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Sechstes Kapitel.

Marie war es nicht einen Moment zweifelhaft, daß diese Begegnung kein Zufall sei. Augenscheinlich glaubte auch Anne nicht an den Zufall: bei der Begrüßung des jungen Mannes hatte ein spöttisches Lächeln um ihre Lippen gezuckt. Reginald war das nicht entgangen. Seine hellen Augen blickten verlegen drein; dann hatte er sich sofort wieder gefaßt und erzählte nun, während er neben dem langsam fahrenden Wagen ritt, mit vieler Geläufigkeit: sein Dienst in der Kaserne sei schneller, als er geglaubt, beendet gewesen. Er sei nach Hause geeilt – das heißt: in den Stall, – im Hause selbst sei er gar nicht gewesen, – und habe den Robin satteln lassen, um denselben, der seit vorgestern stehe, einmal zu »bewegen«.

Nun, meine Damen, rief er, dem Rappen den nassen Hals klopfend, und Sie sehen, das habe ich denn gründlich gethan. Aber Robin wollte es nicht anders: abtraben war nicht; er that es nicht unter Galopp. So habe ich ihn denn schon zweimal durch den ganzen Tiergarten laufen lassen und wollte eben nach dem Hippodrom, als ich hier zu meiner Verwunderung die Damen treffe. Ruhig, Robin!

Anne lächelte abermals; Marie bemerkte wohl, daß das Lächeln kein unfreundliches war. Das mochte bloße Mädcheneitelkeit sein, die es nicht über das Herz bringt, die Huldigung des ersten besten jungen Mannes zurückzuweisen, trotzdem man sich über die jungen Männer im allgemeinen eben noch so grausam ausgesprochen. Oder vielleicht war auch diese Grausamkeit aus einer Quelle geflossen, die verräterisch in dem triumphierenden Lächeln aufblinkte. Dann aber hatte die Mutter zum andernmal recht gehabt; und es bedurfte auch hier der hilfreichen Vermittlerin nicht. Desto besser! So blieben ihre Hände völlig rein.

Sie hatte sich in ihrer Ecke zurückgelehnt, schweigend dem Geplauder der beiden zuhörend, das um Reginalds Robin im besonderen und Pferde im allgemeinen lief.

Es ist ein stolzes Tier, Ihr Robin, sagte Anne; und für eure Verhältnisse auch wohl brauchbar. Bei uns drüben – im Westen: in Kalifornien, Kansas ist es keine fünfzig Dollars wert.

Oho! rief Reginald.

Auf mein Wort! Wir brauchen Dauerpferde, wie unsre Mustangs, die von Sonnenauf- bis Untergang traben, ohne sich zu verschnaufen; Tag und Nacht unter dem Sattel bleiben, ohne abzufallen, und für die kein Gebirge zu steil, keine Ebene zu breit, kein Fluß zu tief ist, von Gräben und Hecken gar nicht zu sprechen. Sie bringen Ihren Robin nicht über den Baumstamm da.

Halt! rief Reginald dem Kutscher zu.

Rechts vom Wege, schon nahe an der Charlottenburger Chaussee, lag auf einer Waldblöße eine mächtiges Stück von dem Stamm einer Pappel, das man zu irgend einem Zweck vom letzten Winter her hier hatte liegen lassen. Der Kloben mochte gut seine fünf Fuß im Durchmesser haben; und da die Lichtung sehr klein war, konnte man für den Anlauf nur auf ein paar Galoppsprünge rechnen. Reginald war, sobald der Kutscher hielt, über den unbedeutenden Graben gesetzt, der die Fahrstraße vom Walde schied, hatte gegen den Stamm Front gemacht und, ohne die Sporen zu gebrauchen, Robin nur mit leisem Zuruf anfeuernd, das mächtige Hindernis wie im Spiel genommen.

Bravo! rief Anne, als Reginald nun wieder neben dem Wagen war; weshalb haben Sie nicht gewettet?

Ich pflege nicht zu wetten, wenn ich meiner Sache sicher bin; erwiderte Reginald, dem der Stolz auf sein gelungenes Reiterstück aus den Augen leuchtete.

Reginald gilt für einen der besten Reiter der Armee, sagte Marie, sich sofort der in der Familie stereotypen Phrase schämend. Was hatte sie nötig das Feuer zu schüren?

Das denn auch ohne ihre Hilfe lustig weiter flackerte in dem Geplauder des schönen Mädchens neben ihr und des hübschen Bruders an der Wagenseite. Das war der Reginald, den sie kannte: der muntere, nicht immer geistreiche, aber niemals um Worte verlegene, stets von sich überzeugte, anerkannte Liebling der Damen. Aber war dies – die lachende witzige Plauderin – noch die Anne von vorhin: das grübelnde, in seinem Inneren wühlende, Welt und Menschen mit bitterer Skepsis urteilende, verurteilende Mädchen, in welchem sie doch auch schon die stolze Ballkönigin von gestern abend kaum wieder erkannt hatte? Wie viele Seiten hatte denn dieses seltsame Wesen? Wo steckte der Kern? Oder war keiner in der glänzenden Hülle? Die glänzende Hülle ebenso trügerisch, wie die liebenswürdige, durch die sie gestern abend, als Ralph Curtis an ihrer Seite saß, das Wesen eines Mannes glaubte durchleuchten zu sehen, der keine andern Empfindungen hegte, als zweifellos reine, und sich dann für eine Ada begeisterte?

Eine Traurigkeit, der sie sich schämte und doch nicht zu erwehren vermochte, kam über sie. Vom Himmel schien die Sonne so hell; die milddurchwärmte Erde harrte still dem Sommer entgegen; jeder Luftzug, der ihre Wange berührte, atmete hoffnungsfrohe Zuversicht; auf der Fahrstraße klingelten die übervollen Pferdebahnwagen, rasselten allerlei Fuhrwerke vorüber; auf den Promenadenwegen rechts und links begann es von Fußgängern zu wimmeln – alles freute sich des Lebens, nutzte es wenigstens zu irgend einem Zwecke und Ziele eifrig aus: an ihrer Seite das schöne Mädchen, das keinen Blick von dem schlanken Reiter verwandte, der jetzt in der Entfernung von ein paar Schritten auf dem Reitwege galoppierte und die hellen Augen verlangend und hoffnungsstrahlend auf das schöne Mädchen gerichtet hielt – und nur sie, so müßig dasitzend, ohne ein Verlangen, ohne eine Hoffnung, ohne ein Ziel, ohne einen Zweck!

Und plötzlich war ihr's, als ob eine Stimme zu ihr spräche – leise nur, wie eingeschüchtert und schier übertäubt von all dem Geräusch ringsum, doch wohl vernehmbar: – Du irrst! Da ist ein Mensch, der Dich versteht und mit Dir fühlt; der einsam und verlassen ist, wie Du, und ebensowenig in die Welt gehört, wie Du. Und der sich alle Tage nach Dir gesehnt hat, wie Du Dich nach ihm; und nun traurig ist, daß er heute wieder Dich nicht sehen soll, wie auch Du deshalb traurig bist und wähnst, Du seiest es über Dinge, die Dich nichts angehen.

Ist das nicht Mister Smith?

Wo?

Marie deutete mit bebender Hand auf einen weißhaarigen Herrn, der in der Siegesallee, die sie soeben passierten, in einiger Entfernung promenierte.

Nein, sagte Anne. Er ist es nicht. Ueberdies: Smith macht seine Spaziergänge immer erst am Abend, seitdem wir in Berlin sind. Er wird noch ganz zur Nachteule werden.

Der Wagen hielt am Eingange des Platzes vor dem Brandenburger Thor. Reginald kam wieder an den Wagen heran, sich den Damen zu empfehlen. Was die Damen noch vorhätten?

Wir wollen ein wenig shopping gehen, wenn Sie wissen, was das ist; erwiderte Anne.

Nein, sagte Reginald lachend.

Schadet auch nichts. Jedenfalls können wir Sie dabei nicht brauchen. Adieu! Und – auf Wiedersehen!

Wann?

Sie sind sehr neugierig! Irgend einmal. – Fort!

Sie winkte mit der Hand; Reginald verbeugte sich. Der Wagen setzte sich in Bewegung; Reginald warf den Robin herum und sprengte auf dem Wege, den sie gekommen, zurück.

Man war durch das Thor und fuhr die Linden herauf. Marie versuchte, die traumhafte Stimmung, in die sie geraten war, los zu werden: es wollte ihr nicht gelingen. Desto munterer war Anne. Die Begegnung mit Reginald hatte sie offenbar in die beste Laune versetzt; ihre dunklen Augen glänzten, während sie die Blicke überall umherschweifen ließ; nichts irgendwie Bemerkenswertes schien ihrer Aufmerksamkeit zu entgehen. Nur daß sie selbst die Aufmerksamkeit der zahlreich Vorübergehenden erregte, bemerkte sie nicht, oder wollte sie nicht bemerken.

Euer Berlin ist eigentlich schöner als Paris, sagte sie, und doch macht es nicht den großstädtischen Eindruck. Es fehlt an den glänzenden Equipagen der Boulevards. Droschken, nichts als Droschken! Und die Leute auf den Trottoirs sehen alle so spießbürgerlich aus, trotzdem sie sich die Miene geben zu flanieren. Die Spezies Dandy scheint bei Euch noch nicht erfunden. Dafür habt Ihr Eure Offiziere. Mein Gott, was macht Ihr nur mit all den Offizieren!

Ein Schutzmann sprengte heran und herrschte dem Kutscher zu stillzuhalten. Fast im nächsten Augenblicke kam der Kaiser in offenem Wagen, gehüllt in den langen grauen Mantel, den Adjutanten neben sich.

Anne, die dem schnell Vorüberfahrenden aufmerksam nachgeblickt hatte, wandte sich wieder zu Marie.

Ich hatte ihn noch nicht gesehen, sagte sie; aber war sehr begierig darauf: er ist ja in Euren Gesellschaften das zweite Wort. Er sieht ehrwürdig und gut aus; ich glaube, daß man ihn lieb haben muß. Und doch, wenn ich mir denke, daß in New-York ein Policeman meinen Wagen anhalten wollte, damit jemand, er sei, wer er sei, einen freien Weg habe, und dann alle Welt Front machte, den Hut in der Hand, und die Damen bis auf den Boden knixten vor jemand, der doch schließlich ein Mensch ist, wie wir – ich verstehe das nicht.

Man muß ihn eben lieb haben – Sie sagten es ja selbst; erwiderte Marie.

Es scheint so. Dennoch danke ich Gott, daß ich in einer Republik geboren bin.

Möchtest Du es damit nach Belieben halten; dachte Marie; wenn Du nur endlich die Füße herabnehmen wolltest!

Anne lag wieder in den Wagen zurückgelehnt, die kleinen Füße, von denen das modisch kurze Kleid herabgeglitten war, auf dem Vordersitz. Je weiter sie die Straße heraufgekommen waren, und die Menge auf dem Trottoir sich verdichtete, man auch wiederholt der begegnenden Fuhrwerke wegen ein langsameres Tempo einzuhalten gezwungen wurde, desto häufiger und länger weilten die Blicke der Vorübergehenden auf der interessanten Erscheinung in dem offenen Gefährt, und immer peinlicher wurde es Marie, ihre schöne junge Freundin so gleichsam zur Schau ausgestellt zu sehen.

Du bist eine Pedantin, sprach sie bei sich, – verkommen in Deiner klösterlichen Einsamkeit. Nun erscheint Dir dies alles häßlich und brutal; und ist doch nur der Lauf und das Gehaben der Welt, in der Du ein Fremdling bist.

Dennoch atmete sie, wie befreit aus einer Zwangslage, auf, als Anne plötzlich dem Kutscher zu halten befahl. Sie hatte in dem Schaufenster von Fiokati einen Rokokospiegel gesehen, der ihr gerade so für ihr Schlafzimmer zu passen schien.

Man war in den glänzenden Laden getreten. Der Besitzer brauchte den Spiegel nicht aus dem Schaufenster zu nehmen: es war das Pendant zu demselben im Laden. Anne unterzog das Prunkstück, es in beiden Händen haltend, einer genauen Prüfung, indem sie dabei Bemerkungen machte, welche sie als eine Kennerin in diesen Dingen auswiesen. Der Besitzer schmunzelte.

Ich sehe, sagte er, gnädiges Fräulein verstehen sich darauf. Sie werden auch den Preis nicht übertrieben finden, obgleich ich denselben nicht billig stellen kann.

Er nannte eine Summe, die Marie ungeheuerlich erschien. Anne, die, ohne eine Miene zu verziehen, in der Prüfung des teuren Gegenstandes fortfuhr, hatte noch ein Ornament entdeckt, dessen geistreich-vollendete Ausführung ihr ein bewunderndes Ah! abnötigte.

Nicht wahr? sagte der geschmeichelte Besitzer; es ist hors de concours. Es würde mich glücklich machen, wenn ich mein Zeigestück in solchen Händen sähe; ich meine: die beiden Stücke, da gnädigem Fräulein nicht entgangen sein kann, daß beide durchaus zusammengehören, und es eine Barbarei wäre, sie zu trennen. Ich könnte dann auch den Preis für die Pendants verhältnismäßig niedriger stellen, als für den einzelnen Spiegel.

Natürlich nehme ich beide! rief Anne. Der Besitzer lächelte.

Einer solchen Kennerin gegenüber, sagte er, wäre es unrecht, auch nur eine Mark vorzuschlagen. Ich normiere die beiden Stücke –

Die Summe war wirklich um einige Mark geringer als das Doppelte des einzelnen Spiegels.

Inzwischen hatte man das Pendant aus dem Schaufenster genommen, mit welchem Anne, es sorgsam betrachtend, sich an die große Glasfensterthür des Ladens gestellt hatte. So mochte sie den Vorübergehenden wie ein Bild in einem Rahmen erscheinen. Es waren ein paar stehen geblieben; andre traten herzu, zu sehen, wonach wohl jene sehen möchten. In wenigen Minuten hatte sich eine Ansammlung von Menschen gebildet, welche die Passage hemmte. Ein Schutzmann forderte mit barscher Stimme zum Weitergehen auf. Die Leute, welche sich in ihrem Vergnügen nicht stören lassen wollten, waren widerspenstig oder lachten; der Schutzmann ereiferte sich und machte die Sache nur noch schlimmer.

Um Himmelswillen, treten Sie von der Thür weg! sagte Marie.

Anne schaute verwundert auf; der Ladenbesitzer hatte ihr gewandt den Spiegel aus den Händen genommen, denselben tiefer in den Laden tragend; Marie setzte ihr, nach der Straße deutend, auseinander, um was sich handle; der Schutzmann hatte sich breit vor die Ladenthür gestellt als lebendige Mauer gegen den volksverführischen Anblick. Anne wollte erst zürnen; dann mußte sie lachen.

Nun wahrhaftig, sagte sie, Ihr Deutschen seid ein wunderliches Volk. Ich glaube, Ihr ruft nach der Polizei, wenn ein Junge sein Abendgebet nicht sagen will.

Sie riß ein Blatt aus ihrem Taschenbüchelchen, auf das sie eine Anweisung an den Bankier des Herrn Curtis schrieb. Der Kaufmann, der dabei ein etwas verwundertes Gesicht gemacht hatte, verbeugte sich tief, nachdem er den Namen gelesen.

Gestern war Ihr Gesandter hier im Laden, sagte er. Er hatte die Güte, mich auf das gnädige Fräulein als auf eine hoffentlich gute Kundin aufmerksam zu machen. Ich glaubte freilich nicht, daß ich so bald die Ehre haben würde.

Er begleitete die Damen auf die Straße, wo sich inzwischen die Leute verlaufen hatten, bis an den Wagen, sich dort mit abermaliger tiefer Verbeugung verabschiedend.

Nun zu Gerson! rief Anne.

Unterwegs pries sie die Billigkeit des Kaufes, den sie eben gemacht; in New-York würden die Sachen dreimal soviel gekostet haben.

Sie haben doch auch Freude an diesen Dingen? fragte sie.

Das wohl, antwortete Marie; nur verstehe ich von denselben ganz und gar nichts.

Das Wenige, das ich davon verstehe, sagte Anne, verdanke ich Smith. Ich glaube beinahe, er hat einmal mit solchen Sachen gehandelt; sonst begreife ich nicht, woher er alle seine Kenntnisse hat. Aber auch in Ihrem Hause habe ich einiges sehr Schöne derart gesehen. Wer interessiert sich denn bei Ihnen dafür?

Soviel ich weiß, niemand; erwiderte Marie. Die Sachen rühren von meinem Vater her – ans dem Stammschlosse seiner Familie, das auch in seinem Besitze war.

Und jetzt?

Meine Mutter hat die Güter samt dem Schlosse verkauft.

Schade! da wäre gewiß noch manches seltene Stück zu finden.

Man gelangte zu Gerson. Anne wollte für ihre Mutter ein Gesellschaftskleid aussuchen; in dem, welches sie sich neulich selber gewählt und auch gestern abend getragen habe, sehe sie ja geradezu lächerlich aus.

In dem Geschäft, das Anne schon wiederholt besucht hatte, beeiferte man sich, die gute Kundin zu bedienen, ihren Wünschen zuvorzukommen. Die schönsten, kostbarsten Stoffe wurden aus den Regalen genommen, auf dem Ladentische zu Bergen aufgehäuft. Anne war schwer zu befriedigen; nichts von dem Vorgelegten entsprach ihrer Absicht völlig. Unermüdlich schaffte man anderes herbei; es schien unmöglich, aus dem Wirrwarr herauszufinden. Endlich entdeckte Anne doch das Gesuchte und zeigte es triumphierend der Freundin: einen allerkostbarsten Stoff, nach dessen Preise sie nicht einmal fragte. Nun ging es nach oben in die Konfektionsräume, das Modell auszusuchen, nach welchem die Robe gearbeitet werden sollte. War die Wahl des Stoffes schon schwierig gewesen, die des passenden Schnittes schien noch schwieriger. Zu den zwei jungen Mädchen, denen die Kleider anprobiert wurden, gesellte sich eine dritte, dann noch eine vierte – prachtvolle Gestalten, mit denen Anne, sie jetzt herumdrehend, jetzt in dem Raum auf und nieder gehen heißend, dann die eine ohne weiteres stehen lassend, um sich wieder zu einer anderen zu wenden, umsprang, als ob es Puppen wären. Je länger diese lächerliche Scene währte, desto trüber wurde Marie zu Sinn. Dies alles kam ihr so unschön, so Annes unwürdig vor. Wo blieb die aus Gottes Schöpferhand hervorgegangene, mit Herrlichkeit angethane Lilie auf dem Felde, die sie gestern in Anne bewundert, angebetet hatte?

Wie gefallen Sie sich in Ihrer neuen Stellung, Fräulein? flüsterte ihr eines der jungen Mädchen im Vorüberhuschen lächelnd zu.

Marie wußte nicht, was das Mädchen meinte. Dann erkannte sie in demselben jenes, mit dem sie in Frau Curtis Vorzimmer gewartet, später die Schlafzimmerscene vor dem Spiegel durchgemacht hatte. Glücklicherweise für sie blieb dem Mädchen keine Zeit, eine Antwort auf seine Frage abzuwarten.

Endlich war auch dies überstanden. Marie atmete erleichtert auf, als die Thür zu dem Tempel der Eitelkeit sich hinter ihnen schloß. Der Diener, den geöffneten Wagenschlag in der Hand, harrte des Befehles der jungen Gebieterin.

Nun vor allem in ein gutes Restaurant! rief Anne.

Wohin? fragte Marie erschrocken.

In ein Restaurant, erwiderte Anne unbefangen; ich bin hungrig wie eine Löwin, und Sie sehen furchtbar abgespannt aus.

Dann lassen Sie uns nach Hause!

Und das halbe Dutzend Kommissionen, das ich noch habe? Und das Vergnügen, heute morgen möglichst lange mit Ihnen beisammen zu sein, da wir uns hernach ja doch trennen wollen? Nein, daraus wird nichts. Wir müssen durchaus in ein Restaurant.

Es geht wirklich nicht.

Warum denn nicht?

Es ist bei uns nicht Sitte, daß Damen ohne Begleitung von Herren sich an einem solchen Orte zeigen.

So machen wir eine Ausnahme!

Und ich bitte Sie: folgen Sie mir diesmal!

Plötzlich wurde Annes Miene, die sich bei Maries Sträuben sichtlich verfinstert hatte, von einem munteren Lachen erhellt.

Sie kommen apropos! rief sie.

Marie wandte sich; Reginald stand hinter ihr, sich verbeugend, lachend, glückstrahlend. Anne ließ ihn nicht zu Worte kommen: Marie weigere sich, mit ihr ohne Herrenbegleitung in ein Restaurant zu gehen. Einer New-Yorkerin sei das unfaßbar, indessen – ob Reginald sie beschützen wolle vor den Banditen, die zweifellos in einem Berliner Restaurant auf ihre unschuldigen weiblichen Opfer lauerten?

Ob ich dazu bereit bin! rief Reginald, den Damen in den Wagen helfend und sich ihnen gegenüber setzend: Zu Hiller!

Befehl! sagte der Diener, den Schlag schließend und sich zu dem Kutscher auf den Bock schwingend.

Die Fahrt begann. Marie lehnte in ihrer Ecke, sich wider Willen in das Unvermeidliche fügend; Reginald, der sehr erhitzt aussah, nahm die Mütze ab, um sich mit dem Taschentuch über die Stirn zu fahren; Anne lachte:

Daß Sie uns suchen würden, Mister Reginald, sagte sie, wußte ich. Aber wie haben Sie uns gefunden?

Nichts einfacher als das; erwiderte Reginald, dessen Augen bei der vertraulichen Anrede noch heller aufgeleuchtet waren. Gnädiges Fräulein hatten am Brandenburger Thor gesagt: die Damen wollten ›shopping‹ gehen. Wiederhole mir, während ich nach Hause trabe, das Wort hundertmal, um es nicht zu vergessen. Behalte es wirklich; suche im Diktionär, finde es nach diversem Suchen: »shop: Laden; shopping: das Besuchen der Kaufläden; Ladenrevue,« eingeklammert: »der Damen.« Ich schwankte zwischen Hertzog und Gerson. Zählte an den Knöpfen ab: Gerson. Ein junger Mensch muß Glück haben.

Das diesmal ganz auf unsrer, will sagen: auf meiner Seite, rief Anne. Marie hatte mich schon zum Hungertode verurteilt.

Im Leben hätte mir nie wieder ein Bissen geschmeckt! rief Reginald. Nun aber: so habe ich mich noch nie auf ein Frühstück gefreut. Und das will etwas sagen! Da sind wir!


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