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Achtes Kapitel.

So wie es oft zu geschehen pflegt, daß menschliche Begebenheiten durch unvorhergesehene Zwischenfälle eine ganz andre Wendung nehmen, als man je geglaubt hätte, und so wie man sich dann gewaltig irrt, wenn man auf solche Zufälle ganz und gar nicht rechnet, so geschah es auch hier. Fiekchen wußte und glaubte nicht anders, als daß ihre Stiefmutter sie den nächsten, ganzen, langen Tag bis aufs Blut peinigen und quälen würde. Es war nun so der Frau Inspektorn ihre Regel, daß wenn Israelchen einmal das Kalb recht ausgetrieben und sich in aller seiner Teufeley hatte sehen lassen, dann gieng das Ungewitter über Fiekchen her, und die Frau Inspektorn ruhte und rastete nicht eher, bis sie, entweder wirklich oder bloß ihrer Vorstellung nach, auch auf einer Menschlichkeit sie ertappte. Diese ermangelte sie denn nicht, dem Herrn Inspektor tüchtig unter die Nase zu reiben, bis er endlich nolens volens das arme Fiekchen wacker ausschalt und ihr sagte: Sie wäre schon so eine große Dirne und führte sich viel schlechter auf, als Israelchen! Das war dann ein Wohlgeruch in der Nase der Frau Inspektorn, und sobald nur dieser Weihrauch dampfte, war auch das Ungewitter gleich vorüber. Auf einen Sturm von der Art hatte sich Fiekchen nun wohl gefaßt und vorbereitet; Alle Liebesbriefe und Pretia Affektionis waren über die Seite geschafft und ohne eine Wünschelruthe unmöglich zu finden; Mit des Tages Anbruch stand sie auf und brachte alles im ganzen Hause in die schönste Ordnung, so daß es einem Momus Mühe gemacht haben würde, etwas tadelnswürdiges zu finden, und so erwartete sie standhaft und unerschrocken, was über sie verhängt war! Allein wie erstaunte sie, als sie beym Morgengrusse ihre Mutter ganz ungewöhnlich freundlich und zärtlich fand! So gut hatte sie sie in Jahr und Tag nicht gesehen. Wiewohl sie nun übrigens schlau genug und, wie die Mädchen fast alle, im Rathen sehr glücklich war, so konnte sie doch dis Geheimniß nicht ausgrübeln! Ihr Vater aber, sobald er einen Augenblick mit ihr allein war, erzählte ihr im Vertrauen, was gestern noch tief in der Nacht verhandelt worden wäre und nun konnte sie sich nicht halten, an Stuckern sogleich eine Staffette abzuschicken und ihn die Neuigkeit von heute wissen zu lassen.

So wie ein Unglück selten allein kömmt, so auch ein Glück! Kurz vor Mittag langte an den Herrn Inspektor ein Brief von Senften an. Wäre sie zugegen gewesen, so würde sie, ohne ein Wort vom Inhalt zu wissen, bloß über die Textesworte Ein Brief von Senften eine so schreckliche Donnerpredigt gehalten haben, daß das Haus gebebt hätte! Allein, wie gesagt, sie war nicht zugegen und das war das erste Glück. Der Inhalt des Briefes selbst war noch glücklicher und der Herr Inspektor, der ihn mit engem Herzen erbrach, heiterte seine Miene bald auf, als er folgendes las:

»Erschrecken Sie nicht, mein Herr Inspektor! Sie sollen kein Klaglibell von mir lesen, sondern einen ehrlichen Vorschlag zur Güte. Mein alter Kantor Hartmann pflegte immer zu sagen: Besserer Rath kommt über Nacht! Diese Nacht ist es bey mir eingetroffen, und ich hoffe, Sie sollen mit meinem Rath zufrieden seyn. Vorausgesetzt, daß die gestrige fatale Geschichte nun einmal nicht ungeschehen gemacht werden kan, welches freylich das gescheuteste wäre, bleiben uns zwei Wege übrig, wie wir uns gegen einander verhalten wollen. Entweder wir passieren von heut an in dem ganzen Städtlein Rübenhausen und in allen umliegenden Dörfern, das meinige eingeschlossen, für erklärte Feinde; schneiden einander wechselweis in allen Gesellschaften Ehr und guten Namen ab; jeder erzählt die saubere Geschichte so vortheilhaft als möglich für sich und so nachtheilig als möglich für den Gegentheil, kurz, wir nehmen an einander eine komplette Fisch- und Waschweiberrache. Das ist ein Fall! Der andre: Wir ziehen durch die mehrbenannte Geschichte einen grossen, schwarzen Strich der Vergessenheit; kompensiren Verbrechen und Strafe gegen einander; Drehn dem Publikum eine recht stattliche Nase und machen aus dem ganzen Vorfalle eine unbedeutende Kleinigkeit, die nicht der Rede werth sey; der gestrigen Gesellschaft aber, die das Ding besser weiß, legen wir Stillschweigen auf! Auf welchen von beyden Fällen möchten Sie wohl am liebsten votiren? Welches Betragen dürfte uns wohl, ich will nicht einmal sagen, als Priester, sondern bloß als Männer, am besten kleiden? Wählen Sie, welches Sie wollen: Ich für mein Theil habe schon gewählt, und eher müssen die Fragmente eines Ungenannten in der schwarzen Zeitung gelobt werden, eh ich meines Strumpfes, der schon in der Wäsche ist, je wieder mit einer Sylbe erwähne. Die Rache also ist und bleibt auf allen Fall einseitig, und da ich über dem, ich weiß nicht, soll ich sagen, Gott sey Dank oder seys geklagt! noch nicht beweibt bin, so würden ihrer zwey über einen seyn, welches aber nach Paul Werners Urtheile wider alle Kriegsmanier ist! Ich ergreife diese Parthie nicht aus Reue, denn ich bin noch immer der festen Meynung, daß meine Ohrfeige für Israelchen eine sehr wohlthätige Züchtigung ist, die ihn wenigstens auf einige Wochen abschrecken wird, ehrliche Leute zu foppen! Es ist blosses Gefühl von Ehre und Scham, blosses Gefühl dessen, was ich meinem Stande und Charakter schuldig bin, was mich antreibt, an Sie zu schreiben und zu versuchen, ob ich in Ihrer Seele gleiche Empfindungen rege machen kan. Legen Sie der Frau Inspektorn diese Konvention vor und fassen mit ihr, wo möglich, einen gleichförmigen Entschluß! In Erwartung desselben bin ich« etc.

Hatte der Herr Inspektor vorhin dem Himmel gedankt, daß seine Frau beym Erbrechen des Briefes abwesend war, so lief er ihr nun damit voller Freuden entgegen.

Mein liebster Schatz, sagte er, Wunder über Wunder! Da ist ein Brief von Senften, worinn er uns so gut als Abbitte und Ehrenerklärung thut: Er will herzlich gern schweigen, wenn wir nur schweigen!

Das heißt ihn Gott reden, sagte die Inspektorn! Sein Glück daß er zum Kreuze kriecht, sonst wollt ich ihm die Ohrfeige schon eingetränkt haben!

Nun, nun fiel der Herr Inspektor ein, laß es für diesmal gut seyn, mein Schatz! Wir müssen ja vergeben und vergessen! Da er doch so vernünftig ist und erkennt sein Unrecht, so können wir wohl nicht umhin, ein Auge zuzudrücken! Wenn du es also zufrieden bist, so will ich an ihn schreiben, es wäre gut und die Sache hätte damit ihr Bewenden!

Nun so schreib denn, erwiederte sie! Aber das sag ihm nur, er sollte sich so was nicht zum zweytenmale unterstehen oder ich wollte mein Haupt nicht sanft legen, bis ich ihn von Amt und Brod gebracht hätte!

O das wird er schon von selbst nicht thun, sagte der Herr Inspektor! Indessen will ich es ihm so ganz von ferne zu verstehen geben!

Sogleich machte er sich ans Werk, pakte das Ideal, was Senft gestern liegen lassen, ein, und schickte es mit folgendem Billet ab:

»Euer Wohlehrwürden erhalten anbey mein Ideal, welches Sie gestern mitzunehmen vergessen. Was die bewußte Sache anbetrift, so hat es dabey sein Bewenden und ist hiermit alles vergessen und vergeben. Ira est brevis Furor, sagt der Weise Seneca und die Schrift spricht: Des Menschen Zorn thut nicht, was vor Gott Recht ist! Indessen hoft meine Frau, daß wenn wir wieder einmal die Ehre haben, Sie bey uns zu sehen, Sie uns das Strafamt selbst überlassen werden. etc.«

Senft sprudelte ganz verzweifelt, als er das Billet las. Es war zum Greifen und zum Sehen, daß sein Brief keine Abbitte war: Und doch hatten ihn Inspektors in der Blindheit ihres Eigendünkels dafür angesehen! Schon wollte er das Nöthige darauf repliciren: Weil er aber, wie schon gedacht, mit dem Bothen zugleich das Autorexemplar des Herrn Inspektors erhielt, so wollte er sich die gute Laune zum Lesen nicht verderben. Er ließ also bloß zur Antwort sagen, es wäre gut; machte sich darauf über das Buch her und fieng an, es mit aller kritischen Langsamkeit, und mit der Feder in der Hand zu lesen, welches ihm so wohl that, daß er darüber das Billet gänzlich vergaß.


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