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Sieben und zwanzigstes Kapitel.

So wie das berühmte Müllerthier in der Fabel, ohnerachtet seiner Löwenhaut, gleichwohl an einem gewissen Merkmale an den Ohren erkannt wurde: So erkannte auch das Arlesheimische Publikum an den Probestücken zweyer Tage, daß unser Herr Direktor ein klarer baarer Stümper in dem ganzen weiten Schul- und Erziehungswesen sey. In allen Gesellschaften, diejenigen ausgenommen, in denen Heineccius zugegen war, giengs haarscharf über ihn her, und man erzählte sich, nachdems fiel, bald mit Lachen, bald mit Aerger und Verdruß, bald mit Achselzucken, alle die feinen Geschichtchen, die in den Klassen vorgefallen waren. Die Schulkollegen wurden itzt öfter als jemals zum Kaffee und Abendbrode gebeten, um ihre gehabten Abentheuer recht authentisch und ausführlich zum Besten zu geben. Die beau monde betrug sich dabey, wie mans von ihr erwarten kan; Sie spottete hinter Spitzbarts Rücken, aber da war keiner, der ihm ein Wort ins Angesicht gesagt hatte. Die gemeine Bürgerschaft hingegen gerieth in eine eigentliche aufrührerische Gährung, zu der Wenzky die nächste Veranlassung gab.

Der geneigte Leser wird sich erinnern, wie wir ihn zuletzt, von den Blicken des Herrn Direktors zu Boden geschlagen, verliessen. Der arme Mann war wirklich hart getroffen. Welch eine plötzliche und schaudervolle Revolution! Den Tag vorher der Abgott des Herrn Direktors, von ihm bis in den Himmel erhoben, und zum Muster der Nachahmung aufgestellt: Den Tag darauf von eben demselben wie im Sturme hinuntergeschleudert in den tiefsten Abgrund der Verachtung und Nichtswürdigkeit! Doch gekränkter Ehrgeiz war noch das wenigste, was sein banges Herz zernagte: Er sah sich schon in Gedanken von seinem Amte gesetzt, und mit Weib und Kindern ein Raub der Noth und des Elends! In dieser Furcht und Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, lief er fast Haus bey Haus zu seinen Freunden, den ehrsamen Beckern, Fleischern, Schustern, Kupferschmieden, Würzkrämern, Brantweinbrennern u. s. f. die ihre Kinder in seiner Klasse hatten, und, wie wir schon wissen, mit ihm als Lehrer ungemein zufrieden waren. Unter vielen Thränen klagte er einem jeden von ihnen seine grosse Noth und Verlegenheit, betheuerte seine Unschuld, und daß er bloß von bösen Zungen angeschwärzt worden sey und flehte jedermänniglich um Hülfe und Beystand und Vorbitte bey dem Herrn Direktor, daß er ihn nur in seinem schweren Grimme nicht absetzte. Ein allgemeiner Unwillen entbrannte in aller Herzen, und ein jeder gab Wenzkyn die Hand drauf und versicherte ihn mit einem kräftigen Schwure oder Fluche, eher sollte die Stadt zu Grunde gehen, als daß sie es leiden wollten, ihn absetzen zu sehen. Den nächsten Sonntag versamlete sich eine ganze Schaar Malkontenten im Gasthofe zum blauen Stiefel und das erste und letzte Wort war Wenzkys Sache. Bier, Tabak und Aquavit brachte die schon erhitzten Gemüther noch mehr ins Feuer und es würde zu wütenden und für den Herrn Direktor äusserst unangenehmen Entschlüssen gekommen seyn, wenn sich nicht einer aus der Gesellschaft, seines Zeichens ein Schwefellichtkrämer, ins Mittel geschlagen hätte. Dieser Mann war einer von den halbgelehrten Leuten, die das Recht haben, in Tabagien Orakelsprüche zu thun. Er hatte etwas von den neuern Schulverbesserungen munkeln hören, und anstatt mit den übrigen auf Spitzbarten los zu ziehen, nahm er sich seiner aus allen Kräften an. »Kinder, sagte er, nehmt mirs nicht übel, ihr seyd gute brave Leute allezusammen, Aber solche Sachen, versteht ihr, die sind über euern Hohrezont! Da schimpft und schmählt ihr nun auf den Herrn Direktor, daß er Wenzkyn ein bißchen hart übers Maul gefahren ist: Er kann nicht anders, er muß! Denn wo Gukuk wär er im Stande, daß er aus unsrer Schule ein Vielandropinum machen könnte, wenn er alles bey den alten Löchern lassen wollte? Erst muß der alte Sauerteig ausgefegt werden, das ist das Fundament: Und wo kein Fundament ist, da ist auch all mein Tage kein Grund!« Dis Räsonnement war zu bündig, als das es nicht bey den Zuhörern hätte Eingang finden sollen. Aber, rief einer aus der Gesellschaft, wat Düwel is denn dat für en Blixdings wat he da seggt, so een Vielan – »Das will ich euch erklären, versetzte der Krämer. Ein Vielandropinum ist eine Schule, ordentlich wie eine Schule ist, aber, versteht ihr, auf eine ganz neue Manier, dergleichen erst vor etlichen Jahren ist erfunden worden. Exempla ullistrant rem, sagen wir Lateiner: Das heist, damit ihr doch eine vernünftige Vorstellung von der Sache kriegt, so will ich euch ein Beyspiel geben. Hier zu Lande braucht eine Henne drey Wochen, eh sie ein Ey ausbrütet. Nun werdet ihr vielleicht denken, daß das in der ganzen weiten Welt eben so ist: Ja prost die Mahlzeit! Da ist euch ein Land, ey ihr müßts ja wohl aus der Bibel kennen, Egyptenland, wo der König Pharao mit seinem Heere ersoff! Nun stellt euch Wundershalben vor, was die Leute da für einen verhenkerten Kniff haben, um die Eyer auszubrüten! Da schieben sie sie euch in mächtige grosse Baköfen, wohl 6 bis 7000 Stück auf einmal, und die Ofens sind dann ordentlich geheizt, versteht sich! Wie lange meynt ihr nun wohl, daß es währt, eh die Kicken auskriechen? Vier und zwanzig Stunden, keine Minute länger! Das ist wahr, das könnt ihr glauben, ich hab es in mehr als einer Reisebeschreibung gelesen. Nun seht ihr, Kinder, ein Vielandropinum, das ist nun gleichsam so ein Backofen, wo die Kinder zwanzigmal geschwinder zu Verstande und zur Vernunft kommen, als in den Schulen, die keine Vielandropinos sind. Und solch einen Backofen, versteht ihr, soll unser neuer Herr Direktor auch bey uns anlegen, dazu hat ihn der edle Magistrat so weit her verschrieben! Laßt ihr ihn also nur machen: Ich steh euch davor, in Jahr und Tag, wenn erst alles im Stande ist, räsonniren uns unsre Jungens hundertmal den Tag in den Sack hinein und heraus!«

Ich habe nicht umhin gekonnt, diese originale Definition eines Philanthropins mitzutheilen, ob ich gleich gar nicht Willens bin, den ganzen langen Schnickschnack einer halbbesoffenen Tabagie einzurücken. Genug, ob sichs gleich der Schwefellichtkrämer für den Herrn Direktor eben so sauer werden ließ, wie Cicero für den Milo, so war er doch nicht im Stande, die einmal aufgebrachten Gemüther ganz zu besänftigen. Sie blieben hartnäckig dabey stehen, Wenzky wäre eine gute ehrliche Haut, und die Kinder lernten was bey ihm und sie verlangten gar keinen bessern Präceptor, und ein Fehler wäre kein Schelmstreich, daß man einen gleich darum so prostibuliren, geschweige gar absetzen dürfte, und überdem hätten sie ihm mit Hand und Mund versprochen, sich seiner anzunehmen. Endlich schlug ein handfester Hufschmid mit geballter Faust auf den Tisch; Ich gehe hin zum Direktor, sagte er, und das morgendes Tages, wenns Feyerabend ist, und er muß michs versprechen, daß er Wenzky will ungeschoren lassen oder wir kriegen Händel. Das wollen wir auch, rief gleich ein halbes Dutzend der Anwesenden: Wir wollen ihm das in aller Güte zu verstehn geben, denn die Schule ist unser und die Kinder sind auch unser! Mit diesem Entschlusse gieng die Versammlung aus einander.

Den folgenden Tag zur gesetzten Zeit kamen sie richtig beym Hufschmide zusammen, und nachdem dieser zum Sprecher ernannt worden, machten sie sich unverzüglich auf den Weg. So zog vor einigen Jahren das löbliche Schustergewerk der Stadt Zürich gegen Lavaters Haus zu, um ihn zu strenger Rechenschaft zu fodern, daß er ihnen nicht nur ihre Schönheit, sondern selbst ihre Mannheit streitig gemacht! Dieser wuste sich auf eine sehr gute Art aus diesem garstigen Handel zu ziehen und durch einen einzigen priesterlichen Einfall besänftigte er die ganze aufgebrachte Menge. Nicht also unser Herr Direktor! Kaum hatten die Bürger mit aller Höflichkeit und Gelassenheit angefangen, ihre Nothdurft vorzutragen, so brannte ihm schon das Pulver von der Pfanne. »Wie, was, rief er, so ein niederträchtiger Mensch, so ein Betrüger will sich sogar unterstehen, und eine Rebellion gegen mich anzetteln? Gut, wir wollen sehen, wer den andern vermag! Ich werde meine Maaßregeln zu ergreifen wissen!« Die Bürger sahen einander an und schon begann auch ihnen das Blut ein wenig wärmer zu werden. Es wäre nicht wahr, sagten sie, daß Wenzky ein Betrüger sey und wer ihm das nachsagte, der spräche es als kein ehrlicher Mann! Er wäre so lange Jahre an der Schule gewesen, und es hätte kein Mensch über ihn zu klagen gehabt, und itzt wäre auf einmal der Henker los! Diese respektswidrigen Reden jagten den Herrn Direktor noch mehr in Harnisch; Er warf mit groben Leuten, ungesittetem Pöbel und mehr dergleichen Anzüglichkeiten um sich und ließ unter andern auch ein Wort fliegen, daß es Gottlob noch Gerichtsdiener gäbe, die unruhige und rebellische Bürger bessere Mores lehren könnten. Damit stieß er dem Fasse völlig den Boden aus! Die Bürger schäumten vor Wuth und Galle, stampften mit Stöcken und Füssen, und diejenigen, die der Zorn zu Worten kommen ließ, donnerten ganze Salven von Schimpfreden, Vorwürfen und Drohungen auf ihn los. Die Lage unsers Herrn Direktors war nun äusserst unangenehm! Für ein stolzes Gemüth ist auf der Welt nichts kränkender, als Mishandlung vom Pöbel: Und dieser muste er itzt ohne Gnade seinen Rücken darhalten! Er versuchte es anfangs mit Gegenschelten, aber seine Stimme war zu schwach, um durch ein halb Dutzend dicke Bierbässe durchzudringen. Fliehen war ihm ebenfalls versagt: Denn das Zimmer hatte nur eine Thür und diese war von den Bürgern besetzt! Schreyen um Hülfe: Wer hätte das hören können, oder wenns auch die Frau Direktorn und Fiekchen gehört hätten, wie konnten die helfen? Es war also mit unserm Helden Matthäam am Letzten und es blieb ihm ihm nichts übrig, als sich in Geduld zu fassen, und fein stillzuhalten, bis die Lungen der Leute erschöpft wären und sie von selbst ihrer Wege giengen!

Doch wenns Matthä am Letzten ist,
Trotz Rathen, Thun und Beten:
So rettet oft noch Weiberlist
Aus Aengsten und aus Nöthen.

Mit einemmale riß Fiekchen die Thür auf, und rief in der größten Hast herein: Papa, kommen Sie geschwind, der Herr Stadtdirektor Heineccius sind da! Dieser glückliche Einfall veränderte im Augenblick die ganze Scene. Den Bürgern blieb das Wort im Munde stecken bey dem blosen Namen Heineccius, der Gewalt über sie hatte, sie zu züchtigen oder loszulassen. Spitzbart hingegen, der vorhin verstummt war, kam nun wieder zur Sprache; Nun ists gut, sagte er, indem er keck auf die Stubenthür zu marschirte und die Bürger ihm von beiden Seiten Platz machten: Geduldet euch nur, bis morgen, dann sollt ihr für eure itzige Vermessenheit den verdienten Lohn empfangen! Voritzt befehl ich euch, sogleich mein Haus zu verlassen!

Die Bürger liessen sichs nicht zweymal sagen und zogen stillschweigend und mit hängenden Köpfen davon. Fiekchen aber freute sich herzinniglich, daß es ihr durch eine List gelungen war, ihren Vater aus den Händen des Pöbels zu retten.


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