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Mitternacht war bereits vorüber, als man in Alten-Prohnitz ankam und von der Pahnk verdrießlich empfangen wurde. Die Großeltern seien bereits seit einer Stunde zurück, der Großpapa in einem schlimmen Zustande, so daß wohl noch nach dem Arzte werde geschickt werden müssen; die Großmama habe nur die Rückkehr Fräulein Herthas abwarten wollen. Hertha begab sich sofort nach oben, von wo sie nach kurzer Zeit hinab sagen ließ, der Zustand des Patienten habe sich gebessert, die Nacht werde hoffentlich ruhig vergehen. Axel hatte unter diesen Umständen nicht bleiben wollen und war weiter nach Griebenitz gefahren, wo seine Anwesenheit, wie ihm nachträglich eingefallen, morgen dringend notwendig sei. Gustav, der recht wohl wußte, daß diese Dringlichkeit nichts weniger als vorgeschützt war, hatte ihn um so weniger zu halten gesucht, als die von Axel für die Nacht erbetene Gastfreundschaft ja nur der Vorwand gewesen, welcher die Ausführung des verabredeten Planes möglich machte. Und darauf hatte sich denn auch der zweideutige Scherz bezogen, den ihm Axel, bereits mit einem Fuß im Wagen, zum Abschied zugeraunt: Du siehst so finster aus, daß ich nicht weiß, wer von uns beiden nun der Mohr gewesen ist. Er selbst hatte dazu gelacht, mit mühsam verhaltener Wut, die er erst in wilden verzweifelten Selbstgesprächen auslassen konnte, als er auf seinem einsamen Giebelzimmer war, welches er als Jüngling bewohnt und sich jetzt wieder erbeten, weil er die Unruhe der Kinderstube nicht vertragen könne, in Wahrheit: als ein Zeichen für Hertha, daß er nicht bloß innerlich von Isäa geschieden.
Was hatte es ihm genützt? was hatte ihm der heutige 304 Abend genützt? Nicht einen Schritt war er weiter gekommen, ja, er hatte einen ungeheuren Schritt zurück gethan in dem Augenblicke, als er endlich dazu gelangte, Hertha seine Leidenschaft, nicht mehr mit Blicken, die sie nicht zu bemerken, nicht mehr mit Andeutungen, die sie nicht zu verstehen brauchte, sondern in deutlichsten Worten zu erklären; und diese leidenschaftlichen Worte, diese deutliche Erklärung in ihrem Herzen nicht den Widerhall fanden, den er erhofft. Bedenken hin, Bedenken her! Zweifel und wieder Zweifel! Wer, der wirklich liebt, trägt sich mit Zweifeln und Bedenken! So liebte sie ihn nicht, mit der Liebe nicht, mit der er sie liebte, und der er jedes Bedenken und jeden Zweifel geopfert, und für die er einen Vater morden würde und nicht einmal einen Bruder verraten sollte? Einen Bruder, der ihm Zeit seines Lebens im Wege gestanden als ein Hindernis jeder fröhlich-tollen Laune; ihm jede Lust vergiftet hatte durch das unbequeme Nachdenken, das seine unleidliche Pedanterie hervorrief; mit seinem einen Auge in jede seiner Heimlichkeiten gestarrt hatte, wie das personifizierte Gewissen; und nun zuletzt als sein Nebenbuhler auftrat, und als der begünstigte dazu! Oder was war denn dies ihr Bangen, Bedenken, Zweifeln anders als Liebe, die ihr nur noch nicht zum Bewußtsein gekommen war? Diese Empörung über die Geschichte mit der Hanne anders als Eifersucht? Und morgen werden sie sich darüber verständigen und sich gerührt in die Arme fallen, und mir den geschwisterlichen Rat erteilen, fern von Madrid über das Gefährliche der Lüge im allgemeinen und in diesem besondern Falle nachzudenken! Aber ehe ich mich darein füge, geschieht etwas Furchtbares; und das ihr fürchten würdet, wenn eure dumme selbstgefällige Tugend euch soviel Verstand gelassen hätte!
Mit ungleichen Schritten durch das Zimmer rasend, blieb er plötzlich stehen.
Sollte er versuchen, sich mit Isäa zu verständigen? Es war am Ende das Klügste und morgen vielleicht schon nicht mehr möglich, wenn seine Lüge über Hans an den Tag kam, seines Bleibens hier nicht länger war und er froh sein mußte, wollte 305 man dem Ausgestoßenen, in die Verbannung Getriebenen die Last von Frau und Kind gütig abnehmen. Sie würde unzweifelhaft von dieser Güte Gebrauch machen, seine Niederlage rücksichtslos zu ihrem Vorteil ausbeuten! Nein! mußte er wieder ein Heimatloser werden, so mochte sie die Gefahren mit ihm teilen, und war es ihrer vereinigten Klugheit und Gewandtheit nicht möglich, dieselben zu besiegen, mit ihm untergehen!
Er öffnete die Thür und lauschte hinaus. Noch regt es sich im Hause: Schritte auf den Korridoren – dumpfe Stimmen. Er konnte der Pahnk begegnen, die er jetzt zur Vertrauten seiner Leidenschaft gemacht hatte, und die ihm, soweit sie es vermochte, allen Vorschub leistete. Sie würde seltsame Augen machen, wenn er nächtlicherweile zu Isäa schlich!
Aergerlich schloß er die Thür. Er wollte sich nicht eingestehen, daß er sich nicht vor der alten Vertrauten, daß er sich vor sich selber schämte.
Er trat an das Fenster. Das Gewitter war nicht heraufgekommen, aber es zuckte noch manchmal durch den grauen Flor, der den Himmel überspannte und unter dem die zusammengeballten Laubmassen still und finster lagen wie Gräber. Schwül und dumpf die Luft, als atmete sie Mord. Und dazu das Fieber in den rasenden Adern. –
Blut! Blut! murmelte er. Seines – ihres – mein eigenes! Blut!
Er krampfte die Finger in die nackte Brust; raste wieder durch das Zimmer und warf sich endlich, halb entkleidet, stöhnend auf das Bett.
Inzwischen hatte Isäa, als sie auf ihr Zimmer kam, Zoë nicht vorgefunden. Das junge halbwüchsige Mädchen, welches ihr Hertha zu ihrer speziellen Bedienung und zur Aushilfe bei der Wartung des Kindes zubeordert, saß an dem Bettchen desselben eingeschlummert. Sie weckte es nicht ohne Mühe und schickte es zu Bett, nachdem sie aus dem Lallen der Schlaftrunkenen nur soviel verstanden zu haben glaubte, daß die Alte bereits vor längerer Zeit in den Garten gegangen sei. Das war denn freilich wunderlich genug in anbetracht der späten Stunde; 306 aber die Alte hatte während der ganzen letzten Tage eine auffallende Unruhe an den Tag gelegt und auch sonst ein verändertes Wesen gezeigt, für welches Isäa nur eine Deutung wußte: die Unzufriedenheit, mit welcher die Vertraute auf die wachsende Intimität zwischen ihr und Axel blickte. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb? Aus Parteinahme für Gustav gewiß nicht: sie haßte ihn mit ihrem grimmigsten Haß und hatte schon deshalb eine und die andre hinter seinem Rücken angesponnene Intrigue eher begünstigt als gemißbilligt. Freilich waren diese Intriguen auch immer mehr oder weniger harmlos gewesen, und sie mochte fürchten, daß es sich diesmal um eine ernsthafte Entscheidung handelte.
Wenn sie wüßte, wie nahe die Entscheidung war!
Isäa ließ die Hände sinken und starrte mechanisch auf ihr Bild im Spiegel. Wenn er sie so sehen könnte im Nachtgewand mit dem aufgelösten Haar, das über Schulter und Busen in schwarzen Strähnen auf den Schoß hernieder floß! Ob er nicht ohne Zögern in die Flucht billigen würde, die sie ihm vorhin als die einzige Möglichkeit hingestellt und vorgeschlagen, wie sie ihrer Liebe froh werden könnten?
Ihrer Liebe!
Das Bild im Spiegel zuckte höhnisch mit der Oberlippe, daß für einen Moment die Spitzen von den Zähnen aufblitzten.
Nein, aufrichtig, ich liebe Sie nicht, Monsieur! Sie sind nicht halb so schön, wie Valianos, den ich um Goustabos willen verließ, oder wie Goustabos, den ich um Ihretwillen verlassen soll. Verlassen muß! Verstehen Sie das, Monsieur? Nein? ich glaube es gern. Sie sind ein großer Dummkopf, und es ist ein rechtes Glück, daß Sie es sind. Sie sind aber auch ein Feigling, und das ist schlimm. Denn sehen Sie, die Komödie hier ist ausgespielt; heute Abend war der letzte Akt, der sehr prächtig war, und Ihnen vollends den hohlen Kopf verdreht hat. Ich dachte es mir: Isäa, die Gattin Ihres Freundes Goustabos – das war pikant; aber Isäa, die Geliebte des Fürsten Prora – das ist berauschend! Nur daß Sie in Ihrem Rausch so verzweifelt nüchtern sind, mon cher! nur daß Sie so viele Bedenken haben 307 und Rücksichten nehmen müssen, wenn die Stunden so kostbar sind, und schon die nächste etwas bringen kann, was mich zu Boden wirft und Ihnen die Rückzugsbrücke baut, nach welcher Ihr ängstliches Auge jetzt vergebens ausspäht.
Das Bild im Spiegel zeigte ein paar starre finstre Augen unter sich fast berührenden fein geschwungenen Brauen.
Ich will mich nicht unter die Füße treten lassen, verstehen Sie? ich will auch nicht betteln gehen bei dem Einäugigen, der besser ist als Ihr alle zusammen, und seine Gnade anflehen. Ich will nicht leben von seiner und von keines andern Menschen Gnade. Ich will frei sein, umworben sein, umhuldigt, angebetet, wie heute Abend, alle Tage; und du mußt mir dazu verhelfen, du blonder deutscher Dummkopf, und sollst dann auch den Lohn haben, nach dem du schmachtest!
Das Bild im Spiegel lächelte und erstarrte plötzlich neben einem greulichen schwarzen Kopf, der über der weißen Schulter auftauchte mit grauem Zottelhaar über ein Paar funkelnder Augen. Im Nu hatte sich Isäa gewandt und die hinter ihr Stehende von sich gestoßen.
Was erschrickst Du mich so, alte Hexe!
Bin ich eine alte Hexe, erwiderte die Alte, so will ich Dich auch erschrecken, daß Dir die Kraft vergehen soll, mich zu mißhandeln: Valianos ist hier und ich komme eben von ihm!
Pah! sagte Isäa.
Das ist alles, murmelte die enttäuschte Alte; und kannst lächeln, während mir das Herz im Leibe schlägt, als wollte es zerspringen!
Du scheinst sehr schnell gelaufen zu sein, erwiderte Isäa; schöpfe erst einmal wieder Atem, und dann erzähle, wenn Du wirklich etwas zu erzählen hast, und nicht verrückt bist, was ich freilich nach Deinem Aussehen annehmen möchte.
Sie ging nach dem Sofa, während die Alte, rückwärts schreitend, vor ihr her wich, von unten her scheue Blicke auf sie werfend, – wie eine Bestie, die sich vor dem Auge und der Peitsche des Wärters in die Ecke des Käfigs zurückzieht, dachte Isäa. Sie hatte ihre Absicht erreicht. Wohl zitterten ihr die 308 Kniee, als sie sich jetzt niederließ, und sie hatte Mühe gehabt, was sie gesagt, so scheinbar ruhig vorzubringen. Aber sie wußte, daß ihre unbedingte Macht über die Alte in dem Moment zu Ende war, wo sie zum erstenmale die Selbstherrschaft verlor. Und wenn je, so mußte sie jetzt die Zügel fest in der Hand behalten. Sie hatte geglaubt, die Katastrophe sei schon da – sie war es erst jetzt. – Wohl ihr, daß sie sich so gut auf dieselbe vorbereitet, und nun wenigstens sich aufrecht halten konnte, als die Entscheidung plötzlich in einer völlig unerwarteten und viel furchtbareren Gestalt an sie herantrat.
Wird's? herrschte sie mit drohend emporgezogenen Brauen die Alte an, die sich zu ihren Füßen auf den Teppich gekauert hatte und, bei dem heftigen Anruf den gesenkten Kopf emporschnellend, murmelte: laß mir Zeit, daß ich's zusammenbringe!
Ich habe keine Zeit, erwiderte Isäa, die Füße auf das Sofa ziehend; ich bin müde und will schlafen.
Der Schlaf wird Dir bald genug vergehen, murmelte die Alte.
Wir werden sehen, sagte Isäa, sich den Shawl fester um die Schulter hüllend und mit geschlossenen Augen in die Ecke zurück lehnend. So! nun fange an, oder ich schlafe, bevor Du angefangen hast.
Die Alte warf einen bösen Blick auf sie und murmelte: Nun gut, und ich will mit dem Anfang anfangen, damit Du nicht sagen kannst, daß ich Dich verraten habe. Auch ist sein Wunsch und Befehl, daß ich Dir alles genau berichte und jedes Wort, das er gesprochen. Dein Blut soll nicht über Dich kommen, Du habest es denn gewollt.
Sie stützte die Ellbogen auf die emporgezogenen Kniee, vergrub die Hände in dem wirren Haar und begann:
Es war vorgestern Abend – Du warst oben bei der Gesellschaft – Eua schlief – mir kam die Lust in die Wiesen zu gehen – es wehte erquicklich von dort her, und unter den Bäumen war es zum Ersticken. In schweren Gedanken war ich weiter gewandert, als ich ursprünglich wollte und befand mich am Rande des Waldes, den wir von hier aus zur Linken haben, denselben, in welchem Ihr auch gestern Mittag gewesen 309 seid. Ich setzte mich, da ich müde war, und muß wohl eingenickt gewesen sein; ich hatte den Mann nicht kommen hören, der plötzlich vor mir stand: ein alter Mann mit grauem Haar und Bart, schier riesengroß – so erschien er wenigstens mir, der Sitzenden, die ich verwundert in sein runzliges Gesicht sah, aus dem ein paar blutunterlaufene Augen mit trotzdem sonderbarer Helle unter struppigen Brauen auf mich niederschauten. Ich war aufgesprungen; er machte mir ein Zeichen, daß ich mich nicht fürchten solle, und winkte mir, ihm in den Wald zu folgen. Zitternd gehorchte ich – was sollte ich thun? – aber schon nach wenigen Schritten stand er wieder still: er hatte offenbar nur einen heimlicheren Platz gesucht, wo wir von einigen Leuten, die in der Entfernung auf ausgespannten Pferden über die Felder kamen, nicht mehr gesehen werden konnten. Nun redete er zu mir, – erst deutsch, wozu ich den Kopf schüttelte, weil ich die gottverfluchte Sprache weder verstehe, noch jemals verstehen will, – dann fränkisch, wovon ich ja durch Dich ein paar Worte kenne. So begriff ich allmählich, was er mir wiederholt langsam immer mit denselben Worten sagte: ich solle am folgenden Tage – das war gestern – zu welcher Zeit immer bis zur Mittagsstunde an denselben Platz zurückkehren; da würde ich jemand finden, den zu sehen mir Freude schaffte und der mir vorläufig, damit ich Vertrauen fasse, dies sende. Sieh!
Die Alte hatte bei den letzten Worten aus dem Brusttuche einen Gegenstand gezogen, den sie, sich halb aufrichtend, Isäa vor das Gesicht hielt. Isäa öffnete langsam die Augen und sah in dem Lichte der hinter ihr stehenden Kerze eine große silberne, an einem Kettchen hängende Münze mit dem Bilde der heiligen Jungfrau, wie sie die Schiffer ihrer Heimat auf der Brust zu tragen pflegten.
Ich sehe, sagte sie, die Augen wieder schließend.
Die Alte hatte das Amulett, nachdem sie es geküßt, in das Gewand zurückgleiten lassen, sich wieder niedergekauert und fuhr in einem erregteren Tone und schneller, als sie bisher gesprochen, fort:
310 Der Mann verschwand; ich ging heim; Du kamst spät von oben. Bei der Mutter Gottes schwöre ich Dir, ich wollte es Dir sagen, obgleich es mir der Mann verboten, so mir mein Leben lieb sei; aber ich dachte nicht an mich, sondern an Dein Leben, das ich möglicherweise durch voreiliges Reden verwirken würde, und schwieg. So lag ich die ganze Nacht, schlaflos vor Angst, vor Freude, vor Furcht, vor Erwartung dessen, was mir und Dir der folgende Tag bringen würde. Es wurde Tag, der Boden brannte mir unter den Füßen – zu jeder Zeit bis zur Mittagsstunde hatte der Mann gesagt. Stunde auf Stunde verrann – ich fand keine Gelegenheit, mich unbemerkt wegzuschleichen. Endlich – im letzten Augenblick – ich sah Euch alle um den neuen Wagen stehen mit den schönen Pferdchen: – niemand würde auf mich achten, mich vermissen. Ich nahm Eua, ging in den Park; dann, sobald ich mich ungesehen wußte, begann ich zu laufen, so schnell mich meine alten Beine tragen wollten: aus der Hinterpforte über die Wiesen, dem Walde zu, nach der Stelle, die mir der Mann bezeichnet, und die ich mir wohl gemerkt hatte. Kaum habe ich sie atemlos erreicht, thun sich die Büsche auseinander und Valianos tritt hervor. Sollte ich Dir sagen, was ich da empfand, es wäre unmöglich. Hatte ich doch, wenn während der Nacht sein Bild vor meine Seele trat, das alte Herz kindisch gescholten: ein Landsmann – ja; ein Bote von ihm – vielleicht; aber er selbst, er selbst! – Vor Schrecken und Freude zitterte ich an allen Gliedern; er sah es wohl und hieß mich das Kind, nachdem er es aufmerksam betrachtet, an dem Rande des Waldes in den Schatten eines Baumes auf das Moos legen und ihm in den Wald folgen, gerade wie es der Mann gestern Abend gethan. – Ich bin seit vier Tagen bereits hier, sprach er; nur gestern war ich fern, und gerade gestern mußte Dich der gute Mann treffen, der Dir an meiner Statt aufgelauert. Er hat seine Aufgabe wohl erfüllt; ich bin ihm Dank schuldig; auch Dir, Zoë, obgleich ich nicht daran gezweifelt habe, Du würdest dem ersten Winke folgen. Dennoch handelte er klug und in meinem Sinne, als er Dir gestern nur erst ein Zeichen gab und meinen Namen 311 verschwieg. Du hast die Probe gut bestanden; ich kann Dir weiter vertrauen. Wie ich erfahren habe, daß Deine Herrin in dem Schlosse drüben wohnt, geht Dich nichts an; ebensowenig, wo ich hause. Es weiß es keiner, als der Mann, der Dich hierher bestellt hat; er sagt es nicht; und, wenn man mich mit tausend Augen suchte, man würde mich nicht finden. Ich aber werde sie zu finden wissen, die ich suche, da wo sie mich nicht erwartet, und habe ich sie gefunden –
Nun sagte Isäa, ohne die Augen zu öffnen.
Du weißt es, murmelte Zoë.
So wollte er mich töten, der Tollkopf – natürlich. Nur, daß die Sache doch nicht ganz so einfach war, und man Isäa nicht so leicht finden und treffen konnte – in den folgenden Tagen sowenig, wie in den vier bereits nutzlos vergangenen – oder aber es fand sich jemand, der das Opfer ans Messer lieferte, indem er es dahin lockte, wo der Henker auf der Lauer stand. Ein solcher Jemand wäre denn freilich ein Scheusal und – dieses Scheusal bist Du!
Sie hatte ihre Stimme auch bei den letzten Worten nicht erhoben, sondern sich nur ein wenig aufgerichtet und Zoë starr ins Gesicht gesehen, die vor dem Blick der großen hohnvollen Augen die ihren scheu zu Seite wandte.
Ein Scheusal, fuhr Isäa fort, das ich auspeitschen lassen werde, wie Dein geliebter Valianos ein Feigling ist, den ich verachte. Denn, wenn die Rechnung stimmt, war er es, den ich ein paar Stunden später im Walde sich hinter den Bäumen weg schleichen sah, wie ein ertappter Dieb, trotzdem er ein Gewehr hatte und der Graf an meiner Seite waffenlos war. Und mit dem Elenden wagst Du mir zu drohen? Pah!
Sie lehnte wieder mit geschlossenen Augen in ihrer Ecke; Zoë rief:
Du irrst! Nicht der Mann an Deiner Seite hat Dich bewahrt vor dem sicheren Tode, – Valianos nimmt es mit einer Kohorte seinesgleichen auf. Die heilige Mutter Gottes allein ist es gewesen, die Dich so schön gemacht, daß sein starkes Herz davor erzittert ist im letzten Moment. Also, daß er mir heute, 312 als Ihr zu Eurem Feste gefahren waret, hat Botschaft sagen lassen durch denselben alten Mann, der diesmal sich dazu bis in den Garten gewagt hat: ich solle mich einstellen heute Nacht in der elften Stunde, wiederum im Garten, an einem Platz, zu dem der alte Mann mich führte; und ich würde da Valianos treffen, der habe mir etwas Wichtiges zu sagen, das mich freuen werde.
Da bin ich neugierig, sagte Isäa mit spöttischem Lächeln. Du trafst ihn also?
Ich traf ihn, wie er eben aus seinem Schiffe gestiegen war, das er seit gestern aus der Stadt, in der wir zuletzt waren –
Weiter! sagte Isäa. Was hat er Dir gesagt?
Dies, erwiderte Zoë mit bewegter Stimme; und hat es dreimal gesagt, daß ich es wiederholen könne Wort für Wort. Und nun merke wohl auf, daß es nicht bloß eingehe in Deine Ohren, sondern dringe bis in Dein innerstes Herz: Johannes Valianos Mannuris von Tino läßt Isäa, der Tochter Andreas Kolokotronis' vermelden durch Zoë Damianos, ihre Amme: er will warten von heute Mitternacht vierundzwanzig Stunden, ob sie ihm Botschaft sendet, daß sie mit ihm zu gehen bereit ist, wohin es ihm belieben wird, sie zu führen, um da und von der Zeit an sein Weib zu sein, welchem er aus übergroßer Liebe alles verzeihen will, was sie gethan; und sie halten wie es einem ehrlichen Manne geziemt mit einem ehrlichen Weibe. Kommt bis dahin ihre Botschaft nicht, oder sendet sie trügerische Botschaft und thut nicht, was er ihr anbefehlen wird zu thun, damit er sie von hier führen kann, so ist ihr Leben verfallen und das ihres Kindes und das ihres Verführers, so wahr Gott und die heilige Jungfrau Johannes Valianos Mannuris helfen mögen zur ewigen Seligkeit!
Zoë hatte die Hände über dem Amulett vor der Brust gefaltet und murmelte Unverständliches mit rasch bewegten Lippen.
Und das hat Dich gefreut? sagte Isäa, und hast gedacht, daß es auch mich freuen werde?
Die Alte unterbrach sich jäh in ihrem Gebet und rief mit unterdrückter Heftigkeit:
313 O spotte nicht, daß Du nicht heulen und wehklagen mögest, bevor die Sonne noch einmal ihren Lauf vollendet, wenn Du dann noch in ihrem Lichte weilst! Spotte nicht der Männer Deiner Heimat! spotte nicht Valianos', des ersten unter allen! Du weißt, daß die Männer von Tino ihre Schwüre halten, und er hat dreimal heilige Rache zu nehmen an Dir, die Du die Heimat geschändet und die grauen Haare Deines Vaters und ihn selbst zum Gespött gemacht hast, wo nur immer Jünglinge und Mädchen zusammen kamen auf den Bergen und Thälern unsrer Insel, es sei denn, er kehrte zurück, die Hände gerötet von Deinem Blut und dem Deines Verführers! Spotte nicht der Mutter Gottes, die des Wilden Herz gerührt, daß er will Gnade über Dich ergehen lassen vor seinem guten Recht! Hab' Erbarmen mit Deiner jungen Schönheit, die zur Freude und Lust geschaffen ist für den Tapferen, sich an ihr zu berauschen, nicht von ihm hingeschlachtet zu werden mit kaltem Stahl! Hab' Erbarmen auch mit Deiner alten Amme, die, so weit sie ausschaut und späht, kein anderes Mittel sieht, als nur dies eine, ihr geliebtes Kind zu retten, ihre Wonne, ihre Sonne, ihr Leben, ihre Seligkeit, ihr Alles!
Sie hatte, sich auf den Knieen aufrichtend, Isäas Knie umschlungen, die sie mit Gewalt zurück stieß, indem sie zugleich vom Sofa empor sprang und raschen Schrittes im Zimmer hin und wieder zu gehen begann, während die Alte, das wirre Haar aus der niedrigen Stirn streichend, jede ihrer Bewegungen mit starren Augen verfolgte.
Plötzlich blieb Isäa stehen.
Wann solltest Du ihm meine Antwort bringen?
Er wollte eine Stunde darauf warten.
Wo?
Im Park; an dem Orte, wo ich ihn gesprochen habe.
Er soll sie von mir selber hören.
Gelobt sei Gott und die heilige Jungfrau! rief die Alte, empor schnellend, um alsbald wieder vor der geliebten Herrin nieder zu fallen, ihre Hände, ihre Gewänder mit Küssen bedeckend.
314 Auf, auf! rief Isäa ungeduldig; wir haben nur schon zu viel Zeit verloren. Du hättest mit dem Ende anfangen sollen.
Es ist doch besser so, murmelte die Alte, mit vor Freude zitternden Händen an dem leichten Gewande, das sie der Gebieterin übergeworfen, nestelnd und ihr einen Florshawl um Kopf und Hals und Schultern knüpfend; – mein süßes Herzchen ist ein gar trotzig Ding, und es gehören viele Tropfen dazu, einen Stein zu höhlen. Ach, wie wird sich Valianos freuen! Ach! daß ich die Wonne nun doch erleben darf, nachdem ich schon alle Hoffnung aufgegeben!
Schweig! sagte Isäa, und komm'!
Sie gingen aus dem Zimmer und schlichen aus der Nebenthür in den Garten, zwischen dichten Gebüschen, das offene Rondel vor dem Schlosse umkreisend, nach der Buchenallee, welche sie schnell in die Tiefe des Parkes führte. Zoë, deren Augen in der Dunkelheit wunderbar scharf sahen, hatte Isäa bei der Hand gefaßt. Nun waren sie an dem Ende der Allee angelangt, wo ein Pfad abzweigte, der erst auf steinernen Stufen, dann, allmählich steigend, in vielfachen Windungen auf die Höhe des Hügels zu dem Ruhesitz unter der Rieseneiche leitete. Dort, flüsterte Zoë, wartet Valianos; der alte Mann hat den Platz selbst ausgesucht; man kann von demselben mit wenigen Schritten durch die Nebenpforte in die Dünen gelangen.
Ich weiß, sagte Isäa; Du magst nun umkehren.
Sie war stehen geblieben und wollte ihre Hand aus der der Alten ziehen; die knöchernen Finger schlossen sich nur noch fester um die ihren.
Fürchtest Du Dich nicht? drang es jetzt in kaum verständlichem Murmeln an ihr Ohr.
Isäa stockte der Atem. Wenn die Alte sie doch verriet? Valianos' Verlangen nach ihr, seine Versprechungen – alles abgefeimte Lüge war, sie in seine Hände zu liefern? der Alten die Frage eben abgepreßt war von der Reue, die sie im letzten Moment über ihren Verrat empfinden mochte? Sollte sie versuchen, zu fliehen? ins Schloß zurück zu gelangen? Aber auch dazu war es jetzt zu spät. Ein einziger Ruf der Alten 315 mußte, bei der unendlichen Stille, von ihm, der oben auf der Lauer stand, gehört werden; ihn in wenigen Sekunden zur Stelle, der Fliehenden auf die Fersen bringen; und dann war ihr der Tod gewiß, während so doch eine Möglichkeit blieb, den Wilden zu bändigen.
Das war ihr mit der Schnelligkeit des fahlen Lichtes, welches eben wieder durch die Wipfel zu ihren Häupten zitterte, durch die Seele geschossen.
Wovor sollte ich mich fürchten? sagte sie.
Nein, nein, raunte die Alte; Du sollst Dich auch nicht fürchten: er meint es ehrlich; aber reize ihn nicht! sei lieb zu ihm! lieb – wie Du zu Deinem Buhlen gestern im Walde gewesen bist.
Pah! der Kuß, den er mir geraubt hat!
Gleichviel – er hat es gesehen!
Bist Du nie jung und schön gewesen? hast niemals einen eifersüchtigen Liebhaber zu trösten gehabt?
Die Alte streichelte kichernd die kühle kleine Hand, die sie noch immer in den knöchernen Fingern hielt.
Geh', geh', mein Liebling! geh'! Dir könnte niemand widerstehen: kein Teufel und kein Engel! geh', geh'! ich werde Dich hier erwarten – geh'!
Sie ließ die Hand los, nachdem sie dieselbe wild an ihre Lippen, an ihre Brust gedrückt. Isäa stieg die Steintreppe hinauf und war nach wenigen Sekunden im Dunkel der Büsche verschwunden.
Die Alte hatte sich auf die unterste Stufe gekauert und lockerte das Tuch um ihren Kopf, um besser hören zu können. Aber sie vernahm nichts in der stillen betäubenden Schwüle, als hin und wieder ein leises Rauschen und Raunen in dem Blätterdach oben und ein Pispern und Zischeln in den Büschen – das klang wie das Flüstern von Liebenden. Und manchmal flimmerte durch die Finsternis ungewisse Helle, wie das Licht, das auch im Dunkel dem Liebenden aus geliebten Augen leuchtet.
Wie sie es einst hatte leuchten sehen, als sie aus der elterlichen Hütte hinaus gehuscht war in die schwüle, sternenlose 316 Nacht zu dem Lorbeerhain, wo der schlanke braune Nachbarssohn ihrer harrte – sie sechzehn Jahre und er achtzehn. Die da waren ein paar Jahr älter –
Die Alte kicherte in sich hinein und horchte plötzlich erschrocken auf. Es war nichts – ein Käuzchen nur, das schrie im Walde.
Seltsam! So gerade hatte es geschrieen aus der Pinie über ihrer Eltern Hütte! Und sie hätte fast einen Angstschrei ausgestoßen, weil sie glaubte, die Mutter riefe – aber Markos hatte noch rechtzeitig die heißen Lippen auf ihren Mund gedrückt.
Und dann hatten sie beide so gelacht! so heimlich und so süß!
Und war doch vorher so wild auf sie gewesen, der Markos, weil er glaubte, daß sie's mit dem blonden Loukios hielt!
Ob sie jung gewesen, ob sie schön gewesen war? ob sie's verstanden, einen eifersüchtigen Liebhaber zu trösten?
Ich sollt's meinen! kicherte die Alte; ich sollt's meinen!