Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Seit der Berliner Botschafter-Conferenz sind wir nicht in die Lage gekommen, einen Bericht aus Ihrer werthen Feder zu veröffentlichen. Hoffentlich aber erblicken Sie in der Vorsicht, mit welcher wir Ihre einzelnen Berichte prüfen und, wenn nöthig, zurücklegen, Nichts weiter, als die Furcht, durch eine kritiklose Aufnahme jedes Ihrer Artikel Ihrem Ruf Schaden zufügen zu können.

Darum haben wir auch Ihren Bericht über das Fasten des Herrn Dr. Tanner nicht zum Abdruck gebracht. Nicht allein, weil unsere Journale täglich die überflüssigsten Mittheilungen von dem Hungersport des genannten Sonderlings bringen, sondern weil Ihre Darstellung denn doch eine zu wenig glaubwürdige war. Tagtäglich 20 wollen Sie bei Tanner gewesen sein, und er soll Ihnen bei Tisch (!) erzählt haben, wie er den ganzen Vormittag gefastet habe, ebenso Abends, wo er Ihr Gast zu sein und Ihnen die Speisen zu nennen pflege, welche er Nachmittags nicht genossen. Wie wenig Glauben auch die Möglichkeit eines 40tägigen Fastens im Publikum finden möge, nach Ihrer Darstellung ist Tanner ein ungeheurer Fresser, der unbedingt an einem verdorbenen Magen zu Grunde gehen muß. Wenigstens befleißigen Sie sich, ihn fastend zu schildern, während er bei den gängereichsten Mahlzeiten sitzt.

Wir begreifen auch nicht, weshalb Sie so gerne von Ihrer eigentlichen Kriegsberichterstattung abweichen. Kehren Sie, bitte, zum russisch-chinesischen Kriege zurück und lassen Sie uns bald von sich hören.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

21 Bernau, den 29. Juli 1880.

Es ist nicht nur ein Unglück, sondern auch ein Malheur, daß Sie immer glauben, Ihr Geschmack wäre auch der des Publikums. Wie Alpen glühe ich vor Zorn bei diesem Gedanken. Immer nur halten Sie Ihre eigene Ansicht für die allein richtige, statt zu bedenken, daß hinter den Bergen auch Ochsen stehen. Das Publikum ist ein vielköpfiges Pfeifchen, das ich besser als Sie zu rauchen verstehe. Diesen Augenblick interessirt es sich für den Mann, der vierzig Tage lang sich den Bauch leerschlagen will. Er beabsichtigt, seinen Hunger nur mit Wasser zu stillen, seinen Durst gar nicht. Man fragt sich, wie es möglich sei, daß ein Mensch, der seine fünf Schrauben beisammen hat, im Stande ist, vierzig Tage, also kaum zwei Monate lang, nichts als, um mit Pindar zu reden, das Hydorste, was es giebt, zu genießen, ohne in's Gras, von dem er ja auch nicht leben könnte, zu beißen. Es wäre – sans frass! ein Wunder. Wenn dieser Herr Mister Tanner vierzig Tage lang regelmäßig dinnerte und sopperte, das wäre doch wahrlich nicht interessant, und es würde Keinem einfallen, sich darüber die Haare grau zu färben. Da hätte man viel zu färben. Hier liegt aber ein Fall vor, der, wie der des Niagara, einzig in seiner Art ist, die Entscheidung der Frage: Ist Hunger der beste, oder – verzeihen Sie das harte Wort!– der schlechteste Koch?

22 Hiermit klappe ich meine Leviten zu, rathe Ihnen aber, künftig weniger Bedenken walten zu lassen. Die Nemesis würde sich bald rächen und zwar zu Ihrem werthen Schaden.

Wie immer, so ziehe ich auch heute den Kürzeren vor und sende Ihnen einliegend eine Fortsetzung des in meinem ergebenen Bericht aus Peking vom 15. April eröffneten russisch-chinesischen Krieges. Sie werden eine der blutigsten Schlachten finden, die ich jemals geschrieben habe. Wo noch nicht ein einziger Mann gefallen ist, da bedecke ich das Schlachtfeld mit Tausenden. Es geschieht dies, weil ich für etliche Wochen Ruhe haben und in irgend einer idyllischen Bärenhaut meine Nerven stärken will. Mein Koffer ist gesattelt. Die Idee, nach Heiligendamm zu gehen, habe ich wieder aufgegeben. Daselbst wird immer noch dem Taubenschießen gehuldigt. Schrecklich! Ja, wenn ich selber schwerhörig wäre! Nun schwanke ich wie der Koloß von Rhodus zwischen Heringsdorf und Nizza.

Längere Zeit schwankte ich auch zwischen 80 und 100 Mark Vorschuß und habe mich nun für einen solchen von 120 entschieden. Ich bitte darum. Wenn Sie aber nicht bei Casse sind, so senden Sie mir gefälligst Banknoten.

* * *

23 Am Meerbusen von Petschili, den 12. Juli 1880.

W. Rubicon est jacta! In einer ungeheuren Schlacht haben drei Tage lang die beiden Riesenreiche mit einander gerungen, ohne daß die Schultern des einen oder anderen den Boden der Mutter Erde geküßt hätten. Ich brauche nicht zu sagen, daß damit ein Krieg eröffnet worden ist, der über Lebensgröße zu werden verspricht. Jedes der beiden Heere ist ein Xerxes, auf beiden Seiten stehen Millionen bis an den Oberkiefer bewaffneter Männer, welche sich wie die Besen des Zauberlehrlings lieber in Stücke hauen lassen. als daß sie sich entschließen, von ihrem Fersenreichthum auch nur eine winzige Summe zu geben. Ihr Princip ist: Jeder kehre vor seiner Thür den Rücken.

Allerdings ist China durch seine Mauer eine zwar einzuseifende, aber nicht zu rasirende Festung. Ich möchte diese Mauer die Chinarinde nennen, welche das Kriegsfieber der Russen wohl zu vertreiben im Stande sein wird. Sie wurde von den chinesischen Herrschern stets sehr gepflegt, durfte nicht verunreinigt und nicht mit Plakaten beklebt werden. Dagegen ist sie mit zahlreichen Schieß- und Hiebscharten versehen, durch welche die Kanonen bequem speien können. Einen Sturm, ja auch nur einen Wind gegen diese Mauern mit Erfolg auszuführen, erscheint ganz unmöglich. Die Russen wissen ein Lied davon zu singen, z. B. »Ach, wie ist's möglich dann.« Sie sehen schon heute ein, daß 24 ihnen die gebratenen Kastanien nicht in den Mund fliegen werden.

Am 9. hatte Helios in seinem goldenen Wagen noch nicht gekräht, als auf der russischen Seite der erste Schuß und zwar so unglücklich fiel, daß er einen Chinesen auf der Stelle tödtete. Das war das Signal. Schon eine halbe Stunde später konnte Mars vor Kanonendonner sein eigenes Flintengeknatter nicht hören. Mit dem Gesang der »Wacht am Jang-tsy-kjang« stürzten sich die Chinesen zopfüber in den Krampf und faßten trotz der Tapferkeit der Russen festen, wenn auch bekanntlich verstümmelten Fuß. Auf beiden Linien wurde erbittert gekämpft und regnete es Beweise von Tapferkeit. So weit das Auge reichte, kein Hasenpanier, welches ergriffen, kein Korn, in welches eine Flinte geworfen werden, keine Hosen, in welches ein Herz hätte fallen, kein Weites, welches hätte gesucht werden, kein Reißaus, welches hätte genommen werden können.

So wogte der Kampf drei Tage lang wie eine Lawine auf und nieder. Auch Nachts erdröhnte der Boden von dem Gähnen der Geschütze. Es war mir nicht möglich, ein Auge zu schließen, meine ganze Ruhe bestand in einem Halbmorpheus, aus dem mich jeden Augenblick ein Geschoß weckte, das in seinem Bleimantel über mich fortflog. Unsere Nahrung bestand aus Thee, den die Chinesen in der Feldflasche hatten, und den wir mit dem Rum mischten, welchen wir bei den russischen Todten fanden. Dazu gab es etwas kalten 25 Pfau oder Papagei und hin und wieder eine Portion Pökelnashornbrust. Wie Sie sehen, ein Frugalladiner.

Morgen kehre ich nach Peking zurück, dort die weiteren Ereignisse abzuwarten. Die feindlichen Heere begraben ihre Verluste und bedürfen der Ruhe. Diese Zeit benutze ich dazu, mir die chinesische Zunge beizubringen, die unerträglich schwer ist. So z. B. besteht das chinesische Alphabet aus 90,000 Wörtern.

Hoffen will ich noch, daß der Mars localisirt bleibt. Es wäre schrecklich, wenn die Göttin der Zwieträchtigkeit ihren Ultima ratio-Apfel zwischen andere Nationen schleuderte.


 << zurück weiter >>