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Eine allgemeine Fröhlichkeit verbreitete sich bald auf allen Gesichtern. Senft war mit dem Herrn Inspektor wieder ausgesöhnt, dadurch, daß er ihm das sehr zweydeutige Kompliment machte, es sey nicht sein Ernst gewesen; Zwischen ihm und dem Herrn D. Bahrdt fände in keiner Absicht eine Vergleichung Statt! Der Herr Inspektor ermangelte nicht, hievon eine sehr eigenliebige Erklärung zu machen und so ward der Friede auf der Stelle geschlossen. Auch Stucker schwamm itzt, so würd er sich ohngefähr ausgedrückt haben, in einem Meere von Wonne. Die Frau Inspektorn hatte ihm einen tückischen Streich zugedacht; Sie wollte ihn nemlich über Tische zwischen die beyden Mamsell Meyern bringen, um ihn dadurch von Fiekchen zu entfernen: Allein der Stadtschreiber hatte Mitleiden mit ihm und mit sich selbst, denn er sollte neben der tauben Burgemeistern sitzen! Nein, nein, rief er, das ist nichts: Alt zu alt, und jung zu jung! Fiekchen muß zwischen uns beyden jungen Kerln sitzen, da mag sie sich einen von uns zum Manne aussuchen! Dieser Einfall erregte ein grosses Gelächter, und ehe die Frau Inspektorn ihre Replik anbringen konnte, war es schon geschehen und Fiekchen saß an ihres lieben Stuckers Seite. Wiewohl sie nun sehr oft aufstehen und weggehen mußte, so wußte doch Stucker sehr fein seinen Fuß immer so zu stellen, daß Fiekchen ihn mit dem ihrigen sogleich traf. Auch fiel mit unter ein Händedruck, ein sanfter Kniff ins Knie, ein leises Zupfen an der Filetschürze und mehr so was vor, welches alles die Frau Inspektorn, trotz ihrer Schlauigkeit, nicht bemerkte, weil ihr die Natur, nicht wie dem Argus, hundert, sondern nur zwey Augen gegeben hatte: Und was sind zwey armselige Augen, um den tausendkünstlichen Taschenspieler Amor zu belauern! Die übrige Gesellschaft hatte weiter durchaus keine Geschäfte, als zu essen, das Essen zu loben, zum Essen zu nöthigen, zu klagen, daß das Essen nicht schmecken wolle, zu versichern, daß es sehr wohl schmecke, kurz der Magen war itzt der grosse Mittelpunktskörper, um den sich alles drehte.
Erst mit dem Weine, den der Stadtschreiber sogleich einzuschenken übernahm, ward der Diskours interessanter und der Witz, so gut er in Rübenhausen zu haben war, fieng an zu spielen. Der Stadtschreiber, p. t. Erzmundschenk, brachte natürlich die erste Gesundheit aus, und die war, wie er sich schon hatte verlauten lassen: Das neugeborne Kindelein! Alle Gläser erklangen; alle Rücken bogen sich dem Herrn Inspektor und selbst Senft machte diesmal frey und ungezwungen alles mit; Denn er dachte bey sich selbst: Der Bastart ist einmal da! Einer mehr oder, weniger, was schadets? Er brachte gleich selbst eine zweyte Gesundheit auf das Tapet: Die Herren Oberedukationsräthe sollen leben, rief er! Und ein abermaliges Klingling lief wie ein Heckefeuer rings herum durch die Gesellschaft. Dann wurd auf das Wohl des Fabrikenwesens, auf das Wohl der Lehrer und Schulen insgemein, auf den Untergang der Domherren etc. angestossen. Da nun von den sonst gewöhnlichen Gesundheiten, auf das Wohl der Stadt, auf bessere Zeiten, Uns wohl, niemand übel, Was wir lieben etc. auch keine verloren gieng, so war es kein Wunder, wenn die Farbe der Wangen allmählich ins Hochrothe stieg und gesellschaftliche Lustigkeit in Ausgelassenheit ausartete. Niemand aber war so ganz und gar vom Stricke los, als unser theures, werthes Israelchen. Er hatte heute durch die thörichte Güte seiner Mutter und durch das Zureden der Gäste seine Portion im Weine überschritten und statt eines Spitzglases deren zwey zu sich genommen, wovon das eine, wie sonst, in den Magen, das andre aber schurgrade in den Kopf gegangen war. Nun war vollends kein Haltens mit ihm; Seine Furcht vor dem Stadtschreiber sogar war verschwunden, und er bombardirte ihn herzhaft mit Knippkugeln, die er sich aus frisch gebacknem Brode drehte. Nach Senften hatte er auch schon oft geworfen, aber ihn immer nicht getroffen, weil er ganz oben saß: Endlich aber gelang es ihm und eine von den gedachten Knippkugeln traf Senften so accurat auf die Nasenspitze, als ob sie von einem Scharfschützen abgeschossen wäre. Senft fuhr auf, warf Israeln einen zornigen, drohenden Blick zu und sagte zur Mutter: Meine Frau Inspektorn, haben Sie doch die Güte und legen dem kleinen unbändigen Füllen da Zaum und Gebiß an!
Pfui doch, sagte die Frau Inspektorn: Laß das Werfen einmal bleiben, es schickt sich nicht!
Statt der Antwort fletschte Israel seiner Mutter die Zähne und warf ihr selbst eine dicke, derbe Brodkugel an die Backe.
Mehr aus Scham vor Senften, als aus wirklichem mütterlichen Zorne sprang sie hitzig auf, auf Israeln zu und machte Miene, ihm das Fell tüchtig vollzuschlagen. Dieser aber fand es nicht für gut, stillzuhalten; Er zog aus und die Mutter ihm nach. Nun setzte beynahe die ganze Gesellschaft voraus, es würde draussen vor der Tür ein scharfes, peinliches Hochnothhalsgericht gehegt werden: Aber weit gefehlt! Statt den kleinen Bösewicht bis aufs Blut zu peitschen, tätschte sie ihn ein klein wenig auf die Finger. Er setzte sich sogleich auf die Hinterbeine: Du, sagte er zu seiner Mutter, wenn du mich schlägst, so schlag ich dich gleich wieder! Weil nun, wie das Sprichwort sagt, der Gebrannte sich des Feuers fürchtet, so fand es die Frau Inspektorn nicht für gut, die Probe zu machen und legte sich lieber gleich zum Ziele. Israelchen, sagte sie, ich bitte dich um alles in der Welt, prostituire mich nur heute nicht! Morgen magst du meinetwegen auf dem Kopfe stehen. Nur heut sey vernünftig! Ich will aber nicht vernünftig seyn, sagte das liebe Söhnchen und damit riß er sich los und sprang zum Hause heraus. Die Frau Inspektorn sah nun wohl ein, daß alle ihre Mühe vergebens seyn würde, ihn zur Vernunft zu bringen: Sie überließ ihn also seinem Willen und kehrte zur Gesellschaft zurück.
Keine Minute, so war auch Israelchen wieder da, setzte sich, mir nichts dir nichts, an seinen Platz, schielte aber immer von der Seite nach Senften hin und sobald er sein Tempo ersahe, schmiß er ihm, daß es klatschte, eine ganze Hand voll Maykäfer an den Kopf, die er unterdessen aus seinem Magazine geholt hatte. Das ist davor, sagte er, daß Sie mich ein Füllen geheissen haben!
Senft konnte vor allem Erstaunen, Aerger und Wuth kaum zu Worte kommen. Nunmehro, sagte er, wende ich mich an Sie, mein Herr Inspektor, da ich sehe, daß die Frau Inspektorn keine Gewalt über ihr Kind hat! Schaffen Sie mir vor dem abscheulichen Buben Ruhe und thun Sie, was eines Vaters ist, oder ich sag es Ihnen hiermit öffentlich ins Gesicht, wer seine Kinder so erzieht, der sollte sich in die Seele schämen, ein Wort von der Erziehung zu schreiben!
Der arme Herr Inspektor befand sich in der äussersten Verlegenheit. Senfts Reden fuhren ihm wie ein Dolch ins Herz; Er fühlte die Wahrheit und das Gewicht des ihm gemachten Vorwurfs; Er brannte vor Begierde, die Range von Jungen auf das empfindlichste zu bestrafen: Allein ein kalter Schauder fuhr ihm durch die Glieder, wenn er bedachte, welch ein fürchterliches Ungewitter ihm von Seiten der Mutter drohte, im Fall er den Buben wirklich exemplarisch bestrafte! Halb in Verzweiflung sprang er vom Stuhle auf, auf Israelchen zu, faßte ihn beym Ermel und schleppte ihn nach Senften hin. Den Augenblick rief er mit einer donnernden Stimme, bitte es dem Herrn Pastor ab oder – du bist unglücklich!
Ich verlange das nicht, mein Herr Inspektor, versetzte Senft: So ein Bübchen ist zu klein, mich zu beleidigen! Aber es kränkt mich in Ihre Seele, daß solch ein kleines Teufelchen Ihr Sohn seyn soll, und daß Sie nicht männliche Entschlossenheit genug besitzen, ihn zum Menschen zu machen!
Hier fieng die Frau Inspektorn bitterlich an zu weinen: Dies bewog die übrige weibliche Gesellschaft, sich ins Mittel zu schlagen. O, sagten sie, vor heute müssen Sie es so genau nicht nehmen! Das arme Kind hat ein Glas zu viel getrunken, das ist ihm in den Kopf gestiegen! Vor Tische, können Sie glauben, ist er recht artig gewesen, recht sehr artig!
Nun, nun, sagte Senft: Es ist geschehn, kein Wort weiter!
So bleib hier, donnerte der Herr Inspektor nochmals auf Israelchen: Rühre dich nicht von der Stelle!
Der Stadtschreiber, ohne den Homer gelesen zu haben, machte dennoch ein Homerisches oder, wie man will, ein vulkanisches Kunststück.
Zu Gunsten meiner Leser, die etwa des
Homers unkundig wären, beyläufig auch eine kleine Probe meiner Gelehrsamkeit anzubringen, die man so immer gern bey Romanschreibern bezweifelt, will ich das gedachte
vulkanische Kunststück kürzlich entwickeln. Frau
Thetis nemlich hatte bey Herr
Jupitern geheime Audienz gehabt. Lady
Juno begehrte zu wissen, was darin abgehandelt worden, Herr
Jupiter aber fand es nicht für gut, sie es wissen zu lassen. Was daraus entstand, wird jeder Ehemann schon von selbst errathen! Es war, wie folget:
Junonem diese Red verdroß,
Mit ihren Ochsenaugen groß,
Schawet sie Jovem grimmig an,
Sie sprach: Du ungeschlachter Mann,
Was darf es dieser Worten spitzig,
Als ob ich sey allein fürwitzig,
Was hab ich dich so viel gefragt?
Von mir bist du wol ungeplagt,
Du thust ohn das, nach deinem Mut
Fürnemmen was dich dünket gut etc.
Herr
Jupiter, der doch den Donner und den Blitz nicht umsonst führen wollte, drückte den Hut in die Augen, schalt tapfer wieder, und beschloß zuletzt mit dem Trumpfe:
– sitz nieder, schweig hinfort,
Und sey gehorsam meinem Wort,
Oder ich will bezahlen dich,
Daß du gedenken sollt an mich,
Darvor soll mir kein Gott nicht seyn,
Will dir die Unthat tränken ein.
Dieser Trumpf that seine Wirkung. Juno setzte sich nieder und hieng das Köpfchen: Alle Götter und Göttinnen schwiegen und muksten nicht! Damit war aber auch die ganze Himmelslust verdorben und es galt Kunst und Erfindung, sie wieder herzustellen. Der künstliche
Vulkanus aber schaffte glücklich Rath! Ein gutes Wort zuerst, dann einen Becher Wein und obendrauf eine Schnurre fürs Zwerchfell, und siehe da, die gute Laune kehrte wieder!
– – – –
Juno die Göttin thäte lachen,
Sie nahm von ihrem Sohn zu Dank
Den Becher an mit süssem Trank,
Und ließ denselben gehn herumb,
Die Götter all in einer summ,
Versuchten ziemlich diesen Wein,
Vulkanus schenket redlich ein,
Leichtsinnig waren sie mit Schall,
Hätten ein grob Gelächter all,
Das Zechen werth den Tage lang,
Bis zu der Sonnen Untergang.
So kam also durch
Vulkans Geschicklichkeit der verkippte Wagen wieder ins Gleiß! Warum ich übrigens die
Homerischen Stellen nicht nach
Stollbergs, sondern nach
Sprengs Uebersetzung angeführt, davon ist die Ursach diese, weil ein halber Louis d'or für einen, der ihn nicht hat, eine beynahe unerschwingliche Summe ist. Da er sah, daß die ganze Gesellschaft durch die bösen Maykäfer ganz aus Reih und Gliedern gekommen war, so suchte er sie durch ein Bonmot wieder in Ordnung zu bringen. Das kommt davon, sagte er, wenn man heyrathet! Nein, da lob ich mir meine Schwestern und mich: Wir sind ein rechtes keusches, reines Jungfern- und Junggesellenkleeblatt! (Schon fieng die Gesellschaft ein klein wenig an zu schmunzeln!) Heda, Herr Nachbar, fuhr der Stadtschreiber fort, indem er mit seinem Glase an Stuckers Glas stieß: Auf glückliche Nachfolge!
Stucker schüttelte mit dem Kopfe. Nein, mein Herr Stadtschreiber, sagte er: Daraus kann nichts werden! Ich bin ein Theolog und lebe nach der Bibel.
Haha, versetzte der Stadtschreiber, wohl vorzüglich nach dem Verse: Seyd fruchtbar und mehret euch! Nun denn, weil Sie doch einmal den Willen haben: Auf glückliches Vollbringen! Frisch angestossen, Mamsell Fiekchen!
Dieser zweyte Einfall that seine Wirkung ganz, und so wie das Glas ausgetrunken war, dachte niemand mehr an die fatale Maykäfergeschichte. Senft selbst, um sie bis auf die Wurzel auszurotten, erzählte einige lustige Vademekumshistörchen, die mit lautem Gelächter empfangen wurden, und der Stadtschreiber machte sich bey jeder einen Knoten ins Schnupftuch, um sie bey Gelegenheit wieder anzubringen.
Unterdessen stand Israelchen noch immer zur Pönitenz bey seinem Vater und kochte in seinem Herzen Wuth und Rache. Diese war in seinem Charakter ein Hauptzug; Nie steckte er eine Beleidigung, Bestrafung, Scheltwort und dergleichen ein, ohne öffentlich oder heimlich dafür Satisfaktion zu nehmen. Nun hatte ihn Senft für die Maykäfer noch ärger bezahlt, als für die Brodkugeln; Er hatte ihm seinen Vater auf den Hals gehetzt, ihn Bube, Teufelchen und mehr so was gescholten, hatte es dahin gebracht, daß er auf eine schimpfliche Art stehen mußte: Alles das heischte Rache. Sie zum zweytenmale öffentlich zu nehmen, war ihm bey aller seiner Verwegenheit zu gewagt: Also heimlich! Die erwähnten Vademekumsgeschichten bahnten ihm dazu den schönsten Weg: Denn Senft erzählte überaus eifrig und die Gesellschaft hörte eben so eifrig zu. Ganz leise schlich er sich von seinem Vater weg und an Senfts Seite. Die Mutter, die als eine fromme Christin, alles zum Besten kehrte, ermangelte nicht, davon eine für Israelchen ausnehmend günstige Auslegung zu machen. Mein Herr Pastor, rief sie ganz leise: Sehn Sie sich doch einmal um, Israelchen kann nicht ruhig seyn, wenn Sie ihm nicht wieder gut sind! Mein Gott, sagte Senft, ein wenig verdrüßlich: Ist denn die fatale Geschichte noch nicht zu Ende? Ich bin ja gut und will in meinem Leben nicht mehr dran denken! Damit brach er ab und fuhr in seiner Geschichte weiter fort.
Das war nun nicht ganz so, wie es die Frau Inspektorn wünschte! Ihrem Plane nach sollte Senft Israelchen die Hand geben, dieser sollte sie hübsch artig küssen: Dann wollte sie mit grossem Triumphe Israelchens gutes Herz rühmen und ihn in ihren mütterlichen Armen vor Freude halb todt drücken! Indeß, dachte sie wieder, kein Baum fällt auf den ersten Hieb, Senft läßt sich wohl noch bewegen. Sie winkte also Israelchen, er sollte nur da stehn bleiben und gelegentlich einen zweyten Versuch machen! Das Stehnbleiben gehörte ganz in Israelchens Plan: Er that es also und die Frau Inspektorn schöpfte schon die süsseste Hofnung!
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