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Ein und zwanzigstes Kapitel.

Der ganze Zeitraum de dato bis zur Introduktion ist ungemein reich an Dinees und Soupees und Kaffevisiten, die auf der Stelle zwar ganz gute Wirkung thun, aber in der Beschreibung gern ein wenig matt und leer ausfallen. Ich erlasse sie also meinen Lesern und hebe aus dieser Epoche blos einige merkwürdige Auftritte aus, die zur Sache gehören und von der Art sind, daß sie nicht ein jeder so aus dem kleinen Finger saugen kann.

Heineccius hatte fest geglaubt, Mirus würde sich verleugnen lassen, wenn Spitzbart käme, ihm die Aufwartung zu machen! Aber er hatte sich fein betrogen, wie man sich denn immer gern betrügt, wenn man seine eigne Denk- und Handlungsart andern Leuten unterschiebt. Mirus Charakter war viel zu deutsch, um zu solch einer französischen Tergiversation seine Zuflucht zu nehmen: Weil sich also Spitzbart melden ließ, ward er zu seinem nicht geringen Schrecken angenommen. Der Anblick des Mannes selbst war eben nicht gemacht, diesen kleinen Schreck zu vertreiben. Es war eine lange, wohlproportionirte und schnurgrade Menschengestalt! wo nicht schön, doch nicht weit davon. Aus seinem Gesichte leuchtete unverkennbar hoher Geist und Ernst und unerschütterliche Festigkeit und Muth, sich vor Königen und Kaisern zu stellen. Solche Menschen haben von der Natur das Privilegium, alle diejenigen, die nicht wohl verwahrt ums Herz sind, durch einen einzigen Blick zu Memmen zu machen, und unserm Herrn Direktor widerfuhr unglücklicherweise etwas von der Art. Das Eingangskompliment erstickte ihm oder vielmehr zerstückelte ihm im Munde, denn er brachte es nur in einzelnen Trümmern hervor. Mirus hingegen, ohne eine Miene zu verziehen, redete ihn mit der festesten Contenance also an: Mein Herr Direktor, ich freue mich, daß Sie dem Wohlstande das Opfer haben bringen wollen, mich zu besuchen; Pflicht war es nicht und als solche verbitt ich es gänzlich. Ohne Zweifel wissen Sie bereits alles, was ich gethan habe, damit unsre Schule in andre Hände als in die Ihrigen fallen möchte. Ich habe nichts ausgerichtet und es thut mir leid; Deswegen aber glauben Sie ja nicht, daß Sie nun an mir einen rachsüchtigen Feind und Verfolger haben werden. Weit davon entfernt will ich vielmehr von ganzem Herzen wünschen, daß alles gut gehen möge, und geht es so, dann werd ich der erste seyn, der Ihnen öffentlich seinen aufrichtigen Beyfall bezeugt. Sollte aber das Gegentheil erfolgen und Sie, mein Herr Direktor, der grossen Erwartung nicht entsprechen, die Sie selbst von sich erregt haben, dann werd ich es auch eben so laut und öffentlich sagen, daß Ihre Beförderer als schändliche Verräther an unsrer Schule gehandelt haben; Ihnen aber werd ich die Schuld nur halb beymessen: Denn es ist sehr natürlich, daß ein jeder seinen äussern Zustand so gut zu verbessern sucht, als er nur immer kann. Dis ist mein Glaubensbekenntniß, mein Herr Direktor, und es ist mir einigermassen lieb, daß ich es Ihnen frei ins Angesicht habe thun können: Gewisse Leute möchten mich Ihnen vielleicht noch schlimmer schildern, als ich wirklich bin.

Der Herr Direktor war, wie man leicht denken kann, bey diesem Glaubensbekenntnisse nicht wenig unruhig und verlegen, und nachdem es vollbracht war, hub er mit sichtbarer Verwirrung also an: Mein verehrungswürdiger Herr Prokonsul, verzeihen Sie mir – ich hege alle nur mögliche Hochachtung für Sie: Aber ein jeder andrer, als ich, würde über eine solche Drohung erschrecken. Ich bin ein Mensch, wie andre; Ich kann irren und fehlen; Wenn mir nun jeder Fehler gleich als ein Staatsverbrechen angerechnet werden soll –

Wer sagt das, unterbrach ihn Mirus? Wie kann es Ihnen einfallen, mich für so unbillig zu halten? Und doch, wenn ich es auch gesagt hätte, thät ich Ihnen im Grunde kein Unrecht. Sie haben sich in Ihrem Anschreiben an uns für ungleich mehr ausgegeben als für eins der gewöhnlichen Menschenkinder: Wir andern können bloß für unsern guten Willen, nicht aber für den Erfolg Bürge seyn; Sie hingegen sprechen so positiv, als ob Ihnen der glückliche Erfolg schlechterdings nicht entgehen könnte. Da Sie nun selbst der Schwäche der Menschheit mit keiner Sylbe erwähnen, wie können Sie verlangen, daß wir bey Ihnen darauf Rücksicht nehmen sollen? Doch, wie gesagt, ich für mein Theil will das gern und willig thun; Noch mehr, ich will Ihnen &frac23; Ihres Versprechens ganz und gar erlassen, wenn Sie nur das letzte Drittel dafür erfüllen.

Das werd ich, wo Gott will, sagte der Herr Direktor.

Nun Gott will gewiß, versetzte Mirus, folglich ist daran weiter kein Zweifel! Und so lassen Sie uns auf etwas andres kommen.

Das Gespräch kam nun auf gleichgültigere Materien, aber Spitzbart war zu hart getroffen, um noch länger unter den Kanonen dieses fürchterlichen Feindes bloß und blank zu stehen. Er ergriff also den ersten den besten Augenblick, da der Diskurs inne hielt, stand auf und empfahl sich, wo möglich, auf Nimmerwiedersehn!

Noch ein andres Creve-Coeur für unsern Herrn Direktor kann ich auch nicht mit Stillschweigen vorüber gehen. Vermöge seiner Vokation war er gehalten, an dem Gymnasio selbst einige Lehrstunden zu geben; Wie viel und welche, stand in seinem freyen Willkühr. Nun war zwar der erste Punkt sehr bald dahin entschieden, daß er derselben so wenig als möglich und höchstens 4 in der Woche geben wollte. Aber die andre Frage Welche? war dagegen desto schwerer. Spitzbart hatte nie, auch nur einen Theil von Schulgelehrsamkeit besessen; und hätte er auch, wie lange muste der schon in seinem 17jährigen Priesteramte, unter seinen vielen Familienunruhen und in dem kleinen, von der gelehrten Welt gänzlich abgeschnittenen Städtlein Rübenhausen verstoben und verflogen seyn? Damit will ich nun keinesweges sagen, daß ein Priester in einer kleinen Stadt durchaus keine Gelehrsamkeit besitzen könne; Aber das darf ich wohl behaupten, daß dergleichen Vögel äusserst selten sind, und die es noch sind, waren entweder ehemals Schulleute, oder hatten keine Familie, oder doch kein Israelchen darinn, oder ritten etwa irgend ein gelehrtes Steckenpferd, wie Pastor Fulda seine Wurzelwörter, Götze seine Insekten und Polypen und Mayer die Landwirthschaft, oder sie hatten von je an den Stolz, ein wenig mehr wissen zu wollen, als ihnen ein gestrenger Herr Konsistorialrath in einer Stunde abfragen könnte. Von dieser Art von Stolz war unser Spitzbart in seinen frühern Jahren gänzlich frey gewesen, und itzt trug er die Strafe davon! Halb war es lustig, halb jämmerlich anzusehen, wie er das Lektionsverzeichniß in der obersten Klasse mit Angstschweiß auf der Stirn durchblätterte, dann unwillig wegwarf, dann wieder aufnahm und alles Kreissens und Schwitzens ohnerachtet gleichwohl keine Lektion fand, der seine Schultern gewachsen gewesen wären. Voll Verdruß darüber griff er nach seinem Ideale, welches sein allzeitfertiger Tröster in der Noth war und ihm dismal wirklich Trost und Hülfe gewährte. Es brachte ihm nehmlich den Gedanken in die Seele: Wie, wenn du über dein Ideal öffentliche Vorlesungen hieltest? Vortreflich, der Einfall ist Goldes werth! So braucht es keines grossen Kopfbrechens, und zugleich werden dir diese neuen und in Arlesheim unerhörten Vorlesungen ein neues und höheres Ansehen geben. Aber für wen sollen diese Vorlesungen seyn? Für Schulknaben? Nein, für die Lehrer selbst! Sie alle sollen sie besuchen, von Herz an bis auf den Sextus; Auch Heineccius und andre Proceres der Stadt können mit hingehen. Ha welch ein erleuchtetes Auditorium wird das werden!

Ganz hingerissen von dieser reizenden Idee schrieb der Herr Director sogleich an Heineccius und legte ihm seinen Plan pädagogischer Vorlesungen zur Bestätigung dar. Dieser nicht minder vom Reiz der Neuheit bezaubert, gab gleich sein Fiat dazu: Nur machte er eine kleine Aenderung in der Form. Sie kennen die Macht der Vorurtheile, so lauteten seine Worte: Manche Leute möchten vielleicht einen noch niedrigern Begriff von unsern Lehrern bekommen, wenn sie sie itzt noch zur Schule wandern sähen, um zu lernen. Auch die Knaben würden nicht unterlassen, Misbrauch davon zu machen, und glauben, ihre Lehrer wüßten nicht viel mehr, als sie selbst. Lassen Sie uns also dem Dinge bloß eine andre Farbe geben und statt der Vorlesungen eine pädagogische Versammlung errichten, deren Präses sie sind. Ein jeder soll das Recht haben, Vorschläge zu thun, Einwendungen zu machen, um Rath zu fragen etc. Kurz, es soll eine Art von Schulparlament werden, dessen Schlüsse allesamt auf das Wohl unsers Gymnasiums abzwecken. Ich für mein Theil werde so oft als möglich erscheinen, aber es versteht sich, nicht als Patron und Ephorus, sondern als blosses Ehrenmitglied, das sich gehorsam dem Ausspruche des Präses unterwirft.

So schmeichelhaft dieser letzte Zug war, so goutirte doch der Herr Direktor diese Abänderung seines Vorschlags ganz und gar nicht. Er wünschte blos allein das Recht zu reden und zu schwatzen: Denn wenn ihm, wie vormals auf der Kanzel, niemand dazwischen reden durfte, so war er, was das flumen orationis anbetraf, ein zweyter Cicero, und wer in seinem Leben den ersten weder gehört noch gelesen hatte, der ließ ihn schon für was gelten. Um diese vortrefliche Gelegenheit, in seinem schönsten Lichte zu glänzen, war er nun betrogen und sahe sich den Einwürfen und Gegenvorstellungen einer ganzen Versammlung ausgesezt, die ihm den Kopf leicht verwirrt machen konnte. Doch Heineccius wollte es, und was dieser wollte, war Befehl. Ihm hatte er sein ganzes Glück zu verdanken und zu den alten Verbindlichkeiten, die er gegen ihn hatte, kam itzt eine neue, die warlich nicht klein war.

Kaum hatte Heineccius dem Herrn Direktor sein Wort gegeben, daß er dafür sorgen wollte, Israelchen in Pension unterzubringen, so wuchs dem Vater mit einemmale der Muth gegen diesen unbändigen Buben. Er kündigte ihm sogleich sein Schicksal an! Sieh, Bösewicht, sagte er, so weit hast du es nun gebracht, daß ich dich von mir verstossen muß. Da du deinen Eltern nicht hast folgen wollen, so sollst du nun einmal schmecken, wies bey fremden Leuten thut! Auf dieses erste Aviso that Israelchen weiter nichts, als die Zähne fletschen, und seinem Vater ins Gesicht lachen: da er aber merkte, daß es mit der Sache Ernst wäre, gerieth er in die heftigste Gemüthsbewegung, heulte und schrie, daß man es Strassen weit hören konnte und bewog das liebe Mütterchen gar bald, mit ihm ein Duett anzustimmen. Sie, die gleich anfangs nur mit dem Munde, nicht mit dem Herzen eingestimmt hatte, ihr liebes Söhnlein zu verlieren, schlug sich itzt ganz wieder auf seine Seite. Nein, nein, rief sie, mein liebstes Kind, du sollst nicht fort! Du sollst bey uns bleiben! Führe dich nur in Zukunft recht artig auf, dann ist Papa gleich wieder gut! Da, geh hin und gib Papaen die Hand! Israelchen, so ausserordentlich gerührt war er, gieng wirklich hin, gab die Hand und sagte ungeheissen: Lieber Papa, ich will gern artig seyn, stoß mich nur nicht von dich! O des wunderlichen, unbeständigen und veränderlichen Dinges, was man menschliches Herz heißt! Eben der Vater, der einen Augenblick vorher Stein und Fels zu seyn schien, ließ itzt ein paar grosse Thränentropfen von den Wangen herabfliessen. Nun ja doch, sagte er: Ich will dich nicht von mir stossen! wenn du nur von heut an ein rechtes gutes folgsames Kind bist und hübsch thust, was dir deine Eltern sagen. Versprichst du mir das? Ja sagte Israelchen, und brach in ein neues schreckliches Geheul aus! Nun so ists gut vorerst, sagte der Vater: Wir wollen sehen, wie du Wort hältst! Dieser Anhang schien ihm wie durch den Geist der Weissagung eingegeben zu seyn. Drey ganze Tage war Israelchen ordentlich leidlich und die Mutter sah in ihm schon einen kleinen reuigen Abaddonnah: Am vierten aber, als der heftigste Eindruck verloschen war, bestätigte Israelchen das leidige Sprichwort naturam expellas etc. Kein Ey konnte dem andern ähnlicher seyn, als Israelchen der Alte und Israelchen der Neubekehrte. Itzt half es auch schon nichts mehr, wenn ihm der Vater mit Verstossung drohte: Er pochte auf seine Mutter, die ihm sonst immer treulich durchgeholfen, daß sie es auch itzt thun würde. Unterdessen hatte Heineccius schon an einen benachbarten Landprediger Pfeil geschrieben, der mehrere Kinder bey sich in Pension hatte. Er stellte ihm Israelchen von der besten Seite vor, wie er ihn denn selbst lange noch nicht von der schlimmsten kannte, und so lief gar bald Antwort ein, quod sic, Israelchen könne kommen, wenn er wolle. Aber welcher Mund erzählt und welche Feder beschreibt nun alle den Jammer und das Herzeleid, das sich in dem Hause des Herrn Direktors erhub! In zehn Trauerspielen kann nicht so viel geweint und geschluchzt werden, als hier. Der Herr Direktor spielte mit seinem Bischen Kontenance mehr als einmal banquerut, aber so wie ein muthwilliger Banquerutmacher sich schleunig wieder von seinem Falle erholt, so kam auch er immer wieder zu Kräften, bis sein Herz endlich, mit Töffeln zu reden, wie Speck wurde und keine Weiberthränen mehr annahm: Er erklärte seiner theuern Ehehälfte ein für allemal, all ihr Bitten und Flehen und Toben (denn zwischendurch passirte noch manchmal so was) wäre umsonst; Lieber wolle er Amt und Brod verlassen und betteln gehen, als um seines ungerathenen Kindes willen noch länger der Spott und das Mährchen der Stadt seyn. Dieses letztere bezog sich besonders auf einen bittern Einfall von Mirus, der ihm wieder zu Ohren gekommen war. In allen Gesellschaften nämlich mußte das Mährchen von Israelchens Kopfwunde herhalten, und es traf hier wohl recht ein, daß der Abwesende immer Unrecht hat! Der Chirurgus Winter in Rübenhausen, ehemaliger Herr Gevatter und sehr guter Freund, ward itzt als der grösste Pfuscher und Ignorant verschrieen, der das arme Kind auf sein ganzes Leben unglücklich gemacht hätte, und es sey wahrhaftig himmelschreyend, daß auf solchen Verbrechen keine Strafe stünde. Viele gutherzige Leute glaubten die Geschichte nach dem Buchstaben, besonders wenn sie mit eignen Augen die Nähte auf dem Kopfe sahen; Andre aber, die ein wenig scharfsichtiger waren, gaben zwar das Faktum zu, leugneten aber die Konsequenz. Unter diesen war auch Mirus. Er hatte sich schon genug von Israelchen erzählen lassen, um schwarz von weiß zu unterscheiden. Er erklärte sich also in einer grossen Gesellschaft: Er glaube zwar von ganzem Herzen, daß Israelchen einen Schaden habe, auch wohl mehr als einen; Aber der sey nicht auf der Hirnschwarte, sondern in der Seele und noch dazu sey es ein Erbschade! Das war zu beissend und überstimmte alles Gepinsel und Gewinsel einer thöricht zärtlichen Mutter. Es ward also schleunig zur Abreise Anstalt gemacht, die noch 8 Tage vor der Einführung vor sich gehen sollte. Aber nun galt es erst Kunst, Israelchen aufzupacken und fortzukriegen! Weil er sah, daß alles Bitten und Flehen über seinen Vater nichts vermochte und er schlechterdings unbeweglich blieb, so kehrte er seine fürchterliche Seite heraus, und obs gleich fast lächerlich scheinen möchte, daß ein Kind von Israelchens Jahren sich furchtbar machen soll, so mußte man doch in der That das Herz auf dem rechten Flecke haben, um es mit ihm aufzunehmen. Er hatte sich ein paar neuer Federmesser bemächtiget; Mit diesen drohte er denjenigen zu erstechen, der ihn von seinen Eltern wegbringen wollte. Es war vergebens, ihm diese Mordgewehre im Guten oder Bösen abzufodern, er gab sie nicht heraus, und des Nachts war er so pfiffig, sie nicht in seine Kleider, sondern an irgend einen Ort im Hause zu stecken, wo sie kein Mensch finden konnte. Diese neue Noth machte dem Herrn Direktor nicht wenig Kopfbrechens und doch brach er nichts heraus, was angeschlagen hätte. Endlich gab Fiekchen ein Mittel an, das Stich hielt. Heineccius hatte einen jungen, starken und raschen Kerl zum Bedienten, der dem Ansehn nach sich vor dem Teufel selbst nicht zu fürchten schien. Dieser ward zum Ritter erkohren, der den Kampf mit dem kleinen Drachen wagen sollte! Damit aber die Sache nicht stadtkundig würde, ließ der Herr Direktor Heinecciussen um seine Equipage bitten, um Israelchen nach dem Orte seiner Bestimmung zu bringen. Das war den Tag vorher, und eben dieser Bediente kam mit der Antwort zurück, die Equipage stünde von Herzen zu Diensten. Da nun zog Fiekchen den Menschen auf die Seite, und sagte ihm, wie ganz von ohngefähr, ihr Bruder schleppte sich mit ein paar Federmessern, mit denen er sich ganz gewiß noch einen Finger abschneiden würde; Papa hätte ihr befohlen, sie sollte sie ihm wegnehmen, aber sie fürchtete sich davor; er möchte ihr doch den Gefallen thun, und das Werk an ihrer Stelle verrichten. Der Kerl, der eben so viel Galanterie als Courage besaß, war sogleich dazu bereit, und gieng Israelchen nach, der unten auf dem Hofe war. Monsieur, sagte er, Sie sollen ihre Federmesser herausgeben, läßt Ihnen Papa sagen. Sogleich zog Israelchen eins: Ja morgen, gab er zur Antwort! Komm er einmal her, wenn er Courage hat, ich stech ihn gleich in den Bauch. Das Ding verdroß den Kerl nicht wenig, und da er bereits die Ehre hatte, Israelchens Charakter par Renommee zu kennen, so hielt ers weiter nicht für Pflicht, säuberlich mit dem Knaben Absalom zu verfahren, sondern er ergriff das erste das beste Stück Holz vom Boden, avancirte damit auf seinen Helden, und wie der Blitz, gab er ihm einen so kräftigen Hieb über die Knöchel, daß er mit einem Zetergeschrey das Messer fallen ließ. Er hob es auf, nahm ihm das andre aus der Tasche, und triumphirend sagte er: Da hab ich sie ja doch alle beyde. Und ein wenig leiser setzte er hinzu: Wenn du mich nun stechen willst, Kröte, so stich mich dahin! Ein schallendes Gelächter von Fiekchen verrieth, daß sie Zuhörerinn gewesen war. Sie wollte dem Kerle ein Trinkgeld bieten, aber er verwarf es hartnäckig, und versicherte ihr sehr galant, die Ehre würde er Zeitlebens nicht vergessen, die er heute gehabt hatte, etwas für Sie zu thun. Alles das zusammen genommen, auch selbst das naive Dahin gefiel Fiekchen so gut, daß in ihrem Herzen gar wundersame Wünsche aufstiegen; Weil ich aber vorher sehe, daß die schönen Damen und Jungfrauen, die diese Geschichte lesen, nur an diesen Wünschen Aergerniß und Anstoß nehmen würden, so übergeh ich sie und erzähle weiter.

Der gewaltige Fingerknips, den Israelchen noch in allen Nerven fühlte, machte seiner Furchtbarkeit ein gewünschtes Ende, und er sank nun wieder in sein erstes Lamento zurück. Dis trieb er noch den ganzen langen Tag und fast kam er seiner Mutter nicht aus den Armen. Das Arrangement war so gemacht, daß nicht die Mutter, so sehr sie es auch wünschte, sondern Fiekchen, die sich auch dazu weit besser schickte, den Buben an Ort und Stelle zu bringen sollte. Weil diese sich aber nicht allein getraute, mit ihm fertig zu werden, so muste eben der Ritter mit dem Stück Holz sich zum Kutscher auf den Bock setzen, um auf allen Fall seine mächtige Hand zu gebrauchen. So ward denn das kleine Scheusälchen glücklich und unversehrt nach dem Prediger Pfeil eskortirt, und ein Strom von mütterlichen Thränen floß ihm nach. Der Herr Direktor aber fühlte sich so wohl, so leicht als noch nie; Mit unumwölkter Seele machte er sich itzt an seine Rede, womit er seine Einführung zu krönen gedachte. Da er immer ein Wort nach dem andern und eine Zeile nach der andern hinschrieb, so konnt es nicht fehlen, daß sie allmählich fertig wurde, und eben so allmählich näherte sich auch der feierliche Tag selbst, da ihm öffentlich das Recht übertragen werden sollte, an dem Arlesheimischen Gymnasio zu meistern oder zu stümpern, wies fiele.


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