Julius Stettenheim
Muckenich's Reden und Thaten
Julius Stettenheim

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Zur Eröffnung der Gotthard-Bahn.

Muckenich schwankt aus dem Kurfürstenkeller heraus und redet einen Briefträger an: Bruder, ick sehe, Du hast keene Zeit, un da ick blos zehn Minuten brauche, um Dir zu erzählen, wie sie mit mir umjegangen sind, so profitirst Du noch, wenn Du mir zuhörst.

Der Briefträger. Warum sagen Sie Du zu mir?

Muckenich. Ich verbiete Dir, mir zu sietzen. Wie kannst Du mir sietzen, Bruder! Weeßt Du denn von jar nischt?

Briefträger. Nein, was ist denn vorgefallen? Haben wir Brüderschaft getrunken?

Muckenich. Na natürlich. Als Völker. Dienstag. Et war jroßartig, Bruder. Der Jotthard war ausjehöhlt un diente als Bowle, un daraus 100 haben die Völker Brüderschaft jetrunken von Jöschenen bis Airolo. Un nu willst Du nich, det ick Dir dutzen soll! Det nehme ick Dir sehr übel.

Briefträger. Sie sind betrunken. (Geht fort.)

Muckenich. Wenn er wenigstens gesagt hätte: Du bist bedrunken, denn wäre et jut jewesen. (Schreit.) Denn nu is der Bürjer in der zweeten Person Singular un nich in der dritten Person Plural bedrunken, sonst wäre der Jotthard janz umsonst jetunnelt worden un det ville Jeld is rausjeschmissen!

Schutzmann. Schreien Sie nicht, sondern machen Sie, daß Sie nach Hause kommen.

Muckenich. Sie? Du ooch, Bruder? Hast Du denn ooch nischt jelesen? Det jroße Werk der Verbrüderung un Jesittung is beendet, Seiner Wohljebohrt der Jotthard is eijens dazu injerichtet worden, det wir Völker uns die sämmtlichen Hände reichen, un Du sagst zu mir: Schreien Sie nich. Is det hübsch? Ein netter Bruder!

Schutzmann. Machen Sie sich keiner Beamtenbeleidigung schuldig! (Geht weiter.)

Muckenich. Beamtenbeleidijung? Det jiebt es jar nich mehr. Wenn ick 'nen Bruder, der Beamter is, beleidigte, denn wäre ick ja jar nich werth, det der Jotthard sieben Jahre un fünf Monate lang mit Dynamit so zujerichtet worden is, det man nich mehr 101 nöthig hat, drüber weg zu jehen un kalte Füße zu kriejen. (Zu einer Dame.) Oder sollte ick mir irren, Schwester? Sage Du, ob ick Recht habe oder nich.

Die Dame (eilt vorüber.)

Muckenich (läuft ihr nach). Aber Schwester, mißverstehe mir nich, ick bin ja Dein Bruder, Du bist ja die Tante von meinem Aujust. Jahrelang haben 2500 Mann täglich jearbeitet un 320 000 Löcher jebohrt, det die Völker sich verbrüdern un veroheimlichen, un Du benimmst Dir so fremd jejen mir! Ick will Dir ja nischt dhun, sondern Dir einen Bruderkuß jeben. (Ruft.) Jette! Rieke! (Nach einer Pause.) Nu weeß ick nich, wie meine Schwester heeßt. (Zu einem Jungen.) Weeßt Du't ooch nich?

Der Junge. Fall' man nich, et nützt Dir nischt, hier is keen Rinnsteen mehr.

Muckenich. Det war det erste Wort der Bruderliebe, seit der Tunnel offen ist. Ick soll nich fallen, weil't mir nischt nützt. Allmälig kommen die Menschen dahinter, wozu die Jotthardbahn existirt. Komm her, mein Junge, ick will Dir Jeld zu einem Salamander jeben, den Du uf das Wohl der Völkerverbrüderung reiben kannst.

Der Junge. So dumm! Den Salamander kenn' ick. (Läuft fort.)

Muckenich. Ein jebildeter Junge, er kennt den 102 Salamander un will keen Jeld. Det is die wahre Jesittung, von die uf dem Bankett in Luzern jesprochen wurde. (Schreit). Die Jotthardbahn hoch!

Droschkenkutscher (vorüberfahrend). Hoch!

Muckenich. Komm, Bruder, ick lasse mir umsonst von Dir 'ne doppelte Tour fahren. (Er will in die davonfahrende Droschke springen und fällt hin.) Der wird sich ärjern, wenn er nachher stillhält un find't mir nich. (Ein Schutzmann hilft ihm auf und führt ihn ab.) Det is nett von Dir, Bruder. Dir merke ick an, det der Jotthardtunnel fertig is. Nu wollen wir ooch, so lang wie er is, Brüder sind, 15,000 Meter lang. Nur etwas langsamer könntest Du jehen, denn werde ick Dir ooch erzählen, wie es mir jegangen is. Ick sitze nämlich im Kurfürstenkeller und da liest ein Bruder Jast aus die Zeitung vor, die Italjener sind verstimmt jewesen, weil die Deutschen drei Reden jehalten haben, bevor eine italjenische jehalten wurde. Ick sage zu ihm: Det, wat Du da liest, is sehr natürlich, aber sowie die Bahn eröffnet is, denn jeht jleich die Völkerverbrüderung los! Herr, sagt er, ich bin nicht Ihr Du! Da jab denn ein Wort die andere Jrobheit, un nach fünf Minuten verbrüderten sich die Brüder un setzten mir ohne Stuhl vor die Thür. 103 Nun frage ick Dir, Bruder, sind darum die Felsen, welche die Völker trennten, uf die Seite jesprengt un andere Hindernisse wegjeräumt, damit ick zur Feier des Tages aus'm Kurfürstenkeller rausfliege?

Schutzmann. Sie können das zu Protokoll geben.

Muckenich. Wenn Du noch mal Sie sagst, Bruder, dann jebe ich jar nischt zu Protokoll, un wenn Du noch so ville bittest. Was Dir übrigens unanjenehm zu hören sein wird, is, det Du mir wehdhust. Was Brüder sind, die sollen sich nich wehdhun. (Er wird die Treppe in das Polizeibureau hinaufgeführt.) Hier wird'n Fahrstuhl injerichtet werden, wenn die Verbrüderung erst alljemein bekannt wird. (Er tritt in's Bureau.) Juten Völkermorjen, Bruder Wachtmeester, der letzte Arretirte is da. (Er setzt sich auf die Bank.)

Alle Menschen werden Brüder,
Wo Dein sanfter Flügel weilt.

Schade, det Du keen Flügelspieler bist, Wachtmeester. Na, es wird ooch ohne Musik jehen. (Im Einschlafen.) Evviva die Jotthardbahn!


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