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Sechstes Kapitel. Saldagnes Tod

Wir haben in dem vorigen Teil dieses Romans Saldagne verlassen, wie er von seinem Fall noch krank in dem Haus des Baron d'Arques in Vervilles Zimmer lag. Und seine Bedienten verliessen wir in einer Dorfschenke zwei Meilen weit davon ganz betrunken, wo Vervilles Bedienter grosse Mühe hatte, ihnen verständlich zu machen, dass das Frauenzimmer entwischt sei, und dass der andere Mann, den ihnen ihr Herr zugegeben hatte, ihr mit dem andern Pferd nachgesetzt sei. Nachdem sie sich die Augen ausgerieben und zwei- bis dreimal gegähnt und sich ausgestreckt hatten, wollten sie ihr nun auch nachsetzen. Der Bediente aber führte sie einen falschen Weg. Sie ritten drei Tage vergebens und kehrten endlich wieder zu Saldagne zurück, der von seinem Fall noch nicht kuriert war und noch nicht aus dem Bett konnte. Sie brachten ihm die Nachricht, dass die Person ihnen entwischt sei, dass aber der Mensch, den ihnen Herr von Verville mitgegeben hatte, ihr nachsetzte. Saldagne wollte bei dieser Nachricht ganz rasend werden, und es war ein Glück für seine Bedienten, dass er im Bett lag, anders würde es gewiss nicht bei dem blossen Schimpfen geblieben sein. Er ärgerte sich so sehr, dass sein Übel sich verschlimmerte und er das Fieber wieder bekam; als der Wundarzt eintraf, um ihn zu verbinden, fand er das Bein so entzündet, dass er den Brand befürchtete. Er ging daher zu Verville, dem er den Zustand erzählte. Verville begab sich selbst zu Saldagne, um ihn nach seinem Befinden zu fragen. Er bedauerte ihn sehr und sagte, dass er dies alles angestellt hätte, um ihn aus den allerschlimmsten Sachen zu ziehen, in die er je wäre verwickelt gewesen. »Denn«, sagte er, »Ihr sagt wohl, dass niemand das Mädchen aufnehmen wollte; und ich muss es Euch gestehen, dass ich es bloss deswegen getan habe, um sie wieder in die Hände ihres Bruders und ihrer Freunde zu geben. Bedenkt selbst, was aus Euch geworden wäre, wenn man eine Untersuchung wegen Entführung gegen Euch angestellt hätte, ein Hauptverbrechen bei uns, das niemals vergeben wird! Ihr glaubt vielleicht, dass ihre geringe Herkunft und der Stand, den sie erwählt hat, Euern Handel würde entschuldigt haben, aber hierin betrügt Ihr Euch; denn sie ist die Tochter eines Edelmannes, und es wäre gewiss schlimm für Euch ausgegangen, wenn auch die Gerechtigkeit geschwiegen hätte. Sie hat einen Bruder, der sich gewiss würde an Euch gerächt haben, denn er ist ein Mann von Mut, Ihr habt es bei verschiedenen Gelegenheiten selbst erfahren, und dies sollte Euch bewegen, ihn vielmehr zu schätzen als so zu verfolgen. Es ist Zeit, diese vergeblichen Anschläge aufzugeben, die Euch am Ende unglücklich machen könnten. Ihr wisst, dass Verzweiflung alles wagt, es ist also besser, Ihr lasst ihn in Ruhe.« Aber diese Worte, die Saldagne zur Besinnung bringen sollten, vermehrten nur seine Wut, und er sann auf neue Anschläge, die er in Gegenwart Vervilles verbarg und nachher auszuführen suchte. Er machte, dass er gesund wurde, und sobald er wieder das Pferd besteigen konnte, nahm er Abschied von Verville und machte sich sogleich auf den Weg nach Mans, wo er die Gesellschaft anzutreffen glaubte. Als er erfuhr, dass sie nach Alençon gegangen wäre, beschloss er, ihr dahin zu folgen. Er kam durch Vivain, wo er seine Leute und drei Spitzbuben, die er mit sich genommen hatte, ausruhen liess. Als er in die Schenke Zum Hahn eintrat, hörte er einen grossen Lärm. Es waren die Tuchhändler, die auf den Markt zu Beaumont gegangen waren und dort erst den Diebstahl Rancunes entdeckt hatten. Sie kehrten also zurück und beklagten sich bei der Wirtin, die ihnen aber antwortete: sie wäre nicht verbunden, dafür zu stehen, weil sie ihr die Ballen nicht in Verwahrung gegeben, sondern in ihr Zimmer hätten bringen lassen. Die Kaufleute antworteten, dies wäre wohl wahr, allein warum sie die Komödianten hätte in ihrer Stube schlafen lassen? »Habt Ihr denn«, fragte sie, »Euere Ballen aufgemacht und Euere Stricke versehrt gefunden?« – »Nein«, sagten die Kaufleute, »und dies wundert uns eben am meisten, denn sie waren so zugeschnürt, als wenn wir es selbst getan hätten.« – »Nun, so lasst mich ungeschoren«, sagte die Wirtin. Die Kaufleute wollten antworten, allein Saldagne schwur, dass er sie alle prügeln wollte, wenn sie mit ihrem Lärm fortführen. Die armen Leute wurden durch den Anblick so vieler und so böser Leute gezwungen, zu schweigen, und bis nach deren Abreise zu warten, um aufs neue ihren Streit mit der Wirtin anzufangen. Nachdem nun Saldagne, seine Leute und seine Pferde ausgeruht hatten, nahm er den Weg nach Alençon, wo er spät ankam. Er schlief die ganze Nacht nicht und sann bloss auf Mittel, sich an Destin zu rächen, der ihm seine Beute geraubt hatte, und da er ein grausamer Mann war, so wählte er auch grausame Mittel dazu. Den andern Tag ging er mit seiner Gesellschaft in die Komödie und bezahlte für sie. Da sie niemand kannte, hielt man sie für Fremde, Saldagne selbst aber bedeckte sich mit seinem Mantel und drückte den Hut tief ins Gesicht, wie jemand, der nicht erkannt sein will. Er setzte sich und sah die Komödie mit an, die ihm aber ebensoviel Langweile als andern Vergnügen machte, denn alle bewunderten die Etoile, die an diesem Tag die Kleopatra in dem Trauerspiel Pompejus des Herrn Corneille spielte. Als die Vorstellung zu Ende war, blieb Saldagne mit seinen Leuten im Ballhaus, um den Destin dort anzugreifen. Allein die Gesellschaft hatte sich bei dem Adel und den vornehmsten Bürgern so sehr in Gunst gesetzt, dass die Mitglieder niemals ohne grosses Gefolge vom Theater nach Hause gingen. Diesen Tag hatte eine junge, sehr schöne Witwe, namens Frau von Villefleur, die Theaterdamen zu Tisch gebeten, was Saldagne mit anhörte; sie lehnten es sehr höflich ab, allein da sie so sehr darauf bestand, so versprachen sie zu kommen. Hierauf gingen sie mit starker Begleitung nach Haus, besonders waren es die Edelleute, mit denen Destin im Ballhaus Bekanntschaft gemacht hatte, und dies hinderte Saldagne, den bösen Anschlag auszuführen, weil er mit so vielen Leuten nicht anbinden wollte. Aber er fasste den Entschluss, die Etoile, wenn sie von Frau von Villefleur zurückkäme, mit Gewalt zu entführen, und alle zu ermorden, die sich ihm widersetzen würden. Die drei Schauspielerinnen gingen also zu der gastlichen Dame. Diese war, wie schon gesagt, sehr schön und galant, was beides immer die Gesellschaft in ihr Haus zog, die diesen Abend noch durch die Gegenwart der Schauspielerinnen vermehrt wurde. Saldagne dachte sich, dass er die Etoile ebenso leicht würde entführen können wie damals, da Destins Bedienter sie dem Rappinière zuführen wollte. Er nahm also ein starkes Pferd und gab es einem seiner Bedienten zu halten, den er an die Haustüre der Frau von Villefleur stellte, einer kleinen Gasse zu, nicht weit vom Rathaus; er glaubte, es würde ihm leicht werden, die Etoile unter einem Vorwand herauszurufen und sie mit Hilfe seiner drei Kerle, welche auf dem grossen Platz herumschlenderten, auf das Pferd zu setzen und sie nach seinem Gefallen fortzuführen. Er schmeichelte sich mit diesen Gedanken und glaubte schon den Raub in Händen zu haben, allein es traf sich, dass ein Geistlicher, einer von der Art, der die artige Gesellschaft liebt und dem Theater sehr ergeben ist, diesen Abend bei Frau von Villefleur zubringen wollte. Da er nun einen fremden Bedienten, den er gar nicht kannte, mit einem Pferd an der Hand antraf, und auf die Fragen, wer er wäre, was er da wolle, und ob sein Herr im Hause wäre, nur halbe Antworten bekam, so ging er zu der Gesellschaft in den Saal und erzählte alles, was er gesehen hatte und sagte auch, dass er verschiedene Personen in dem kleinen Gässchen hätte gehen hören. Destin, der den Mann, der sich das Gesicht mit dem Mantel bedeckte, genau beobachtet hatte, und dem Saldagne immer im Gedanken war, zweifelte nicht mehr, dass er es wäre; aber er hatte noch niemandem etwas davon gesagt, sondern nur alle seine Freunde zu Frau von Villefleur genommen, um die Damen zu begleiten. Als er den Geistlichen angehört hatte, wurde er in seiner Meinung bestärkt, dass es Saldagne wäre, der nun eine zweite Entführung seiner geliebten Etoile versuchen wollte. Man beratschlagte nun, was zu tun wäre und beschloss, die Sache abzuwarten, und, wenn vor der Zeit des Nachhausegehens niemand erschiene, so wollte man mit aller der nötigen Behutsamkeit, die eine solche Sache erforderte, hinausgehen. Allein es dauerte nicht lange, so kam ein fremder Mensch herein und verlangte Mademoiselle de l'Etoile zu sprechen; eine ihrer Freundinnen hätte ihr unten auf der Strasse etwas zu sagen, und liesse sie bitten, hinunter zu kommen. Man meinte, dass Saldagne durch dieses Mittel seinen Zweck erreichen wollte, und jeder in der Gesellschaft machte sich bereit, ihn gehörig zu empfangen. Man beschloss, keine von den Schauspielerinnen hinuntergehen zu lassen, dagegen schickte man ein Kammermädchen der Frau von Villefleur ab, die Saldagne sogleich ergriff, weil er glaubte, es wäre die Etoile. Er erstaunte sehr, als er sich alsbald von einer Menge bewaffneter Leute umringt sah; ein Teil war durch die kleine Türe und ein anderer durch die auf den grossen Platz herausgekommen. Da er nun wie alle Leute seiner Art der Vernunft kein Gehör gab und nicht bedachte, dass seine Leute nicht bei ihm wären, so schoss er unbesonnenerweise eine Pistole ab, wodurch einer von den Komödianten leicht an der Hand verwundet wurde. Ein Dutzend Schüsse antworteten darauf. Saldagnes Leute, die den Lärm hörten, liefen davon, wie es gemeiniglich diese gedungenen Kerls zu machen pflegen. Saldagne war hingestürzt, denn er hatte einen Schuss in den Kopf und zwei in den Leib bekommen. Man brachte Licht, aber niemand sonst kannte ihn, nur die Komödianten, die versicherten, es wäre Saldagne. Man hielt ihn für tot, ob er es gleich noch nicht war, und half daher seinem Bedienten, ihn quer über sein Pferd zu legen. Er führte ihn in seinen Gasthof, wo man noch einiges Leben bei ihm bemerkte, weshalb ihn der Wirt verbinden liess. Aber er starb den andern Tag. Sein Leichnam wurde nach Hause gebracht, wo ihn seine Schwester und seine Schwäger empfingen. Sie beweinten ihn, ob sie gleich im Grunde über seinen Tod erfreut waren. Ich vermute, dass Frau von Saint-Far heimlich wünschte, dass ihrem Mann ein Gleiches begegnen möchte, und dies hätte er wegen seiner Sympathie für Saldagne wohl verdient; doch will ich kein vorschnelles Urteil fällen. Die Gerechtigkeit fing an, einige Schwierigkeiten zu machen, aber da sich niemand fand und auch kein Kläger auftrat, so wurde die Sache unterdrückt. Die Schauspielerinnen wurden nach Haus begleitet, wo sie den andern Tag den Tod des Saldagne erfuhren, worüber sie sich billigerweise sehr freuten, denn sie hatten überall nur Freunde, und keinen sonst als diesen Feind gehabt.

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