus meinem Schlafe aufschrecken. Ich mag wollen oder nicht, so werde ich an das Elend dieser armen Leute denken müssen und nicht umhin können, mir darüber im Stillen Vorwürfe zu machen. Hätte ich die Ehre, ein Fürst zu sein, so würde dies Alles auf mich freilich keinen Eindruck machen; aber ich, ein junger Emporkömmling, der ich vor Kurzem erst in den Besitz meines Reichthums gelangt bin, habe mein bürgerliches Herz noch nicht so schnell verwandeln können.
Das ist noch nicht einmal Alles. Der Ueberfluß an Wild wird die Jäger in Versuchung führen. Es wird nicht lange dauern, so werde ich Wilddiebe zu bestrafen haben; ich werde der Gefängnisse, der Kerkermeister, Häscher und Galeeren bedürfen. Dies Alles kommt mir in hohem Grade grausam vor. Die Frauen dieser Unglücklichen werden meine Thüre belagern und mir mit ihrem Geschrei beschwerlich fallen; man wird sie entweder forttreiben oder mißhandeln müssen. Die armen Leute, welche sich nicht so weit vergessen haben, zu wilddieben, deren Ernte aber mein Wild zerstört hat, werden erscheinen, um ihrerseits Klage zu führen. Die Einen werden dafür gestraft werden, daß sie das Wild getödtet haben, die Anderen werden zu Grunde gehen, weil sie es geschont haben. Was für eine traurige Alternative! Auf allen Seiten werde ich nur Gegenstände des Elends wahrnehmen, nur Seufzer vernehmen. Das muß doch, wie mich bedünken will, das Vergnügen, ganze Ketten von Rebhühnern und Schaaren von Hasen in aller Bequemlichkeit fast unmittelbar unter seinen Füßen erlegen zu können, gewaltig stören.
Wollt ihr eure Vergnügungen von den ihnen anhaftenden Unannehmlichkeiten frei machen, so nehmet ihnen den ausschließlichen Charakter. Je mehr ihr darauf bedacht sein werdet, auch alle Uebrige an denselben Theil nehmen zu lassen, einen desto reineren Genuß werden sie euch gewähren. Deshalb werde ich von alledem, was ich eben aufgeführt habe, nichts thun; ohne meine Neigungen zu ändern, werde ich mich indeß von derjenigen leiten lassen, deren Befriedigung, meiner Ansicht nach, den wenigsten Kostenaufwand verlangt. Ich werde meinen ländlichen Aufenthalt nach einem Landestheile verlegen, wo Jedermann zur Ausübung der Jagd berechtigt ist, und wo ich mich diesem Vergnügen, ohne Verdrießlichkeiten befürchten zu müssen, hingeben kann. Das Wild wird allerdings seltener sein, dafür wird es aber auch eine desto größere Geschicklichkeit erfordern, es aufzusuchen, und mehr Vergnügen bereiten, es zu erlegen. Ich werde stets des Herzklopfens eingedenk bleiben, von welchem mein Vater beim ersten Auffliegen eines Rebhuhnes befallen wurde, und des Entzückens, welches sich seiner bemächtigte, als er den Hasen fand, den er den ganzen Tag gesucht hatte. Ja, ich behaupte, daß er, allein mit seinem Hunde, die Flinte über der Schulter, Jagdtasche und Pulverhorn an der Seite, des Abends mit seiner geringen Beute, trotz aller Ermüdung und aller davongetragenen Dornenrisse, weit zufriedener mit seinem Tagewerke heimkam, als alle euere weibischen Jäger, welche, auf schnellem Rosse, zwanzig geladene Gewehre hinter sich, nichts zu thun haben, als stets ein frisch geladenes zu nehmen, abzufeuern und Alles um sich her ohne Kunst, ohne Ruhm und fast ohne Anstrengung zu tödten. Das Vergnügen ist deshalb also nicht geringer, während die Uebelstände gleichzeitig fern gehalten werden, wenn man weder sein Jagdterrain zu bewachen, noch Wilddiebe zu bestrafen, noch Unglückliche zu quälen hat. Darin liegt doch wol ein triftiger Grund, meiner Art, mir Vergnügungen zu verschaffen, den Vorzug zu geben. Wie dem nun auch immer sein mag, man quält die Menschen nicht unaufhörlich, ohne sich nicht selbst dadurch das Leben recht unbehaglich zu machen; die anhaltenden Verwünschungen des Volkes müssen den Genuß des Wildes doch früher oder später verbittern.
Noch einmal sei es gesagt: die Vergnügungen, welche man für sich allein beansprucht, sind der Tod des Vergnügens. Zu den wahren Vergnügungen können nur die gerechnet werden, welche man mit dem Volke theilt; diejenigen, welchen man sich allein hingeben will, verlieren den Charakter des Vergnügens. Wenn die Mauern, welche ich um meinen Park aufführen lasse, demselben einen düstern, klösterlichen Anstrich geben, so habe ich mich mit großen Kosten nur um das Vergnügen gebracht, ihn als Spaziergang benutzen zu können, weshalb ich mich genöthigt sehe, ihn in der Ferne zu suchen. Der Dämon des Besitzes verpestet Alles, was er berührt. Ein Reicher will überall den Herrn spielen und befindet sich nirgends wohl, wo er es nicht ist. So ist er genöthigt, stets vor sich selber auf der Flucht zu sein. Was mich jedoch anlangt, so werde ich in meinem Reichthume genau dasselbe Verfahren beobachten, wie in meiner Armuth. Schon jetzt durch fremdes Gut reicher, als ich es je durch mein eigenes Gut sein werde, bemächtige ich mich alles dessen, was mir in meiner Nachbarschaft zusagt. Kein Eroberer wird entschlossener auftreten als ich. Selbst fürstliches Gut eigne ich mir zu. Ohne Unterschied nehme ich jede offene Landschaft, die meinen Beifall findet, in Besitz, lege ihr einen Namen bei, erkläre die eine zu meinem Park, die andere zu meiner Terrasse, und bin so der Herr derselben. Von nun an lustwandle ich darin ungescheut; oft kehre ich dahin zurück, um meinen Besitz zu behaupten; so oft es mir behagt, benutze ich den Grund und Boden, indem ich mich auf ihm ergehe, und man wird nie im Stande sein, mich davon zu überzeugen, daß der Titularherr des Grundstücks, das ich mir aneigne, aus dem Gelde, welches er daraus erzielt, einen größeren Nutzen ziehe, als mir seine Ländereien gewähren. Sollte man mir durch Gräben und Hecken Hindernisse in den Weg legen, so macht mir das wenig Kummer. Ich nehme meinen Park auf meine Schultern und weise ihm einen anderen Platz an. An tauglichen Stellen fehlt es in der Umgegend nicht, und es wird mir lange Zeit möglich sein, meine Nachbarn zu plündern, ehe es mir an einem Zufluchtsorte fehlen wird.
Obiges kann als ein geringer Versuch über den wahren Geschmack in der Wahl der wirklich angenehmen Zeitvertreibe gelten; es erhellt daraus, in welchem Geiste man genießen muß; alles Uebrige ist nur Illusion, Hirngespinnst, thörichte Eitelkeit. Wer sich nicht an diese Regeln hält, wird sein Gold, er sei so reich als er wolle, für einen Kehrichthaufen wegwerfen und nie den Werth des Lebens kennen lernen.
Man wird mir ohne Zweifel den Einwurf machen, daß dergleichen Vergnügungen allen Menschen zugänglich sind, und daß man, um sich ihren Genuß zu verschaffen, nicht reich zu sein brauche. Das ist es gerade, worauf ich kommen wollte. Man hat Vergnügen, sobald man es haben will; lediglich die herkömmliche Meinung ist es, die uns Alles so schwer macht und das Glück von uns scheucht. Es ist hundertmal leichter, glücklich zu sein, als es zu scheinen. Ein Mann, der Geschmack besitzt und der Sinnlichkeit in richtiger Weise ergeben ist, kann den Reichthum entbehren; für ihn genügt es, frei und sein eigener Herr zu sein. Wer sich der Gesundheit zu erfreuen hat und keinen Mangel an den nöthigen Lebensbedürfnissen leidet, ist reich genug, wenn er sich in seinem Herzen von den eingebildeten Gütern loszureißen vermag. Dies ist die aurea mediocritas (die goldene Mittelstraße) des Horaz. Sucht deshalb, ihr Leute mit vollen Kisten und Kasten, eine andere Verwendung für euren Reichthum, denn euch Vergnügen zu verschaffen ist er unvermögend. Obwol Emil das Alles nicht besser wissen wird als ich, so hat er doch ein reineres und gesunderes Herz und wird es deshalb noch besser empfinden. Auch werden ihn alle Beobachtungen in der Welt hierin nur noch bestärken.
Während wir in der angegebenen Weise die Zeit verleben, suchen wir beständig Sophien, ohne sie jedoch zu finden. Es war von wesentlicher Wichtigkeit, daß sie sich nicht zu schnell finden ließ, und wir haben sie deshalb auch da gesucht, wo ich mit Sicherheit annehmen konnte, daß sie nicht sein würde. Mulierem fortem quis invenient? Procul et de ultimis finibus pretium eius. (Wem ein tugendsam Weib bescheret ist, die ist viel edler, denn die köstlichsten Perlen. Spr. Sal. 31, 10.)
Endlich aber ist der Augenblick erschienen, wo Eile nöthig ist. Es ist jetzt an der Zeit, sie ernstlich zu suchen, weil sonst Besorgniß ist, er könnte sich selbst eine schaffen, welche er für die wahre hielte, und zu spät zur Erkenntniß seines Irrthums kommen. Lebe wohl denn, Paris, du berühmte Stadt, du geräuschvolle Stadt voller Rauch und Schmutz, in der die Frauen nicht mehr an Ehre, noch die Männer an Tugend glauben! Lebe wohl, Paris, wir suchen die Liebe, das Glück, die Unschuld; nie werden wir uns weit genug vor dir flüchten können!