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Die Schauspieler wurden von dem Herrn des Hauses, der ein braver Mann war, sehr gut empfangen. Man gab ihnen zwei Zimmer, wo sie ihr Gepäck aufheben und sich ungeniert zu der Komödie vorbereiten konnten, die auf die Nacht angesetzt wurde. Man liess sie auch besonders zu Mittag speisen, und nach Tisch konnten die, die spazieren wollten, entweder ein schönes Wäldchen oder einen hübschen Garten dafür wählen. Ein junger Parlamentsrat von Rennes, ein naher Verwandter des Hausherrn, kam zu den Komödianten und unterhielt sich mit ihnen, da er gefunden hatte, dass Destin Verstand besass, die Schauspielerinnen hübsch waren und auch was anderes reden konnten als bloss ihre auswendig gelernten Verse. Man sprach, was man gewöhnlich mit Komödianten spricht: von Theaterstücken und deren Verfassern. Der Parlamentsrat sagte unter anderem auch, dass die bekannten Lustspielstoffe alle abgebraucht wären, dass die Historie erschöpft sei, dass man bald würde gezwungen sein, die Regel der zeitlichen Einheit aufzugeben, da das Volk und der grösste Teil der Welt nicht wüssten, wozu diese strengen Theaterregeln dienten; dass man mehr Vergnügen dabei hätte, eine Sache agiert zu sehen als sie erzählen zu hören; und da nun alles dies gewiss und ausgemacht wäre, so wäre es auch möglich, sehr gute Stücke zu verfertigen, ohne in die ausschweifende Art der Spanier zu verfallen, und ohne sich nach den Regeln des Aristoteles zu plagen. Von der Komödie kam man auf die Romane zu sprechen. Der Parlamentsrat meinte, einige der neuen Romane wären sehr unterhaltend, und dass die Franzosen allein gute Romane zu machen verstünden. Dass hingegen die Spanier die Kunst verstünden, kleine Geschichten, die sie Novellen nennen, zu verfertigen, die zeitgemässer und natürlicher wären als jene Helden des Altertums, die einen mit ihrer übertriebenen Grösse fast erdrückten; dass auch Beispiele, die man nachahmen, ebenso nützlich wären als solche, die man kaum begreifen kann. Und er zog daraus den Schluss, dass französische Novellen in der Art derer des Michel Cervantes gewiss ebenso gerne gelesen werden würden als die Heldenromane. Roquebrune war aber ganz entgegengesetzter Meinung. Er sagte es geradezu, dass man nur solche Romane mit Vergnügen lesen könne, die Begebenheiten von Prinzen und Fürsten enthielten, und dass ihm der Roman Astrea deshalb auch nur an ein paar Stellen gefallen hätte. »Und in welcher Historie wird man Kaiser und Könige genug finden um Euch neue Romane zu machen?« fragte der Rat. »Man muss welche erfinden,« sagte Roquebrune, »so wie in den fabulösen Romanen, die gar nicht auf die Geschichte gegründet sind.« – »Ich sehe schon,« sagte der Rat, »dass der Don Quichote bei Euch nicht eben beliebt ist.« – »Das elendeste Buch,« versetzte Roquebrune, »das ich jemals gelesen habe, ob es gleich einer Menge Leute von Geist gefällt.« – »Nehmt Euch in acht,« sagte Destin, »dass es Euch nicht viel mehr durch Eure Schuld als die seinige missfällt.« Roquebrune würde gewiss darauf geantwortet haben, hätte er gehört, was Destin sagte; aber er war eben damit beschäftigt, einigen Damen, die sich den Komödianten genähert hatten, seine grossen Talente anzupreisen; er versprach ihnen, einen Roman in fünf Teilen zu schreiben, jeden Teil wenigstens zu zehn Bänden, und der Kassandra, Kleopatra und den Cirus weit übertreffen sollte, obgleich dieser letzte den Zunamen der Grosse führt, gerade so wie Pipins Sohn. Unterdessen erzählte der Rat dem Destin und den Schauspielerinnen von seinem Versuch, einige Novellen nach Art der spanischen zu schreiben und dass er ihnen einige vorlesen wollte. Inezilla nahm darauf das Wort und sagte in einem Französisch, das dem Gascognischen ähnlicher war als dem Spanischen, dass ihr erster Mann am spanischen Hof berühmt gewesen sei und verschiedene Novellen verfertigt hätte, die gut aufgenommen wurden und von denen sie noch einige im Manuskript besitze, die, ins Französische übersetzt, gewiss gefallen würden. Der auf dergleichen Bücher sehr neugierige Rat sagte der Spanierin, dass sie ihm mit der Mitteilung dieser Novellen ein ausnehmendes Vergnügen machen würde, und sie versprach es mit vieler Höflichkeit. Sie fügte noch hinzu, dass sie gewiss so viel zu erzählen wüsste wie irgend jemand, und da einige französische Damen sowohl Novellen als Verse gemacht hätten, so hätte sie es auch versucht und könnte mit einigen von ihrer Arbeit aufwarten. Der wie gewöhnlich sehr verwegene Roquebrune bot sich an sie ins Französische zu übersetzen. Inezilla, eine der feinsten Spanierinnen, die jemals über die Pyrenäen nach Frankreich kamen, antwortete, dass, es nicht genug wäre, Französisch zu verstehen, und dass man das Spanische ebenso gut verstehen müsse, und dass sie sich nicht weigern würde ihm ihre Novellen zum Übersetzen zu geben, sobald sie genug Französisch verstünde, um urteilen zu können, ob er es auch gut imstande wäre. La Rancune, der noch kein Wort gesprochen hatte, sagte, dass daran nicht zu zweifeln sei, weil Herr Roquebrune Korrektor in einer Druckerei gewesen wäre. Aber er hatte dies kaum gesagt, als er sich erinnerte, dass der ihm ja Geld geliehen hatte. Er trieb es also nicht weiter und Roquebrune gestand ganz beschämt, dass er eine Zeitlang in einer Druckerei korrigiert habe, aber es wären bloss seine eigenen Werke gewesen. Mademoiselle de l' Etoile sagte hierauf zu Donna Inezilla, sie würde sie oft bitten von den vielen Geschichten zu erzählen, die sie wüsste. Wozu die Spanierin sogleich bereit war. Man nahm sie beim Wort, die ganze Gesellschaft setzte sich um sie herum und sie fing eine Geschichte an. Nicht zwar ganz so wörtlich, wie sie im folgenden Kapitel zu lesen ist, aber doch hinreichend deutlich, um zu zeigen, dass sie in der spanischen Sprache viel Geist besitzen musste, da sie so viel in der ihr fremden französischen Sprache zeigte, deren Feinheiten sie nicht kannte.
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