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Der sonnig-heitere Tag endigte nach einem plötzlich heraufgezogenen Gewitter mit einem dunkel-stürmischen Abend. Von den Wäldern herab, aus dem Tale herauf wallten dicke, graue Nebel, die sich in heftigen Regengüssen entluden. Es war empfindlich kühl geworden; die »Ecke am Kamin« in dem Billett der Fürstin erschien keine Phrase mehr, sondern ein sehr berechtigter Wunsch, den Hildegard zu erfüllen sich beeilte, indem sie überall in den Kaminen der Salons des oberen Stockes die sonst nur zur Schau aufgetürmten Scheiter anzuzünden befahl. Man konnte heute abend fast von einer Gesellschaft sprechen. Eine Stunde nach der Fürstin waren auch Agathes Schwestern gekommen; dann hatte sich uneingeladen der Oberförster eingefunden, des bösen Wetters wegen ohne seine Damen, aber in Begleitung des Forstkandidaten, eines Herrn von Busche, der die Woche über verreist gewesen war und, wie er lachend versicherte, sich nun sehr dazuhalten müsse, wenn er so viel versäumte schöne Stunden einigermaßen wieder einbringen wolle. Er schien eifrig bemüht, diesen Vorsatz auszuführen, indem er unermüdlich neue gesellschaftliche Spiele und Scherze auf die Bahn brachte und die vier jungen Damen in fortwährendem Lachen erhielt.
Qu'y a-t-il de plus beau, sagte die Fürstin, wie bisher bald Französisch, bald Deutsch mit gleicher Geläufigkeit sprechend, als so aus dem Nebenzimmer das Lachen junger Mädchen zu hören, während man mit einer Freundin behaglich plaudernd am Kamin sitzt. Vergangenheit und Gegenwart stießen da zusammen und sondern sich wieder, wie die roten und blauen Flämmchen auf den Kohlen; und manchmal blitzt dazwischen eine grüne auf, die wir für ein Licht nehmen wollen, das in die Zukunft leuchtet, schon deshalb, weil es so bald wieder verschwindet. Wie behaglich und schön ist es bei Ihnen, meine Liebe! wie danke ich Ihnen, daß Sie mir so den Vollgenuß Ihres reizenden Heims gewähren!
Sie hatte Hildegards beide Hände ergriffen mit einer Lebhaftigkeit, daß die Braceletts an ihren runden weißen Armen klirrten.
Ich habe Ihnen zu danken, Prinzessin –
Um Gottes willen, nennen Sie mich nicht länger so! Sagen Sie Alexandra! wollen Sie?
Wenn Sie Hildegard sagen?
Cela va sans dire – Hildegard – ein schöner Name – schön wie sie, die ihn führt! Wovon sprachen wir gleich? von der Zukunft – ja! Ihnen blüht eine herrliche in Ihrer wundervollen Tochter.
Gefällt Ihnen Erna?
Gefällt! mon dieu! so kann doch nur die Bescheidenheit der Mutter fragen! gefällt, sie ist einfach himmlisch. Nicht als ob ich nicht schon schönere Mädchen gesehen hätte – Sie sehen, meine Liebe, ich bin ganz aufrichtig – aber in ihrer Haltung – wie sie geht, wie sie steht – jede Bewegung – ihr Mienenspiel – der Aufschlag der Augen – ihr Lächeln – ihr Ernst selbst – das ist von einer Anmut, einem Zauber, der mich völlig berauscht, die ich doch ein Weib bin. Wie mag es dabei den Männern zumute sein! arme Männer! arme gebrochene Herzen! ich beklage euch!
Sie hat bis jetzt kaum Gelegenheit gehabt, Herzen zu brechen, erwiderte Hildegard lächelnd; sie verläßt eben die Pension.
Auch diese jungen Damen sollen es manchmal fertig bringen, sagte die Fürstin; ich fürchte, ich habe selbst ein oder zwei gebrochen, während ich in der Pension war, und in einer sehr strengen dazu – Gott sei's geklagt! aber sprechen wir ernsthaft! Haben Sie schon für das schöne Kind gewählt?
Unsere jungen Mädchen pflegen diese Wahl für sich selbst in Anspruch zu nehmen, erwiderte Hildegard, indem sie dabei einen scheuen Blick auf Bertram warf, der mit Otto, durch den Salon auf und ab promenierend, sich gerade jetzt in unbequemer Nähe befand.
Eine schlimme deutsche Eigentümlichkeit, sagte Alexandra. Wenn ein junges Mädchen, das die Welt nicht kennt, die Männer nicht kennt – außer ihrem Vater, vor dem sie sich fürchtet, und ihren Brüdern, die sie lächerlich findet – sich einen Gatten aussuchen darf nach den konfusen Illusionen ihres kleinen dummen Kopfes – es ist ja hundert gegen eins zu wetten, daß dabei eine bêtise herauskommt oder ein malheur – was freilich nach dem Ausspruch des witzigen Franzosen identisch ist.
Sie sprechen mir aus dem Herzen, liebe – Alexandra, sagte Hildegard, sich mit verbindlichem Lächeln zu der neuen Freundin hinüberbeugend; – ganz aus dem Herzen.
Kluge Frauen verstehen sich eben à demi mot, entgegnete Alexandra. Aber es gibt Ausnahmen, meine Liebe, und Ihre Erna ist so eine Ausnahme. Ihr würde es nie einfallen, sich in einen Mann zu verlieben, bloß weil er sechs Fuß mißt, sich zu frisieren und zu ajustieren versteht, es mag dabei unter dem glatten Scheitel noch so wüst aussehen und unter dem gestärkten Kambrik ein noch so verrottetes Herz schlagen.
Hildegard wagte sich nicht aus ihrer Stellung zu bewegen; sie hatte bemerkt, daß während der letzten Worte der Fürstin der Baron nur zwei Schritte von ihnen stand, offenbar in der Absicht, sich zu ihnen zu gesellen. Da aber keine der Damen ihn zu sehen oder sehen zu wollen schien, betrachtete er eine Vase, die in der Nähe auf einem Marmortische stand, und kehrte wieder um; Hildegard atmete auf.
Sie konnten unbesorgt sein, sagte Alexandra; ich hatte absichtlich, als ich ihn kommen sah, Französisch gesprochen; ich habe mich überzeugt, daß er es sehr schlecht spricht und noch schlechter versteht, was übrigens für einen Kavalier, der einen Hofdienst ambitioniert, recht auffällig ist.
Hildegard erschrak, obgleich es ganz unmöglich war, daß die Fürstin den Baron mit dem »Mann von sechs Fuß« gemeint haben konnte.
Sie wissen, daß der Baron mit unserem Hofe sehr liiert ist? fragte sie etwas unsicher.
Ich war gestern abend bei Hofe, erwiderte Alexandra; – zum Tee. Wir Russen sind an Ihrem Hofe gut akkreditiert, wissen Sie; überdies kenne ich die Herrschaften von ihrem letzten Petersburger Besuche – besonders ist mir Prinzeß Amalie sehr gewogen, und sie ist es auch, die den Baron protegiert.
Nicht wahr? sagte Hildegard eifrig. Bitte, erzählen Sie! es interessiert mich sehr.
Ich habe nicht viel zu erzählen; ich erwähnte im Laufe der gemeinschaftlichen Konversation, daß ich Ihnen heute einen Besuch abzustatten gedächte; bei der Gelegenheit wurde denn auch Fräulein Aschhofs und des Barons Erwähnung getan. Für die extravagante Dame schien alle Welt nur ein Lächeln zu haben – das ich nebenbei ziemlich begreiflich finde –, über den Baron – nun, chère amie, da Sie sich für den jungen Mann interessieren, muß ich schon die Indiskretion begehen, Ihnen den Inhalt eines sehr intimen Gesprächs mitzuteilen, das ich dann in einer Fensternische mit dem lieben Manne, dem alten Grafen Dirnitz, dem Hofmarschall, über den Baron hatte. Er sagte mir, daß die Ansichten über den Baron bei Hofe mindestens sehr geteilt seien; besonders könne der regierende Herr selber eine gewisse Antipathie, die er gegen ihn habe, nicht überwinden, und das sei auch der Grund, weshalb die Bestallung zum Kammerherrn, die übrigens sonst ausgefertigt ist, nicht aus dem Kabinett herauskomme. Er, der Graf, obwohl ein intimer Freund des Vaters des jungen Mannes, wisse nicht, wozu er raten solle. – In diesem Augenblicke trat der gnädigste Herr heran. Er hatte die letzten Worte gehört und sagte lachend: Das passiert Ihnen öfter, lieber Graf; aber um was handelt es sich, wenn man fragen darf? und als Dirnitz, wie er wohl nicht anders konnte, es ihm mitgeteilt: Nun, in diesem Falle geht es mir freilich ebenso; ich möchte der Prinzeß gern gefällig sein, indessen – plötzlich wandte er sich zu mir: Apropos, liebe Fürstin, Sie gehen ja morgen nach Rinstedt. Sehen Sie sich doch einmal unseren Mann genau an. Ihrem unbefangenen Urteile will ich trauen. Wenn Sie finden, daß er für uns taugt – eh bien, so will ich es mit ihm wagen. – Ah, wie scharmant ist der Plafond! das ist wirklich ein Kunstwerk!
Alexandra hatte sich in ihrem Sessel zurückgelehnt und betrachtete durch ihre Lorgnette das Gemälde der Decke.
Eine freie Nachahmung des Guercino in der Villa Ludovisi, sagte sie; – süperb, ganz süperb!
Hildegard war in der peinlichsten Aufregung. Die junge Fürstin hatte ihr auch ohnedies höchlichst imponiert; nun diese ungeahnte, freilich sehr erklärliche Intimität mit den Herrschaften, und gar eine solche Mission, auf deren Ausführung es vielleicht bei dem Besuche einzig und allein abgesehen war! und von deren Resultat das Schicksal des Barons abhing! Ihr schwindelte fast; sie mußte ihre ganze Kraft aufbieten, um auch nur mit einiger Ruhe sagen zu können:
Verzeihen Sie, liebe Alexandra! aber Sie haben die Hauptsache vergessen.
Die Hauptsache? welche Hauptsache?
Wie Ihr unbefangenes Urteil über den Baron denn nun lautet?
Ja so! Sie blickte jetzt wieder auf Hildegard; um den feinen Mund spielte ein eigentümliches Lächeln.
Wenn mein Urteil doch unbefangen wäre! Aber Wie kann es das sein, da die Freunde unserer Freunde auch die unsrigen sind, oder wenigstens sein sollen.
So entkommen Sie mir nicht! sagte Hildegard, deren tief gesunkenen Mut das Lächeln der schönen Dame einigermaßen gehoben hatte.
Ich will Ihnen nicht entkommen, erwiderte Alexandra; nur daß es mir schwer fällt, Ihnen einen albernen Streich zu beichten, den mir mein übrigens sonst passabel gutes physiognomisches Gedächtnis mit dem Baron spielt. Aber man kann sich nun einmal von dem Einfluß, den Ähnlichkeiten auf uns ausüben, nicht freimachen; und bei dem ersten Erblicken des Barons kam mir die höchst fatale Reminiszenz einer Episode der letzten Reise, die ich mit meiner verstorbenen Mama durch Italien machte. Übrigens ist, wie ich zum voraus bemerken muß, die Sache völlig unverfänglich, da der Baron, den ich selbst darum gefragt, in jenem Jahre nicht in Monako gewesen ist.
In Monako? rief Hildegard.
Leider! Meine Mama, die Gräfin Lassounska, müssen Sie wissen, war eine große Verehrerin des grünen Tisches. Nun, sie durfte sich eine Leidenschaft verstatten, die bei den Damen unserer Aristokratie nicht selten übrigbleibt oder sich einstellt, wenn sie alle anderen zu Grabe getragen haben. Und meine Mama hatte viel Unglück gehabt mit ihren anderen Leidenschaften; desto größeres Glück hatte sie bei dieser ihrer letzten. So hatte sie auch eines Abends – nebenbei im Herbste zweiundsiebzig – sie starb im folgenden Frühjahr – vier Wochen nach meiner Vermählung mit dem Fürsten, der uns damals nach Monako gefolgt war, und mit dem ich mich eben – sechzehn Jahre alt – verlobt hatte – großer Gott! und er ist nun auch schon zwei Jahre tot – wie schnell die Zeit vergeht! was wollte ich sagen? ja! meine Mama hatte eines Abends ungewöhnlich viel gewonnen, so viel, daß sie zuletzt kaum noch auf ihre Einsätze achtete, und als sie eines Bekannten ansichtig wurde, sich, ohne übrigens ihren Stuhl zu verlassen, zu demselben umwandte und mit ihm plauderte, bis dieser selbst sie darauf aufmerksam machte, ob sie nicht ihren Gewinn einziehen wolle. Sie meinte, das habe Zeit und plauderte ruhig weiter, zum Staunen ihrer Nachbarn und zum Entsetzen der Bank, die in eine Serie gegen Rot geraten war, auf das meine Mama gehalten hatte. Endlich wandte sie sich – durch die verschiedenen Ahs und Ohs neugierig gemacht – doch in dem Moment, als ein Herr, der bereits den ganzen Abend neben ihr gesessen, den Haufen Geldrollen und Billetts, der sich angesammelt hatte, für sich einzog. Meine Mama reklamierte natürlich ihr Eigentum; der Herr versicherte, daß sie sich irre. Meine Mama wußte, es war nicht der Fall; aber ein Wortwechsel in einem Spielsaale – wissen Sie, meine Liebe – das ist ein Horror für eine Dame von aristokratischen Nerven wie meine Mama; zumal nun auch der Bekannte, mit dem sie geplaudert, und einige Umstehende sich hineinmischten, so daß das Spiel suspendiert werden mußte. Meine Mama erklärte, wenn der Herr behaupte, es sei sein Geld, so lasse sie für ihr Teil jeden Anspruch darauf fallen, erhob sich, nahm den Arm des Bekannten und verließ den Saal. Damit war für sie die Sache zu Ende, die auch sonst keine Folgen hatte, da der Herr es vorzog, noch in derselben Nacht nach Nizza abzureisen. Da soll er denn seinen Raub bald wieder losgeworden sein, wenigstens zeigte man uns, als wir vier Wochen später dorthin kamen, in dem Spielsaale als eine Merkwürdigkeit einen Herrn, der in der letzten Zeit fabelhafte Summen verloren habe. Bei der Gelegenheit habe ich ihn gesehen, zum ersten Male – ich durfte die Spielsäle sonst nicht betreten – und zum letzten Male, denn er war unserer Gesellschaft kaum ansichtig geworden, als er vom Tische aufstand und verschwand, wahrscheinlich auch aus Nizza, wenigstens kam er während unseres Aufenthaltes nicht wieder zum Vorschein. Übrigens hatte meine Mama unseren Herren strengen Befehl gegeben, sich in keiner Weise um den Abenteurer zu kümmern.
Und dieser – Abenteurer hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Baron? fragte Hildegard.
Eine entfernte? nein, meine Liebe, eine frappante! das ist ja eben das Unglück.
Alexandra lehnte sich wieder in den Sessel zurück und spielte mit ihren Ringen; Hildegard blickte düster vor sich nieder. Der Ausführung ihres lange gehegten Planes, der Erfüllung ihres innigen Wunsches drohte ein Hindernis, das schlimmer schien als irgend eines der früheren; und sie war doch schon über allen den Widerwärtigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatte, fast verzweifelt.
Ein Unglück in der Tat, sagte sie, ein großes Unglück für unseren Freund, der einen Zufall, an dem er unschuldig ist, nun so schwer büßen muß.
Wieso büßen, meine Liebe?
Sagten Sie nicht vorhin selbst, daß die leidige Ähnlichkeit Ihnen ein unbefangenes Urteil über den Baron unmöglich mache? Nun aber muß ihm so viel daran liegen, daß dieses Urteil nicht nur ein unbefangenes, sondern ein günstiges sei. Und – um es zu gestehen – auch mir – auch uns liegt daran, sehr viel daran.
Alexandra richtete sich auf, um ihre Lippen spielte wieder das undefinierbare Lächeln.
Liegt Ihnen wirklich so viel daran? sagte sie; verstehe ich Sie recht?
Nehmen wir an, daß es der Fall ist; erwiderte Hildegard, mit einem Versuch, das Lächeln der Fürstin nachzuahmen.
Dann kann ich nur antworten: Je n'en vois pas la nécessité!
Wovon?
Daß gerade dieser Mann Ihre Erna heiratet. Wo liegt da die Notwendigkeit? Wenn sie ihn liebte, müßte man wenigstens darüber sprechen. So verlohnt es sich gar nicht der Mühe. Ein Mädchen wie Ihre Erna – stolz, eigenwillig, hochherzig – wird niemals einen Mann lieben wie diesen Baron – niemals! es ist unmöglich; es ist gegen die Natur – ich meine gegen die Natur eines genialen Herzens: es gibt geniale Herzen, wie es geniale Köpfe gibt. Man darf beiden, ja man muß ihnen unbedingt vertrauen, selbst in dem Falle, daß sie sich – vor allem Übermaß der Empfindungen oder Gedanken – selbst nicht zu vertrauen scheinen. Man muß sie nur gewähren lassen; sie können auf die Dauer nicht irren.
Aber Sie können doch irren, erwiderte Hildegard bitter. Würden Sie es nun keinen Irrtum nennen, würden Sie es mit der Natur des genialen Herzens, von dem Sie sprechen, vereinbar finden, wenn die Betreffende sich für einen Mann interessierte – sagen wir: einen Mann liebte, der an Jahren ihr Vater sein könnte, einen Mann von fünfzig Jahren?
Die Frage mußte für Alexandra sehr überraschend kommen. Sie hatte sich fast aus dem Sessel aufgerichtet und starrte Hildegard mit großen Augen an, während ein dunkles Rot auf ihren feinen Wangen brannte. Aber bereits im nächsten Moment waren Miene und Farbe wie vorhin, und sie kauerte sich noch tiefer in den Sessel, indem sie langsam sagte:
Die Frage läßt sich nicht so unbedingt weder mit ja noch mit nein beantworten. Es käme auf die Betreffende und den Betreffenden an. Zuerst die Betreffende. Sie sprechen natürlich –
Von Erna.
Unter den langen Lidern der jetzt fest geschlossenen Augen zuckte es wie ein Blitz.
Natürlich, wiederholte sie gedehnt. – Und der Betreffende?
Hildegard winkte mit den Augen nach dem anderen Ende des Salons, wo Bertram mit dem Oberförster plauderte.
Ah! sagte Alexandra, und dann nach einer langen Pause, in welcher sie den Bezeichneten durch die Lorgnette fixiert hatte:
Sie sind Ihrer Sache sicher?
Vollkommen.
Man irrt sich in solchen Dingen nur zu leicht.
Hier ist der Irrtum ausgeschlossen.
Wodurch?
Hildegard zögerte mit der Antwort. Aber ihr Herz war zu voll; der mühsam zurückgedrängte Schmerz, den sie über die bedingungslose Verurteilung des Barons empfand, der Groll gegen Bertram, der Zorn gegen Erna – das alles wollte sich endlich Luft schaffen, wie sehr der Stolz sich dagegen bäumte. Sie bog sich dicht an Alexandra heran und flüsterte mit hastiger Stimme:
Sie werden eine Mutter nicht verdammen, auch wenn sie in ihrer Verzweiflung zu verzweifelten Mitteln greift, oder doch geschehen läßt, wozu sie selbst sich freilich nie entschließen würde. Ich war sogar völlig ahnungslos; aber Lydie – Fräulein von Aschhof – sie hatte ihre speziellen Gründe, das Benehmen des Herrn genau zu kontrollieren – wollte es herausgefunden haben. In der Tat teilte sie mir Beobachtungen mit, die sie gemacht hatte – Worte, die sie vernommen, Blicke, die sie aufgefangen – ich fand es so fabelhaft, so unglaublich, so abscheulich; aber mein Vertrauen war erschüttert – ich sah mit anderen Augen, hörte mit anderen Ohren – sah und hörte, was mich schaudern machte. Dennoch hätte ich mich gewiß noch lange gegen eine Überzeugung gesträubt, die mir jeder Tag und jede Stunde von neuem aufdrängte – da bringt mir Fräulein von Aschhof vorgestern einen Brief, den meine Tochter an ihre Cousine Agathe geschrieben, aber nicht abgeschickt hat – ich weiß nicht, aus welchem Grunde. Ich weiß auch nicht, wie Lydie – Fräulein von Aschhof – zu dem Briefe gekommen ist – ich glaube –
Weiter, weiter! sagte Alexandra, als Hildegard eine verlegene Pause machte; – darauf kommt es ja gar nicht an. Die Hauptsache ist, daß Sie den Brief gelesen haben. Und was stand in dem Briefe? daß sie den Mann liebte?
Nicht mit diesen Worten, aber in Worten, die sich nicht anders verstehen ließen.
Haben Sie den Brief noch?
Leider nein; Lydie hat ihn wieder –
Dahin gelegt, wo sie ihn fand – natürlich, wenn es auch schade ist. Es ließe sich vielleicht doch eine andere Interpretation denken. Indessen, nehmen wir an, daß es sich so verhält. Was haben Sie beschlossen?
Lieber zu sterben, als meine Einwilligung zu geben – tausendmal lieber.
Die Blicke der beiden Damen begegneten sich und ruhten auf ein paar Momente fest ineinander. Alexandra nickte und sagte:
Ich sehe, daß es Ihnen ernst damit ist; ich begreife es – noch mehr: ich will Ihnen helfen, daß Sie nicht zu sterben brauchen; ich verspreche es Ihnen. Werden Sie meine Hilfe verschmähen?
Sie hatte Hildegards Hände ergriffen.
Ich werde Ihnen ewig dankbar sein, sagte Hildegard; aber –
Kein Aber! ich gehöre zu den Leuten, die ausführen, was sie sich vorgenommen haben. Sie sollen mit mir zufrieden sein.
Ich fürchte, es kommt alles zu spät.
Das werden wir sehen. Fürs erste: bringen Sie mir den Herrn einmal her und lassen Sie uns allein. Noch eine Bedingung: Sie fragen mich nie, welche Mittel ich in Anwendung gebracht habe. Wollen Sie?
Ich will alles, was Sie wollen – meine gütige Freundin!
Sie hätte die kleinen, beringten Hände, die sie noch immer gefaßt hielt, an ihre Lippen gedrückt, nur daß Alexandra es mit einer raschen Bewegung verhinderte: Um Himmels willen, keine Demonstration; man darf nicht sehen, daß wir so gute Freundinnen sind.
Hildegard war gegangen, Bertram zu holen. Alexandra blickte wieder durch die Lorgnette nach dem Deckengemälde; aber ihre Gedanken weilten nicht bei Apollo und den Nymphen. – Also jetzt kämen wir erst an den Rechten: der andere verlohnte sich auch kaum der Mühe; aber dieser ist nicht so leicht zu nehmen. Armer Kurt! es wäre eine süße Rache! Nein, nein! ich habe es mir gelobt, bei der Liebe, mit der ich dich geliebt habe, mit der ich dich noch liebe – wie einen Bruder: ich wolle dir die Geliebte zurückbringen, und sollte ich sie aus der Hölle holen. Ich will meinen Schwur halten; ich will dir morgen mit reinem Herzen vor die schönen Augen treten. – Ah, Herr Bertram! das ist freundlich von Ihnen! Ich fing schon an, sehr beleidigt zu sein. Ich bin nicht gewohnt, von den geistreichen Leuten vernachlässigt zu werden. Sehen Sie zu, wie Sie es wieder gutmachen; vor allem: setzen Sie sich!