Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Agrigent

Siehst Du, so weit bin ich nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bei dem allen nicht jedermanns Sache sein mag. Von hier nach Syrakus habe ich nichts zu tun, als an der südlichsten Küste hinzustreichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn ich nun ein echter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so würde ich mich ärgern: denn ich habe viel versehen. Ich wollte nämlich von Palermo über Trapani, Alcamo und Sciakka gehen, um in Segeste und Selinunt die Altertümer zu sehen, die noch dort sind. Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn ich mich recht erinnere; und der Tempel von Segeste wäre doch wohl eine so kleine Abschweifung wert. Ich wohnte in Palermo mit einem neapolitanischen Offizier, einem Herrn Canella aus Girgenti, zusammen, mit dem ich ein langes und breites darüber sprach; und dieser hatte die Güte mir einen Mauleseltreiber aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu besorgen. Nun denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit keiner Silbe daran, und glaube der Kerl wird mich gerade an den Eryx bringen. Ich setze mich auf und reite in der größten Andacht, in welcher ich meine Orangen nach und nach aufzehre, wohl zwei Stunden fort, als mir einfällt, daß ich doch zu weit links von der See abkomme. Der Eseltreiber versicherte mich aber sehr ehrlich, das sei der rechte gewöhnliche Weg nach Agrigent. Ich bin wieder einige Millien zufrieden. Endlich kommen wir bei Bei Frati an, und ich finde mich zu sehr mitten in der Insel. Nun orientierte und erklärte ich mich, und da kam denn zum Vorschein, daß sich der Eseltreiber den Henker um meine Promenade bekümmert hatte, und mit mir gerade den alten römischen Weg durch die Insel geritten war. Was war zu tun? Rechts einlenken? Da war eine ganze Welt voll Berge zu durchstechen, und Niemand wollte den Weg wissen: und das Menschenkind verlangte nicht mehr als sechs goldene Unzen, um nach Palermo zurück und den andern Weg zu machen. Das war meiner Börse zuviel: ich entschloß mich also mit etwas Griesgrämlichkeit nun so fort zu reiten, und die erycinische Göttin andern zu überlassen, die vielleicht auch ihren Wert besser zu würdigen verstehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die Bagarie den Weg nach Termini, und stachen dann erst rechts ab. Die Partien sind angenehm und könnten noch angenehmer sein, wenn die Leute etwas fleißiger wären. Sowie man sich von der Hauptstadt entfernt, wird es ziemlich wild. Wir kamen durch einige ziemlich unbeträchtliche Örter, und der Abfall der Kultur und des äußerlichen Wohlstandes war ziemlich grell. Alles war weit teurer, als in der Hauptstadt, nur nicht die Apfelsinen, an denen ich mich erholte und von denen ich mein Magazin nicht leer werden ließ. Nicht weit von Bei Frati blieb uns rechts auf der Anhöhe ein altes Schloß liegen, das man Torre di Diana nannte, und wo die Sarazenen ehemals mit den Christen viel Grausamkeit getrieben haben sollen. Es war mir noch zu zeitig bei den schönen Brüdern zu bleiben, zumal da das Wirtshaus geradezu der Revers des Namens war; wir ritten also ungefähr fünf Millien weiter an ein anderes. Hier war auch nicht ein Stückchen Brot, auch nicht einmal Makkaronen zu haben. Wir ritten also wieder weiter; mein Eseltreiber und noch ein armer Teufel, der sich angeschlossen hatte, fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war es auch wohl zufrieden, als wir endlich ziemlich spät in Sankt Joseph nicht weit von einem Flusse ankamen, dessen Namen ich vergessen habe.

Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber aus allen Teilen der Insel, und doch wenigstens Makkaronen. Aus Vorsicht hatte ich für mich in Palermo Brot gekauft, das beste und schönste, das ich je gesehen und gegessen habe. Hier war es mir eine Wohltat, und ich selbst konnte damit den Wohltäter machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein Kranker war, segneten die fremde Hülfe: denn das wenige Brot, das sie selbst hatten, war sehr schlecht. Ist das nicht eine Blasphemie in Sizilien, das ehemals eine Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte meinen Unwillen kaum bergen.

Einen lustigen Streit gab es zum Desert der Makkaronen. Die Eseltreiber hatten mir abgelauert, daß ich wohl ihre Altertümer mit besuchen wollte, wie sich denn dieses in Sizilien einem Fremden sehr leicht abmerken läßt. Da erhob sich ein Zwist unter den edelmütigen Hippophorben über die Vorzüge ihrer Vaterstädte in Rücksicht der Altertümer. Der Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und die Wunder und das Alter seiner Stadt; der Eseltreiber von Syrakus sein Theater, seine Steinbrüche und sein Ohr; der Eseltreiber von Alcamo sein Segeste und der Eseltreiber von Palermo hörte königlich zu und sagte – nichts. Ihr könnt euch auch groß machen, sagte der Treiber von Katanien zu dem Treiber von Alcamo, mit eurem Margarethentempelchen, der nicht einmal euer ist, und fing nun an auch die Altertümer seiner Vaterstadt, als der ältesten Universität der Erde, herauszustreichen, wobei er den Alcibiades nicht vergaß der in ihrem Theater geredet habe. Du mußt wissen, Margarethe heißt bei den Siziliern durchaus ein gefälliges, feiles Mädchen: das war für die Mutter des ehrsamen Mannes der Aeneide kein sonderlicher Weihrauch. Ohne mein Erinnern siehst Du hieraus, daß die sizilischen Mauleseltreiber sehr starke Antiquare sind, ob sie die Sache gleich nicht immer außerordentlich genaunehmen: denn der Agrigentiner rechnete den benachbarten Makaluba zu den Altertümern seiner Vaterstadt, ohne daß seine Gegner protestierten; und hätte der Streit länger gedauert, so hätte der Katanier vielleicht den Aetna auch mit aufgezählt.

Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumarren, einen heillosen Weg, unter sehr schlechtem Wetter. Nie habe ich eine solche Armut gesehen, und nie habe ich mir sie nur so entsetzlich denken können. Die Insel sieht im Innern furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber das Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so schrecklich gesehen habe. Zu Mittage war im Wirtshause durchaus kein Stückchen Brot zu haben. Die Bettler kamen in den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die römischen auf der Treppe des spanischen Platzes noch Wohlhabenheit sind: sie bettelten nicht, sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur mit Blicken flehend in stummer Erwartung an der Türe. Erst küßte man das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden, und hätte in diesem Augenblicke alle sizilische Barone und Äbte mit den Ministern an ihrer Spitze ohne Barmherzigkeit vor die Kartätsche stellen können. Es ist heillos. Den Abend blieb ich in Fontana Fredda, wo ich, nach dem Namen zu urteilen, recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die Quelle ist so vernachlässiget, daß mir der Wein sehr willkommen war. Ich mußte hier für ein Paar junge Tauben, das einzige was man finden konnte, acht Karlin, ungefähr einen Taler nach unserm Gelde, bezahlen; da ich doch mit den ewigen Makkaronen mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das beste war hier ein großer, schöner, herrlicher Orangengarten, wo ich aussuchen und pflücken konnte, soviel ich Lust hatte, ohne daß es die Rechnung vermehrt hätte, und wo ich die köstlichsten, hochglühenden Früchte, von der Größe einer kleinen Melone fand. Gegenüber hängt das alte Sutera traurig an einem Felsen, und Kampo Franco von der andern Seite. Das Tal ist ein wahrer Hesperidengarten, und die Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich keinen Fuß vor die Tür setzen konnte: denn ich kann doch nicht helfen, wenn ich auch alle Taschen leerte und mich ihnen gleich machte.

Der Fluß ohne Brücke, über den ich in einem Strich von ungefähr drei deutschen Meilen wohl fünfzehn Mal hatte reiten müssen, weil der Weg bald diesseits bald jenseits gehet, ward diesen Morgen ziemlich groß; und das letzte Mal kamen zwei starke cyklopische Kerle, die mich mit Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus bis aufs Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, trugen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen, und suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Verdienst recht groß zu machen: ich hätte gerade zu Fuße durchgehen wollen, und wäre nicht schlimmer daran gewesen, als am Ende der pontinischen Sümpfe vor Terracina. Ihre Forderung war unverschämt, und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich möchte sie lieber willig geben, damit sie nicht bösartig würden. Sie sollen sich sonst kein Gewissen daraus machen, jemand mit dem Messer oder dem Gewehrlauf, oder geradezu mit dem Knittel, in eine andere Welt zu liefern. Die Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten nicht weiter. Der Fluß geht nun rechts durch die Gebirge in die See. Ich habe seinen eigentlichen Namen nicht gefaßt; man nannte ihn bald so, bald anders, nach der Gegend; am häufigsten nannten ihn die Einwohner Fiume di San Pietro. Von nun an war die Gegend bis hierher nach Agrigent abwechselnd sehr schön und fruchtbar, und auch noch leidlich bearbeitet. Nur um den Makaluba, den ich rechts von dem Wege ab aufsuchte, ist sie etwas mager.

Ich will Dir sagen, wie ich den Berg, oder vielmehr das Hügelchen fand. Seine Höhe ist sehr unbeträchtlich, und sein ganzer Umfang ungefähr eine kleine Viertelstunde. Rundumher sind in einer Entfernung von einigen Stunden ziemlich hohe Berge, so daß ich die vulkanische Erscheinung Anfangs für Quellwasser von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beitragen; aber sie sind wohl nicht die einzige Ursache. Die Höhe des Orts ist verhältnismäßig doch zu groß, und es gibt rundumher viel tiefere Gegenden, die auch wirklich Wasser halten. Am wenigsten ließe sich seine periodische Wut erklären. Wo ich hinaufstieg, fand ich einen einzelnen, drei Ellen hohen Kegel aus einer Masse von Ton und Sand, dessen Spitze oben eine Öffnung hatte, aus welcher die Masse immer herausquoll und herabfloß, und so den Kegel vergrößerte. Auf der Höhe des Hügels waren sechs größere Öffnungen, aus denen beständig eben dieselbe Masse hervordrang; ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse flüssiger war. Ich stieß in einige meinen Knotenstock gerade hinein, und fand keinen Grund; sowie ich aber nur die Seiten berührte, war der Boden hart. In der Mitte, und ziemlich auf der größten Höhe desselben, war die größte Öffnung, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil der Boden nicht trug, und ich befürchten mußte, zu versinken. Zuweilen, wenn es anhaltend sehr warm und trocken ist, soll man auch zu diesem Trichter sehr leicht kommen können. Ich sah der Öffnungen rundumher, größere und kleinere, ungefähr dreißig. Einige waren so klein, daß sie nur ganz kleine Bläschen in Ringelchen ausstießen, und ich konnte meinen Stock nur mit Widerstand etwas hineinzwingen. Die Ausbrüche und die Regenstürme ändern das Ansehen des Makaluba beständig; er ist daher noch etwas wandelbarer, als seine größern Herren Vettern. Ihm gegenüber liegt, in einer Entfernung von ungefähr zwei Stunden, auf einer beträchtlichen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich hübsch aussieht, und, wenn ich nicht irre, Ravonna heißt. Die Einwohner dieses Orts und einiger naheliegenden kleinen Dörfer wurden, wie man erzählte, vor drei Wochen sehr in Schrecken gesetzt, weil der Zwergberg anfing, inwendig gewaltig zu brummen und zu lärmen. Es ist aber diesmal bei dem Brummen geblieben. Von dem Diminutiv-Vulkan bis hierher sind ungefähr noch acht Millien durch eine ziemlich rauhe Gegend über mehrere Berge.


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