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Sechs und zwanzigstes Kapitel.

Nicht völlig so gut schmeckte unserm Helden der Nachmittagskaffee, denn noch vor dem Anbruch der schwarzen Stunde langte ein Billet von Heineccius an, folgenden Inhalts:

Liebster Freund!

Es thut mir herzlich leid, daß ich überhäufter Geschäfte halber mich nicht mit Ihnen mündlich besprechen kann: Ich wünschte es gar sehr, um so mancher wunderlichen Gerüchte willen, die unmöglich wahr seyn können, und doch mit einer unglaublichen Hartnäckigkeit für wahr ausgegeben werden! Sie haben, wie ich höre, gestern mit der Revision unsrer Schule den Anfang gemacht, und ich hab es nicht nur vorhergesehen, sondern es Ihnen auch mehrmalen mündlich und schriftlich gesagt, daß Sie unendlich viel zu ändern und zu bessern finden würden. Es ist mir eine grosse Freude, daß Sie dabey muthig und rasch zu Werke gehen: Allein fast muß ich fürchten, Freund, daß Sie ein wenig zu rasch gewesen sind. Lieber keinen Schritt vorwärts gethan, als sich dem Risiko ausgesetzt, ihn rückwärts thun zu müssen! Für einen Mirus giebt ein einziger solcher Rückpas schon Stoff genug zu den beissendsten Glossen, von denen immer zwey mich treffen und nur eine Sie. Vor allen Dingen aber, Freund, hüten Sie sich ums Himmels willen, daß Sie keinen Lehrer wieder in Gegenwart seiner Schüler meistern, oder wohl gar ausschelten! Einmal um Ihrer selbst willen: Denn ich fürchte sehr, wenn Sie nun weiter in die obern Klassen kommen, Herz, Fein und Burmann möchten Ihre Verweise nicht so gelassen hinnehmen, als Mehlmann und Wenzky. Dann aber ist ja offenbar das Ansehen der Lehrer der Grundstein der ganzen Schulverfassung! Jenes kränken, heißt dieser den Todesstoß geben. Und dieses Ansehn müste billig in untern Klassen, bey unverständigen Kindern, doppelt so groß seyn: Diese müsten ihren Lehrer gradehin für den nächsten nach dem Könige halten und von seinem Beyfall und Wohlwollen alles Heil und Glück hoffen, so wie von seinem Zorn und Unwillen alles Unglück befürchten – Wie ist es aber möglich, daß sie diese Idee haben können, wenn sie ihren Lehrer von einem höhern ebenso ausfilzen hören, wie sie selbst von ihm ausgefilzt werden? Das Weitere überlaß ich Ihrem eignen Nachdenken: Noch lieber aber soll mirs seyn, wenn, wie ich hoffe, alle die häßlichen Gerüchte, die mir diese Anmerkungen abgenöthigt haben, gänzlich falsch und erlogen sind. Sobald ich kann, eile ich in Ihre Umarmung etc.

Der geneigte Leser wird ohne mein Erinnern fühlen, daß Heineccius mit dem Knaben Absalon ungemein säuberlich verfuhr: Gleichwohl erregte dis Billet in dem Herzen unsers Helden eine sehr heftige Unruhe. Die blosse Möglichkeit, daß Heineccius mit ihm unzufrieden werden und seine schützende Hand von ihm abziehen könne, machte ihm schon angst und bange! Und doch sagte ihm sein Dämon, es könne nicht nur, sondern es müsse auch am Ende dazu kommen. Die Besorgniß wegen der weitern Revision der Klassen kam dazu, und er wuste anfangs seinem Leibe keinen Rath, wie er sich gegen Herz und Burmann verhalten sollte, denn vor Feinen war ihm nicht bange.

Die alten Jungfern oder auch die jungen, denen es um einen Mann sehr weh thut, pflegen in ihren Leibes- und Seelennöthen gewöhnlich zu einem selbstgemachten Orakel ihre Zuflucht zu nehmen, als etwa zu Bogazkys Schatzkästlein; In dieses stechen sie aufs Gerathewohl mit einer Nadel und die aufgeschlagene Stelle entscheidet dann, was sie thun oder lassen sollen. Auf eine ähnliche Art machte es der Herr Direktor, wenn ihn zuweilen das Orakel seines Verstandes im Stiche ließ. Er griff blindlings aus seiner Bibliothek das erste das beste Buch, schlug auf, und wenn die gefundene Stelle nur irgend einen passenden Sinn gab, so machte er sie zur Richtschnur seines Verhaltens. So stieß er denn euch dismal auf eine Stelle im Jesus Sirach, die auf der Welt nicht passender hätte seyn können: Verstehest du die Sache, so lautet sie, so unterrichte deinen Nächsten; Wo nicht, so halt dein Maul zu! (Kap. 5. Vers 14.) Der Ausdruck war etwas derb, und der Herr Direktor warf verdrüßlich den ungeschliffenen Sittenlehrer von sich: Allein im Grunde fühlte ers recht wohl, daß das freylich bei weitem das gescheuteste wäre! Mit der sechsten Tasse Kaffee war auch sein Entschluß reif, sich sogleich noch aufzumachen und das verdrüßliche Geschäft der Revision mit eins zu beenden. Er wollte übrigens Heineccius Befehle folgen und keinen von den obern Lehrern in öffentlicher Klasse anblarren; Dagegen aber sich vorbehalten, seine Superiorität auf andre Art zu zeigen.

Er kam nach Tertia, wo Hutter und Burmann wechselsweise docirten; Itzt war die Reihe an Burmann, der mit seinen Schülern Aesops Fabeln griechisch las. Der geneigte Leser ist bereits berichtet, daß die Artigkeit und Höflichkeit dieses Mannes nicht sehr weit her war; Allein da er vollends erfahren hatte, wie hart Spitzbart seinen beyden Kollegen in Quarta und Sexta begegnet, so war er fest entschlossen, im Fall ihm ein gleiches widerführe, so wütend wie Gawins Maulthier um sich herumzuschlagen. Diesem Vorsatz zufolge hob er sich beym Eintritt des Herrn Direktors kaum einen Zoll hoch von seinem Kathedersitze, ließ sich dann gleich wieder nieder und fuhr unaufgehalten in seiner Lektion fort. So wie dem wälschen Hahne in der Fabel, stieg auch unserm Helden das Blut in Nas und Lefzen: Aber der Spruch aus dem Sirach tönte ihm noch immer in den Ohren und er gewann soviel Gewalt über sich, zu schweigen. Allein auch so ganz wie ein Stummer abzuziehn, war ihm unmöglich! Er warf also eine Frage hin, von der er schlechterdings kein Arges befürchtete: Ob das Griechische hier eine allgemeine Lektion wäre? Allerdings, antwortete Burmann mit einem nachdrücklichen Tone und mit einem Blicke, der ganz deutlich so viel sagen wollte: Herr, wie kann er so dumm fragen! Spitzbart, der diesen Blick nicht bemerkte, replicirte darauf: »Das muß anders werden! Das Griechische ist bloß eine Sprache für Theologen: Was soll man Juristen und andere Studirende damit quälen!« Hier stand Burmann auf: Solche Injurien auf sein Lieblingsstudium, die griechische Sprache, konnte er nicht auf ihr sitzen lassen. »Quälen, sagte er mit einer finstern Stirn? Wie soll ich das verstehen: Daß die griechische Sprache an sich eine Qual ist, oder daß ich sie durch meinen Unterricht zur Qual mache? Von dem letzten fodre ich Beweis: Und auf das erste sag ich bloß Ars non habet.« Das übrige verschluckte Burmann und überließ es dem Herrn Direktor, sich das osorem, nisi ignorantem hinzuzudenken oder nicht. Allein seine Gedanken schweiften auf einer ganz andern Fährte! Um Burmannen einen recht empfindlichen Schlag auf sein freches Maul zu geben und ihn zugleich in Respekt zu setzen, sann er auf eine Stelle im Homer, die einzige, die er je griechisch gehört hatte. Es war der bekannte Spruch, daß es nicht gut sey, wenn viele regieren; Einer sey Herr, Einer König! Die Applikation war so weit passend genug: Nur galt es Kunst, die barbarischen griechischen Töne aus dem Gedächtnisse wieder aufzufrischen. Endlich bracht er sie nach folgender Lesart heraus:

Ουχ αγαδον πολυτιραννικοι νις Κυρανος εσω.

Sie werden verstehen, was ich sagen will, setzte der Herr Direktor mit weislich aufgehobenem Zeigefinger hinzu! Die Anordnung der Lektionen ist mein Departement: Darum bin ich Herr und Κυρανος!

Nun stelle man sich den finstern, sauertöpfischen und runzelreichen Burmann vor, bey dem das Lachen eine eben so seltne Erscheinung war, wie beym Heraklit oder Cato; Man denke sich ihn, wie er itzt mit einem male in ein heftiges Gelächter ausbricht, sich aber doch geschwind besinnt und den Mund zuhält, um seinen Vorgesetzten nicht in öffentlicher Klasse zu beschimpfen und sich dadurch Verdruß und Ungelegenheit zuzuziehen. Spitzbart, der schon im Begriff war wegzugehen, hörte zwar hinter sich einen Schall, der völlig so tönte, wie ein Gelächter: Weil aber der Schall gleich gedämpft wurde, so mochte er sich weiter nicht darnach umsehen und verließ die Klasse.

Nun nahm Burmann die Hand wieder vor dem Munde weg, und ließ seinem gepreßten Zwerchfelle freyen Spielraum. Viele meiner Leser, die das Griechische nicht verstehen, werden durchaus nicht begreifen können, wo eigentlich das Lächerliche sitzen soll: Allein wenn nach Moses Mendelsohns Theorie das Lachen aus der Bemerkung einer Ungereimtheit oder Disproportion z. E. zwischen Ursach und Wirkung, Mittel und Absichten entspringt, so hatte Burmann Stoff zur Gnüge zu einem recht vollen und herzlichen Gelächter. Der Herr Direktor wollte sich gern das Ansehen geben, als ob er das Griechische recht wohl verstünde, und nicht etwan wie ein Blinder von der Farbe spräche: Allein unglücklicherweise führte er den Homerischen Vers ganz falsch an, so daß keine Spur von Sinn und Verstande darinn war. Anstatt also einen Nimbus von Gelehrsamkeit um sich zu verbreiten, verrieth er wider seine Absicht die gröbste Ignoranz, die natürlich niemanden auffallender seyn konnte, als eben Burmann, der seinen Vater Homer fast auswendig konnte. So geschah es denn, daß dieser finstre Schulmonarch einmal in lieber langer Zeit sich recht satt lachte, und noch lange Zeit hernach, wenn ihm durch die Verknüpfung der Begriffe das υχ αγαδον wieder einfiel, platzte er auch richtig wieder los.

Was in den beyden obern Klassen vorfiel, davon meld ich beliebter Kürze willen bloß dis: Fein, wiewol er mit mikroskopischen Augen auch die allerkleinsten Flecken und Fehler in jedem Dinge entdeckte, hatte wie gewöhnlich die ungleich gröbern bey sich selbst zu entdecken vergessen. Er war, wo nicht ein elender, doch nur ein sehr mittelmäßiger Lehrer; Viel Worte und wenig Sachen! Dabey hatte er die abscheuliche Gewohnheit, fast in jeder Stunde bittre Sticheleyen auf seine Kollegen und auf den Herrn Direktor am allermeisten einzustreuen. Das that er aber nur in der zweyten Klasse, die er und Burmann zugleich versahen; In der ersten, wo er auch einige Stunden hatte, wagte er es nicht mehr, seitdem ihm der Rektor Herz deswegen eine sehr ernsthafte Warnung gegeben hatte. Spitzbart, der alles dis erst künftig erfahren sollte, war mit seinem lieben Prorektorchen überaus zufrieden und bestellte ihn auf den Abend wieder zu sich, um ihm seine an Wenzkyn genommene Rache zu erzählen. Herz machte eben einige Experimente mit der Elektrisirmaschine, als ihn der Herr Direktor überfiel. Vor dismal war er klug genug, kein lautes Wort zu sagen, sondern nickte bloß zuweilen oder lächelte, und so rettete er sich, ohne weitern Schimpf und Schande, glücklich nach Hause.


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