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Elftes Kapitel.

Ueber dem Familiengezänk hätte Reginald fast die Verabredung vergessen, die er mit Anne und einigen Freunden für heute nachmittag zu einer Partie in den Grunewald getroffen. Er wurde erst wieder daran erinnert, als er, aus dem Hause stürzend, vor der Thür den Burschen, mit Robin am Zügel, seiner harrend, fand. Der arme Mensch mußte den Zorn büßen, den sein Herr drinnen aufgesammelt hatte. Die bodenlose Dummheit, den Gaul hier in der glühenden Sonne eine Stunde lang herum zu führen, anstatt sich auf der Stelle durch den Portier zu melden! Und natürlich anstatt des neuen englischen Sattels den alten aufgelegt! Er – Johann Stut – sei ein Tölpel und werde in Ewigkeit einer bleiben!

Reginald war aufgesessen und ritt davon. Das Rendezvous sollte am Wasserturm im Hippodrom sein pünktlich vier Uhr, und jetzt war es bereits halb fünf. Zweifellos würde er die Gesellschaft dort nicht mehr finden. Sollte er es aufgeben? Vielleicht war man vorläufig nur bis Halensee geritten und wartete dort auf ihn. Sehr unwahrscheinlich das. Gleichviel. Er war nun einmal im Sattel; mit seiner Zeit würde er so nichts andres haben anfangen können, und zu Pferde kam er über »so eine verfluchte Geschichte« noch am ehesten weg.

Das alte, oft erprobte Mittel that heute nicht voll seine Dienste. Zwar, solange er Robin in scharfem Trab halten konnte, hatte er tausendmal recht, und Herbert und Marie bekamen fürchterliche Dinge zu hören. Sobald er aber, des knietiefen Sandes wegen, um Robin zu schonen, Schritt reiten mußte, wandte sich plötzlich das Blatt. Am Ende verstand »der Duckmäuser« von diesen Dingen doch mehr als er; und wenn Marie auch eine »Suse« war, – dumm war sie nicht, und gegen ihre Ueberzeugung hatte er sie noch nie ein Wort sprechen hören. Ja, wollte er ehrlich sein: so lieb er Stephanie hatte, – ihr Benehmen in der ganzen Geschichte – die verfluchte Geschichte! – der verdammte Sand! Als ob sie ihn noch einen Fuß tiefer aufgepflügt hätten!

Ueber dem gelben Rücken einer höheren Hügelwelle in einiger Entfernung zu seiner Linken tauchten gleichzeitig die Gestalten von ein paar Dutzend Soldaten in Drillichanzügen auf, die sich alsbald niederwarfen und über den Rand hinüber nach jenseits gegen den unsichtbaren Feind ein lebhaftes Tirailleurfeuer eröffneten. – Felddienstübung! – Wär's doch nur richtiger Felddienst gewesen – in Frankreich natürlich, oder auch Rußland – irgendwo! Und er auf Vorposten mit seiner Schwadron, die er als ältester Sekond führte, nachdem Rittmeister und Premier totgeschossen waren! Dann hätte er »die verfluchte Geschichte« vom Halse gehabt und die Schulden und – die Weiber! Ja, die Weiber!

Lotte Blumenhagen! – Die Geschichte ging so auch nicht länger! Aber Anne aufgeben? womöglich zu gunsten Herberts? Nun und nimmermehr! Hundertmal war er schon auf dem Sprunge gewesen, sich zu erklären – auf die Gefahr hin, am nächsten Tag ein Duell mit Hans Blumenhagen zu haben. Das hatte ihn nicht abgehalten – bei Gott nicht! Aber der Gedanke, zurückgewiesen zu werden! Er würde es nicht überleben, sich eine Kugel vor den Kopf schießen! Gleichviel: es mußte geschehen. Und heute, wenn er die Gesellschaft noch traf, sollte es geschehen auf Kavalierparole, die er sich selbst gab: hier auf den ersten Bohlen der großen Brücke über den Eisenbahneinschnitt! Wenn er nicht sein Wort hielt, nie wieder würde er die Brücke passieren können, ohne sich zu sagen, daß Reginald von Ilicius ein Schuft sei, dem jeder Bummler seine Zigarrenasche auf der Epaulette abklopfen dürfe!

Noch ein Trab von zwei Minuten. Da war das Wirtshaus vom Halensee und vor dem Wirtshaus die Gesellschaft! Im Begriff aufzubrechen, nachdem sie volle zehn Minuten gewartet! Auf Befehl von Miß Anne, die noch die Uhr in der Hand hielt! Er möge sich bei Miß Anne bedanken!

Reginald that es mit wenigen Worten, die sehr abgerissen herauskamen und seltsam rauh klangen, während er dabei abwechselnd blaß und rot wurde, und seine Augen, die sonst so keck blickten, von dem Gesicht des schönen Mädchens scheusam seitwärts nach Benno Meiringen irrten. Benno, das geleerte Bierglas auf dem Sattelknopf, beobachtete die Scene mit ironischem Blinzeln.

Die Kavalkade hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Außer Anne war nur noch eine Dame von der Partie: die Schwester eines der sechs Kavaliere, – sämtlich Offiziere von Reginalds Regiment. Fräulein von Rittwitz hatte seit Jahren den Ruf der schneidigsten Reiterin Berlins gehabt, bis vor einigen Wochen das Gerücht auftauchte, sie habe an Miß Anne Curtis ihre Meisterin, mindestens eine ebenbürtige Rivalin gefunden. Die Damen waren sich im Tattersal schon wiederholt begegnet. Miß Annes Bewunderer hatten zugeben müssen, daß Fräulein von Rittwitz in der hohen Schule unvergleichlich mehr leiste; aber einstimmig behauptet, das Verhältnis werde sich umkehren, sobald die Damen »im Terrain« zusammenträfen. Das war denn heute zum erstenmale der Fall. Man durfte dem interessantesten Wettkampf entgegensehen.

Fräulein von Rittwitz, so unbefangen sie sich gab, so eifrig sie mit freundlichen Blicken und Worten um Annes Gunst zu werben schien, so frei sie in ihrer gewohnten Weise mit den Kavalieren scherzte, war sich offenbar der Wichtigkeit des Momentes voll bewußt und entschlossen, den Kampf bis zum äußersten durchzuführen. Sie hatte sofort die Spitze genommen und ein Tempo angegeben, – »wie auf der Schnitzeljagd«, meinte einer der jungen Herren; und ein anderer, daß der Grunewald »dabei zu kurz komme.« Man rief es ihr lachend zu. Sie that, als ob sie es nicht höre, die Gangart womöglich noch beschleunigend und nicht abmäßigend, selbst da, wo man auf den schmalen Waldwegen manchmal nicht mehr zu zweien nebeneinander reiten konnte, und die den dürren Boden durchsetzenden Baumwurzeln Vorsicht zur Pflicht gegen Roß und Reiter machten.

So hatte der tolle Ritt eine geraume Weile gewährt; man war fast schon nach der entgegengesetzten Seite des Forstes gelangt, als Anne, die sich stets an der Queue gehalten, ihren Goldfuchs zügelte und erklärte, sie habe keine Lust, diesen Unsinn länger mitzumachen. Reginald, der immer in ihrer Nähe geblieben war, folgte alsbald ihrem Beispiele. Die andern stürmten der ehrgeizigen Führerin nach. In wenigen Sekunden war zwischen ihnen und den Zurückbleibenden eine große Distance. Dann verschwanden die Fortjagenden in einer Krümmung des Weges; dann hatte der Wald auch den Hufschlag verschlungen. Reginald fand sich mit Anne allein.

Der Augenblick, den er so lange herbeigesehnt, den zu benutzen er sich vorhin zugeschworen, war da – wer konnte wissen, wie lange er währen würde! Aber wenn man sprechen soll, muß man vor allem sprechen können. War es von dem unsinnigen Jagen, oder wovon sonst – das Herz hämmerte ihm so fürchterlich in der Brust; der Atem war ihm so knapp – er mußte den Mund schließen, um sein Keuchen nicht vernehmbar zu machen. Wie es um Anne stand, er wußte es nicht. Trotzdem er jetzt unmittelbar an ihrer Seite ritt, wagte er nicht, nach ihr hin zu blicken. Vielleicht ging es ihr, wie ihm. Jedenfalls schwieg auch sie. So ritten sie, schweigend, eine Strecke nebeneinander.

In dem Walde, durch dessen Wipfel bereits die Abendlichter zu spielen begannen, war es lautlos still; nur das Knacken eines dürren Zweiges, oder ein gelegentliches Schnaufen der abgehetzten Pferde. Plötzlich sagte Anne:

Es ist das letzte Mal, daß ich in dieser Gesellschaft reite.

Ich bin über die Rücksichtslosigkeit von Fräulein von Rittwitz selbst empört, erwiderte Reginald. Ich werde dafür Sorge tragen, daß sie nicht wieder von der Partie ist.

Ich meine nicht Fräulein von Rittwitz, sagte Anne; ich meine die ganze Gesellschaft.

Die ganze Gesellschaft?

Ich will mich deutlicher ausdrücken. Ich meine: es ist unrecht, schlimmer noch: es ist eine Dummheit von mir, mich in eine Gesellschaft zu mischen, in die ich nicht gehöre.

In die Sie nicht gehören?

Wenn Sie nur immer meine Worte wiederholen, werde ich glauben, ich bin allein im Walde und unterhalte mich mit dem Echo. In die ich nicht gehöre: allerdings! Nennen Sie mir einen Gedanken, nur einen einzigen, den ich mit dieser Gesellschaft gemein hätte! Eine Empfindung, in der ich mich mit ihr begegnete! Ja, es wird Ihnen sehr hart klingen, aber ich muß es doch einmal sagen: – denken diese Herrschaften überhaupt? Ueber die Dinge, die in der Zeit, wie sie nun einmal ist, einzig eines denkenden Kopfes würdig sind? Oder aber, wenn sie über die Aufgaben der Zeit zu denken scheinen – was anders ist es als hohler Schein? als papageimäßiges Nachbeten von Phrasen, mit denen Eltern, Erzieher, Vorgesetzte in leichter Arbeit ihre Köpfe und Gemüter umnebelt? Selbst die, welche von der Natur wohl Augen zum Sehen und Ohren zum Hören empfingen, machen sie von ihren schönen Gaben den rechten Gebrauch? Gehen sie nicht vielmehr mit Scheuklappen durch das Leben und verstopfen sich die Ohren, um nicht zu sehen und zu hören, was sie nicht sehen und nicht hören dürfen? Der Bruder Martin in Eurem Götz von Berlichingen! Erinnern Sie sich der Scene? Der arme Tropf weist den Wein, den ihm der Ritter bietet, zurück, nicht, weil Wein zu trinken, wohl aber der Wein wider sein Gelübde ist!

Reginald war in grausamer Verlegenheit, wie immer, wenn Anne sich in solchen Reden erging, bei denen er sich entweder nichts, oder doch nichts für ihn Erfreuliches denken konnte. So sagte er denn auch jetzt, um doch etwas zu sagen:

Sie Sind eben eine Republikanerin!

Gott sei Dank! sagte Anne trocken.

Und doch schelten Sie oft so bitter über ihre Landsleute!

Weil es eben meine Landsleute, meine Verwandten sind; auf wen kann man zorniger sein, als auf seine Verwandten? Und doch, mich schaudert zu denken, was vielleicht auch aus mir geworden wäre, hätte meine Wiege nicht drüben, hätte sie hier gestanden: in diesem Lande, das bis in den letzten Winkel von Ehrfurcht vor den Fürsten, Devotion vor dem Adel und andern mittelalterlichen Velleitäten angefüllt ist, wie eine katholische Kirche mit Weihrauchduft. Es gibt viele, denen der süßliche Duft eine exstatische Wonne ist; andre, denen er grausam auf die Nerven fällt. Ich gehöre zu den letzteren.

Sie sind heute wahrlich in einer bösen Laune, Miß Anne.

Daß ich nicht wüßte. Aber sprechen wir von etwas andrem. Von Ihnen. Mir deucht, Sie sehen heute allerdings düsterer aus, als sonst Ihre Gewohnheit ist.

Es könnte wohl sein; rief Reginald, froh, daß das Gespräch eine andre Wendung nahm. Ich habe in der That im Laufe dieses eines Tages Aerger genug für ein ganzes Jahr gehabt. Sie sagten ja eben selbst: man kann auf niemand so zornig sein, wie auf die eigenen Verwandten.

Der Erregung nachgebend, welche noch immer von den häuslichen Scenen in ihm zitterte; zugleich meinend, Anne müsse es als ein Zeichen seiner Liebe und Verehrung ansehen, wenn er sie so zur Mitwisserin und Vertrauten der Familiengeheimnisse machte, erzählte er ihr die Geschichte von Stephanies und Egons Ehe bis zu der Stunde vorhin, die ihm noch in so frischer, peinlicher Erinnerung war; mit dem Ausruf schließend: Nun sagen Sie mir, Miß Anne, habe ich recht oder nicht?

Anne hatte ihn, ohne ihn zu unterbrechen, reden lassen. Auch jetzt antwortete sie nicht sogleich. Und dann:

Ich bin in der Sache völlig inkompetent. Was Menschen, wie Sie mir Ihre Schwester und Ihren Schwager geschildert haben, Liebe nennen, das ist in meinen Augen keine Liebe; was sie Ehe heißen, keine Ehe. Das ist nur ein Zusammenkommen, Zusammenleben auf Grund irgend welcher rein äußerlichen Vorteile, die man sich davon versprochen hat. Was für die Frage des Beisammenbleibens, oder der Trennung den Ausschlag gibt, kann wieder nur die Erwägung äußerer Vorteile oder Nachteile sein, die – ich nicht anzustellen vermag.

Aber von einer Trennung ist ja gar nicht die Rede! rief Reginald.

Dann habe ich Sie mißverstanden, entgegnete Anne; aber freilich: Sie haben recht. Es ist im Grunde ganz gleichgültig, ob sie bei einander bleiben, oder sich trennen. Beide sind zu jung und lebensdurstig, um nicht über kurz eine andre Verbindung einzugehen. Diese neue Verbindung würde der alten gleichen, wie ein Ei dem andren.

Ein kleines Rudel Damwild, welches die im Schritt Reitenden so nahe hatte herankommen lassen, wechselte dicht vor ihnen über den schmalen Weg. Annes Pferd bäumte hoch auf; sie drückte es ruhig nieder.

Reginald war die kurze Unterbrechung sehr gelegen gewesen. Wenn Anne aus dieser Laune nicht herauskam, das Gespräch in diesem Ton weiter ging, war nicht abzusehen, wie er das Wort, das er sich gegeben, würde halten können. Fühlte er sich doch wegen der Härte, mit der sie vorhin über seine Freunde und jetzt über seine Verwandten gesprochen, ernstlich beleidigt! Auch nicht von ihr durfte er sich dergleichen bieten lassen! Aber dann war zweifellos der Bruch da: Herbert, der Verhaßte, triumphierte; Marie behielt recht; der Spott der Kameraden würde unerschöpflich sein. Dafür sein Kredit, der sich großartig gehoben, seitdem man ihn mit der reichen Amerikanerin heimlich verlobt nannte, mit einem Schlage zu Ende. Und wenn er diesen Kredit nicht missen konnte, so war es eben jetzt. Er mußte einlenken, sie auf andre Gedanken, in eine andre Stimmung zu bringen suchen.

Ich glaube, Miß Anne, sagte er, Sie irren darin, daß Sie andre Leute so ohne weiteres nach sich selbst beurteilen. Sie sind eben einzig – in jeder Beziehung. Das soll keine Schmeichelei sein. Ist auch keine. Oder wäre doch eine sehr banale und billige: sagen es doch alle, welche das Glück haben, Sie zu kennen.

Um Annes volle Lippen zuckte ein bitteres Lächeln.

Das Glück! sagte sie; wahrlich eine seltsame Art von Glück! Ein Wunder von einem Glück! Oder wäre es kein Wunder, daß die Nacht erhellt, die Glut kühlt, das Bittere süß macht? In meiner Seele ist Nacht, mein Herz verglüht, und Wermut ist auf meinen Lippen. Das ist bei mir keine Phrase, wie sie sich überspannte Mädchen und gerngroße Jünglinge aus einem pessimistischen Roman herauslesen; es ist die lautere Wahrheit.

Sie hielten auf der Uferhöhe, hinter sich den Wald, den sie eben durchritten, unter sich den breiten Fluß; auf dem Fluß ein paar langgestreckte Kähne mit weit gespannten Segeln; drüben die Wiesenufer mit ein paar Gehöften und einzelnen Hütten – alles überströmt vom rosigen Licht der nach dem Horizont sinkenden Sonne. Reginalds Blick hatte nur eben die Scenerie gestreift, um sich dann sofort wieder zu seiner Begleiterin zu wenden, die ihm niemals so wundersam schön erschienen war. Was sie da zuletzt gesagt, – er hatte nichts davon gehört. Nur der Klang ihrer Stimme tönte, wie Aeolsharfenton, in seiner Seele nach. Die selbstischen Erwägungen, die seine Werbung um sie stets begleitet hatten, – er würde sich auf keine haben besinnen können. Die Welt, die er kannte; die Gesellschaft, in der er lebte: Familie, Freunde, Kameraden – es war alles versunken, wie in einem Abgrunde. Nichts von allem übrig geblieben: nur er und sie. Sie, die da an seiner Seite war. Um deren schlanken Leib er nur einmal seine Arme schlingen, auf deren Lippen er nur einmal seine Lippen pressen wollte, und müßte der Augenblick sein letzter sein.

Anne, ich liebe Sie – grenzenlos!

Hatte er es gedacht? hatte er es gesagt?

Doch wohl gesagt. Denn, wie jetzt sein starrer Blick an ihr hing, wandte sie ihm langsam das schöne Antlitz zu und sah ihn – heute zum erstenmal – voll an mit großen, traurigen Augen.

Und so, traurig, als ob sie mit Thränen kämpfte, klang in der unendlichen Stille, die sie umgab, ihre tiefe Stimme:

Ich wußte es, wußte es längst. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Liebe. Aber es kann nicht sein. Warum? Wie dürfte ich hoffen, mich Ihnen verständlich zu machen, da Sie, was ich Ihnen, als wir hierherritten, warnungsvoll gesagt, nicht verstanden haben! Und sehen Sie, Reginald, so würde es weiter sein: unsre Köpfe könnten auf einem Kissen liegen, und jeder der beiden Köpfe würde etwas denken, das der andre nicht versteht, dem andren Thorheit deucht, Unsinn, schlimmer: ein Greuel, eine Blasphemie. Das würde mich wahnsinnig machen. Und Sie selbst – leichtlebig, wie Sie sind, – Sie sind ein Gentleman. Eines Gentleman Seele ist Ehre, Wahrhaftigkeit. Sie würden die Unehre einer Lüge – einer dauernden dazu – nicht ertragen, und, wie Sie mir kein Glück zu schaffen vermöchten, selber glücklos sein. Das sollen Sie nicht. Sie verdienen ein besseres Loos. Es wird Ihnen werden, wenn Sie die Bedingungen des Lebens, in die Sie hineingeboren sind, respektieren, und die Konsequenzen dieser Bedingungen auf sich nehmen. Wie ich die Bedingungen meines Lebens und deren Konsequenzen respektiere und auf mich nehme, trotzdem ich weiß, daß auf diesem rauhen Wege von dem, was andre Glück nennen, auch nicht das bescheidenste Blümchen wächst. Und nun, als ein Gentleman, der die Wahrheit spricht und Wahrheit zu hören verlangt, mag sie ihm noch so mißtönend in die Ohren klingen, geben Sie mir Ihre Hand! Wer weiß, ob es nicht zum letztenmal ist!

Sie hielt ihm ihre Rechte hin, von der sie den Handschuh abgestreift hatte. Er konnte die Dargereichte nicht alsbald fassen: seine Augen waren blind von dem Starren in die Abendglut und von den Thränen, die er abzutrocknen sich schämte. Dann mit gewaltsamem Entschluß griff er nach ihrer Hand, sah er ihre Hand in der seinen, und die Flecken auf dem Nagel des Goldfingers, die aber jetzt nicht braun erschienen, wie an jenem Vormittag im Restaurant, sondern schwarz wie Ebenholz. Ein abergläubischer Schauder durchrieselte ihn, als ob er im Begriff gewesen wäre, seine Seele an eine Teufelin zu verkaufen, und ein glücklichster Zufall hätte ihn nur noch eben aus dem Höllenfeuer gerettet, an dem er sich schon die Finger versengt. Mit einem krankhaften Zucken zog er seine Hand zurück. Scheusam zu ihr aufblickend, glaubte er über ihr Gesicht ein spöttisches Lächeln gleiten zu sehen, das ihn vollends außer Fassung brachte. In demselben Moment wurde von mehreren Stimmen zugleich aus der Tiefe vom Hohlwege her, der von der Höhe rechts nach dem Ufer strich: hallo! und sein Name gerufen. Der böse Zauber war gebrochen – Gott sei Dank!

Hallo! schmetterte seine helle Stimme den Rufenden entgegen. Sein Pferd herumwerfend, murmelte er hastig, bereits über die Schulter: Ich will ihnen entgegenreiten! und jagte davon.

Annes Goldfuchs hatte dem Rappen nachgewollt und hieb, als seine Reiterin ihn zurückhielt, sich bäumend, mit den Vorderhufen in die Luft. Sie brachte mechanisch das Tier zur Ruhe und saß dann wieder still, nach der Sonne starrend, von der nur noch ein schmalster Rand über dem Horizont gleißte. Nun war auch der verschwunden.

Leb wohl, du schöne Welt! flüsterte sie.

Vom Strome hauchte es kühl herauf. Ein Schauder überrieselte sie. Tief aufatmend und sich fester in den Sattel setzend, wandte sie das Pferd und ritt langsam der Gesellschaft entgegen, welche jetzt, Fräulein von Rittwitz abermals voran, den Hohlweg heraufgestürmt kam.


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