Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Ankona

Von Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege in der Niedrigung durch eine sehr wasserreiche Gegend immer nach Rimini herunter. Bloß von Bologna bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse. Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneit waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gesehen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerei und zog in bunten Gruppen in den Straßen herum. Nur hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Männer und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu. Meine Erscheinung mochte für die Leute freilich etwas hyperboreisch sein; eine solide polnische Kleidung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein großer, schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmal war ich von einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche Bocksprünge um mich herum machte. Die ernsthaften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit; einen genialischen Aufzug dieser Art kann man freilich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Maskenfratze vor mich hin und hielt mir ein Barbierbecken unter die Nase, das Don Quixotte sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein anderes Bocksgesicht setzte sich hinter mich, um von seinem Attribut der Klistierspritze Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von halb Imola vor, als ich den Klistierspritzenkerl mit einer Schwenkung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch nach ihm hinschwang und meine Personalität etwas aus dem Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück muß ich Dir sagen, daß mein Bart wirklich über drei Tage lang war und daß ich von den dortigen roten Weinen, an die ich nicht gewöhnt war, mich in einer Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge zerstreute sich lachend, und ein ziemlich wohlgekleideter Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte mich durch einige Straßen in die Hölle, Nummer Fünfe. Das war nun freilich kein erbaulicher Name; indessen ich war ziemlich müde und wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch einmal durch das Getümmel laufen, um ein besseres Wirtshaus zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der Hölle. Nachdem ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu dem Haufen; und nun muß ich den Farcenspielern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie sich, soweit es ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich und anständig betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich in drei verschiedenen Sprachen, in der deutschen, französischen und italienischen, anredete, verließ mich mit seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige französische Offiziere mich von ihm retteten und mit mir in ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste Tummelplatz der Maskierten, die in hundert lächerlichen Aufzügen und Gruppierungen mit und ohne Musik auf und nieder liefen. Ein siedend heißer politischer Imolait schloß sich an mich an und führte das Gespräch durch verschiedene Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich, wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der Wahrheit gemäß, ganz ruhig. On les a bien forcé à coups de bayonnettes à être en repos; sagte er. Apparemment; sagte ich. – C'est toujours la meilleure manière de disposer les gens à se conformer à la raison. – Mais oui, entgegnete ich, après en avoir essayé les autres. pourvù toute fois, qu'il y ait de la raison et de la justice au fond de l'affaire. – Est-ce que vous en doutes pour la notre? – On e peut pas repondre à cela en deux mots. Nun wollte er eine Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich entschuldigte mich mit meiner alten Formel: Quand on commence, il faut toujours commencer par le commencement; da würde sich denn ergeben das alte Iliacos intra muros peccatur et extra. Der Abend rief mich zum Essen und zur Ruhe, und wir schieden recht freundschaftlich, indem er meinte: Wenn es auf uns beide angekommen wäre, würde wohl kein Krieg entstanden sein. Das glaubte ich wenigstens für mich auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die Hölle Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum Papst bilden kann?

In Faenza sah ich die erste französische Wachparade, und in Forli nichts. Nicht eben, als ob da nichts zu sehen wäre: Antiquare und Künstler finden daselbst reichliche Unterhaltung für ihre Lieblingsfächer. Aber ich dachte weder an alte noch neue Kriege und zog gerades Weges ins Wirtshaus, das Hotel de Naples. Auf mein Italienisch war man nicht außerordentlich höflich, vermutlich, weil es nicht sonderlich gut war. Ne pourrai je pas parler au maître de la maison? fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen Tornister abwarf. Auf einmal war alles freundlich, und alles war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte so oder so wirken können, nachdem man sie hier oder da sagt. In Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen Herren etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir über mich mit lautem Gelächter etwas zu erlustigen. Qu'est ce qu'il y a là, Messieurs? fragte ich mit einer enrhumierten rauhen Stimme. Niente, Signore, war die Antwort; und alles trat still in eine bescheidene Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten können. Ich fand in dem Hotel de Naples zwei Kaufleute und drei Schiffer; der Kellner war ein jovialischer Mensch; man begrüßte mich in einer Minute zehn Mal mit dem Prädikate cittadino, gab mir den Ehrenplatz und fütterte mich à qui mieux mit den besten Gerichten. Es machte keinen Unterschied als man nun erfuhr, ich sei ein Deutscher; so sehr bestimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung. Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stürmisch war, um den Kamin her, machten einen traulichen, freundlichen Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen allerliebsten Jungen, der wie ein Toast der Gesellschaft von den Knieen des Einen zu den Knien des Andern ging.

Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten Forum Pompilii, und die Trümmer einer Brücke, welche auch alt zu sein scheint. Ich sah von allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das bei den Italienern für etwas sehr schönes gilt; das kann aber nur in dieser Gegend sein. Das fürchterlich schlechte Wetter hielt mich in Cesena, da ich doch nur von Forli gekommen war, und also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde ich von dem Wirt mit einer gewissen kalten Förmlichkeit aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich ärmliches Zimmer hinten hinausgeführt. Ich hatte weiter nichts dawider. Nachdem wir aber eine Stunde zusammen geplaudert hatten, ich in einem Intermezzo des Regens etwas ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu besuchen, und wieder zurückkam, fand ich meine Sachen umquartiert und mich in ein recht schönes Zimmer vorn heraus versetzt. Die Wirtin machte die Erklärung: Man habe mich für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität logiert würde: nun pflegte die Munizipalität seit langer Zeit für die zugeschickten Gäste gar nichts mehr zu bezahlen: man könnte es also nicht übel deuten, daß sie auf diese Weise so wohlfeil als möglich durchzukommen suche. Aber ein Galantuomo, wie ich, müsse mit Anstand bedient werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als man in Ehren nur verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er bedauerte, daß es Friede sei und der Schleichhandel nun nicht mehr so viel eintrage: das sagte er nämlich, ohne sich sehr verblümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute Bewirtung außerordentlich billig. Cesena ist übrigens eine alte, sehr verfallene Stadt, und der aufgepflanzte Freiheitsbaum machte unter den halbverschütteten Häusern des fast leeren Marktes eine traurige Figur. Pius der Sechste muß für seine Vaterstadt nicht viel getan haben: es würde ihm weit rühmlicher sein, als der verunglückte Palast für seinen verdienstlosen Nepoten.

Vor Savignano ging ich, nicht wie Cäsar, über den Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten entscheidenden Schritt getan, die sonderbare Freiheit seines Vaterlandes zu zertrümmern, als er als Despot des neu eroberten Galliens zurückkehrte. Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Haß verdienen. Ich erinnere mich, daß es mir in einem solchen moralischen Kampfe einmal entfuhr, Cäsar sei der liebenswürdigste Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Äußerung hätte mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät aller Monarchen zugezogen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Brutus sei eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz Liebenswürdigkeit. So, so; bien vous fasse! Ihr seid es wert, Cäsarn mit seiner ganzen Sippschaft und liebenswürdigen Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben; ob ich es gleich nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus durchaus zu verteidigen. Also hier gingen wir beide über den Rubikon, Cäsar und ich: haben aber übrigens beide nichts miteinander gemein, als daß wir – nach Rimini gingen.

In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten, die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen. Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem Speisehause. Er besah mich ganz mißtrauisch, schaute nach meinem Hute und da er rund herum keine Kokarde entdeckte, ward sein Ansehen etwas grimmig und er schickte mich mit der höflichen Formel weiter: Andate al diavolo! Das war die Kehrseite von Cesena. So gehts zu Revolutionszeiten: für das nämliche wirst Du hier gepflegt, dort beschimpft; glücklich wenns nicht weiter geht.

In Rimini schlief ich gewiß ruhiger, als der mächtige Julius nach seinem Übergange und dem geworfenen Würfel geschlafen haben mag. Vor der Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem Platze della Fontana steht der heilige Gaudentius von Bronze, der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul, ich weiß nicht welcher, hat hier ein Monument für eine Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen ließ. Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der wichtigsten Werke und für eine der größten Wohltaten; und hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht schöne wohltätige Wasserleitung bauet, kann man ihm fast vergeben, daß er Papst ist. Auf dem andern Platze stand der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L'Union des François et des Cisalpins. Aber welche Union! Das mag der heilige Bartholomäus in Mailand sagen.

Wenn ich nun ein ordentlicher, systematischer Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hinauf auf die Berge gehen sollen, um die selige Republik Sankt Marino zu besuchen; zumal, da ich eine kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn sie auch nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini den Meister gespielt: deswegen gingen die rechtgläubigen Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika und verewigten ihre mutige Flucht durch den Namen des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer großen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu Katholika: ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzuschreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereien. In Pesaro, wo ich beiläufig die erste Handvoll päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? Bei mir, antwortete er. Sehr wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein Wundarzt für alte Schuhe zu sein. Nun fragte er mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner Weisheit anheim, und er tat sein Möglichstes mich zufrieden zu stellen, ging aus und brachte Viktualien, machte selbst den Koch und holte zweierlei Wein. Das war von nun an oft der Fall, daß der Herr Wirt sich hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete und ich ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz leise, daß die gottlosen Franzosen vier der schönsten Gemälde von hier mit weggenommen haben. Als ich den andern Morgen im Kaffeehause saß und mein Frühstück verzehrte, ließen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein Vetturino war nun ein echter Orthodox, der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stoßgebetchen sagte, seine Messe brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequenteste halten: denn solche Seelen können nicht fortleben.


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