Friedrich Spielhagen
Uhlenhans
Friedrich Spielhagen

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148 Achtzehntes Kapitel.

In dem Gespräche der jungen Damen unten im Parke war bereits seit mehreren Minuten eine Pause eingetreten, welche Isäa nicht zu bemerken schien, während dieselbe von Hertha peinlich empfunden wurde. Sie mußte sich eingestehen, daß ihr vielgerühmtes Talent, Konversation zu machen, für diesen Fall nicht ausreiche. Welche Themata hatte sie während der Stunde, die sie hier nun saßen, nicht bereits angeschlagen! Ueber ihre Vergangenheit wollte die schöne Schwägerin offenbar nicht sprechen, sie hätte sonst nicht jede dahin zielende Wendung, die sie dem Gespräche zu geben suchte, überhört; die augenblickliche, in so vielem, ja in jedem Betracht außergewöhnliche Situation, in die Klarheit zu bringen Hertha mit der ganzen Kraft ihres Geistes bemüht war, nahm sie als etwas hin, das sich von selbst verstand, oder doch, wie es auch sein mochte, durch ihre Teilnahme, ihr Eingreifen nicht anders werden würde; und bei dieser ihrer Gleichgültigkeit für die unsichere Gegenwart verbot sich ein Ausblick in die Zukunft mit den tausend Fragen, die sich da herandrängten, von selbst. Das schöne, stille Wesen wurde Hertha immer rätselhafter. Sie ist einfach dumm, hatte sie sich bereits ein dutzendmal gesagt; und ebenso oft war sie von einer Annahme zurückgekommen, mit welcher der feine Schnitt der wundervollen Züge, der sprechende Blick der großen, braunen Augen, das anmutige Lächeln, das von Zeit zu Zeit um die reizenden Lippen schwebte, so gar nicht stimmen wollten. Dann wieder hatte sie sich das schöne Rätsel durch die Sitte des Landes zu erklären gesucht, welche den Frauen ein derartiges Benehmen zur Gewohnheit oder Pflicht mache – eine 149 Verschleierung der Seele gleichsam, welche zurückgeblieben war, wenn auch die Hülle, hinter welcher die orientalischen Frauen ihr Gesicht verstecken müssen, für sie gefallen sein mochte. Aber Isäa war ja, fast noch ein Kind, aus ihrer Heimat gegangen; hatte vier Jahre in Paris zugebracht – in einem Kloster immerhin, aber doch in Paris; – vor allem, sie hatte den Mut gehabt, Gustav zu lieben, sich bei dem Zusammensturze ihres Hauses dem Geliebten anzuvertrauen; seitdem bereits über ein Jahr lang ein Flüchtlingsleben in fremden Landen geführt – wie konnte da die Seele verschleiert geblieben sein – eine Seele, durch welche Sorge, Angst, Verzweiflung gestürmt sein mußten; eine Seele, in welche doch die Liebe eingezogen war, in der doppelten Gestalt sogar der Gatten- und Mutterliebe?

Oder war dies lächelnde Schweigen nur Klugheit? Verbarg sich hinter demselben nur die Unsicherheit, die sie auf einem fremden Terrain empfand, auf das sie sich so plötzlich versetzt sah? Wollte sie, bevor sie aus sich herausging, erst sicheren Boden unter ihren kleinen Füßen haben? Hielt sie dafür, daß, bevor sie, die Fremde, sich anvertraue, man ihr mit Beweisen des Vertrauens entgegengekommen sein müßte? Besonders die, von welcher sie doch wohl wußte, obgleich sie es mit keiner Silbe angedeutet, daß sie die Verlobte ihres Gatten gewesen, der sie selbst also den Verlobten geraubt hatte, und über deren wirkliches Empfinden sie die schnelle Verlobung mit dem Bruder des Gatten nicht aufgeklärt und nicht beruhigt haben mochte?

Es kann nicht anders sein, sagte sich Hertha, sie traut dir nicht, sie glaubt dir nicht, daß du es redlich meinst. Sie traut auch vielleicht Gustav nicht, und hat sie unrecht, wenn sie es nicht thut? Liegt es nicht bei mir, ob ich den Wetterwendischen wieder an mich fesseln will oder nicht? Hat er nicht gestern in dem Augenblicke, als sie kamen, die Stirn gehabt, mir abermals von Liebe zu sprechen? Und wenn er auch seitdem sein Spiel verdeckt genug spielt – sie ist seine Frau und sieht vielleicht in die dunklen Tiefen seines Herzens klarer als der Unsinnige selbst.

150 Isäa, sagte Hertha.

Isäa wendete die schönen Augen, welche in das dichte Gezweig zu ihren Häupten hinauf geträumt hatten, zu ihr und lächelte.

Isäa, wiederholte Hertha, wir haben jetzt von allem und von allen gesprochen, nur von einem nicht, der, wenn nicht Sie, so doch mich mehr als alles und alle interessieren muß.

Isäas schöne Augen blieben still auf sie gerichtet. Wußte sie, von wem die Rede sein sollte? Wollte sie nur zum Weitersprechen einladen? Gleichviel, Hertha glaubte es sich selbst schuldig, daß sie von ihm sprach, sich die Beklemmung wegsprach, die sich auch jetzt wieder enger um ihr Herz legte und sie nur zögernd sagen ließ: Sie wissen, wen ich meine? Hans.

Sie hatte sagen wollen: meinen Hans; es hatte nicht über ihre Lippen gewollt.

Isäa nickte und sagte in ihrer apathischen und doch so süßen Sprechweise: Er ist ein schöner Mann.

Hertha durchzuckte es. Sie hatte bis vorgestern nie daran gedacht, ob Hans schön oder häßlich sei. Wie sie ihn sah, glaubte sie ihn von Kindesbeinen an gesehen zu haben: groß, schwarz, scheu, schweigsam, in dem Anzuge und in der Haltung eines braven Verwalters, der verlegen wird, wenn ihn ein Mitglied der Gutsherrschaft anredet und womöglich jeder Gelegenheit dazu sorgsam aus dem Wege geht. Nur ganz dunkel konnte sie sich erinnern, sein Gesicht sei früher nicht so ernst und traurig, und sein Bart nicht so lang gewesen; das eine Auge aber hatte er für sie immer gehabt, trotzdem sie bereits sieben Jahre alt war, als er die Sehkraft des andern einbüßte. Seit gestern hatten ihre Augen verstohlen zu prüfen begonnen, ohne freilich zu einem andern Resultate zu gelangen, als daß man ihn mit seinen dreißig Jahren doch eigentlich noch zu den jungen Männern zählen dürfe. Jetzt hörte sie zu ihrer Verwunderung, ja zu ihrem Schrecken, daß er schön sei aus dem Munde einer, die ihn vorgestern zum erstenmale gesehen hatte, und – die selbst so schön war.

151 Und das ist Ihr Ernst? sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln.

Aber gewiß, erwiderte Isäa, er ist viel schöner als mein Gatte, er ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe.

Sie hatte es mit einer gewissen Lebhaftigkeit gesagt, die Hertha sonderbarer berührte, als die wunderliche Behauptung selbst, und ihr den Mut benahm, ihre Frage zu wiederholen; auch fuhr Isäa alsbald fort:

Und gewiß der beste. Das würde nicht viel sagen; die meisten Männer sind schlecht, eitel, treulos, nur auf ihren Vorteil bedacht. Man darf ihn nicht mit den anderen vergleichen. Er ist gut und weiß es nicht; er ist schön und weiß es nicht; er ist treu und weiß es nicht; er ist einfältiger wie ein Kind, er ist stupid – alles nur, weil er nie an sich denkt, immer nur an die anderen. Vorgestern Abend – ich fühlte mich so allein, unglücklich, verlassen. Wie wird man dich empfangen, dachte ich, und dein Kind? Ihr kommt niemandem gelegen, ihr werdet allen zur Last sein. Er trat herein und meine Angst war verflogen. So muß es denen zu Mute sein, welchen ein Engel erscheint. Und gestern Morgen, – die Sorge hatte mich von neuem erfaßt – mein Gatte verschwunden, meine Amme in Zorn, das Haus voll lärmender Männer – einer derselben begegnete mir im Garten, wohin ich geflohen war, und redete mich an – ich glaubte vor Scham vergehen zu müssen; – da trat er zu mir, nahm mich bei der Hand, und – nun kommt nur, die ihr der armen Isäa übelwollt! Ihr seid machtlos gegen den Guten, Starken, Tapferen!

Isäa schwieg und blickte wieder träumend in die grüne Dämmerung der Baumkronen, nur daß ihre schönen Augen noch tiefer glänzten als vorhin: als leuchte aus ihnen der Widerschein der Begeisterung, mit der sie das Loblied auf Hans gesungen. Denn das Französische, das sie fließend, als wäre es ihre Muttersprache, nur mit einem weicheren Tone, sprach, war vollends jetzt wie Gesang in ihrem Munde gewesen. Und der doch häßlich durch Herthas Seele schrillte. Was war das? Was hatte die Stumme auf einmal so beredt gemacht? Bloße 152 Dankbarkeit findet nicht solche Worte, solche Accente, gibt den Augen nicht einen solchen schwärmerischen Glanz. Aber sie konnte doch nicht auch Hans lieben wollen zu ihrem Gustav! Oder liebte sie Gustav nicht mehr? War es ein Verhängnis, daß die schöne Träumerin den Träumer nach dem lebensfreudigen Bruder finden mußte, den sie wohl für den Moment durch ihre Schönheit berücken, aber auf die Dauer nicht zu fesseln und zu halten vermochte?

So zuckte es hin und her durch Herthas Seele, während sie stumm neben der nun auch wieder Verstummten saß; und sie sagte sich, daß all' diese Zweifelsfragen sie jetzt nicht quälen könnten, wenn sie sich mit denselben nicht schon seit gestern getragen; wenn alles wäre, wie es sein sollte: ein ehrliches Lieben von Herzen zu Herzen und nicht, wie es war, ein unsicheres Tasten und Suchen in der Dunkelheit unklarer oder gar gemachter Empfindungen.

Und nun, als sollte die widerwärtige Stimmung, in die sie von einer zur andern dieser stummen Sekunden immer tiefer geriet, zur Unerträglichkeit gesteigert werden, glaubte sie in einer Männergestalt, welche auf dem Wege von der Parkpforte rechts am Hause zwischen den Büschen sichtbar wurde, während sie langsamen Schrittes näher kam, Axel von Grieben zu erkennen. Noch ein paar Augenblicke – der Kommende trat aus den Büschen hervor – es war Axel, der die Blicke über das Schloß, dann nach der entgegengesetzten Seite schweifen ließ; mit der Gebärde jemandes, der gefunden, was er sucht, den Arm hob, herüber grüßte und nun auf das Rondel herum auf sie zueilte.

Hertha hatte ein ärgerliches Ah! nicht unterdrücken können, das auch Isäa auf den Kommenden aufmerksam machte. Sie wendete lässig den Kopf und sagte, jetzt wieder mit der leisen apathischen Stimme: Sieh' da, der Herr von gestern Morgen! Wie nannte ihn doch Ihr Verlobter?

Also Axel war der Herr gewesen, von dem sie gestern Hans befreit? Und ihr hatte man nichts von einer Begegnung gesagt, die doch wahrlich für sie von keinem geringen Interesse war. Oder glaubte Hans, er dürfe des Mannes gegen sie nicht 153 erwähnen aus einer Rücksicht, die ihr wie eine Beleidigung erschien?

Da war Axel bereits vor ihnen, den Hut in der Hand, sich verbeugend, lächelnd mit einem Anfluge von Verlegenheit, die seiner sonstigen Keckheit und Selbstzufriedenheit höchst wunderlich stand.

Guten Morgen, meine Damen! sagte er auf französisch, verzeihen Sie, wenn ich Ihr reizendes tête-à-tête störe. Aber ich mußte mich nach dem Befinden der gnädigen Frau erkundigen, deren Bekanntschaft ich gestern Morgen gemacht hatte, wie Ihnen, gnädiges Fräulein, Ihr Herr Verlobter mitgeteilt haben wird. Ich mußte sehen, wie es Ihnen geht, gnädiges Fräulein, der ich zugleich die schönsten Grüße von Mama und Papa zu überbringen mir erlaube. Darf ich? Tausend Dank!

Er hatte auf einem der Gartenstühle Platz genommen und fuhr alsbald, zu Hertha gewendet, fort:

Man war etwas ärgerlich auf Sie, ich darf es nicht leugnen – war ich es doch im ersten Momente auch; aber ich versichere Sie, nur im ersten Momente. Dann sagte ich mir: mein Gott, es ist doch am Ende ganz selbstverständlich, daß sie ihren Vetter, ihren Spielkameraden von Kindheit auf, wenn er nach drei Jahren endlich zurückkommt, sehen, begrüßen, erst einmal ein wenig für sich haben will, natürlich ohne den Rechten der jungen schönen Frau zu nahe zu treten, mit der uns der liebe Gustav überrascht hat. Zum wenigsten uns Freunde – und wenn ich nicht sehr irre, auch seine Familie. Leugnen Sie es nicht! Es war ja nicht hübsch von ihm, aber was wollen Sie? Sie sollten doch unsern Gustav kennen: wann hätte er je gehandelt wie wir andere gewöhnliche Sterbliche! Und in diesem Falle konnte er freilich sicher sein, daß Freund und Feind ihn amnestieren würde. Habe ich recht, Fräulein Hertha?

Verzeihen Sie, sagte Hertha, ich sehe dort die Pahnk, die in irgend welchen häuslichen Nöten ist, aus denen ich sie mit Ihrer Erlaubnis erlösen werde. Ich bin in wenigen Minuten wieder hier. Und da Sie beide alte Bekannte sind –

154 Alte Bekannte, ist gut, sehr gut! rief Axel mit lautem Lachen, deliziös! Aber nur auf ein paar Minuten, gnädiges Fräulein, nur auf ein paar Minuten!

Er hatte die letzten Worte hinter Hertha her gerufen, die bereits zwischen den Beeten hin nach dem Hause eilte, wo in der Thür des Speisesaales Frau Pahnk auf sie zu warten schien. Jetzt nahm er wieder Platz, diesmal auf dem Sessel neben Isäa, den Hertha soeben verlassen hatte und sagte in ironischem Tone mit einem bezeichnenden Blicke über die Schulter:

Die arme Kleine! Ich kann es ihr nicht verdenken! Sie sehen, Madame, wie recht ich hatte, als ich mir gestern anzudeuten erlaubte, Sie würden hier einigermaßen brouillierte Verhältnisse antreffen. Und da wußte ich noch nicht einmal, daß unser kleines Fräulein sich beeilt hat, die Verwirrung – besonders in dem eigenen lieben Herzen – so wesentlich zu vermehren, indem sie aus Dépit Hals über Kopf eine Wahl traf, die denn doch, um es milde auszudrücken, ihre Freunde sehr frappiert hat.

In erster Linie Sie?

Sie hatte sich so plötzlich aus ihrer halb liegenden Stellung aufgerichtet, daß er förmlich erschrak und an die braune Schlange denken mußte, die sich einmal so vor ihm auf der Rebhühnerjagd aus dem Grase emporgebäumt und ihn mit funkelnden Augen angeblitzt hatte. So lächelte er denn halb verlegen, halb selbstgefällig und sagte:

Verzeihen Sie meine Neugier: von wem wissen Sie, was man denn doch, deucht mir, einige Ursache hatte, geheim zu halten?

Sie hatte sich bereits wieder zurückgelehnt und blinzelte mit halb verschlossenen Augen in das grüne Laubdach hinauf.

Von niemandem.

Und doch –

Man sieht das so, hört das so, weiß das so, indem man die Augen aufmacht und die Ohren nicht schließt.

Ah!

Wundert Sie das?

155 Von Ihnen, Madame – nein!

Warum nicht von mir?

Weil man sofort begreift, daß diese großen Augen alles sehen, diese kleinen Ohren alles hören müssen. Ah, Madame –

Er warf einen scheulüsternen Blick auf sie, die noch immer wie träumend dasaß, während goldene Lichter durch das Laubdach über ihr wundervolles wie Rabengefieder glänzendes Haar, über die Samtwangen, über den schlanken Nacken spielten, und er, der die trunkenen Augen nicht wieder von ihr wenden konnte, sich zuschwor, daß er das schöne Weib besitzen wolle, und wenn er sein Leben daran setzen müsse.

Sagen Sie doch –

Er zuckte zusammen, als hätten ihre Augen, von denen die seidenen Wimpern sich jetzt langsam hoben, ihn bei seinem wahnsinnigen Gedanken ertappt.

Was, Madame?

Sie sind ein guter Freund Gustavs?

Ich war es, Madame, von frühester Jugend auf. Wir sind in einem Alter.

Sie waren es? Wollen Sie es nicht mehr sein?

Ob ich es will! Es wird ganz auf Gustav ankommen. Ich brenne darauf, ihn wiederzusehen. Er wird hoffentlich nicht zu lange ausbleiben; ich höre, er ist mit Baron Hans ausgeritten.

Sind Sie auch ein Freund von ihm – meinem Schwager?

Gewiß; das heißt, er ist so viel älter als ich – fünf oder sechs Jahre. Und dann, er war von jeher ein Sonderling, dem näher zu treten schwer hielt. Ueberdies, er schien nur für einen – für Gustav – zu leben; ihn zu lieben wie seinen Augapfel – Pardon!

Weshalb?

Ich dachte nicht an – an die böse Geschichte mit – dem andern Auge. Ich war selbst zugegen, als er es verlor.

Erzählen Sie doch!

Wir spielten zusammen, das heißt Gustav und ich und noch ein paar, und Baron Hans war dabei – er war überall, wo Gustav war – und lehrte uns sozusagen spielen – er 156 verstand das ausgezeichnet. Diesmal war es mit der Armbrust – so ein Dings – nun, ich sehe, Sie wissen schon – tausend Dank! Er hatte sie selbst gemacht, und schoß immer ins Zentrum, wie er denn überhaupt ein kapitaler Schütze ist – der beste in der ganzen Gegend. Wir anderen trafen natürlich immer daneben, auch Gustav, der sich sehr darüber ärgerte – er konnte es nie leiden, daß einer etwas besser machte, als er. Und so sagte er zu seinem Bruder: Wenn du das nächste Mal wieder ins Schwarze triffst und ich vorbei, schieße ich dir ein Auge aus. Wir lachten alle darüber, auch Baron Hans, der richtig wieder traf, während Gustav diesmal nicht einmal die Scheibe berührte. Das gab denn ein Hallo und Lärmen, und dann weiß ich nicht, was geschehen ist, aber auf einmal schrie Gustav laut auf und ließ die Armbrust fallen, während Baron Hans fünf Schritt von ihm stand, bleich wie der Tod, und der Bolzen saß ihm in dem linken Auge – ein furchtbarer Anblick. Sie können sich unsern Schreck denken, wenn es auch nur ein Moment war. Denn schon im nächsten hatte Baron Hans ruhig das Ding, das eben nur mit dem äußersten eisernen Stachel drin gesessen hatte, herausgezogen und sagte, es sei gar nichts; hob Gustav auf, der sich zur Erde geworfen hatte und weinte und schrie, als ob er getroffen sei und nicht der andere; nahm ihn an der Hand und ging mit ihm fort, indem er dabei mit der andern Hand das Taschentuch vor das Auge hielt. Das ist denn soweit wieder geheilt, wie Sie es jetzt sehen, mit einem kleinen, weißen Pünktchen unten auf der Pupille, sonst ganz wie das andere, nur nicht so glänzend und immer ein bißchen starr; aber er hat nie wieder einen Schimmer darauf gehabt, und ich bin überzeugt, er wußte im ersten Momente, daß er es für immer verloren hatte.

Er ist ein Held, sagte Isäa.

Axel biß sich auf die Lippen; er machte heute eine Dummheit über die andere. Konnte er seine Zeit nicht besser anwenden, als der schönen Frau dergleichen zu erzählen, wenn sie auch mit Interesse zugehört hatte – mit auffallendem Interesse sogar, das sehr schmeichelhaft für Baron Hans, aber nicht ebenso für den Erzähler war?

157 Wundert Sie meine Begeisterung? fragte die schöne Frau, die offenbar wieder in seinen Gedanken gelesen hatte; ich bin aus einem Volke, in welchem die Verehrung der Helden ein Kultus ist.

Sie sagen das, Madame, als ob es bei uns anders sei. Ich glaube durch meine Erzählung bewiesen zu haben, daß ich die guten, wenn Sie wollen, die großen Eigenschaften von Baron Hans völlig zu schätzen weiß.

Das ist Ihr Glück. Der dürfte sich nicht meinen Freund nennen, der nicht ein Freund meines Schwagers wäre.

Dann darf ich es, Madame! bei Gott! Ich bitte, ich flehe Sie an, gewähren Sie mir die Gnade, mich Ihren Freund nennen zu dürfen!

Ich thäte es gern – eine Heimatlose, wie ich, bedarf so sehr der Freunde! Nur zweifle ich, daß Sie es von Herzen sein können.

Sie meinen –

Sie wissen, was ich meine.

Nun ja, Madame, ich will ganz ehrlich sein. Es hat mich gekränkt. Man hatte meine Bewerbung nicht zurückgewiesen – im Gegenteile, man hatte mir Avancen gemacht – genug, ich war empört, und ich war entschlossen, mir Revanche zu verschaffen. Ich war gestern Morgen in Prora, mit meinen Freunden das Nähere zu verabreden. Da sah ich in dem Garten eine Dame – ah, Madame! Erlassen Sie mir das übrige. Erlassen Sie mir, zu erzählen, wie ich nach Hause gekommen bin, welchen Tag, welche Nacht ich verbracht; wie ich heute Morgen dem Zorn meiner Eltern getrotzt habe, die außer sich sein würden, wenn sie mich hier wüßten, hier sitzen sähen, verloren im Anschauen der schönsten Frau, die meine Augen je erblickt haben; vergessend, daß man mich beleidigt hat, daß ich mich habe rächen wollen; nichts auf der weiten Welt wünschend, als daß die schönste Frau meine stumme Huldigung gnädig duldet, nichts auf der Welt fürchtend, als daß sie mir wegen meiner Kühnheit zürnt.

Sie verdienten es; aber ich will Gnade vor Recht ergehen 158 lassen, ich will nicht aufspringen und fortlaufen, wie es vielleicht Ihre deutschen Frauen thun würden. Sie müssen mir nur erlauben, daß ich ein wenig lache.

Sie lachte wirklich; ein Lachen, das ihn vollends berauschte: – wie eines Kindes, dem ein mutwilliger Streich gelungen, – nur daß die Augen in einem süßen, wollüstigen Feuer leuchteten, das in Kinderaugen nicht brennen kann. Plötzlich richtete sie sich halb auf und sagte:

Genug. Sie sollen mein Freund sein, aber Sie werden es zu beweisen haben.

Wodurch? In Himmels Namen! Ich beschwöre Sie.

Das wird sich finden, wenn wir die Ehre haben, Sie häufiger hier zu sehen, und Sie über der neuen Freundin der alten Freunde nicht vergessen; besonders nicht meines Gatten und der jungen Dame, die meinem Gatten nur als Verlobte wieder entgegentreten wollte, und – nun, Sie sehen, die schönen Geister treffen sich überall.

Sie winkte mit den Augen nach dem Gartensaal, aus dessen Thür Hertha und Gustav eben heraus traten.

Ah! sagte Axel – ich verstehe. Verlassen Sie sich auf mich, Madame!


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