Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man mich oft mit ziemlicher Neugierde nach Zeitungen aus der Hauptstadt, und nahm die Nachrichten immer mit sehr verschiedener Stimmung auf. Sehr oft hörte ich vorzüglich die Bemerkung über den Konsul wiederholen: Mais pourtant il n'est pas aîmé; besonders von Militären. Das ist begreiflich. Es gibt Regimenter und ganze Korps, die ihn nie gesehen haben und die doch auch für die Republik brave Männer gewesen sind. Diese wünschen sich ihn vielleicht sehr gern zum General, aber nicht zum Souverain, wie es ganz das Ansehen gewinnt. Il fait diablement des choses, ce petit caporal d'Italie; cela va loin! sagte man; und ein Wortspieler, der ein katonischer Republikaner war, bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem Ausdruck: Bonaparte qui gloriam bene partam male perdit. In der Gegend von Straßburg habe ich hier und da gehört, daß man bei seinem Namen knirschte, und behauptete, er führe allen alten Unfug geradezu wieder ein, den man auf immer vertrieben zu haben glaubte. Was ein einziger Mann wieder einführen kann, ist wohl eigentlich nicht abgeschafft. Man wollte in der ersten Konstitution dem König keine ausländische Frau erlauben, und jetzt haben wir sogar einen fremden Abenteurer zum König, der willkürlicher mit uns verfährt, als je ein Bourbonide: wer ihm mißfällt, ist Verbrecher und ihm mißfällt jeder, der selbstständige Freiheit und Vernunft atmet. Er weiß sich vortrefflich die ehemalige Wut und den Haß der Parteien zu Nutze zu machen.

Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von der Republik und den öffentlichen Geschäften, sondern klagte nur über den Druck und die Malversation der Kommissäre, und jammerte über die neue Freiheit. Den Zehnten geben wir nicht mehr, den behalten wir, sagen die Bauern mit Bitterkeit. Eine grausamere Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn auch die neun Zehnteile eine große Hyperbel sind. Ein Zeichen, daß die Regierung wenig nach vernünftigen Grundsätzen verfährt, ist nach meiner Meinung immer, wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt, ausschließlich den Bürger von dem Krieger zu trennen. In Frankreich macht der Soldat wieder alles, und was ein General sagt, ist Gesetz in seinem Distrikt. Die nächsten Militäre nach dem Konsul bezeichnen ihren Charakter genug durch ihre Bereicherung. Der allgemeine Liebling der Nation ist Moreau, und der Mann verdient ohne Zweifel die große, stille Verehrung seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends gewesen, in Deutschland, Italien und Frankreich, wo man nebst seinen Kriegstalenten nicht seine tadellose Rechtlichkeit, seine Mäßigung und Humanität gepriesen hätte. Er soll es ausgeschlagen haben, Offizier der Ehrenlegion zu werden, die so eben errichtet werden soll, und die jeder Republikaner für unrepublikanisch und für die Wiederauflebung des Feudalwesens hält. Man tut ihm vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem öffentlichen System in Kollision zu setzen; aber seine Unzufriedenheit wird überall ziemlich laut erzählt. Seine Parteigänger, die weniger Mäßigung haben, als er selbst, wünschten ihn hier und da laut am Ruder, und sagten bedeutend nur, Moreau grand consul; zogen aber die Worte so sonderbar, daß es klang wie Mort au grand consul. Die Sprache erleichtert viel solche Spiele, hinter welche sich die Parteisucht versteckt.Das System des Konsuls liegt nun wohl ziemlich am Tage, und leidet keine Mißdeutung. Alles ist gekommen, wie vorherzusehen war, nur mit etwas schnelleren Schritten. Das Buch, Napoleon Bonaparte und das französische Volk, gibt den Gang der Dinge ziemlich richtig an; wenn man nur die Vehemenz gegen die Person und einige unwichtigere Irrtümer und gleichgültige Personalitäten abrechnet. Die Zeichnung der Nation ist in demselben, trotz der klassischen Gelehrsamkeit, zu grell; und jedes andere Volk würde in den nämlichen Umständen höchst wahrscheinlich das nämliche sein. Die Briten, als die entgegengesetzteste Nation, haben es bei ihrer Revolution auch bewiesen. Bonaparte ist unstreitig der vollendetste Mann seiner Art; die Geschichte hat bis jetzt keinen größern. Er erschöpft ganz den griechischen Sinn des griechischen Worts. Traurig ist es für den geläuterten Menschensinn, daß solche Erscheinungen bei unserm gepriesenen Lichte noch möglich sind; aber zermalmend für alle bessern Hoffnungen, daß man sie sogar als notwendig annehmen muß. Alles, was zur Grundlage einer vernünftigen Freiheit und Gerechtigkeit dienen konnte, ist wieder zerstört. Die militärische Regierung ist mit dem eisernsten Zwange wieder eingeführt; alle Wahlen sind so gut, als aufgehoben; die Juries, als das letzte Palladium der Freiheit, sind vernichtet: und damit die emporstrebende Vernunft der Despotie keine Streiche spiele, ist durch eine gemessene Erziehung sehr klug jeder liberalere Forschergeist in Philosophie und Naturrecht verbannt. Ob Bonaparte mit seinem Anhang dabei die menschliche Natur ganz richtig berechnet habe, ist sehr zu bezweifeln. Mir selbst ist es ziemlich klar, daß er auf diesem Wege das alte Herrschersystem mit seinem ganzen Unwesen wieder gründen wird, oder eine neue Revolution notwendig macht. Tertium non datur. Die Folge für die Humanität ist dabei leicht zu berechnen. Er hätte ein Heiland eines großen Teils der Menschheit werden können, und begnügt sich, der erste wiedergeborne Sohn der römischen Kirche zu sein. Er läßt sich halten, wo er hätte stehen können. Er hat eine lichtvolle Ewigkeit gegen das glänzende Meteor eines Herbstabends, Ehre gegen Ruhm ausgetauscht. Noch ist er zwar nicht bis zu Dionysens Nußschale und Pferdehaar gekommen; aber die Umschanzung von seinen Söldlingen und Trabanten zeigt hinlänglich von der unsichern Angst, welche das System notwendig macht.

In der Postkutsche von Mainz hierher war ein Gewimmel von Menschen, und einige segneten sich wirklich ganz laut, daß sie aus der vermaledeiten Freiheit einmal heraus wären, in der man sie blutig so sklavisch behandle. Dies waren ihre eigenen Ausdrücke. Und doch waren sie mit ihrem ganzen Vermögen noch jenseits des Rheins in der Freiheit. Vor Hochheim wandelte ich in Gesellschaft eines Spaziergängers der Gegend, wie es schien, den Berg herauf. Der Mann nahm mit vielem Murrsinn von der ersten muntern hübschen Erntearbeiterin im Felde Gelegenheit, eine furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu halten, hatte aber ganz das Ansehen, als ob er der Misogyn nicht immer gewesen wäre und nicht immer bleiben würde: denn alles Übertriebene hält nicht lange. Er nahm seine Beispiele nicht bloß von den Linden weg und aus dem Egalitätspalaste, und mußte tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem Geschlecht verflochten sein. Er machte mit lebhaftem Kolorit ein Gemälde, gegen welches Juvenals lassata viris noch eine Vestalin war; und ich war froh, als mich der Wagen auf der Ebene wieder einholte und ich wieder einsteigen konnte. Du weißt, ich habe eben nicht Ursache, geflissentlich den Enkomiasten der Damen zu machen; indessen muß man ihnen doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie – nicht schlimmer sind als die Männer: und die meisten ihrer Sünden leiden vielleicht noch etwas mehr Apologie als die Sottisen unseres Geschlechts.

Frankfurt muß, dem Anschein nach, durch den Krieg weit mehr gewonnen als verloren haben. Der Verlust war öffentlich und momentan; der Gewinn ging fast durch alle Klassen und war dauernd. Es ist überall Wohlstand und Vorrat; man bauet und bessert und erweitert von allen Seiten: und die ganze Gegend rund umher ist wie ein Paradies; besonders nach Offenbach hinüber. Man glaubt in Oberitalien zu sein. Unser Leipzig kann sich nicht wohl mit ihm messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.

Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten genug von der Messe mitbringen. Ich besuchte nur einige alte Bekannte und machte einige neue. Wenn ich ein Kerl mit der Börse à mon aise wäre, würde ich vermutlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wählen. Es ist eine Mittelstadt, die gerade genug Genuß des Lebens gibt für Leib und Seele, um nicht zu fasten und sich nicht zu übersättigen. Im Fall eines Krieges mit den Franzosen liegt es freilich schlimm: die Herren können alle Nächte eine Promenade von Mainz herüber machen, den Morgen hier zum Frühstück und zum Abendbrote wieder zu Hause sein.

Bei der Frau von Laroche in Offenbach traf ich den alten Grafen Metternich, wenn ich nicht irre, den Vater des kaiserlichen Gesandten in Dresden. Er war ehemals Minister in den Niederlanden; und nie habe ich einen Mann von öffentlichem Charakter gesehen, zu dem ich in so kurzer Zeit ein so großes reines Zutrauen gefaßt hätte: so sehr trägt sein Gesicht und sein Benehmen den Abdruck der festen Redlichkeit mit der feinsten Humanität.


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