Friedrich Spielhagen
Uhlenhans
Friedrich Spielhagen

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386 Einundvierzigstes Kapitel.

Der Kammerherr war aufs höchste bestürzt, als er, aus fieberhaftem Halbschlaf erwachend, sich allein fand und von dem Diener, der auf sein heftiges Klingeln endlich erschien, hören mußte, daß Ihre Excellenz mit dem gnädigen Fräulein so um fünf Uhr nach Prora gefahren und noch nicht zurück seien.

Das klang unglaublich; Wilhelm mußte es ein paarmal wiederholen, während er ihm aus dem Bette in die ersten Kleider half. Was in der Welt konnte das zu bedeuten haben? Ob denn Madame im Weggehen gar keine Bestellung für ihn zurückgelassen? Wilhelm wußte von nichts; Excellenz habe nur befohlen, die Galauniform für Excellenz bereit zu halten; sonst aber Excellenz in keiner Weise zu stören.

Wilhelm verschwieg, daß die alte Dame ihm ausdrücklich aufgetragen, falls Excellenz vorher klingeln sollte, ihm zu sagen, daß sie hoffe, vor Anfang der Gesellschaft zurück zu sein. Es machte ihm Spaß, die Angst des alten Mannes zu sehen, der sonst bei der geringsten Widerwärtigkeit in grimmige Scheltreden ausbrach, und jetzt, während er ihm, der zitternd vor dem Toilettenspiegel saß, das Toupet auf dem wackelnden Kopfe befestigte, mit weinerlicher Stimme den »lieben Wilhelm« wegen seiner Geschicklichkeit lobte, und den »lieben Wilhelm« bat, nachzusehen, ob er nicht wenigstens den Herrn Baron finden könne; und der Herr Baron möchte doch so gut sein, und sogleich auf ein paar Augenblicke zu ihm kommen.

Wilhelm legte die Brennscheere aus der Hand und wollte 387 sich entfernen, als an die Thür gepocht wurde und Gustav, bereits in Gesellschaftstoilette, eilig hereintrat.

Um Gotteswillen, rief ihm der Alte auf französisch entgegen; was bedeutet dies?

Ich höre es auch soeben erst, erwiderte Gustav; ich war nicht hier, als sie weggefahren sind; glaubte, als ich zurückkam, die Damen seien auf ihren Zimmern; man hat mir kein Wort gesagt –

Es ist ein Komplott, wimmerte der Alte; sei versichert: es ist ein Komplott!

Aber zu welchem Zweck? gegen wen? rief Gustav heftig.

Gegen wen? erwiderte der Alte; nun, ich dächte, das sähest Du doch! gegen mich, der ich unter den Tatzen dieses Tölpels Höllenpein ausstehe, um hernach wie eine Vogelscheuche auszusehen; gegen Dich, gegen Isäa – gegen uns, die wir uns auf heute Abend gefreut haben und nun durch diese Verstöße gegen jede Sitte und jeden Anstand erst aus den Sinnen geängstigt werden und hernach doch noch zu einem greulichen Fiasko gute Miene machen sollen. Und hinter dem allem steckt Dein liebenswürdiger Herr Bruder, der Dir und Deiner Frau die Triumphe nicht gönnt – glaub' es mir! Tausend gegen eins: er kommt heute Abend nicht, sowenig wie er gestern gekommen ist!

Ich war vor einer Stunde drüben; sagte Gustav mit dumpfer Stimme – zum drittenmale heute; er war noch nicht zurück.

Siehst Du! rief der Alte. Diese erbärmliche Rancüne – dieser boshafte Neid! es ist unglaublich! unerhört! und das will die Honnêteté, das will die Loyalität selber sein! und wird von anderen dafür ausgeschrieen! Gestern noch Monseigneur – nun, er wird Augen machen, wenn er kommt und seinen Protégé abermals nicht findet! O mein Gott, mein Gott, ich überlebe die Schande nicht! War das nicht schon ein Wagen?

Es sind unsere Damen, sagte Gustav, der an das Fenster getreten war.

Endlich! rief der Alte; aber nun noch nicht angezogen – die Großmama macht in ihrer Toilette die fürchterlichsten 388 Geschmacklosigkeiten ohne meinen Beirat und ich selbst noch in diesem Zustande – ich werde nie fertig werden – das nennt der Dummkopf geschminkt! – großer Gott! – ein wenig Watte, lieber Gustav, ich bitte Dich – dort! oder nein: mache, daß Du in den Saal kommst, damit doch wenigstens einer von uns da ist! beeile Dich – ich flehe Dich an!

Er hatte es nur hinter Gustav her gerufen, der, nachdem er die Damen aussteigen sehen, noch ein paar Momente am Fenster gezögert hatte und dann, plötzlich sich wendend, aus dem Zimmer eilte.

Hastig die Nebengemächer durchschreitend, in welchen einer der aus Sundin verschriebenen Lohndiener eben die Kerzen anzündete, herrschte er dem Manne zu, sich zu beeilen, und trat in den Saal, welcher bereits völlig zum Empfang der Gäste hergerichtet war. Durch die geöffneten Flügelthüren konnte er in die Flucht der angrenzenden Räume blicken, die ebenfalls in schweigendem Glanz der Gesellschaft zu harren schienen. Er ging rasch durch einige derselben, sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung sei, kehrte aber alsbald in den Saal zurück. Sein Blick schweifte zu dem großen Kronenleuchter empor, dessen Kristalle im Licht der Kerzen funkelten, zu den Deckengemälden mit ihren verschnörkelten goldenen Umrahmungen, über die Wände mit ihren mannigfaltigen Schildereien auf den seidenen Tapeten, die barocken Kommoden und Etageren, Fauteuils, Causeusen und Sessel, alles sich widerspiegelnd in den drei kolossalen Trümeaus an den Fensterpfeilern – verblichene Pracht aus dem vorigen Jahrhundert, – nicht zu vergleichen mit dem Reichtum und der Eleganz der fürstlichen Gemächer gestern – aber doch Pracht, und schön in seiner Art – ein vornehmer Rahmen für die vornehme Gesellschaft, die da durch die großen Flügelthüren hereintreten, die er empfangen würde – der Herr des Hauses!

Er war auch jetzt noch nicht gekommen! Die Großmutter hatte, als sie in das Haus ging, das Tuch vor die Augen gedrückt, während Hertha ihr Trost zuzusprechen schien – sie waren also in Prora gewesen, dort nach ihm zu fragen; sicher 389 kamen sie jetzt von Neuen-Prohnitz, wo sie wieder nach ihm gefragt hatten, um wieder zu hören, man wisse nicht, wo er sei! Er war nicht gekommen und er würde nicht kommen, nicht heute und nicht morgen, und nicht übermorgen. Aber irgendwann würde man ihn irgendwo –

Seine Augen, die auf dem Parkett des Fußbodens geheftet hatten, hoben sich mit irrem wildem Blick. Niemand da außer ihm! Man kann ja auch nicht hören, was ein Mensch so bei sich denkt; und der Brief steckt vorläufig noch sicher in der Brusttasche neben den Tresorscheinen. – Ich habe keine Schuld – da möchte ich doch jeden Vernünftigen fragen! Es ist ja lächerlich – um solcher Bagatelle willen – eine Farce – ein Dummerjungenstreich – das so ernsthaft zu nehmen, weil ein paar alte Weiber deswegen die Hände über den Kopf zusammenschlagen und uns ihren Umgang kündigen werden. Mögen sie doch! und wer sonst noch will! Ich lache darüber! Pah!

Er hatte in einem der Trümeaus ein blasses grinsendes Gesicht erblickt und sich erschrocken über sich selbst abwenden wollen, zwang sich aber, heran zu treten, und musterte seine Mienen, denen er einen ruhigen Ausdruck zu geben suchte:

Ich weiß nicht, was ich sagen soll, meine Gnädige; ich bin selbst äußerst betreten, wie Sie sehen; indessen: er war immer ein wunderlicher Heiliger. Zu irgendwelcher ernsthaften Besorgnis ist kein Grund vorhanden – ich versichere Sie: nicht der mindeste. Morgen wird er zurückkommen und ein Geschäft vorschützen – irgend eines; und des Pudels Kern: er hat sich um die Gesellschaft herumgedrückt und lacht sich hinterher ins Fäustchen. Ich drehe Ihnen nämlich eine Nase, meine Gnädige, wie Sie in einigen Tagen finden werden; aber heute Abend, sehen Sie, muß ich mir schon die Erlaubnis nehmen. Ich kann Ihnen doch nicht –

Er wandte sich schnell vom Spiegel ab vor dem Geräusch der Tapetenthür nach dem Korridor. Es war Isäa. Er war vorhin an ihrer Thür gewesen und hatte sie gebeten, sich möglichst mit ihrer Toilette zu beeilen und dann hinauf in den Saal zu kommen.

390 Warum hast Du wieder das häßliche schwarze Kleid angezogen? rief er ihr entgegen.

Man hat mich gestern schön darin gefunden, warum sollte man es heute nicht, erwiderte Isäa.

Sein Vorwurf war ohne Heftigkeit gewesen; sie hatte mit einem ruhigen Lächeln geantwortet. Sein Blick ruhte prüfend auf dem schönen Gesicht, das ihn einst berauscht, wie es jetzt alle Welt berauschte und also sicher an seinem Zauber nichts eingebüßt hatte, obgleich es doch nun Stunden und Tage gegeben, wo er es bis zum Grausen häßlich fand. Das hatte an ihm gelegen, an seiner verrückten Leidenschaft für die andere. Damit war es vorbei für immer! Aber in dem, was ihm bevorstand, konnte er Isäas Klugheit und Mut kaum entbehren – hatte er sich doch schon gestern Abend mit ihr aussöhnen wollen! es mußte jetzt wenigstens ein vorläufiger Versuch gemacht werden.

Er hatte ihre Hand genommen, sie über dem Handschuh auf den nackten Arm geküßt und sagte:

Ich war heute zwei- oder dreimal vergebens an Deiner Thür.

Leider immer zur Unzeit, erwiderte Isäa.

Leider für mich, oder Dich?

Sagen wir: für uns beide!

Ihre Blicke begegneten sich; jedes suchte in den Augen des andern zu lesen, was diese plötzliche Zärtlichkeit zu bedeuten habe; aber Isäas Augen blieben fest, während sein Blick mit einem eigentümlichen Ausdruck, den sie kannte, seitwärts irrte. In der Zeit, als sie noch gemeinsam abenteuerten, hatte sie ihm oft im Scherz gesagt, er werde es nie über die Anfänge der Verstellungskunst hinausbringen, da er nie lernen werde, seine Blicke zu beherrschen. Daran mußte sie jetzt denken.

Er hatte ihren Arm in den seinen genommen und sagte, langsam mit ihr auf und ab schreitend:

Ich danke Dir; ich habe mich sehr nach einem freundlichen Wort von Dir gesehnt, wir haben uns in diesen Tagen einander ein wenig entfremdet und müssen doch zusammenhalten. Ich habe die Empfindung, es liegt etwas in der Luft –

391 Was meinst Du?

Es läßt sich das nicht ausdrücken: als ob mir – Dir – uns beiden etwas bevorstände –

Du scheinst mir allerdings sehr aufgeregt, sagte Isäa, ohne daß eine Spur der eigenen Erregung in ihrer tiefen weichen Stimme zitterte. – Ist etwas vorgefallen?

Nicht eigentlich – das heißt: es scheint, als ob Hans heute Abend wieder nicht kommen wird. Ich weiß gar nicht, was ich davon denken soll – ich fange an, mir ernstlich Sorge um ihn zu machen.

Habt ihr etwas miteinander gehabt?

Nicht das mindeste. Wie kommst Du darauf?

Es ist doch das nächste, worauf man verfallen muß; ich wenigstens verfallen bin. Lieber Freund, es sind nicht alle Leute so wenig eifersüchtig wie ich.

Oder wie ich, sagte Gustav mit einem erzwungenen Lachen.

Mit dem Unterschiede, erwiderte Isäa ruhig, daß Du mir Ursache zur Eifersucht gegeben hast, oder gegeben hättest, wenn ich eifersüchtig wäre; und ich nichts gethan habe, als über die Albernheiten eines Gecken lachen, der sich einer Verlassenen annehmen zu müssen glaubte.

Er soll sich das nicht wieder unterstehen dürfen, sagte Gustav eifrig; ich schwöre es Dir – bei Gott! Es soll – es muß wieder zwischen uns beiden sein, wie früher. Ich habe das sehnlichste Verlangen danach. Du auch, Isäa? Du auch?

Kannst Du noch fragen? erwiderte Isäa.

Er versuchte wieder in den großen, zu ihm aufgeschlagenen Augen zu lesen. Meinte sie es ehrlich? sollte er ihr alles sagen: daß ihre gemeinschaftliche Lüge entdeckt, daß es nur eine Frage von ein paar Tagen, vielleicht Stunden sei, bis die Gesellschaft, die sie eben erwarteten, darüber zu Gericht sitzen würde? der Fürst bereits das Urteil gesprochen habe? und er entschlossen sei, dem allem zu trotzen? Und allem trotzen könne, wenn Hans nicht wiederkehrte, und er in Wirklichkeit war, was er sich fühlte, als sie da vorhin herein trat: der Herr des Hauses? Aber es war ja alles nur Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit. Wenn Hans 392 doch kam, den Brief da in der Tasche zurück forderte, das Geld – es reichte weit für ihn allein auf einer eiligen Flucht, zu der er sich dann im Moment würde entschließen müssen; zu der er entschlossen war. Es war doch besser, er schwieg – heute noch; morgen würde er ihr sagen können: ich wollte dir den Abend nicht verderben.

Von der Rampe erschallte das Rasseln eines anfahrenden Wagens.

Was auch kommen mag, sagte er, laß uns zusammenhalten!

Er hatte ihren Arm mit einem heftigen Druck losgelassen und schritt eilig auf die Thür zu, die bereits von dem Diener aufgerissen wurde.

Isäa, die stehen geblieben war, blickte ihm mit großen, starren Augen nach: dieses übereifrige Verlangen, sie wieder auf seiner Seite, einen Halt an ihr zu haben, diese zitternde Aufregung, diese flackernden Blicke: –

Er hat vielleicht den Hans erschlagen; jedenfalls weiß er, daß wir verraten sind, und nur noch nicht, ob er allein oder mit mir davonlaufen soll.


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