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Eilftes Kapitel.

Der Bauer, der den Herrn Inspektor fuhr, war einer von den Schelmen, deren es auf allen Dörfern soviele giebt, weswegen ich denn auch schon längst aufgehört habe, die Worte Bauer und dumm, wie es so manche Städter thun, nebeneinander zu setzen. Ich weiß nicht, war es aus eigner oder fremder Erfahrung, gnug der Kerl wußte, daß der Herr Inspektor, wenn es auf Trinkgelder ankam, eben nicht sehr reichlich mittheilte. Ob er also gleich sonst vor toll und blind fuhr und selbst im Finstern über Stock und Block jagte, so leyerte er doch für dismal so unausstehlich langsam, als führe er bey grundlosem Wege die schwerste Fracht zur Messe. Der Herr Inspektor, der schon im Voraus die Schelte fühlte, die seiner wartete, wenn er eine Stunde über das Gesetz ausbliebe, bat den Bauer einige mal, er möchte doch zufahren! Aber der Kerl antwortete ganz trotzig, er hätte seine Pferde nicht gestohlen, er könnte sie nicht schinden etc. Es war hier also kein Mittel, als die liebe Geduld, und der Herr Inspektor hielt ganz ruhig, wie wohl unter manchem schweren Seufzer, bis halb zwölfe aus, da er endlich vor seinen gefürchteten vier Pfählen still hielt. So wie er abstieg, griff er nach der Tasche, um dem Fuhrmann ein Trinkgeld zu geben: Aber, wie das Sprichwort sagt, ein Unglück kommt selten alleine! Er hatte, wie es ihm oft begegnete, keinen Heller bey sich, denn er lieferte treulich jeden Groschen, den er einnahm, zur Generalkasse der Frau Inspektor. Der Fuhrmann muste also warten, bis aufgemacht wäre.

Es ist ganz neuerlich ein Werk erschienen über Ahndungen und Visionen, das ich nicht gelesen habe. Aber ich vermuthe, es ist darinn erwiesen, daß es wirklich Ahndungen giebt. Die Ahndung unsers Herrn Inspektors beym Hingange nach seiner Hausthüre wäre dann ein kleiner Beytrag zu diesem Werke. Mit einemmale, ohne zu wissen wie und warum, fuhr es ihm ganz kalt über den ganzen Leib und er unterschied deutlich diesen Ahndungsschauer von dem Ehestandsschauer, der ihn schon in Unsleben ergriffen hatte. Ein Umstand vermehrte den Schrecken noch: Die ganze obere Etage, in der der Ordnung nach Frau und Kinder schon in tiefem Schlafe liegen mußten, war mit mehreren Lichtern erleuchtet und der Herr Inspektor hörte deutlich wenigstens sechs Füsse sehr lebhaft hin und wieder gehen. Gott im Himmel, rief er bey sich selbst, was ist das? Und damit ergriff er zitternd den Klopfer an der Hausthüre.

Sogleich erscholl eine ihm wohlbekannte und besonders bey stiller Nacht auf dreyßig Schritt vernehmliche Stimme: »Laßt ihn klopfen, daß er schwarz wird! Es darf nicht viel, so laß ich ihn gar nicht herein.« Das war ein Donnerschlag für ihn: Denn der gute Mann hatte bloß auf eine Gardinenpredigt, nicht aber auf eine Oration in Verrem oder Catilinam gerechnet! Aller Muth vergieng ihm, zum zweytenmale zu klopfen, und er war schon gefaßt, auf Gottes und seiner Frauen Gnade an der Thür stehen zu bleiben, als er ein paar mächtig polternde Stiefeln die Treppe herabkommen hörte, die sich ihm näherten. Sein Erstaunen stieg bis zum äussersten Grade, als ihm ein fremdes Mannsgesicht die Thür öfnete, das er bey näherem Betrachten für das Gesicht seines Herrn Gevatters, des Stadtchirurgus Winters erkannte. Halb sprachlos vor Entsetzen fragte er ihn, was es denn gäbe? Erschrecken Sie nur nicht, Herr Gevatter, sagte dieser, es ist ein kleines Unglück passirt; Ich denke, es soll nicht bis zum Trepaniren kommen!

Indem kam auch Fiekchen, nicht mit Heulen und Schreyen, wie der geneigte Leser etwa glauben dürfte, sondern ganz heiter und freundlich ihrem Vater entgegen. Gottlob, daß Sie endlich da sind, Papa! sagte sie: Mama hat entsetzlich auf Sie gescholten! Gehen Sie nur gleich herauf! Stucker ist auch oben.

Aber, mein Gott. rief der Herr Inspektor halb verwirrt, wer ist denn todt?

Kein Mensch, gab Fiekchen zur Antwort! Gehn Sie nur; dann werden Sies sehn; Es wird mehr Spektakel davon gemacht, als die Sache wehrt ist.

Schon war der Herr Inspektor mit Wintern fast die Treppe hinauf, als der Fuhrmann mit seiner Peitsche einen heftigen Knall that und ihn dadurch an seine Schuldigkeit erinnerte. Ach, allerliebstes Fiekchen, sagte er, gieb doch dem Manne draussen ein Trinkgeld; Ich habe nichts bey mir.

Gleich, gleich, sagte sie; Und weil sie sich ungleich besser drauf verstand, wie man mit Bauern umgehen müsse, als ihr Vater, so schmierte sie vorerst ein tüchtiges Butterbrod, schenkte drauf ein Glas rechten guten Schnapps ein und bracht es dem Bauern. »Da, sagte sie, guter Freund, hat er was fürs böse Uebel! Es ist aus dem Mutterfäßchen!« Der Bauer kostete, und fast gereute es ihn schon, daß er einen Mann so schlecht gefahren hatte, dessen Tochter ihm ein so herrliches Glas einschenkte. Fiekchen gab ihm drauf vier Groschen; »Nehm er schon einmal so vorlieb, sagte sie, ich habe nicht mehr, und in unserm Hause gehts heute bunt über! Auf ein andermal soll er gewiß ein fetter Trinkgeld haben!« Der Bauer bedankte sich vielmal, bezeigte sich vollkommen vergnügt und sagte, ein andermal wollt ers auch besser machen!

Inzwischen war der Herr Inspektor scheu in das Zimmer getreten, wo sein erzürntes Weib und ausserdem noch ein furchtbares Geheimniß auf ihn warteten. Das letztere fiel ihm sogleich in die Augen; Es war – sein theures, werthes Israelchen, der mit verbundenem Kopf auf dem Bette lag und nicht wenig wimmerte und stöhnte. Ohne auf irgend etwas weiter zu achten, lief er sporenstreichs nach dem Bette seines kranken Kindes, bog sich mit thränenden Augen über ihn, faßte ihn bey der Hand und rief ihm zu: Lieber Engel, was ist dir? Bist du gefallen? Gott im Himmel erbarme sich!

Der muß sich auch erbarmen, platzte itzt die Frau Inspektorn los, aller Mühe ohnerachtet, die sich Stucker gab, ihren Zorn zu hemmen und ihr sogar den Mund zuzuhalten! Du bekümmerst dich viel drum, ob das Haus untergeht oder nicht, wenn du nur in einer hübschen lustigen Gesellschaft brav jachern kannst! Mich wunderts nur, daß du gar noch nach Hause gekommen bist!

Mein allerliebster Schatz, unterbrach sie der Herr Inspektor, ich bitte dich tausendmal um Vergebung, daß ich heute grade unglücklicherweise habe so spät kommen müssen! Ich will dir hernach alles erzählen, und du wirst sehen, daß ich so unschuldig bin, wie die Sonne am Himmel: Aber itzt sage mir nur, was ist denn unserm armen lieben Israelchen begegnet?

Was ist ihm begegnet, schrie die Frau Inspektorn? Die infame Range, des Schmidts Junge aus dem Gasthofe, hat ihm ein Loch in den Kopf geschmissen und der Herr Gevatter hat ihm fast das ganze Gehirn aufschneiden müssen. Siehst du, das kommt davon, daß du in der Schule nicht bessere Zucht und Ordnung hältst! Aber das sag ich dir, wenn du mir nicht Satisfaktion verschaffst und lässest den gottlosen Buben vor meinen Augen so lange prügeln, bis ihm die Seele ausfahren will, so bist du unglücklich, das will ich dir vorher sagen!

Mein bester Schatz, sagte der Herr Inspektor, und faßte sie zärtlich in die Arme, sey nur ruhig! Ich verspreche dir die eklatanteste Satisfaktion, die du dir nur wünschen kannst. Ich will ein Exempel statuieren, das schrecklich seyn soll!

Der angenommene Löwengrimm, mit welchem der Herr Inspektor dies sagte, söhnte seine ebenfalls ergrimmte Ehehälfte wieder gewissermassen mit ihm aus. Fiekchen brachte nun auch Schlafrock und Pantoffeln, und als er sich von seinen Pontificalibus entkleidet hatte, bemerkte er erst Stuckers Gegenwart und bot ihm einen freundlichen Gutenabend. Die Frau Inspektorn, deren ganz besondre Gunst sich Stucker bey diesem unvermutheten Trauerfall erworben hatte, that ihren Mund sogleich zu seinem Lobe auf. Ja, ja, sagte sie, du hast wohl Ursach, dem lieben Herrn Stucker rechten grossen Dank zu sagen! Der ist noch mein einziger Freund in der Noth gewesen und hat dem Herrn Gevatter treulich beygestanden, weil er an dem armen Israelchen die Operation verrichtet hat.

Meine wertheste Frau Inspektorn, sagte Stucker, Sie sind gar zu gütig! Ich bin Ihrem Hause so viel Verbindlichkeit schuldig, daß ich in meinem Leben nicht im Stande seyn werde, sie abzutragen. Indessen hab ich doch das Sprichwort bewähren wollen, liebes Väterchen: Amicus certus in re incerta cernitur!

Bravo, bravo, liebes Stuckerchen, sagte der Herr Inspektor! Sie wissen, ich habe immer grosse Stücken von Ihnen gehalten und hilft mir der Himmel erst einmal weiter, denn versteht sichs von selbst, daß Ihr Glück auch gemacht ist.

Mittlerweile stand der Herr Gevatter Winter fertig, sich zu empfehlen. Er versicherte beyde Aeltern nochmals, daß die Wunde keinesweges letal sey und in Zeit von acht Tagen hoffe er, Israelchen völlig wieder herzustellen. Stucker stellte sich zum Scheine auch an, als wollte er aufbrechen. Da ihm aber der Herr Inspektor vorschlug, noch ein Pfeifchen mit ihm zu machen, ergriff er den Vorschlag mit beyden Händen. Er erbot sich auch, die ganze Nacht bey Israelchen zu wachen: Allein das ließ sich der Herr Inspektor nicht nehmen! Er bat also seine Frau, sich ruhig hinzulegen und sich von ihrem ausgestandnen Schrecken zu erholen. Sie that es und ließ die beyden Raucher allein; Fiekchen aber gieng immer noch ab und zu: Denn wie hätte sie schlafen können, solange Stucker noch mit ihr unter einem Dache war?

Der Herr Inspektor erfuhr nun auch einige nähere Umstände von der vorgefallnen Geschichte. Es war nehmlich, wie schon byläufig erwähnt worden, diesen Tag zwischen den Primanern und Sekundanern des Orts eine förmliche Schlacht geliefert worden. Der Anfang derselben war blos mit Faustschlag gemacht worden: Allmählich aber waren die streitenden Partheyen zum Werfen mit Steinen übergegangen und da hatte denn Israelchen ein recht hübsches Steinchen recht auf die Mitte des Kopfs gekriegt, so daß er auch auf der Stelle zur Erde gesunken war. Seine Kameraden alle hatten ihn vor Schreck liegen lassen; Ein vorüberfahrender Wagen aber hatt ihn aufgeladen und auf die Pfarre gebracht. Zum grossen Glück, fuhr Stucker fort, war ich eben bey der Hand, denn die Frau Inspektorn war noch bey ihrem Wochenbesuche. Ich schickte also gleich nach Herr Wintern und nach der Frau Inspektorn. Ich brachte das arme Kind zu Bette, und weil Herr Winter kam und ihm die Haare auf dem Kopf abschor, da hört ich eben die Frau Inspektorn kommen! Ich schloß gleich die Thür ab und ließ sie nicht eher herein, bis der Kreuzschnitt auf dem Kopfe gemacht und alles fest verbunden war. Allsdann erst macht ich die Thüre auf, und nun brauch ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß ich alle Hände voll zu trösten hatte. Wir wollten immer auch nach Ihnen schicken, aber eh der Bote hingekommen wäre, glaubten wir, würden Sie sich vielleicht von selbst schon auf den Weg machen.

Diese ganze Erzählung über wurden dem guten Herrn Inspektor die Augen gar nicht trocken. Er umarmte Stuckern mehreremale auf das zärtlichste, und versicherte ihn seiner immerwährenden Dankbarkeit. Der Diskurs wandte sich nun auf minder traurige Gegenstände und der Herr Inspektor erzählte einiges von dem Westphälischen Senft und von seinem treflichen Eduard. So wie es aber halb eins schlug, wollte er durchaus nicht zugeben, daß Stucker länger des Schlafs entbehren sollte, besonders auf einen Tag, der so voller Unruhe gewesen war; Fiekchen mußte also das Licht nehmen, um ihm herunter zu leuchten.

Nunmehr näherte sich Stucker der Belohnung für alle die Labores, die er diesen Tag so großmüthig übernommen und so männlich ausgehalten hatte. Alles im ganzen Hause schlief und der einzige Wachende hatte itzt wohl nicht den Gedanken, Stuckern und Fiekchen auf einem verliebten Gange zu beschleichen. Sie flochten sich also mit den Armen fest in einander, und Mund auf Mund und das Licht in der Hand giengen sie, jede Minute eine Stufe, die Treppe herab und bedauerten herzlich, daß die Treppe nicht so hoch wäre, als die vom Straßburger Münster. Des Diskurirens, dessen in den Romanen bey ähnlichen Gelegenheiten so viel ist, war hier sehr wenig, und was noch etwa war, lief auf ein paar leidige Vokativos: Liebstes Fiekchen! und liebster Stucker! hinaus. Als es aber nun zum Scheiden kommen sollte, sagte Stucker voll heisser Liebe: Ich kann nicht fort, Liebste, Beste, ich muß noch bey dir bleiben! O daß ich die ganze Nacht bey dir seyn könnte!

»Mach mir das Maul nicht wäßricht, sagte Fiekchen! Daraus kann nun einmal nichts werden, das ist umsonst!«

Und warum nicht, wenn du nur willst? Kein Mensch merkt es; Alles schläft; Eh es vier schlägt, schleich ich mich in aller Stille fort und –

»Und eh es achte schlägt, weiß es die ganze Stadt, und ich bin ein prostituirtes Mädchen und du ein prostituirter Mensch! Nein, Herzensstucker, mit solchen Projekten bleib mir vom Leibe, oder es ist nicht wahr, daß du mich lieb hast.«

Dich lieb, ich dich nicht lieb?

»Nun ja, du hast mich lieb, lieber, bester Junge: Aber du Bube willst blos die Freuden der Liebe und die Leiden soll ich tragen! I und ich wollt es gern thun, wollt es mit tausend Freuden thun, wenn ich es so gewiß wüßte, wie 2 mal 2 vier, daß du mein Mann würdest: Aber das steht noch in weitem Felde!«

Das steht nicht in weitem Felde! Hör, bestes Fiekchen, ich schwöre dir hoch und theuer, so wahr –

»Still, still, schwöre nicht, ich glaube dirs ohne Schwur, daß wenn du itzund heyrathen könntest, so nähmst du keine andre, wie mich: Aber das ist eben das Unglück, daß aus dem Itzund noch wer weiß wie viele Jahre werden können, und was kann sich unter der Zeit alles ändern?«

Ja bey dir wohl, aber bey mir nicht!

»Bey dir eben so gut, wie bey mir! Kurzum, Herzensstuckerchen, du mußt fort! Noch 30 Küsse, dann Marsch!«

Fiekchen hielt ihr Wort richtig. Als das halbe Schock voll war, that sie noch einen rechten herzhaften Kuß obenein zur Zugabe, faßte dann Stuckern um den Leib und trug ihn, wie ein kleines Kind, zur Hinterthür hinaus und schwupp! die Thüre zu!

Stucker rief ihr aufs zärtlichste nach, aber schon hörte er auch die Hausthür abschliessen und so eilte er, den Hut ins Gesicht gedrückt, mit grossen Schritten nach Hause.


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