Wir alle sind hoffende Toren hinieden,
Noch keiner hat törichte Hoffnung gemieden;
Doch ein Pärchen gedieh im hesperischen Land
Vor andern »die hoffenden Toren« genannt.
Sie hatten die Hoffnung zur Freundin erkoren
Und gaben nicht feige so früh sich verloren:
Sie hofften, es kehre der einzige Sohn,
Sie erhofften seit dreißig Jahren ihn schon.
Er verhieß, da hinaus in den Krieg er gezogen,
Zurückzukehren: wie hätt' er gelogen?
Nicht kehrt das geliebte, verheißene Kind;
Doch hoffen sie: Hoffnung und Liebe sind blind.
Schon greisen den Alten die bräunlichen Locken,
Noch hoffen sie, hoffen noch fort unerschrocken,
Noch ohne zu zweifeln vertraun sie dem Glück,
Es führe den Sohn, den geliebten, zurück.
»Und kam er nicht heute, so kommt er uns morgen
Nur desto gewisser, was sollten wir sorgen?
Wir wollen zum Berg in der Frühe nur gehn,
Da können wir ferne den Kommenden sehn.«
Sie gehen zum Berge, sie spähen, sie schauen
Hinab in die Täler, hinaus in die Auen,
Und wandert ein Wandrer des Weges daher,
So ist es Lysander, der Wandrer ist er.
War's dennoch ein andrer, so wandern noch viele,
So erkiest sich ihr Blick einen andern zum Ziele.
Und versinkt der vergebene Tag in der Nacht,
Doch ward er in seliger Hoffnung verbracht.
So hoffen sie täglich von Jahre zu Jahre,
Bis endlich versagen die Kräfte dem Paare;
Die Hoffnung versagt nicht, die Hoffnung gewährt,
Ob das Alter den Berg zu ersteigen erschwert.
Da lehrt sie die Hoffnung, nicht zage zu wimmern,
Auf dem Gipfel des Berges die Hütte zu zimmern:
Nun mögen sie schauen hinab in das Tal
Bei der Sonne des Tags wie beim mondlichen Strahl.
So halten sie fest den beglückenden Glauben
Und lassen nicht Spott und nicht Hohn sich ihn rauben:
Einst wird noch die Weisheit der Weisen zunicht,
Wenn der Sohn um die Eltern die Arme nun flicht.
Wie viele sie hoffende Toren auch schelten –
Empfindende Herzen begegnen so selten;
Doch begegnete eins: ein begüterter Mann
Auf den Berg einen Tempel zu bauen begann.
Er hatte die trefflichsten Meister berufen,
Die bauten ihn prächtig mit Säulen und Stufen.
Er schonte nicht Kosten, nicht Mühe noch Zeit:
Bald wurde der Tempel der Hoffnung geweiht.
Sie aber, die fest an der Hoffnung gehalten,
Sie setzt' er zu Dienern des Tempels, die Alten:
Sie hatten kein priesterlich Amt zu begehn,
Als hoffend hinaus in die Ferne zu sehn.
Sie durften sich anderer Sorgen entschlagen,
So Kleidung als Speise ward ihnen getragen,
Und täglich erkundet der Bote dabei
Ob noch ihr Lysander gekommen nicht sei?
Sie sprachen: »Wir danken dem Herren der Güte
Und hoffen, daß Gott ihn im Himmel behüte:
Lysander ist heute gewiß nicht mehr fern,
Wir melden wohl morgen sein Kommen dem Herrn.
Und wolltet Ihr hier nur ein Stündchen noch weilen,
Wir könnten wohl heut den Bescheid noch erteilen,
Gekommen sei endlich der treffliche Sohn;
Doch eilet Ihr immer so frühe davon.«
Da lächelt der Bote und schwingt sich zu Pferde:
»Sah größere Toren doch nimmer die Erde!
Wer weiß, wo Lysander den Boden nun düngt;
Doch hoffet nur, hoffet, die Hoffnung verjüngt.«
So spricht er auch heute und reitet die Straße
Nach Hause gemächlich, er bleibt bei dem Maße:
Kein liebendes Herz, das daheim ihn erharrt –
Nicht hoffen, nicht glauben, solch Leben ist hart.
Schon naht er dem leeren, verödeten Hause,
Da hört er ein Keuchen, ein Atemgesause:
Ein ermüdeter Pilger beflügelt den Schritt;
Der ergreift ihm den Zaum und gehemmt ist der Ritt.
»Bei allem, was heilig ist, helfet mir weiter,«
Bei der seligsten Jungfrau beschwört er den Reiter,
Die Sprache versagt ihm: »O Freund in der Not,
Euer Pferd mir; das dritte schon jagt' ich zu Tod.
Und kann ich nicht heute zum Ziele gelangen,
So sind mir umsonst so viel Jahre vergangen,
Freund, vierzig Gefangenschaftsjahre der Pein:
Die laßt Euch bewegen, das Pferd mir zu leihn.« –
»Ja, daß ich ein Narr wär', das Pferd zu entbehren,
Nur daß sich die Krähn und die Raben ernähren.
Und habt Ihr gewartet ins vierzigste Jahr,
So könnt Ihr bis morgen auch warten fürwahr.« –
»Zu spät ist es morgen, das sagt mir die Ahnung,
Auch vernahm ich in Träumen die dringendste Mahnung:
Und tret' ich nicht heute den Eltern ins Haus,
So trägt man sie morgen vielleicht schon hinaus.«
»Und wärt Ihr der hoffenden Toren Lysander
(Wahrhaftig, ihr paßtet nicht schlecht zueinander)
Doch möcht' ich« – »Ich bin ja Lysander, ich bin's;
Die Börse wohl macht Euch noch anderes Sinns.«
»Das konnt' ich nicht denken – die schweren Zechinen –
Ja seid Ihr Lysander, da muß ich Euch dienen:
Dies Roß ist das Eure, ein anderes steht
Hierneben im Stalle, das besser noch geht.«
Ab sitzt er, dem andern den Sattel zu räumen;
Schon sprengt er hinweg mit verstatteten Zäumen.
»Der Törichte,« murmelt der Bot' in den Bart,
»Was wählt' er das schlechtere Roß zu der Fahrt?
Und besser ist jenes um mehr als ein Drittel:
Der Junge gehört zu den Alten ins Spittel.
Die hoffenden Toren! Zwar – was man doch spricht!
Sie waren am Ende so töricht noch nicht.
Da ist ja nun wirklich der Junge gekommen,
Es erfüllt sich die törichte Hoffnung der Frommen.
So komm' ich beiläufig wohl gar um mein Amt,
Zu fragen und Speise zu bringen – verdammt!
Doch sieh, was mag wohl die Röte bedeuten
Am dunkelnden Himmel? Die Glocken auch läuten –
Bei Gott, ich verliere noch heut den Verstand:
Das Tempelchen sicherlich lodert in Brand.
So hätte die Hoffnung euch dennoch betrogen,
Da schon euch so nahe der Sohn war gezogen?
Mich soll es nicht kümmern, ich gehe nach Haus,
Und morgen zum letztenmal reit' ich hinaus.«
Am Morgen, da bringt er die Speise getragen:
Was sieht er? Er siehet den Tempel noch ragen,
Hochzeitlich bekränzt und mit Kronen geschmückt,
Und im Arme des Sohnes die Eltern beglückt.
Das Feuer, es war nur ein Feuer der Freude,
Vom Volke gezündet unweit dem Gebäude;
Die Glocken, sie klangen mit stürmendem Ton
Nur, endlich gekehrt sei den Eltern der Sohn.
Sie klangen und klingen noch hoffenden Toren:
Nur nimmer den Mut und die Hoffnung verloren!
Sie klingen und klangen Jahrhunderte schon
Verzagenden Toren Beschämung und Hohn. |