Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah was die andern auch gesehen hatten, und lief in den aufgegrabenen Gassen und den zu Tage geförderten Häusern hin und her. Die Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muß aber bei dem allen prächtig genug gewesen sein, und man kann sich nichts netter und geschmackvoller denken als das kleine Theater, wo fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit eingelegter Bronze vor dem Proszenium ist, als ob sie nur vor wenigen Jahren gemacht wäre. Die Franzosen haben wieder einen beträchtlichen Teil ans Licht gefördert und sollen viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu nehmen, was ihm am nächsten liegt, und die Regierung schweigt wahrscheinlich mit berechneter Klugheit. Es ist etwas mehr als unartig, daß die alten schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine Eitelkeit wohl nicht sollten gehabt haben. Vorzüglich waren dabei einige französische Generale, von denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bei der Sibylle ist es etwas anders.

Von Salerne aus war ich mit einer Dame aus Kaserta und ihrem Vetter zurückgefahren. Als diese hörten, daß ich von Portici noch auf den Berg wollte, taten sie den Vorschlag Partie zu machen. Ich hatte nichts dagegen; wir mieteten Esel und ritten. Was vorherzusehen war, geschah; die Dame konnte, als wir absteigen mußten, zu Fuße nicht weit fort und blieb zurück; und ich war so ungalant, mich nicht darum zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte sich an, und arbeitete mir nach. Als wir an die Öffnung gekommen waren, aus welcher der letzte Strom über Torre del Greco hinunter gebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte, weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht über die Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte ihm ganz kurz und laut, er möchte machen was er wollte; ich würde hinaufsteigen. Doch nicht allein? meinte er. Ganz allein, sagte ich, wenn niemand mit mir geht; und ich stapelte immer rasch den Sandberg hinauf. Er besann sich doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist als auf den Aetna zu gehen; wenigstens über den Schnee, wie ich es fand. Der Sand und die Asche machen das Steigen entsetzlich beschwerlich: man sinkt fast so viel rückwärts, als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft und drückend heiß. Endlich kam ich oben an dem Rande an. Der Krater ist jetzt, wie Du schon weißt, eingestürzt, der Berg dadurch beträchtlich niedriger, und es ist gar keine eigentliche größere Öffnung mehr da. Nur an einigen Stellen dringt etwas Rauch durch die felsigen Lavaritzen hervor. Man kann also hinuntergehen. Die Franzosen, welche es zuerst taten, wenigstens so viel man weiß, haben viele Rotomontade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der heraufsteigt, steigt hinab in den Schlund; und es sind von meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich selbst hatte den rechten Weg nicht gefaßt, weil ich eine andere kleinere Öffnung untersuchen wollte, aus welcher noch etwas Dampf kam und zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war mir nun zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch ganz hinuntergestiegen. Gefahr kann weiter nicht dabei sein, als die gewöhnliche. Während mein Führer und der Kasertaner ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist fast die nämliche, wie bei den Kamaldulensern: ich würde aber jene noch vorziehen, obgleich diese größer ist. Nur die Stadt und die ganze Partie von Posilippo diesseits der Grotte hat man hier besser. Nie hatte ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden als im Heraufsteigen. Jetzt schwebten über Surrent einige Wölkchen und über dem Avernus ein Donnerwetter: es ward Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr schnell. Ich hatte schon Durst als die Reise aufwärts ging; und nun suchte ich lechzend überall Wasser. Ein artiges, liebliches Mädchen brachte uns endlich aus einem der obersten Weinberge ein großes, volles Gefäß. So durstig ich auch war, war mir doch das Mädchen fast willkommener als das Wasser: und wenn ich länger hier bliebe, ich glaube fast ich würde den Vulkan gerade auf diesem Wege vielleicht ohne Führer noch oft besuchen. In einem großen Sommerhause, nicht weit von der heiligen Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Tränen Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber als hier die köstlichen Tränen, und die Hebe des ersten wohl auch etwas lieber als die Hebe der zweiten.

Es war schon ziemlich dunkel als wir in Portici ankamen, und wir rollten noch in der letzten Abenddämmerung nach Neapel. Mit dem Museum in Portici war ich ziemlich unglücklich. Jetzt war es zu spät, es zu sehen. Das erste Mal war es nicht offen und ich sah bloß das Schloß und die Zimmer, die, wenn man die Arbeit aus Pompeji, einige schöne Lavatische und die Statuen zu Pferde aus dem Herkulanum wegnimmt, nichts merkwürdiges enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum: die Statuen selbst sind in der Lava zusammengeschmolzen. So viel ich von den Köpfen urteilen kann, möchte ich wohl diese Pferde haben, und ich gäbe die Pariser von Venedig sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich eine ganze Stunde herumgewandelt, und habe den Ort gesehen, wo die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort wo die bronzenen geschmolzen waren. Bekanntlich ist es hier viel schwerer zu graben als in Pompeji: denn diese Lava ist Stein, jene nur Aschenregen. Dort sind nur Weinberge und Feigengärten auf der Oberfläche; hier steht die Stadt darauf: denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum; und fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine Kirche. Die Dame von Kaserta gab mir beim Abschied am Toledo ihre Adresse: ich hatte aber nicht Zeit mich weiter um sie zu bekümmern.

Obgleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein Maulwurfshügel ist, so hat er doch durch seine klassische Nachbarschaft vielleicht ein größeres Interesse, als irgendein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen Abend noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz nach meinem Genius hatte genießen können. Ich setzte mich im Geist wieder hinauf und überschaute rund umher das schöne blühende magische Land. Die wichtigsten Szenen der Einbildungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt geriet ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.

Vom Schädel des Verderbers sieht
Mein Auge weit hinab durch Flächen,
Auf welchen er in Feuerbächen
Verwüstend sich durch das Gebiet
Der reich geschmückten Schöpfung zieht.
Wo steht der Nachbar ohne Grausen,
Wenn zur Zerstörung angefacht
Aus seinem Schlund der Mitternacht
Ihm hoch die Eingeweide brausen?
Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,
Und sie im Streit der Elemente,
Als ob des Erdballs Achse brennte,
Hinab ins Meer hoch über Städte wälzt?
Der Riese macht mit seinem Hauche
Die schönste Hesperidenflur
Zur dürrsten Wüste der Natur,
Wenn er aus seinem Flammenbauche
Mit roter Glut und schwarzem Rauche
Die Brandung durch die Wolken hebt,
Und meilenweit was Leben trinket,
Wo die Zerstörung niedersinket,
In eine Lavanacht begräbt.
Parthenope und Pausilype bebt,
Wenn tief in des Verwüsters Adern
Die Feuerfluten furchtbar hadern;
Und was im Meer und an der Sonne lebt
Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,
Sich vor dem Zorn des Tötenden zu decken.
Es kocht am Meere links und rechts,
Bis nach Surrent und bis zu Bajas Tannen,
Wo er die Bäder des Tyrannen
Aus der Verwandtschaft des Geschlechts,
Indem er weit umher verheeret,
Mit seinem tiefsten Feuer nähret.
Er macht die Berge schnell zu Seen,
Die Täler schnell zu Felsenhöhen,
Und rauschend zeigen seine Bahn,
So weit die schärfsten Augen gehen,
Die Inseln in dem Ozean.
Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet,
Daß er nicht einst in allgemeiner Wut
Noch fürchterlich mit seiner Flut
Den ganzen Golf zusammen schüttet?
Nicht alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,
Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde,
Von Stabia bis zu dem Schwefelschlunde,
Mit seinen Lavaschichten füllt?
Hier brach schon oft aus seinem Herde
Herauf hinab des Todes Flammenmeer,
Und machte siedend rund umher
Das Land zum größten Grab der Erde.

Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich gleich gern das furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans in seiner ganzen entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin ich doch nicht hart genug es zu wünschen. Ich will mich mit dem begnügen, was mir der Aetna gegeben hat. Der Vesuv kräuselt bloß zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich fürchte, sein Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer Vorbedeutung. Der Aetna war auch verschüttet, ehe er Katanien überströmte, und in dem Krater des Vesuv waren zuweilen große Bäume gewachsen. Bei seinem künftigen Ausbruche dürfte die Gegend vor Portici, eben da wo oben der heilige Januarius steht um den Feind abzuhalten, am meisten der Gefahr ausgesetzt sein; denn dort ist nach dem äußern Anschein jetzt die Erdschale am dünnsten. Man scheint so etwas gefühlt zu haben, als man den heiligen Flammenbändiger eben hierher setzte.

Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung. Sie sind des Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, daß er sich auf seine eigenen Soldaten nicht verlassen kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiß seine eigene Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der bravsten und besten Nationen, so wie überhaupt die Italiener. Was ich hier und da schlimmes sagen muß, betrifft nur die Regierung, ihre schlechte Verfassung oder Verwaltung und das Religionsunwesen. Die Russen haben sich sehr metamorphosiert und ich würde sie kaum wieder erkannt haben. Du weißt, daß ich die Schulmeisterei in keinem Dinge verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt: aber ich glaube, sie haben sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht gebessert. Brav werden sie immer bleiben; das ist im Charakter der Nation: aber Paul hätte das Gute behalten und das Bessere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, daß sie besser Linie und besser den Schwenkpunkt hielten, und fertiger die Waffen handhabten; aber desto schlechter waren sie gekleidet, ästhetisch und militärisch. Die steifen Zöpfe, die Potemkin mit vielen andern Bocksbeuteleien abgeschafft hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz possierlicher Unbehilflichkeit. Potemkin hatte freilich wohl manches getan, was nichts wert war; aber diese Ordonnanz bei der Armee war sicher gut. Paul war in seiner Empfindlichkeit zu einseitig. Übrigens werden hier die Russischen Offiziere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende Beispiele vom Gegenteil. Das sind hoffentlich nur unangenehme Ausnahmen; denn man läßt im Ganzen der Ordnung und der Strenge des Generals Gerechtigkeit widerfahren.

Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig gemißhandelt, und von den Lazaronen auf alle Weise beschimpft: es fehlt wenig, daß er nicht des Patronats völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem sogar durch Manifeste vom Hofe gehuldigt. Doch ist die Januariusfarce wieder glücklich von Statten gegangen, und er hat endlich wieder ordentlich geblutet. Ich habe für dergleichen Dinge wenig Takt, bin also nicht dabei gewesen, ob die Schnurre gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde erzählte mir von den furchtbaren Ängstigungen einiger jungen Weiber und ihrer heißen Andacht, ehe das Mirakel kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen ekstatischen Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann man den Menschen nicht noch hinhalten, wenn man ihm einmal seine Urbefugnisse genommen hat?


 << zurück weiter >>