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Siebzehntes Kapital. Ragotins Verzweiflung und Schluss des Komödiantenromans

La Rancune, der nun alle Hoffnung vereitelt sah, in seiner Liebe zur Etoile glücklich zu werden, stand früh auf und ging zu dem kleinen Ragotin, den er auch schon aufgestanden und schreibend antraf. Er sagte ihm, er wäre eben mit seiner Grabschrift beschäftigt. »Was?« sagte Rancune, »Grabschriften macht man nur für Verstorbene, und Ihr seid ja noch am Leben, und was noch das sonderbarste ist, Ihr macht selbst die Eurige!«– »Ja,« sagte Ragotin, »Ihr sollt sie sehen.« Zugleich nahm er das Papier und las ihm folgende Grabschrift vor:

Hier liegt der arme Ragotin,
der sehr verliebt war in Etoile,
die ihm wegschnappte der Destin,
drum segelt' er mit einemmal
hinüber in die andre Welt;
woselbst er bleiben wird solang man ihn behält.
Ihr zuliebe wurde er Komödiant,
und beschloss so seines Lebens Tand.

»Das ist höchst vortrefflich,« rief Rancune aus, »aber Dir werdet nicht das Vergnügen haben, sie auf Eurem Grabe zu lesen, denn man sagt, dass die Toten weder sehen noch hören sollen.« – »Ach!« sagte Ragotin, »Dir seid viel schuld an meinem Unglück! Denn Ihr machtet mir immer grosse Hoffnung, diesen Engel noch zu erweichen, und wusstet doch, dass es nicht möglich war.« Rancune schwor ihm hierauf hoch und teuer, dass er nicht gewusst, wohl es aber geargwöhnt hätte, und deswegen habe er ihm auch geraten, diese Leidenschaft zu unterdrücken, weil sie eines der sprödesten Frauenzimmer auf der Welt sei. »Dennoch«, fuhr er fort, »sollte man glauben, dass der Stand, in dem sie ist, sie dieser Sprödigkeit, welche von andern Frauenzimmern mit Recht gefordert wird, überhöbe; allein ich glaube, dass man unter allen Komödiantentruppen nicht eine einzige wird auffinden können, die so zurückhaltend und keusch lebt wie sie. Sogar Angelique hat sie zu dieser Lebensart bekehrt, denn von Natur aus hat diese ganz andere Neigungen, wie aus ihrem munteren Temperament hinlänglich erhellt. Allein ich will Euch jetzt ein Geheimnis entdecken, welches ich bis diese Stunde keinem Menschen anvertraut habe. Ich selbst war nämlich ebenso verliebt in sie wie Ihr, und ich glaube nicht, dass irgendein Mensch, der so lange wie ich mit ihr verkehrte, sich der Liebe zu ihr erwehren könnte. Da ich nun aber so wie Ihr alle Hoffnung verloren habe, so bin ich entschlossen, die Truppe zu verlassen, und dies um so mehr, da man den Bruder der Caverne engagiert hat. Dieser Mensch kann keine andern Rollen spielen als die meinigen, und ich werde also ohne allen Zweifel meinen Abschied erhalten. Diesem will ich aber zuvorkommen und ihn lieber selbst fordern, und nachher zu der Truppe nach Rennes gehen, die mich sicher aufnehmen wird, weil ihr ein Akteur fehlt.« – »Ha!« schrie Ragotin, »weil Ihr also selbst in sie verliebt wart, so habt Ihr Euch wohl gehütet, mit ihr von mir zu sprechen!« Aber Rancune vermass sich hoch und teuer, dass er ein rechtschaffener Kerl sei, und öfters mit ihr deswegen gesprochen hätte, doch hätte sie ihn nie anhören wollen. »Nun denn,« sagte Ragotin, »Ihr seid willens, die Truppe zu verlassen, und ich auch, allein ich will noch mehr verlassen als dies, denn ich will ganz und gar aus der Welt gehen.« Rancune dachte eben nicht an die Grabschrift, die Ragotin ihm gegeben hatte, sondern glaubte, er wolle bloss in ein Kloster gehen, daher gab er auch nicht weiter acht auf ihn, und sagte niemand etwas davon, ausser dem Poeten, dem er eine Abschrift gab. Als nun Ragotin allein war, sann er auf Mittel, um aus der Welt zu kommen. Er nahm eine Pistole, lud sie mit zwei Kugeln, und wollte sich vor den Kopf schiessen; bald aber besann er sich anders, weil es zu viel Lärm machen würde. Er setzte sich also die Spitze seines Degens auf die Brust, da ihn aber die Spitze kitzelte, so wagte er es nicht, tiefer zu stossen. Endlich lief er hinunter in den Stall, während die Knechte frühstückten, machte die Stränge von einem Fuhrpferd los, band einen davon an die Raufe fest und machte sich ihn um den Hals. Allein als er sich sollte schweben lassen, wollte er lieber warten, bis jemand dazu käme. Bald darauf kam ein Fremder zu Pferd an, und nun liess er sich schweben, wobei er jedoch noch einen Fuss auf der Krippe behielt; indessen hätte er sich doch erwürgt, wenn er lange in diesem Zustand geblieben wäre. Bald darauf aber kam der Stallknecht herunter, um dem Fremden das Pferd abzunehmen. Als dieser den Ragotin hängend erblickte, hielt er ihn für tot und machte einen so grossen Lärm, dass alles aus dem ganzen Hause heruntergelaufen kam. Man machte ihm den Strick vom Halse und brachte ihn ohne viele Mühe wieder zu sich. Auf die Frage, was ihn zu diesem verzweifelten Entschluss gebracht hätte, konnte man aber keine Antwort von ihm herausbringen. Nunmehr zog Rancune die Mademoiselle de Etoile beiseite und entdeckte ihr die ganze Sache, worüber diese nicht wenig erstaunte. Noch mehr aber erstaunte sie, als der unverschämte Mensch ihr gestand, dass er selbst in derselben Lage wäre, aber keinen so verzweifelten Entschluss fassen, sondern sich damit begnügen wolle, seinen Abschied zu fordern. Auf alles dies antwortete sie ihm gar nichts und liess ihn stehen. Einige Tage darauf erklärte Ragotin der Gesellschaft, dass er gesonnen sei, mit Herrn von Verville abzureisen und nach Mans zurückzukehren.

Den folgenden Tag reisten sie also bei guter Zeit ab, nachdem Verville die Komödianten und Komödiantinnen seiner fortdauernden Freundschaft versichert und den Destin umarmt hatte. Ragotin hielt statt des Kompliments eine kleine Rede, die aber so verworren war, dass wir sie nicht hersetzen können.

Als sie aber aufstiegen, fragte Herr von Verville, ob die Pferde getrunken hätten; der Stallknecht aber antwortete, es wäre noch zu früh, und sie könnten sie in dem Fluss tränken, über den sie müssten. Sie nahmen also Abschied von Herrn la Garouffiere, der auch im Begriff war, abzureisen, und dem die Komödianten vielfach für die Höflichkeit dankten, dass er ihre Hochzeit mit seiner Gegenwart beehrt hatte. Nun stieg alles zu Pferd; Rancune folgte dem Herrn la Garouffiere und konnte trotz seiner Fühllosigkeit sich beim Abschied doch nicht der Tränen enthalten, und auch Destin weinte, indem er sich ungeachtet seines ungeselligen Charakters doch der treuen Dienste erinnerte, die er ihm besonders in Paris geleistet hatte, als er auf der neuen Brücke von Rappinière bestohlen wurde. Als nun Verville und Ragotin über die Brücke weg waren, ritten sie hinunter an das Wasser, um die Pferde zu tränken. Ragotin näherte sich einer sehr steinigen Stelle, wo sein Pferd so sehr stolperte, dass er darüber aus den Steigbügeln kam und über den Kopf des Pferdes weg in den Fluss fiel, der gerade an dieser Stelle sehr tief war. Schwimmen konnte er nicht, und wenn er es gekonnt hätte, so würde ihn dennoch sein Karabiner, sein Degen und sein Mantel auf den Grund gezogen haben, wie es auch wirklich geschah. Einer von Vervilles Bedienten fing sein Pferd auf, das wieder aus dem Wasser herausgesprungen war, und der andere zog sich aus und warf sich in den Fluss, um Ragotin herauszuziehen; er fand ihn auch, aber er war tot. Man rief Leute herbei und zog ihn vollends aufs Trockene. Unterdessen schickte Verville sein Pferd und einen Boten mit dieser traurigen Nachricht an die Komödianten. Sie kamen alle herbei und beklagten das Schicksal des kleinen Mannes, worauf sie ihn auf dem Hof der Sankt-Katharinen-Kapelle, die nicht weit von dem Fluss lag, begraben liessen. Hier traf also das Sprichwort ein: »Wer ersaufen soll, wird nicht gehangen«, denn das erste war ihm bestimmt, also gelang ihm das letztere nicht.

Dies war das Ende dieses kleinen und komischen Advokaten, dessen lustige Abenteuer und trauriger Tod den Einwohnern von Mans in beständiger Erinnerung bleiben werden, ebensowohl als die Heldentaten derer, die diese berühmte Schauspielertruppe ausmachten. Als Roquebrune den Leichnam erblickte, sagte er, es müssten zwei Verse an der Grabschrift, von der ihm Rancune eine Abschrift gegeben hatte, geändert werden, und zwar folgendermassen:

Hier liegt der arme Ragotin,
gar sehr verliebt in die Etoile;
die ihm wegschnappte der Destin,
daher segelt' er mit einem Mal
in die andere Welt ohne Schiff und Kahn,
und kam dennoch zu Wasser an.
Ihr zuliebe ward er Komödiant,
und beschloss so seines Lebens Tand.

Die Komödianten kehrten nun nach Hause zurück und trieben ihren Beruf mit dem gewohnten Beifall weiter.

 

Ende


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