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In dem eben noch so stillen Schlosse war es laut geworden von durcheinanderrufenden Stimmen; vom Hofe erscholl Pferdegetrappel. Ein schneller, wuchtiger Schritt kam den Korridor herauf:
Welche Tür?
Die zweite, Herr Oberst; erlauben der Herr Oberst!
Aber Bertram hatte bereits geöffnet; Waldor stürmte herein.
Guten Abend, lieber Freund, oder guten Morgen! ein Glück, daß ich gleich Ihren Diener traf – hätte lange suchen können – habe nur einen Augenblick Zeit – wo ist Ringberg? Ihr Diener sagte, er sei hier?
War hier – noch vor fünf Minuten – bis zum Generalmarsch.
Das kam unerwartet? he? rief der Oberst. Eine Stunde früher – hab's auf meine Kappe genommen – Exzellenz werden außer sich sein – Angriff abwarten – jawohl! bei der exponierten Stellung! – zurück müssen wir schließlich doch – da will ich ihnen wenigstens das Leben sauer machen. Aber das geht Sie nichts an. Hier etwas, das Sie ein wenig angeht und sehr freuen wird. Lesen Sie!
Waldor hatte zwischen ein paar Knöpfen seiner Uniform ein zusammengefaltetes Papier hervorgezogen und Bertram gereicht. Es war eine Depesche in französischer Sprache: »Der Frau Prinzessin meine aufrichtigsten Glückwünsche – Prozeß definitiv gewonnen – Ihr sehr ergebener Diener Odintzow.«
Odintzow ist unser Rechtsanwalt und chargé d'affaires in Petersburg; absolut zuverlässig, erklärte Waldor. – Was sagen Sie nun? Daß ich ebenfalls von Herzen gratuliere. Wie kam das in Ihre Hand?
Man muß eben Glück haben. Wußte, daß die Entscheidung in der Luft schwebte, obgleich Alexandra es nicht glauben wollte. Hatte Auftrag gegeben, bei Tag und bei Nacht jede einlaufende Depesche durch einen Reitenden unverzüglich hierher zu senden. Wie ich eben von meinen Vorposten komme, dicht bei Rinstedt, überhole ich auf der Chaussee einen Kerl, der vor mir hertrabt. – Depesche nach Rinstedt? – Jawohl. – Fürstin Volinzow? – Jawohl! – Her damit! – Der Kerl war die Depesche los, ehe er wußte, wie ihm geschah. Beim Schein meiner Zigarre gelesen – deshalb der Brandfleck. Bitte, geben Sie mir ein Kuvert – oder wollen Sie die Güte haben, sie der Fürstin morgen früh zu überreichen mit meinem ehrfurchtsvollen Gruß? Wird ihr doppelt Freude machen; kann Ihnen sagen: haben noch immer das alte Glück bei Frauen; Alexandra schwärmt für Sie. Richtig! und da mögt ihr denn auch gleich eure klugen Köpfe zusammenstecken, wann und wie ihr nun die gewonnene Schlacht im Interesse unserer jungen Schützlinge ausbeuten wollt. Gebe euch plein pouvoir. Ich dächte, wir ließen sie bis morgen abend zappeln; käme dann mit Kurt herüber, dem natürlich kein Wort sage. Kleines behagliches Souper: meine Herrschaften, habe die exquisite Ehre, Ihnen in der Prinzessin Alexandra Paulowna meine teure Braut – prachtvoll! die verwunderten Augen von der schönen Frau Amtsrätin! – das ist ja allein den Spaß wert! und dann die jungen Leute gleich hinterdrein – ihr müßt natürlich die Kleine vorher ordentlich ins Gebet nehmen – scheint mir ihren Kopf für sich zu haben – na, ihr werdet's schon machen. Adieu, mon cher! adieu! sehen verteufelt abgespannt aus! kommt vom Stubensitzen! ich bin seit heute morgen um vier auf den Beinen und fühle mich frisch, wie wenn ich aus dem Bette käme. Ist das Kurts Glas? keine Umstände! es wäre nicht das erstemal, daß er und ich aus einem Glase getrunken!
Waldor hatte sich das Glas vollgeschenkt und auf einen Zug geleert. Ein vortrefflicher Wein! Adieu! und à revoir!
Und der Oberst war davongestürmt. So erobert man die Welt, sagte Bertram lächelnd; es sieht vielleicht schwerer aus, als es in Wirklichkeit ist.
Er hatte sich wieder an den Schreibtisch gesetzt und ein neues Blatt zur Hand genommen.
»Meine gnädige Fürstin!
Soeben verläßt mich Waldor, nachdem er mir die Einlage, zu welcher ich schönstens gratuliere, zur Weiterbesorgung an Sie übergeben hat. Ich muß das leider schriftlich tun, da ich in wenigen Stunden – heimlich vor aller Welt – von hier aufbreche, um nicht zurückzukehren. Auch Waldor habe ich den letzteren Umstand, den mir unabweisliche Geschäfte oktroyieren, verschwiegen. Er hofft vielmehr, mich am Abend noch hier zu finden, damit ich Zeuge des Erstaunens sei, welches die Ankündigung Ihrer Verlobung, der ja nun nichts mehr im Wege steht, in dem hiesigen Freundeskreise hervorrufen wird. Es tut mir aufrichtig leid, ihm diese Freude – es würde wirklich eine für ihn sein – nicht machen zu können.
Und noch mehr, daß ich ihm eine schlimmere Enttäuschung bereiten muß.
Ich halte es nämlich – im Interesse unserer Schützlinge – für wünschenswert – für notwendig, wenn Sie wollen – daß Sie, meine gnädige Frau, ebenfalls morgen abreisen, ohne Waldors abendlichen Besuch zu erwarten. Die Mitteilungen, welche Sie unserer jungen Freundin zu machen entschlossen waren, noch bevor Ihnen Waldor »plein pouvoir« gegeben – wie er es jetzt durch mich tut – werden die rechte beruhigende Wirkung nur haben, wenn Sie den in Ernas Herzen angeschlagenen Akkord voll und rein ausklingen lassen. Im Leben wie in der Komödie muß man auf gute Abgänge sehen. Man verfehlt sie, wenn man nach dem letzten entscheidenden Worte noch auf der Bühne zögert.
Was die Mitteilungen selbst betrifft?
Ich würde es für anmaßend halten, der klugen Freundin Claudinens nach dieser Seite einen Rat geben zu wollen. Sie weiß, daß man nur vor dem Gerichte verpflichtet ist, die ganze Wahrheit zu sagen. Im Leben genügt es, ja ist es oft im Interesse der Menschlichkeit geboten, freilich nichts als die Wahrheit, aber von der Wahrheit nur so viel zu sagen, wie es – um mit dem weisen Nathan zu reden – nötig ist und nützt.
Und jetzt – zu allen diesen Bitten – einen Dank, einen tiefgefühlten: den Dank, daß Sie mich gewürdigt haben, Claudine kennen zu lernen und – Sie selbst. Ihre Freundin ist vielleicht interessanter und geistreicher – Sie behaupten es wenigstens – aber Sie, Sie haben tausendmal das edlere Herz.
Ich für mein Teil machte stets die schuldige Reverenz vor dem geistreichen Kopfe; aber vor dem edeln Herzen beugte ich immerdar willig meine Knie.« –
Längst war es wieder still im Schlosse; auch das in unmittelbarer Nähe engagierte Gefecht hatte sich weit weggezogen und grollte nur noch in dumpfen Donnern wie fernes Gewitter. Die Lichter auf Bertrams Schreibtische waren fast bis in die Sockel heruntergebrannt; er wandte die müden Augen nach dem Fenster, durch das der Morgen grau hereinblickte. Konski trat in das Zimmer.
Was ist die Uhr?
Eben fünf, Herr Doktor.
So spät! nun, ich bin fertig. Wie steht's? haben Sie einen Wagen aufgetrieben?
Hält schon unten an der Brücke.
Vom Schulzen?
Ja, Herr Doktor. Er machte zuerst etwas Sperenzchen; sie wollen nämlich alle Mann hoch aufs Manöver fahren; und Herr von Busche hat für den Nachmittag auch einen bestellt. Der kriegt nun einen Leiterwagen mit Strohsäcken; na, das ist am Ende nicht so schlimm.
Weshalb machen Sie denn dazu ein so trübseliges Gesicht?
Dazu noch lange nicht, Herr Doktor.
Nun?
Daß ich den Herrn Doktor so allein wegfahren lassen soll. Können Sie mich nicht mitnehmen?
Unmöglich. Sie sehen selbst, daß Sie noch ein Paar Stunden zu tun haben. Die versiegelten Pakete kommen in den kleinen Koffer, den Sie bei sich behalten. Die Briefe dort geben Sie an die Herrschaften, sobald sie auf sind. Das Geld ist zu Trinkgeldern an die Leute. Daß Sie mir keinen vergessen! und nicht geknausert, Konski! Grüßen Sie auch Ihre Aurora von mir. Und nun meinen Mantel! Adieu, Konski!
Ja, soll ich denn den Herrn Doktor nicht wenigstens bis zum Wagen bringen?
Nein.
Herr Doktor, seien Sie mir nicht bös! Ich meine es gewiß gut mit Ihnen, und die Aurora tut es auch. Wir haben noch vorhin wieder von nichts anderem gesprochen. Und sie schwört Stein und Bein darauf, wenn der Herr Doktor nur wollten, Sie könnten das gnädige Fräulein jeden Tag haben.
Dann sagen Sie Ihrer Aurora, der Herr Doktor wolle nicht; der Herr Doktor habe mehr zu tun, als verliebte Narrenspossen zu treiben wie ihr beide.
Er hatte dem treuen Menschen die Hand gereicht und war gegangen. Eine Minute später sah jener, der traurig am Fenster stand, die dunkle Gestalt rasch an dem Rasenplätze hinschreiten und hinter einer Terrassenmauer verschwinden. Seufzend schloß er das Fenster.
Bertram aber hemmte seinen Schritt, sobald er sich unbeobachtet wußte. Langsam stieg er die Stufen zu der zweiten Terrasse hinab. Es war der Laubengang, der links auf den Altan unter der Platane mündete. Er warf einen scheuen Blick nach jener Seite. Sein Fuß hatte schon die nächste Treppe berührt; er wollte hinab – fort; aber wie mit magischer Gewalt zog's ihn doch hin.
Da, in jenem Stuhle hatte sie gesessen; er hier, ihr gegenüber. Und die goldigen Sonnenstrahlen waren durch das dichte Gezweig geschlüpft, in dem die Vögel jubilierten; von den Beeten herauf wogte der Blumenduft, und in seinem Herzen war eitel Licht und Jubel und Frühlingswonne gewesen. Und nun! und nun!
Du heilige Morgenfrühe, vergib mir! ihr stillen Büsche und Bäume sagt's nicht weiter! ich habe ertragen, was ein Mensch ertragen kann; ich kann nicht mehr!
Und die Hände in sein Gesicht drückend, weinte er.