Julius Stettenheim
Muckenich's Reden und Thaten
Julius Stettenheim

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Gang zum Reichstagsgebäude-Grundstein.

Bericht am Stammtisch.

Meine Herren, wie et mir jegangen is, da hört schon Allens uf. Sie wissen, ick versäume die Wiege jroßer Ereignisse unjern, aber et muß nich rejnen. Ick kann det Wasser nich leiden. Et is ja nöthig, det weeß ick. Ohne Rejen jedeiht nischt. Die Pflanze in erster Linie verdorrt ohne Platz- un andere Rejen. Ooch verdirbt der Rejen viel an Hüten un andere Jarderobe, un det hebt wieder Industrie un Handel. Det aber sage ick Ihnen: Wenn ick zur Zeit der Sündfluth jelebt hätte, so hätte ick sie jewiß versäumt, denn ick würde keenen Schritt jethan haben, um mir den Unterjang der Menschheit im Rejen anzusehn.

Aber Montag konnte ick doch nich zu Hause bleiben. Aus zwee Jründen. Erstens weil et die Jrundsteinlejung des neuen Reichstags war, un 42 zweetens weil der Minister verboten hatte, det die Wetterprognosen veröffentlicht werden. Nu jrade! sagte ick zu meiner Frau. Caprivi soll nich die Schadenfreude jenießen, det wir jar nich wissen, was wir anfangen sollen, weil er uns die Prognose entzogen hat, un mit oder ohne Prognose, ick jehe nach'm Königsplatz un sehe mir det Legen des Jrundsteins an. Sie jab mir Recht, denn sie kann et ooch nich leiden, wenn uns die Behörde etwas entzieht un wenn et ooch bloß 'ne lumpige Prognose is.

Ick jehe also aus. Da trifft mir dieser Mehlmann. Sie kennen Ihn. Wenn et rejnet, denn hat er immer in irgend 'ne Weinstube seinen Schirm stehen jelassen und denn muß man mit ihm jehen, um ihn abzuholen. Oder et is schönes Wetter, denn hat er seinen Schirm bei sich und denn muß er in irjend 'ne Weinstube, um ihn da abzujeben, weil er ihn jenirt. Et rejnete Montag, also hatte er den Schirm bei Thiele stehen jelassen, un ick mußte nu mit, um ihn abzuholen. Zwar sagte ick, det der Jrundstein jelegt wird, er schrie aber, der liefe uns nich weg, und da mußte ick ihm beistimmen.

Was soll ick Ihnen sagen? Eine janze Stunde lang holte er bei Thiele den Schirm ab, so daß wir zwee Flaschen Burjunder jetrunken hatten, wie wir uns endlich nach dem Jrundstein uf'n Weg machten. 43 Kaum aber sind wir die Straße entlang jegangen, da hörte der Rejen uf, un nu sagte dieser Mehlmann, der Schirm jenirte ihn un er wollte ihn bei Grummer abjeben, da wäre ein Kellner, der sein janzes Vertrauen besitzt. Der Jrundstein, sagte er, liefe uns ja nich davon. Schon wieder mal nich.

Bei Grummer is et ja immer sehr nett. Mehlmann jab seinen Schirm ab un sagte, aus Dankbarkeit müsse er etwas jenießen. Sie haben jar keenen Bejriff davon, was ihm der Schirm durch Abholen un Abjeben kostet. Eine Mitjift, janz abjesehen von der infam rothen Nase. Un nu saßen wir da un tranken aus Dankbarkeit eine Flasche nach der andern, un wie ick nu endlich zu Mehlmann sage: Du denkst wol, der Jrundstein wird den janzen Tag jelegt? da ließ er denn die Maske fallen, un jestand mir, det er ein Jegner des janzen Jrundsteins wäre un überhaupt nich raus wollte. Ick war außer mir. Was? rufe ick, Du willst Dir hier als Jegner dieses Denkmals der deutschen Einheit ufspielen? Det jränzt ja an Most. I, sagt er, det mag jränzen, woran Du willst, ick sage Dir, ein neues Parlamentsjebäude is sehr schön, aber wir haben noch jar keenen echten Parlamentarismus, im Jejentheil, et geschieht allens Mögliche, um ihn herunterzusetzen. So schimpfte er weiter, und die 44 Andern jaben ihm leider Recht, unser Parlamentarismus hätte die Forsche noch nich raus, und man machte mit dem Reichstag, was man wollte, und wenn't anjinge, denn würde man den janzen Reichstag versetzen und den Pfandschein verlieren.

Ick hielt mir kaum noch un zitterte so, det ick det Jlas nich an den Mund bringen konnte. Endlich jelang et mir, un denn sagte ick dieser janzen Blase die Wahrheit. Unpatriotisch nannte ick sie, aber det war det jelindeste Wort. Da überhaupt keen Wein mehr da war, so nahm ick jar keen Blatt mehr vor den Mund, un sagte, sie wären Bacillen im deutschen Staatskörper un was mir sonst noch an Injurien einfiel. Det is Pflicht jedes Patrioten.

Die Bacillen wollten sie nu nich uf sich sitzen lassen, sie wußten nich, was ick damit sagen wollte, un als wenn ick ihnen das Wort blos im Freien erklären könnte, faßten sie mir so unsanft wie möglich an un trugen mir raus.

Mehlmann blieb mit mir alleene im Rejen stehen. Sie können sich denken.

Muckenich, sagte er, der Jrundstein is längst jelegt, un uf'm Bauplatz is nischt mehr zu sehen. Aber damit Du doch etwas von der erhebenden Feierlichkeit jenießest, jebe ick Dir hiermit die üblichen drei kräftigen Schläge uf'n Kopp.

45 Dabei entblößte er mein Haupt un vollzog die bekannte Ceremonie.

Et rejnete zum Jlück, so daß ick rasch davonjing un in die Pferdebahn rin un nach Hause. Nie in meinem Leben jehe ick wieder mit Mehlmann zu einer nationalen Festlichkeit, darauf können Sie sich verlassen!


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