Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Budin

Du weißt, daß Schreibseligkeit eben nicht meine Erbsünde ist, und wirst mir auch Deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ich Dir eher zu wenig als zu viel erzähle. Wenn ich recht viel hätte schreiben wollen, hätte ich eben so gut zu Hause in meinem Polstersessel bleiben können. Nimm also mit Fragmenten vorlieb, aus denen am Ende doch unser ganzes Leben besteht. In Dresden mißfiel mir noch zuletzt gar sehr, daß man zur Bequemlichkeit der Ankömmlinge und Fremden noch nicht die Straßen und Gassen an den Ecken bezeichnet hat; ein Polizeiartikel,Bei meiner letzten Anwesenheit in Dresden sah ich mit Vergnügen, daß man angefangen hatte, die Straßen und Gassen an den Ecken gehörig mit ihren Namen zu bezeichnen. Überhaupt scheint man durchaus mehr Aufmerksamkeit zu haben und auch die Gesichter scheinen sich zu bessern und mehr Liberalität zu bekommen. an den man schon vor zehn Jahren in kleinen Provinzialstädten sogar in Polen gedacht hat, und der die Topographie außerordentlich erleichtert: und Topographie erleichtert wieder die Geschäfte.

Den letzten Nachmittag sah ich dort noch die Mengsische Sammlung der Gipsabgüsse. Schnorr wird Dir besser erzählen, von welchem Wert sie ist, und Küttner hat es meines Wissens, schon sehr gut getan. Du weißt, daß ich hier ziemlich Idiot bin und mich nicht in das Heiligtum der Göttin wage; ob ich gleich über manche Kunstwerke, zum Beispiel über die Mediceerin, meine ganz eigenen Gedanken habe, die mir wohl schwerlich ein Antiquar mit seiner Ästhetik austreiben wird. Schon freue ich mich auf den Augenblick, wo ich das Original in Palermo sehen werde, wo es, wie ich denke, jetzt steht. Hier interessierten mich eine Menge Köpfe am meisten, die ich größten Teils für römische hielt. Küttners Wunsch fiel mir dabei ein, daß der Kurfürst diese Sammlung zur Wohltat für die Kunst mehr komplettieren möchte. Auch ist die Periode des Beschauens zu beschränkt, da sie den Sommer wöchentlich nur zwei Tage und den Winter öffentlich gar nicht zu sehen ist. Einige Verordnungen, die Kunst betreffend, sind mir barock genug vorgekommen. Kein Künstler, zum Beispiel, darf auf der Galerie ein Stück ganz fertig kopieren, wie man mich versichert hat. Dies zeigt eine sehr kleinliche Eifersucht. Es wäre für die Schule in Dresden keine kleine Ehre, wenn Kopien großer Meister von dort kämen, die man mit den Originalen verwechseln könnte. Auch darf kein Maler länger als die bestimmten zwei Stunden oben arbeiten, welches für die Kopisten in Öl eine Zeit ist, in welcher fast nichts gemacht werden kann. Aber das Künstlervolk mag seinen Mutwillen auch zuweilen bis zur Ungezogenheit treiben; und es soll vor kurzem ein namhafter Maler unsers deutschen Vaterlandes seine Pinsel auf einem der schönsten Originale abgewischt haben, um die Farben zu versuchen. Da würde mir Laien unwillkürlich der Knotenstock sich in der Faust geregt haben.

Den letzten Abend sah ich noch eine Oper, die mit ziemlich vieler Pracht gegeben wurde. Mein Gedächtnis ist wie ein Sieb; aber mich deucht, es war die Gräfin von Amalfi. Die Musik ist, wenn ich nicht irre, sehr eklektisch. Es war bei der Vorstellung kein einziger schlechter Sänger und Akteur; aber nach meiner Meinung auch kein einziger vortrefflicher, so sehr man auch in Dresden dieses behauptete. Die Schuld mag wohl mein gewesen sein, da ich mich fast in jedem Fache eines bessern Subjekts unwillkürlich erinnerte.

In Pirna sahen wir ein Stündchen Herrn Siegfried, den Du als den Verfasser von Siama und Galmori kennest und der uns mit einigen Bekannten an die Grenze brachte. Nun ging es in die Höhe; und so mild es unten am Flusse gewesen war, so rauh war es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden hinter Peterswalde, nahm sodann allmählich wieder ab und hörte bei Außig wieder ganz auf.

Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den auffallenden Erscheinungen der Böhmischen Katholizität gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im Gegenteil muß ich sagen, es gefiel mir alles außerordentlich wohl. Unser Wirtshaus in Peterswalde war so gut, als man mit gehöriger Genüglichkeit es sich nur immer wünschen kann. Der Zollbeamte, der den Paß bescheinigte, war freundlich. Die Mahlzeit war nicht übel und die Aufwärterin gar allerliebst niedlich und artig. Lache nur über diese Bemerkung von mir Griesgram. Man müßte eine sehr verstimmte unästhetische Seele haben, wenn man nicht lieber ein junges, hübsches, freundliches Gesicht sähe, als ein altes, häßliches, murrsinniges. Das Mädchen setzte in unserm Zimmer ihr Silbermützchen vor einem Spiegel, der zwischen zwei Marienbildern hing, so reizend unbefangen in Ordnung, als ob sie sich in Ehren eine kleine Unordnung recht gern wollte vergeben lassen. Der Ketzer Schnorr sah dem rechtgläubigen Geschöpf so enthusiastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr bekehren oder sie wenigstens zum Modell nehmen wollte. Überdies ist der böhmisch-deutsche Dialekt bis Lowositz ziemlich angenehm und gurgelt die Worte nicht halb so dick und widrig hervor, wie der gebirgische in Sachsen.

Der Weg von Peterswalde nach Aussig ist rauh, aber schön; von Aussig, wo man wieder an die Elbe kommt, romantisch wild, links und rechts an dem Flusse hohe Berge mit Schluchten, Felsenwänden und Spitzen. Hier tönte mir die Klage über die Undisziplin unserer sächsischen Landesleute ins Ohr, die in dem Bayerischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in die Seele anderer. Wenn die Östreicher es eben so schlimm machen, so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird unsere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwischen? Bei Lowositz endigen allmählich die Berge, und von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwei Stunden hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin, einem Orte wo allgemeine Verlassenheit zu sein scheint, traf ich bei dem Juden Lasar Tausig eine kleine Sammlung guter Bücher an, und ließ mir von ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration über das Dasein Gottes geben.


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