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Es war an einem schönen, heitern Maytage, Morgens früh um halb zehn Uhr, als der Hochehrwürdige und Hochgelahrte Herr Matthias Theophilus Spitzbart, Inspektor und Pastor des Städtleins Rübenhausen, mit grossen Schweißtropfen vor der Stirn und mit dürrem Gaum von der Kanzel kam. Er hatte eben über den schweren Text von der seufzenden Kreatur eine noch schwerere Betstunde gehalten, und wiewohl von seinen sechs Zuhörern fünfe fest schliefen, hatte er gleichwohl zur Erbauung des sechsten die arme Kreatur fünf volle Viertelstunden seufzen lassen. Kaum trat er auf den Kirchhof, so schoß ihm pfeilschnell sein einziges, liebes, sechzehnjähriges Töchterlein Fiekchen entgegen: »Papa, geschwind, geschwind kommen Sie nach Hause, es ist ein grosses, gewaltiges Packet Bücher an Sie da!« Diese unerwartete Nachricht goß mit einemmale neues Leben und neue Kraft in unsern Mann. Ohne seiner Korduanstiefeln zu schonen, schritt er rüstig über die bethauten Grabhügel und stand im Huy vor der Hinterthür seines Hauses. Die Frau Inspektorn verließ sogleich die Küche und fiel ihrem lieben Ehegemahle mit einer ganz ungewöhnlichen Freude und Zärtlichkeit um den Hals. »Mein liebster Schatz, sagte sie, Dein Buch ist da, gedruckt und alles! Siehst Du wohl, hab ich's nicht immer gesagt, daß es so kommen würde?« Hier, hier, Papa, rief Fiekchen, indem sie die Thüre der Wohnstube öfnete, da ist die ganze Wirthschaft! Mit funkelnden Augen und zitternden Händen ergriff der Herr Inspektor ein Exemplar seines Werks, trat damit ans Fenster und trank nun in vollen Zügen die Wonne, die er bis itzt nur tropfenweise gekostet hatte, sich mit Namen und Titel, auf schönem holländischen Papiere gedruckt zu sehen. Die Frau Inspektorn lehnte sich ihm höchstvertraulich auf Schulter: »Nun, mein Kind, sagte sie, wie gefällt Dir das? Ist das nicht allerliebst gedruckt?« Schön, schön, sagte er: das muß wahr seyn! »Aber so lies mir doch einmal den Titel von Deinem Buche selber vor, da mit ich höre, wie er klingt!« Der Titel ist ganz simpel, versetzte er: Ideal einer vollkommenen Schule, entworfen von Matthias Theophilus Spitzbart, Inspektor und Pastor zu Rübenhausen! Aber, setzte er schelmischlächelnd hinzu, in dem Worte Ideal, mein Kind, da steckt viel: Das verstehst Du so nicht, wie unser einer! »Mag wohl seyn, erwiederte sie, aber ich bekümmere mich auch da nichts drum! Ich denke nur blos, was das Buch für ein erstaunendes Aufsehn in der ganzen Stadt machen wird! Stell Dir ums Himmels willen vor, was der Burgemeister sagen wird! Und der Stadtschreiber! Und denn der naseweise, dickthuigte Unslebische Pastor! Der platzt gewiß vor Aerger, wenn ers sieht! Weist Du was, mein Schatz? Wir wollen sie heut alle auf den Nachmittag und Abend zu uns bitten.« Scharmant, scharmant, fiel ihr der Herr Inspektor ins Wort: Bitte mir eine recht grosse Gesellschaft zusammen und mache Anstalt, daß es an nichts fehlt. Unterdessen werf ich mich in meine Kommodite und laufe mein Ideal geschwind einmal durch! Ein recht herzhafter Kuß war das Punktum dieser Unterredung, und Herr und Frau Inspektorn flogen ein jedes an seine Geschäfte.
Nun ward das ganze Haus das lebendige Bild eines Bienenkorbes: Alles gerieth in Bewegung und lief durch und wider einander. Ein Drescher mußte Knall und Fall fort nach Unsleben, um den Pastor Senft einzuladen. Die Magd ward nach dem Burgemeister, dem Stadtschreiber und nach dem Kandidaten des heiligen Predigtamts, Stucker geschickt. Die Köchin mußte zum Fleischer, Becker, Kramer, in die Apotheke, zum Weinschenken etc. und erhielt mit einem male so viel Aufträge, daß ehe der erste ausgerichtet war, sie wenigstens drey andere schon vergessen haben mußte. Fiekchen unterdessen begann ein schreckliches Gemetzel unter den Tauben, Hühnern und Kapaunen und konnte noch gar nicht absehen, wenn sie Zeit gewinnen sollte, ihr Haar und ihren übrigen Putz in Ordnung zu bringen. Die Frau Inspektorn selbst war das Triebrad aller dieser Bewegungen und schalt und kiff so viel dazwischen, daß alles nur um desto verwirrter zugieng. Indeß kam ihr liebes Söhnlein Israel aus der Schule nach Hause und drohte vollends, den Wirrwarr komplet zu machen. Um ihn los zu werden, gab sie ihm Geld, daß er sich Rosinen und Mandeln kaufen und mit seinen Kameraden darum spielen sollte. Israelchen war eben bey guter Laune, und so gelang es ihr denn einmal, ihn ohne langes Sperren und Widerstreben von sich zu entfernen. Nicht so tumultuarisch, aber nicht minder geschäftig gieng es in dem Zimmer des Herrn Inspektors zu. Schon saß er in Schlafrock und Pantoffeln auf seinem Großvater, rauchte seine Pfeife und schlurfte seinen Kaffee, der jedesmal so oft er aus der Betstunde oder Wochenpredigt kam, schon hinter dem Ofen bereit stand. Vor ihm lagen alle Exemplare seines Buchs auf dem Tische und dabey der Brief, den ihm sein Verleger geschrieben hatte. Da er ganz allein und doch so stickend voll war von den grossen Dingen, die sich seit einer Viertelstunde mit ihm begeben hatten, so konnte er dem Drange seines Herzens nicht widerstehen und machte sich durch häufige Monologen Luft. Seinem Verleger that er feyerliche Abbitte, daß er ihm Unrecht gethan. Er hatte nemlich das Manuskript seines Ideals gleich nach dem berühmten Philanthropinischen Examen in Dessau, dem er in Person beigewohnt, angefangen und mit der Ausarbeitung desselben die letzte Hälfte des Jahres 1776 zugebracht. Nach dem Neujahre 1777 hatte er es, ohne nähere Addresse, einem jungen Leipziger Buchhändler zugeschickt und es ihm zum Verlage angeboten. Dieser hatte bis itzt nicht geantwortet, und nach einigen vergeblichen Mahnbriefen hielt der Herr Inspektor sein schönes Ideal für so gut, als verloren. Aber der Buchhändler war ein feiner Schelm! Er merkte wohl, wie sehr es dem Herrn Inspektor lüstete, in Meusels gelehrtem Deutschlande einen Platz zu erhalten. Ueberdem war sein Wert in mancher Absicht so neu und original, daß es unmöglich an Lesern und Käufern fehlen konnte. Er ließ den also frisch drucken, sobald nur in den Leipziger stets schwitzenden Pressen ein Räumlein übrig war, und sobald es fertig war, schickte er dem Herrn Inspektor 12 Exemplare, halb auf Holländisch, halb auf gewöhnlich Schreibpapier zu. Diese unvermuthete Ueberraschung konnte, seiner Rechnung nach, unmöglich ihre Wirkung verfehlen: Und da er überdem in seinem Briefe, der durch und durch Weihrauch düftete, eins und das andere Wort von schlechten Zeiten, von dem schändlichen, gewissenlose Nachdrucke und von sich selbst, als einem jungen Anfänger fallen ließ, so sträubte sich der Großmuthskamm des Herrn Inspektors mächtig empor. Guter Mann, sagte er in einem seiner Monologen, du sollst mit mir zufrieden seyn! Ich will die Ehre, du sollst den Gewinst haben.
Nachdem dieser Umstand ins Reine gebracht war, giengs von frischem über das Buch her. Keine Affenmutter kann mit innigerem Wohlgefallen ihre Scheusälchen begaffen und belächeln und hinten und vorn drücken und streicheln und küssen! Es war eine Wonne ohne ihres gleichen, und die Quelle derselben war nicht bloß Eitelkeit, sondern noch mehr, entzückende Aussicht in die Zukunft. Unser Mann sah schon in Gedanken die goldnen Zeiten zurückkehren, sah eine Welt voll unschuldiger Menschen und voll Genies dazu aus der bisherigen schäbichten und ruppichten Welt, wie den Phönix aus der Asche hervorgehen. Philanthropine bey tausenden und Rochowsche Landschulen waren schon in seiner Phantasie im ganzen Europa errichtet. Da war kein Pedant, kein Stock, keine elende Methode mehr; Der geringste Schulkollege in Septima docirte, wie der leibhaftige Sokrates: Und der Schöpfer dieser neuen Welt war eben unser Matthias Theophilus, und das Werkzeug dazu das Ideal einer vollkommenen Schule! Wie war es anders möglich, bey solchen Hoffnungen und Erwartungen nicht ein wenig von Eigenliebe berauscht zu seyn?
Wenn die Seele eines Menschen so ganz in sich gesammlet ist, so vergißt sie auf einige Zeit die Bedürfnisse des Körpers. Fiekchen, die schon einmal mit ihrem Tischzeuge abgewiesen war, drang endlich durch, deckte und trug auf: Aber kein Nerve unsers Mannes fühlte Hunger oder Durst. Auf vieles Zureden ließ er sich bloß zu ein paar Löffeln Suppe und zu einem Bissen Fleisch bewegen, dann eilte er wieder seinem geliebten Ideale zu. Dadurch verlor die dißmalige Mittagstafel alles Interesse! Die Familienscenen, die sonst fast täglich zwischen Vater und Tochter einerseits und zwischen Mutter und Söhnchen andererseits vorfielen, cessirten gänzlich. Auch Israelchen war heut bloß gewöhnlich unartig, sagte zu seiner Mutter nur ein einzigesmal: Du bist nicht gescheut! und stieß nur ein einziges Glas um. Die Ursach war klar: Denn der Bube wußte schon, daß auf den Nachmittag grosse Gesellschaft kommen würde; also sparte er weislich alle seine Nicken bis dahin. Wir hüpfen also auch über diesen leeren Zeitraum zwischen 1 und 3 Uhr den Nachmittag, lassen die Frau Inspektorn und Fiekchen sich nach Herzenslust kräuseln und schniegeln und erwarten ruhig den Anbruch der schwarzen Stunde.
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