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Der Gedanke, der zuletzt die wild erregten Lebensgeister beruhigt, war auch sein erster, als Bertram aus tiefem, traumlosem Schlaf spät am nächsten Morgen erwachte: keine Tragödie und keine Komödie! ruhig-klares Dreinschauen und Betrachten, wie es dem Einsamen ziemt, der für sich mit dem Leben abgeschlossen hat! für sich von dem Schicksal weder etwas hofft noch etwas fürchtet; – wohlwollende Teilnahme an dem Schicksal der anderen, soweit das Wohlwollen verdient, die Teilnahme berechtigt ist, immer in der Überzeugung, daß schließlich jeder seines Glückes Schmied, Dreinreden und Dreinhandeln selten viel nützt, meistens gründlich schadet, und im besten Falle das Mittlergeschäft das undankbarste von der Welt.
In dem hellen Lichte dieser Betrachtungen des köstlichen Morgens, der warm und sonnig über der lieblichen Landschaft lag, erschienen Bertram die Szenen des vergangenen Abends wie der dunkel-verworrene Traum eines Fieberkranken; ja, es war ihm tröstlich, annehmen zu dürfen, daß er wirklich krank gewesen und mithin für sein wunderliches Gebaren eigentlich nur halb verantwortlich sei. Ganz unverantwortlich blieb freilich immer, daß er sich seines Zustandes nicht früher bewußt geworden. Er mochte Gott danken, daß er in der Aufregung nicht noch Tolleres begangen, sich nicht noch seltsamer benommen hatte; vor allem, daß er sich – zum erstenmal seit der letzten schweren Krankheit – heute frisch und kräftig fühlte wie in seiner besten Zeit. Wahrlich: der Morgen hatte alles besser gemacht! viel besser, als er erwarten durfte, als er verdiente!
Je heiterer die Stimmung des Herrn war und einen je freundlicheren Ausdruck er ihr gab, indem er nach alter Gewohnheit während des Umkleidens sich zu einer behaglichen Plauderei mit Konski geneigt zeigte, um so verdrießlicher und wortkarger war dieser.
Was fehlt Ihnen? fragte Bertram endlich. Wenn Ihnen die baldige Abreise, von der ich gestern sprach, nicht paßt, so beruhigen Sie sich: wir bleiben die bestimmte Zeit. Ausgepackt ist, wie ich sehe.
Meinetwegen können wir heute wieder einpacken, erwiderte Konski mürrisch.
Also heraus mit der Sprache! was haben Sie? Sie wissen, daß ich die Kopfhängerei nicht ausstehen kann. Ist es etwas mit Mamsell Christine?
Nun natürlich! erwiderte Konski; und da soll einer nicht den Kopf hängen lassen, und die Ohren dazu! Ich hatte ihr geschrieben, daß dies meine letzte Reise mit Ihnen wäre, und wenn wir im März aus Italien zurückkamen, könne es losgehen. Ich hab's Ihnen gar nicht sagen mögen; aber man wird mit jedem Jahre älter, und einmal muß es doch sein, und –
Nun wollt ihr gleich heiraten, und Sie wollen Ihren Abschied haben?
Hat sich was mit gleich heiraten, sagte Konski; gar nicht will sie, wenigstens nicht mich, nachdem wir nun fünf Jahre lang verlobt gewesen sind! Aber verlaß sich einer auf die Weiber! und erst auf die alten! Fünfundvierzig ist sie, noch ein Jahr älter als ich, und nun nimmt sie einen Grünspecht von fünfundzwanzig!
Es dauerte einige Zeit, bis der sonst so Gelassene sich hinreichend beruhigt hatte, um seinem Herrn erzählen zu können, wie schändlich man ihm mitgespielt. Nach seiner Darstellung hatte Mamsell Christine ihm bis vor kurzem die zärtlichsten Briefe geschrieben und sich mit allen seinen Vorschlägen einverstanden gezeigt, während jetzt aus dem Berichte der anderen Leute, welche er selbst abgefragt, hervorging und die Treulose notgedrungen bestätigen mußte, daß sie schon seit langer Zeit ein Verhältnis gehabt mit dem Peter Weißenborn, der früher Obergärtner in Rinstedt gewesen und seit einem halben Jahre in der Stadt etabliert sei und nun ja wohl durch die Fürsprache des Herrn Baron Hofgärtner werden solle. Der Herr Baron habe ihr auch bei der Frau Amtsrätin ausgemittelt, daß sie ohne weitere Kündigung jederzeit den Dienst verlassen könne; wie denn die Leute sagten, daß, wenn man etwas von der Gnädigen erlangen wolle, man sich nur hinter den Baron zu stecken brauche, dann sei die Sache so gut wie gewiß. Auch sei die Frau Amtsrätin sehr für die Heirat von Mamsell Christine mit dem Herrn Hofgärtner; sie habe dann doch gleich ein paar von ihren alten Leuten in der Nähe und bei der Hand, so oft sie nach der Stadt komme, und das werde ja wohl demnächst recht häufig geschehen, wenn sie nicht für immer hineinzöge, was allerdings von einigen behauptet werde, zum Beispiel von Aurora, ihrer Kammerjungfer, die nach Mamsell Christine am besten bei der Gnädigen angeschrieben sei.
Bertram versuchte, den armen Schelm, so gut es gehen wollte, zu trösten: er solle froh sein, von einer Person loszukommen, die es offenbar niemals ehrlich gemeint habe und voraussichtlich in der Ehe ebenso treulos gewesen sein würde wie vorher. Diese Überzeugung sei denn auch der Grund, weshalb er gar nicht einmal wünsche, daß die Sache sich wieder zurechtziehe, wie das in solchen Fällen, auch in höheren Kreisen, manchmal geschehe; sonst würde er seinen Einfluß bei der Frau Amtsrätin geltend zu machen suchen, der denn doch wohl hoffentlich noch so viel bedeute wie der des Herrn Baron.
Konski schüttelte den Kopf. Ich danke Ihnen bestens, sagte er; ich bin schon ganz zufrieden, wenn Sie mich behalten wollen, nachdem ich mich als ein rechter Esel gezeigt habe. Und was das Sprechen mit der Gnädigen betrifft, das würde nur vergeblich sein; der Herr Baron ist zu sehr Hahn im Korbe. Darüber konnte ich noch viel sagen, aber ich weiß: Sie lieben so etwas nicht.
Bertram stutzte; die letzte Bemerkung des treuen Burschen konnte nur eine Bedeutung haben, und das Bild von dem Mädchen hinter den Gelbveigelein und dem eifersüchtigen Liebsten tauchte wunderlich klar hervor aus den Fieberphantasien von gestern abend. Er wäre gern seinem Grundsatze, niemals nach dem Geklatsch der Küche und Bedientenstube hinzuhorchen, für dies eine Mal untreu geworden; aber da Konski nicht von selbst weitersprach, schämte er sich, direkt zu fragen, und in dem Moment klopfte auch ein Diener, um zu melden, daß die gnädige Frau gehört habe, der Herr Doktor sei aufgestanden, und ob sie den Herrn Doktor in der Veranda mit dem Tee erwarten dürfe?
Bertram folgte alsbald der Einladung. Unten kam ihm Hildegard entgegen, die allein an dem Frühstückstische in einer schattigen Ecke der Veranda gesessen hatte. Als sie sich in ihrem gemessenen Schritte auf ihn zubewegte, mußte er des Gespräches von gestern abend über die Wandellosigkeit dichterischer Heroinnen denken: so jugendlich schlank erschien die hohe Gestalt, so klar und tief zugleich das Inkarnat des unvergleichlich schönen Gesichtes, so leuchtend das bläuliche Schwarz des vollen Haares, das, an den Schläfen glatt herabgestrichen, mit einer dichten, um den Scheitel gewundenen Flechte das herrliche Haupt krönte.
Das Lächeln auf den seinen Lippen vertiefte sich noch ein wenig, als sie die sprechenden Augen des Gastes mit unverhohlener Bewunderung auf sich gerichtet sah. Während sie sich teilnehmend nach seinem Befinden erkundigte, hielt sie seine Hand fest, bis sie ihn zu dem Tische geleitet, wo er nun vor dem brodelnden Kessel neben ihr Platz nehmen mußte.
Otto ist wie immer in der Wirtschaft, sagte sie; – der Baron malt auf der untersten Terrasse ein Stück des Dorfes; Lydie leistet ihm, glaube ich, lesend Gesellschaft; Erna finden Sie wohl nachher auf ihrem alten Lieblingsplatze unter der großen Platane – ich habe sie sämtlich weggeschickt, weil mich danach verlangt, endlich einmal mit Ihnen behaglich zu plaudern; wir sind ja gestern nicht dazugekommen. Und nun vor allem Dank, herzlichen Dank, lieber Freund, für Ihre gütige Verzeihung eines Vertrauensbruches, dessen ich mich notgedrungen schuldig gemacht habe. Nein, lehnen Sie nicht ab! ich habe wohl gesehen, wie schwer es Ihnen wurde, unbefangen und heiter zu erscheinen – um so mehr danke ich Ihnen! Aber ich wußte, Sie würden mit Ihrer gewohnten Klugheit sofort den rechten Standpunkt finden: den des Bedauerns. Was auch immer hinüber und herüber zwischen euch geschehen und verschuldet ist: sie ist die Bedauernswerte. Ein armes, alterndes Mädchen, und wenn sie auch noch in diesem Augenblick fester als je in der Gunst unseres Hofes steht und von den Herrschaften wirklich mit Liebenswürdigkeiten überschüttet wird – es füllt ihren lebhaften Geist nicht aus – aber ich sehe, daß Ihnen der Gegenstand peinlich ist –
Er ist mir nicht peinlich, erwiderte Bertram, oder doch nur so weit, als uns immer die Schilderung einer unbefriedigten, friedlosen Seele sein wird, der Befriedigung und Frieden zu geben ganz außerhalb unserer Macht liegt.
Ich verstehe Sie, sagte Hildegard, wie Sie mich verstehen werden, wenn ich Sie bitte, der armen Seele die völlig törichte Hoffnung, an der sie leider mit unglaublicher Zähigkeit festhält, nicht ganz zu rauben. Sie können es so leicht; Sie brauchen nur freundlich und höflich gegen sie zu sein, wie Sie es gegen alle Menschen sind – nicht mehr, freilich auch nicht weniger. Wollen Sie?
Ich will es versuchen – weil Sie es wünschen; unter einer Bedingung.
Und diese Bedingung?
Ich habe den für mich eigentlich selbstverständlichen Entschluß gefaßt, in dem Schauspiel des menschlichen Lebens fortan meinen wohlerworbenen Platz im Parkett nicht mehr zu verlassen und unter keinen Umständen auf der Bühne selbst eine Rolle zu übernehmen, keine tragische und am allerwenigsten eine komische.
Vor der letzteren, erwiderte die schöne Frau lächelnd, sind Sie durch Ihre Klugheit unter allen Umständen geschützt; vor der ersteren –
Durch meine Jahre.
Ich wollte sagen: abermals durch Ihre Klugheit; oder, wenn Sie lieber wollen: durch den kühlen, leidenschaftslosen Sinn, in den Sie sich hineingelebt haben, und – um den ich Sie so oft beneide.
Bertram blickte erstaunt auf und beschäftigte sich dann schnell mit seiner Tasse. Hildegard ihn beneiden um seine Kühle! sie, die ihm von jeher als das Urbild selbstbewußter Leidenschaftslosigkeit erschienen war!
Das mag Sie wundernehmen aus meinem Munde, fuhr sie fort; aber müssen wir denn nicht alle lernen zu resignieren, früher oder später? und für mich ist längst die Zeit der Resignation gekommen. Ja, sie ist eigentlich immer gewesen; auf was habe ich nicht alles in meinem Leben resignieren müssen! Oder glauben Sie, daß der Reichtum des Gatten eine stolze Frau über das Bewußtsein wegtäuschen kann, nicht so geliebt zu werden, wie sie geliebt zu sein wünscht und vielleicht verdient?
Bertram kannte diese Phrasen von alters her; aber er sagte sich, daß er heute, wenn je, gute Miene zu dem Spiele machen müsse.
Meine liebe Freundin, rief er; ist es möglich! tragen Sie sich noch immer mit einer hypochondrischen Furcht, die Sie mir auch wohl früher schon geäußert haben, von der ich Sie indessen längst geheilt glaubte! Sie über Mangel an Liebe klagen, die von ihrem Gatten auf Händen getragen, angebetet wird? die keinen Wunsch zu äußern braucht, weil, was sie wünschen könnte, bereits erfüllt ist? oder die nur zu wünschen hat, damit es sofort in Erfüllung gehe?
Sie plädieren für den Jugendfreund, erwiderte Hildegard, die dunkeln Augenbrauen hebend; aber vergessen Sie nicht: ich klage ihn nicht an, ich bin resigniert. Und stürbe ich heute, was ginge ihm verloren? was würde er vermissen?
Den Schmuck seines Lebens, erwiderte Bertram galant.
Wenn er Sinn hätte für den Schmuck des Lebens! sagte Hildegard; – ist denn das der Fall? teilt er eine einzige meiner Neigungen, meiner unschuldigen Liebhabereien? gibt er sich nicht nur mühsam den Anschein, ein Interesse für schöne, stilvolle Sachen zu zeigen, mit denen ich mich zu umgeben, meine Räume auszustatten liebe? Hat er nicht mit sichtbarem Widerstreben darein gewilligt, daß unser Haus restauriert wurde, wie es sich für das ehemalige fürstliche Schloß ziemte? daß ich die alten verwachsenen Parkwege wieder aufsuchte und erneuerte? unterstützt er mich in meinen humanen Bestrebungen? habe ich die paar tausend Taler für meine Spielschule, mein neues Armenhaus nicht förmlich von ihm erbetteln müssen? lebt er nicht ausschließlich für seine Porzellanfabrik, seine Zuckerfabrik, seine Braunkohlengruben, sein neues Eisenbahnprojekt? Ich wiederhole: ich habe das alles als unvermeidlich und selbstverständlich hingenommen, solange es mich nur selbst betraf, solange ich nur selbst darunter litt. Aber freilich, auch Erna in dies banale Treiben einzuführen, das liebe Kind in einer Sphäre zu lassen, wo sie nichts sieht, nichts hört, was dem Geiste und dem Herzen die geringste Nahrung brächte, wo alles sich nur um den Mammon dreht, alles dem Mammon geopfert wird – das geht über meine Kraft.
Also, verehrte Freundin, wenn ich Sie recht verstehe: Sie möchten Erna verheiraten?
Durch den weichen Samtglanz der braunen Augen zuckte ein tieferes Licht. Die Frage war offenbar nicht erwartet worden oder doch zu plötzlich gekommen; aber schon im nächsten Moment hatten die Augen wieder den gewöhnlichen Ausdruck, und sie gewann dem schönen Munde sogar ein Lächeln ab, als sie im Tone leisen Vorwurfs erwiderte:
Drücken wir es ein wenig weniger selbstisch aus: ich möchte, daß Erna einen ihrer würdigen Gatten fände.
Ein sehr begreiflicher Wunsch! welche Mutter hegte ihn nicht für ihre erwachsene Tochter! und ich für mein Teil, als alter Freund des Hauses, schließe mich diesem Wunsche aus voller Seele an, zweifle auch keinen Augenblick, daß wir uns über die Anforderungen, die wir an Ernas Gatten zu stellen haben, leicht verständigen werden.
In diesem Punkte bin ich denn doch nicht ganz so sicher.
Versuchen wir es immerhin. Zuerst: der Mann müßte von Adel sein.
Das ist nicht Ihre Überzeugung!
So ist es eine Konzession. Wenn man sich verständigen will, muß man immer Konzessionen machen.
Und diese akzeptiere ich gern; bitte also: weiter.
Der Mann dürfte kein Gelehrter sein; aber er müßte weltmännische Bildung besitzen, Geschmack an den schönen Künsten, enfin: wir verlangen einen Kavalier, im besten Sinne natürlich.
Einverstanden.
Er brauchte nicht reich zu sein; es wäre sogar vorzuziehen, daß er kein Vermögen hätte, er würde dann Erna um so mehr zu verdanken haben.
Sehr war!
Kein Gutsbesitzer, oder doch wenigstens kein Mann, dem, auf dem Lande zu leben, Landwirtschaft zu treiben, absolutes Bedürfnis ist. Am liebsten: gar kein bestimmter Beruf, oder doch höchstens einer, der keine schweren, lästigen Pflichten auferlegt; eine Stellung, sagen wir, die es von selbst mit sich bringt, daß der Betreffende sich in der besten Gesellschaft bewegt, vielleicht auch mit den höchsten Kreisen gelegentlich in angenehme Berührung kommt.
Mein Gott, lieber Freund, wie Sie in dem Herzen einer Mutter zu lesen verstehen!
So lassen Sie mich ganz auf den Grund blicken, wo der Name des Betreffenden vielleicht schon geschrieben steht. Wenn ich die verschlungenen Züge recht deute, lauten sie –
Jetzt bin ich wirklich begierig!
Baron Kuno von Lotter-Vippach.
Das haben Sie von Lydie!
Ich schwöre Ihnen, nicht von Fräulein von Aschhof oder von irgend wem.
Aber das ist geradezu wunderbar!
Von einem alten Freunde, mit dem Sie so manches Wichtigste in Ihrem Leben besprochen, den Sie so oft mit Ihrem intimsten Vertrauen beehrt haben? Was wäre denn da so wunderbar!
Nun, so ist es desto schöner, desto dankenswerter; und ich danke Ihnen herzlich, innig –
Sie hatte seine beiden Hände ergriffen; das schöne, von freudiger Röte übergossene Gesicht war nie schöner gewesen, und doch erschien es Bertram wie eine Fratze.
Ich kann Ihren Dank nicht annehmen, sagte er, seine Hände mit flüchtigem Drucke zurückziehend. – Ich könnte es ehrlicherweise nur, wenn ich Ihre Wünsche ebenso, wie ich sie erraten, auch billigte, teilte. Das ist leider nicht ganz der Fall; der Eindruck, den Baron Lotter gestern auf mich gemacht hat, war kein besonders günstiger; ganz offen, er war ein ungünstiger.
Das macht mir keine Sorge, erwiderte Hildegard eifrig; ihr Männer gefallt einander selten bei der ersten Begegnung und findet euch bei der zweiten scharmant. Für Lotter hat es einer zweiten nicht einmal bedurft, er ist des Lobes über Sie voll; er nennt Sie den geistreichsten, liebenswürdigsten Mann; er ist glücklich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben; und ich bin überzeugt, auch Sie, lieber Freund, werden Ihr Urteil – ich möchte fast Vorurteil sagen – bald ändern, sobald Sie Lotter näher kennen lernen. Er ist ein wenig verwöhnt wie alle schönen Männer; ein wenig eitel meinetwegen; aber im Grunde der bescheidenste, lenksamste Mensch, ein goldreines Gemüt. Er wird Ihnen gefallen, glauben Sir mir; mehr als gefallen! Sie werden ihn schätzen und lieben.
Ist die wichtigere Frage, mir die wichtigste, bereits erledigt: denkt Erna ebenso günstig über den Baron? liebt sie ihn? denn daß er sie liebt, muß ich doch Wohl annehmen?
Das letztere steht außer allem Zweifel, erwiderte Hildegard; was Erna betrifft – ich hoffe es, ich glaube es; sie spricht sich wenigstens nicht ungünstig über ihn aus, und das will viel bei Erna sagen, die sehr anspruchsvoll ist und mit ihrer Abneigung, wenn eine solche vorhanden, nicht zurückzuhalten pflegt. Es ist freilich schwer, ein richtiges Urteil über Ernas Empfindungen zu gewinnen; für mich um so schwerer, als sie jetzt so lange von mir entfernt gewesen ist, und wir in unseren Ansichten und Neigungen nicht immer übereinstimmen. Zu Lydie wiederum hat sie nie rechtes Vertrauen gehabt – ich finde das nebenbei auch sehr begreiflich. Ich kenne nur einen Menschen, dem sie völlig vertraut – und das sind Sie, lieber Freund!
Ich?
Überrascht Sie das? aber wie wäre das möglich? hat das Kind denn nicht immer Onkel Bertram geliebt, daß wir Eltern wirklich hätten eifersüchtig werden können? ist sie nicht von jeher Ihr Liebling gewesen? Ist sie es nicht mehr, dann lassen Sie es das arme Mädchen um Himmels willen nicht merken; sie würde untröstlich sein. Jetzt spotten Sie meiner.
Nein, wahrhaftig nicht. Fragen Sie Lydie! Daß Lydie oft von Ihnen spricht, werden Sie begreiflich finden, und daß dabei manchmal ein bitteres Wort unterläuft, verzeihlich. Erna verzeiht es nicht. In ihren Augen sind Sie ein für allemal über jeden Tadel erhaben; Sie sind sozusagen ihr Ideal. Es ist eine richtige Schwärmerei, die so weit geht, daß Sie einmal mit der ganzen Ernsthaftigkeit eines Kindes – sie war damals noch ein halbes Kind – behauptet hat, wenn sie einmal heirate, so könne es nur Onkel Bertram sein, und sehr böse wurde, als Lydie und ich sie auslachten.
Die schöne Frau lächelte, und Bertram gelang es, mitzulächeln.
Das ist freilich drollig genug, sagte er; indessen die Schwärmerei sehr junger Mädchen für ihre Literaturlehrer ist sprichwörtlich, und diese erhabene Stelle habe ich von jeher in Ernas Augen bekleidet. Man liebt den Mentor und meint den Telemach. Nun, der Telemach wäre ja bereits da, wenn – Sie richtig gesehen.
Gerade das zu entscheiden, darf der Mentor seinen Dienst noch nicht quittieren, sagte Hildegard. Im Gegenteil, ich bitte ihn auf das dringendste, der Mutter mit seiner Einsicht, seinem Rat zu Hilfe zu kommen, den alten Einfluß bei der Tochter geltend zu machen. Ich darf mich darauf verlassen, nicht wahr, lieber Freund?
Sie hatte ihm die Hand hingestreckt, die er nahm und an seine Lippen führte.
Seien Sie überzeugt, sagte er, daß mir Ernas Wohl teuer ist wie nichts auf der Welt.
Hildegard hatte eine andere, bestimmtere Antwort gewünscht und erwartet; jetzt blieb es doch zweifelhaft, ob sie sich in ihm wirklich einen Bundesgenossen erworben. Indessen die Hauptsache war erreicht, sie hatte die Initiative ergriffen, die Angelegenheit in ihrem Sinne dargestellt, an Bertrams Freundschaft, an seinen Beistand appelliert, ihm einen Beweis ihres Vertrauens gegeben, das er sicher für unbedingt halten würde. So etwas schmeichelt immer, verpflichtet immer. Man muß den Männern ja schmeicheln, wenn man sie sich verpflichten will.
Auch hatte sie für den Moment keine Zeit, eine bestimmtere Zusicherung von Bertram zu erlangen, denn nun kamen der Baron und Lydie die große Mitteltreppe der Terrassen herauf, der Baron, seiner zeitweiligen Eigenschaft als Künstler zuliebe, in hellen Beinkleidern, braunem Samtjacket und einem Panamastrohhut mit ungeheuer breitem Rande; Lydie in einem so abenteuerlichen Morgenkostüm, als hätte sie eben dem Künstler zu irgend einer phantastischen Studie Modell gestanden. Allerdings figurierte sie auch auf dem Bilde, aber nur als Staffage des Vordergrundes – eines Stückes der Terrasse, über die man in das Tal mit dem Dorfe hinabsah, hinter dem sich drüben die bewaldeten Berge erhoben. Der Baron war augenscheinlich mit seiner Arbeit sehr zufrieden, obgleich er ein Mal über das andere behauptete, noch nicht zur Hälfte fertig zu sein; überdies dürfe man an eine flüchtige Skizze nicht den Maßstab eines Atelierbildes legen, da werde natürlich alles ganz anders herauskommen. Bertram meinte im stillen, daß dies allerdings sehr wünschenswert und nur nicht ebenso wahrscheinlich sei. Die sogenannte Skizze war unzweifelhaft ein bereits wiederholt retuschiertes, stellenweise doppelt und dreifach übermaltes Bild, in welches dilettantisches Herumtasten vergeblich Harmonie und Stimmung hineinzubringen versucht hatte. Dennoch pflichtete er höflich dem Lob der Damen bei, das denn freilich von Hildegards schönen Lippen reichlicher floß, während sich Lydie gewohnterweise in Überschwenglichkeiten erging. Es sei bewunderungswürdig, welche Fortschritte der Baron mit jedem Tage mache; hier sei endlich einmal wieder ein Künstler mit dem entschiedensten Zuge nach der so sträflich vernachlässigten großen historischen Landschaft. Die Ähnlichkeit seines Genies mit dem eines Rottmann, eines Preller trete immer mehr hervor. Auch stehe sie nicht allein mit dieser Ansicht. Noch neulich, als bei Hofe von den Schülern der Akademie gesprochen und des Barons Name genannt sei, habe Prinzeß Amalie mit Nachdruck gesagt: das ist kein Schüler, meine Damen, das ist ein Meister, und ein großer dazu. Der Baron ist keine Akquisition für unsere Kunstschule, er ist ein Triumph.
Ja, ja, sie ist mir immer sehr gnädig gesinnt, die hohe Dame, sagte der Baron, seinen Henriquatre streichend; ich bin wirklich begierig, was sie zu meinen neuen Skizzen sagen wird.
Zum Glück für Bertram, der eben unter einem Vorwand der peinlichen Szene entrinnen wollte, kam jetzt der Amtsrat, den Freund zu begrüßen und anzufragen, ob er sich kräftig genug fühle und Lust habe, eine kleine Wagenpromenade mit ihm zu machen. Nur nach der Porzellanfabrik, man könne in einer Stunde zurück sein. Bertram war sofort bereit. Der Baron würde euch gewiß gern begleiten, sagte Hildegard, mit ihrem Gatten Blicke wechselnd; aber ich fürchte, in deinem kleinen Wagen ist kaum für zwei bequemer Platz. Der Baron beeilte sich zu versichern, er könne sowieso nicht mit, da er Fräulein Erna versprochen habe, ihr ein paar neue Lieder zu begleiten; Hildegard fragte Bertram, ob er nicht erst Erna guten Morgen sagen wolle; sie werde es schmerzlich empfinden, wenn er es nicht täte. Man rief nach Erna – vergeblich. Es schien Bertram, als ob Hildegard nur Zeit gewinnen wollte, ihm auf die Seite zu winken und zuzuflüstern: was sie vorhin hinsichtlich Ernas gesprochen, brauche kein Geheimnis vor ihrem Gatten zu bleiben; im Gegenteil! sie wünsche dringend zu erfahren, wie Otto eigentlich über die Angelegenheit denke; er werde gegen den Freund offener sein, als er leider gegen sie zu sein pflege; und daß Bertram in ihrem Sinne sprechen werde, dessen sei sie ja nun sicher. Aber Erna kommt nicht, rief sie; ich will die Herren nicht länger aufhalten. Auf Wiedersehen also in einer Stunde!