Julius Stettenheim
Muckenich's Reden und Thaten
Julius Stettenheim

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Muckenich's Fenster.

Aus den 1881er Einzugstagen.

Liebe Rieke!

Wenn ick Dir doch man jefolgt wäre! Du sagtest zu mir: »Bleibe in Starjard, Aujust, ick kenne meinen Bruder, er sieht die janze Welt durch die Trinkjläser an, un besonders jetzt, wo das Trunkjesetz heranschwankt, da wird er die Zeit noch benutzen un aus dem vorletzten Jlas jar nich rauskommen.« Ick hörte nich, ick sagte bloß: I wo! Ein Einzug kommt nich alle Dage vor, un Muckenich schreibt, er hat ein Fenster, un ick solle als Schwager dieses Fenster nicht unbenutzt vorüberjehen lassen, un er wollte uf'n Nordbahnhof sind un mir in Empfang nehmen. Un so fuhr ick ab.

Heute sage ick Dir: Eenmal zur Vermählung des hohen Paares nach Berlin unnichwieder! 89 Dabei bleibt es, denn wat ick Allens nich jesehen habe, davon könnte ick ein Buch füllen.

Ick werde von vorn anfangen, obschon mir die Kraft dazu fehlt.

Muckenich war uf'n Bahnhof. Wie ick aus dem Waggon springe, sehe ick schon, wie Muckenich mehrere fremde Herren umarmt un küßt un dabei schreit: »Det is hübsch, det Du endlich kommst. Nee, hast Du Dir verändert! Na, nu man flink nach's Fenster, die Schlächter un die Postillone stehen schon jesattelt am kleinen Stern!« Die fremden Herren rufen nach'n Schutzmann, un wenn ick nich dazwischentrete un sage: »Entschuldigen Sie, meine Herren, diese Küsse haben mir jejolten, mein Schwager Muckenich is uf Hochzeiten immer so!« denn säße er jetzt in Plötzensee, wo er am tiefsten is, un det wäre jar keen Unjlück jewesen.

Denn Muckenich sagt nu zu mir: Aujust, sagt er, warum hast Du denn Deinen Doppeljänger mitjebracht? un es stellte sich heraus, daß er schon so früh in dem beliebten Zustand des Dubelwüh war un doppelt sah. Un nu ließ er es sich ooch nich nehmen, det ick nich alleene, sondern zu Zweien war, sondern redete mit mir bis zu diesem Moment immer per: Ihr, oder: Meine Herren! oder: Meine lieben Schwagersleute! un euchte mir ohne Unterbrechung.

90 Vor dem Bahnhof sagt er: Ihr habt noch jar keene Eile, wir wollen uns erst'n Bisken in der Stadt umsehen, denn der Ruderklub is noch nich mal beritten un die Rüdersdorfer Bergleute ooch nich. Außerdem höre ick, daß sich die Antisemitenliga noch jar nich ufjestellt hat, weil ihre Fahne nich fertig jeworden is. Ihr habt jewiß Durst –

Nee, Muckenich, sage ick. Lasse uns man machen, daß wir an Dein Fenster kommen.

Ooch das, ruft er. Wenn Ihr so'n Durst habt, da jiebt es ja Mittel jejen. Kommt hier mit rein, hier jiebt es einen billigen Wein, Ihr findet in janz Starjard keen so jutes Bier.

Un da saßen wir Drei nu, nämlich er un ick, un tranken 'ne Pulle. Wie sie alle war, sagte er, det langt für drei Personen nich un bestellt die zweete Flasche, un denn die dritte, denn er meinte, uf zwee Beene kann man nich stehen, un det war richtig, denn det konnten wir wirklich nich. Denke Dir den Zustand, Rieke!

Draußen sagte Muckenich zu mir: Ick würde nu mit Euch nach's Panoptikum jehen, damit Ihr mal den jrößten Drasal der Welt seht, aber ick höre, der hat sich untern Linden ufjestellt un seine Schultern Stück vor Stück für 20 Mark vermiethet.

Det is Unsinn! rufe ick ihm uf'n Kopp zu.

91 Da wird er böse un murmelt: Ihr behandelt mir ja wie die Hauswirthe den Miether, det lasse ick mir nich jefallen. Unsinn sagt Ihr zu mir? Ihr sollt jleich hören, det des keen Unsinn is. Der Wirth weeß es.

Wie wir nu wieder bei der Flasche sitzen, un der Wirth sagt ooch, die Jeschichte wäre 'n Unsinn, da dreht mir Muckenich den Drasal im Munde rum, un ick muß die zwee Flaschen bezahlen, un er sagte zu mir: Ihr habt mir was weiß machen wollen un habt janz officiös jelogen, un wenn Ihr noch lange was dajejen habt, denn jeh ick jar nich mit Euch an's Fenster und Ihr könnt Euch das Brautpaar und die andere Innungen un Korporationen vom Brandenburger Thor aus ansehen.

Hätte ick det doch man jethan! Aber nu setzte er sich mit mir in 'ne Droschke, det heeßt der Kutscher mußte uns rinheben, un nu jing et zu Hause nach die Jneisenaustraße. Immer stiller wurden die Straßen, immer weniger Menschen waren zu sehen, et war so zu sagen unheimlich, un ick war froh, wie wir endlich bei Muckenich ans Fenster saßen. Un da saßen wir nu bei 'ner Hundekälte, denn das Fenster war offen. Ick sage also: Nee, Muckenich, det is ja ein jräulicher Zug, der is jar nich auszuhalten.

92 So seid Ihr Leute aus die Provinz, sagte Muckenich. Nischt is Euch schön jenug! Nu jefällt Euch nich mal dieser jrandiose Zug!

I, äußerte ick bescheiden, den Zug meine ick ja jar nich, von dem habe ick ja noch keene eenzige Nationalhymne gehört. Sieh doch blos diese Leere, da jeht ja keen Mensch!

Ja, sagte Muckenich, det sind die Hutmacher. Die haben beschlossen, sich nich zu betheiligen.

Da müssen ja in Berlin eine unjeheure Masse Hutmacher sind, rief ick aus, denn in der janzen langen Straße is keen Mensch zu sehen.

Muckenich kuckte raus un rief: Da habt Ihr Recht, ick sehe, so weit mein Ooge reicht, nur Hutmacher, die sich ausjeschlossen haben.

Nach un nach wurde mir Allens klar, aber wie mir Allens klar jeworden war, da waren wir Beide längst einjeschlafen, un wie wir wieder ufwachten, da war et dunkel, un ick hatte mir so erkältet, det ick bis heute noch nich wieder aus dem Bett jekommen bin.

Muckenich macht mir immer Punsch, wobei er sagt, ein wahres Jlück, daß Ihr erst nach die Einholung krank jeworden seid, denn et hätte mir sehr jeärjert, wenn Ihr die versäumt hättet. Un denn drinkt er den Punsch selber.

93 So wie ick wieder jesund bin, liebe Rieke, komme ick nach Hause, un denn kriejen mir keene zehn Pferde wieder zu diesem Fest nach Berlin! Dieses schwört Dir, liebe Rieke,

Dein fortwährend niesender Jatte
Aujust.
       


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