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Zehntes Kapitel.

Die Parkpforte war hinter den Damen klirrend in das Schloß gefallen; Friedrich stand mit den Pferden bereit. Die Herren saßen auf und trabten den Weg, den sie eben gekommen waren, zurück. Vom westlichen Himmel war die Abendglut fast verblichen; doch war es noch hell genug, daß man ohne besondere Vorsicht reiten konnte. So waren sie in wenigen Minuten bis zu dem Wäldchen auf der Scheide von Salchow gelangt, wo sie vorhin die Damen getroffen hatten.

Nun, was sagen Sie? rief Guido, plötzlich das Schweigen, das bis dahin geherrscht hatte, unterbrechend; habe ich zu viel behauptet?

Was hatten Sie behauptet? gab Ulrich, aus seinem zornigen Brüten auffahrend, zurück.

Wie Sie fragen! Daß sich Fräulein Eleonore mit keiner andern Dame vergleichen läßt.

Fräulein Eleonore! Sieh doch! Das klingt ja bereits recht vertraulich!

Verzeihung! Es fuhr mir so heraus. Ich hätte allerdings Fräulein Ritter sagen sollen.

Genieren Sie sich nicht! Einem alten Freunde gegenüber! Sagen Sie doch gerade heraus, daß Sie sie anbeten!

Ich Fräulein Ritter anbeten? rief Guido mit einem verlegenen Lachen. Wie kommen Sie um Himmelswillen auf den sonderbaren Einfall?

Wie einem eben so etwas einfällt, wenn man gewisse Dinge kombiniert. Zum Beispiel Ihr Zusammentreffen mit der schönen Dame an einem Tage, dessen Datum Sie so genau im Gedächtnisse haben; die stundenlange angenehme Konversation – und zu konversieren weiß sie – sapristi! – Dann erscheint sie bei uns zu Lande – ich lasse dahingestellt, ob zufällig oder nicht. Jedenfalls sind Sie der erste, der es erfährt und von seiner Wissenschaft auch sofort den entsprechenden Gebrauch macht, wie Ihre Anwesenheit hier auf Salchow beweist. Nur etwas zaghaft gehen Sie vor, deucht mir. Zwei kostbare Tage nutzlos verstreichen lassen! Freilich, mit meiner Frau Schwiegermama ist nicht zu spaßen, und Kittie nimmt leicht die ganze Hand, wenn man ihr den kleinen Finger reicht. Auf der andern Seite: wer nicht wagt, nicht gewinnt. Und mit diesem nicht mehr ganz neuen, aber erprobten Rate gute Nacht!

Sie waren aus dem Wäldchen heraus, an eine Stelle gekommen, wo von dem Kommunalweg ein schmaler Gutsweg direkt auf den Hof von Salchow zuführte. Bevor Guido, verwundert, ja erschrocken über die sonderbare Rede des Freundes, ein Wort hervorbringen konnte, hatte dieser Robin die Sporen gegeben und jagte von ihm fort in den dunkeln Abend hinein. Er wäre ihm gerne gefolgt, sicher, ihn einzuholen. Viktor war noch ganz frisch und das schnellere Pferd. Aber was hätte es genützt? Ulrich wollte offenbar allein sein.

Ulrich wollte allein sein; er hätte die Begleitung des ihm sonst so lieben Menschen keine Minute länger ertragen können. Was er da eben gesagt und wie er es gesagt – Guido hatte das Recht, sich beleidigt zu fühlen. Vielleicht schickt er ihm morgen früh eine Herausforderung. Es war ja gleich. Es war jetzt alles gleich. Und er hatte fraglos recht: Guido müßte nicht Guido sein, wenn sein weiches Herz nicht Feuer gefangen hätte. Und Clementine war seine Vertraute – sie hatte fünf Minuten mit ihm zu sprechen! Resultat: der für morgen arrangierte Besuch, und dann so weiter. Und sie – heiliger Himmel! sie! Frau Gräfin Wendelin! Das ließe sich hören! Natürlich mußte man vorher den alten Liebhaber abgeschafft haben. Nichts leichter als das! Man gab ihm eben den Laufpaß. Unter dem Vorwand, daß er mit Frau und Kindern gesegnet war! Nun, meine Gnädigste, das wußten Sie auch schon in Norderney! Aber was thut man nicht vor lieber langer Weile! Unsereiner geht auf die Hasenjagd; ihresgleichen fängt eine gemütliche kleine Flirtation mit dem ersten besten an, der ihr in den Weg läuft. Das verpflichtet zu nichts, zu absolut gar nichts. Wenn man nur hinterher wunderschön von Pflicht sprechen kann! Und ich Narr der Narren habe sie geliebt! Recht so, Robin! geh du im Schritt! Sie ist es nicht wert, daß wir uns für sie die Hälse brechen. Und nach Hause kommen wir beide noch immer zu früh.

Es war völlig Nacht geworden, als Ulrich auf dem todmüden Robin in seinen Hof einritt. Hertha, die bereits vor einer Stunde nach Haus gekommen war, hatte sich, da zu warten doch vergeblich schien, mit Mademoiselle Didot an den Theetisch gesetzt, als sie seine Stimme vom Hofe her hörte, wo er mit Herrn Pasedag sprach. Mademoiselle, die eben Madame eine Tasse reichte, bemerkte, daß Madame, die schon sehr blaß von ihrer Fahrt zurückgekehrt war, noch blasser wurde, und die Tasse in ihrer Hand klirrte. Madame hatte sich in den Sessel zurückgelehnt, offenbar in der Annahme, daß der Herr Baron alsbald in das Zimmer treten würde. Aber der Schritt des Herrn Baron ging über den Hausflur in der Richtung nach seinem Gemache. Madame saß da mit halbgeschlossenen Augen, ohne sich zu regen. So regte sich auch Mademoiselle nicht und beobachtete die Dampfwölkchen, die aus der Tülle des Wasserkessels aufstiegen, dessen Deckel von Zeit zu Zeit klapperte. Es war das einzige Geräusch, wenn man das Ticktack der Pendule auf dem Sims des Kamins ausnahm.

So vergingen zehn Minuten. Dann bat Madame sie mit tonloser Stimme, auf die Tischglocke zu drücken, worauf Johann erschien und den Auftrag erhielt, dem Herrn zu sagen, daß die Frau Baronin mit dem Thee auf ihn warte.

Nach einer Minute kam Johann wieder: der Herr Baron lasse die Frau Baronin bitten, nicht auf ihn zu warten. Der Herr Baron fühle sich nach dem heißen Tage etwas angegriffen und wünsche, sich sofort zur Ruhe zu begeben.

Madame sagte: Es ist gut, Johann! blieb aber zurückgelehnt sitzen, ohne ihren Thee zu berühren, der freilich inzwischen kalt geworden sein mußte. Auf Mademoiselles Frage, ob sie Madame eine neue Tasse zurechtmachen dürfe, kam keine Antwort. So löffelte denn Mademoiselle ihren ebenfalls kalt gewordenen Thee schweigend aus und aß so geräuschlos wie ihre falschen Zähne es gestatteten, ein Butterbrot dazu. Mademoiselle hatte kein »Faible« für Madame; aber als sie, von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick auf sie werfend, sah, daß sie wo möglich noch blasser geworden war und ihr Kopf in seltsamer Weise hin und her schwankte, that sie ihr doch leid, und sie fragte, ob Madame sich unwohl fühle und ob sie für Madame etwas thun könne?

Auch auf diese Frage erfolgte keine Antwort. So erhob sich Mademoiselle und begab sich nach dem Schlafzimmer von Madame, wo, wie sie wußte, auf dem Toilettetisch ein Flacon mit englischem Riechsalz stand.

Mademoiselle konnte nach ihrer Berechnung höchstens drei Minuten weg gewesen sein. Sie erschrak daher, als sie, wieder hereintretend, Madame nicht mehr in ihrem Sessel am Theetisch, und dann, sich erstaunt umblickend, mitten im Zimmer auf dem Teppich regungslos auf dem Rücken liegen sah. Sie meinte im ersten Augenblick, Madame sei tot – was sie ganz begreiflich gefunden hätte. Aber es war nicht der Fall: Madame erholte sich nach einigen Minuten so weit von ihrer Ohnmacht, daß sie das Flacon, welches ihr Mademoiselle fortwährend an die Nase hielt, zurückstoßen und sich mit Mademoiselles Hilfe langsam aufrichten konnte.

Mademoiselle hatte vor Madames Charakterstärke einen großen Respekt. Aber es war ihr doch ordentlich unheimlich, als Madame, ihre Hilfe zurückweisend, mit etwas rauher Stimme, aber ruhig sagte: Ich will zu Bett gehen. Bitte, beendigen Sie Ihren Thee allein! Sehen Sie nachher noch einmal nach Lili! Sie hatte vorhin ein etwas warmes Köpfchen. Noch eines: sagen Sie dem Baron nichts! Es würde ihn unnütz ängstigen. Ich habe früher oft dergleichen Zufälle gehabt; sie haben gar nichts zu bedeuten.


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