Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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102 Der falsche Prophet.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir sind über Ihre Bereitwilligkeit sehr erfreut, den Mahdi, wie Sie sich ausdrücken, in die Hand zu nehmen. Indeß schien es uns bedenklich, Ihren ersten Artikel zu veröffentlichen, in welchem Sie ein feuilletonistisches Bild des genannten Rebellen entwerfen. Die Zeichnung ist eine allzu gewagte. Sie schildern ihn als den alten Schäfer Thomas, welcher regelmäßig Prophezeiungen veröffentlicht, »welche bereits eingetroffen sind,« und Abends Karten legt und Träume deutet. Sie beschreiben mit großer Genauigkeit, wie der Mahdi, wenn er in die Zukunft blicken will, die »Pincenase« aufsetzt, weil er von dem vielen Orakeln kurzsichtig geworden sei, und versichern, daß er häufig, 103 wenn die Zukunft, in welche er blickte, eine zu ferne ist, sich eines Opernguckers bediene. Diese und ähnliche Einzelheiten brachten uns zu dem Entschluß, Sie um einen andern Mahdi-Artikel zu bitten, in welchem Sie den sogenannten falschen Propheten etwas ernst nehmen. Einen solchen erwartend, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 14. Februar 1884.

Was soll ein alter Kriegs-Correspondent wie ich, der von der untersten Pike auf gedient hat und sich manchen Tropfen Dinte hat um die Nase wehen lassen, zu Ihrem geehrten Schreiben sagen? Ich dachte es mir schon, als ich meinen Artikel abschickte, daß Ihnen mein Mahdi ein Dorn, was sage ich? eine ganze Rose im Auge sein würde. Ohne Grund! Alle Propheten sind, was die Aehnlichkeit betrifft, Eier, sie mögen nun Weis- oder Schwarzsager sein. Kein Mensch kann in Wirklichkeit in die Zukunft schauen, über die Schwelle der Zukunft kann kein Staubgeborener seinen Dreifuß setzen, der Mensch ist nun einmal allunwissend. Von den Augurn an, welche durch die Vögel hindurch das Kommende 104 anlächelten, bis zu dem so häufig wiederholten Meyerbeer'schen Propheten, vom delphischen Orakel mit seinen Offenbarungen voll Doppelunsinn bis zu dem ungläubigen Schäfer Thomas waren und sind alle Seher durch und durchtriebene Menschen, welche der Welt ein Schnippchen für ein U schlagen. Wo sie ein Licht bemerken, führen sie die Gläubigen hinter dasselbe, wer nur einigermaßen eine Nase hat, dem drehen sie eine solche, und wo es einen Quack zu salbern giebt, da sind sie ganz gewiß dabei. Kurz, wer ihnen in ihre gefährliche Quere kommt, wird über und übervortheilt, davon bin ich – verzeihen Sie das harte Wort! – überzeugt. Und nun erst dieser Mahdi! Schon der Umstand, daß er in seinem Vaterlande etwas gilt, beweist, daß er kein Prophet ist. Sie sehen, ich bin ein Ceterumcenserich, wie er im Cato steht. Der Mahdi ist wie jeder Andere vom Kopf bis zum Scheitel nur ein Mensch, und es wird sich auch an ihm der alte Satz bewahrheiten: Wer das Gras wachsen hören will, muß fühlen.

Wenn ich den Mahdi also als einen Mann geschildert habe, welcher zwar Feinde, aber auch Karten schlägt, kurz und gut als einen jener gewöhnlichen Propheten, wie sie bei uns stets ihren Horoskopus treiben, so hätten Sie sich doch sagen sollen, daß ich nicht etwa den Weg alles Holzes gegangen war. Dann wäre mein Mahdi heute gedruckt. Daß ich auf seiner richtigen Fährte gewesen bin, dafür lege ich ohne Weiteres Ihre werthe Hand in's Feuer, denn auf dem 105 Gebiete der Gewissenhaftigkeit reicht mir Niemand den Schuhriemen.

Doch – nichts mehr davon. Schließlich bin ich ja daran gewöhnt worden, Ihren Rothstift nicht schwarz zu sehen. Einliegend ein furchtbarer Sieg des falschen Propheten, von dem sich Baker Pascha wohl nicht mehr wird erheben können. Und nun eine Bitte. Da ich so viel von Propheten gesprochen habe, senden Sie mir gefälligst den Moses dazu: einen Vorschuß von 60 Mark.

* * *

Tokar, den 5. Februar 1884.

W. Das Haar meiner Feder sträubt sich, den gestrigen Tag zu beschreiben. Der Leser mache sich auf das Schlimmste gefaßt. Kaum fand ich diese Nacht einen stundenlangen Morpheus, so nahm mich das Erlebte gefangen. Es ist nicht mehr zu bestreiten: Einige Tausend Rebellen haben das von Baker Pascha geführte Heer über den Haufen von Kameelen gerannt, welche dieser bei sich hatte.

Schon am 3. hatte der falsche Prophet seine Krieger um sich versammelt und dieselben so angeredet:

»Soldaten! Morgen werden wir uns eine Schlappe holen! Der Feind wird Euch in die Flucht schlagen, in welcher Ihr Euer Heil vergeblich suchen werdet! Und wenn der Muth in Eurer Brust noch so sehr seine Spannkraft übt, Ihr werdet doch nichts machen können, als höchstens Kehrt!«

106 Bei diesen Worten jubelten die Soldaten ein Mahdi il Mahdi über das andere, denn da der falsche Prophet eine Niederlage angekündigt hatte, so war der Sieg unvermeidlich.

»Der Feind,« so fuhr Se. Mahdistät fort, »wird sich auch nicht Einen blutigen Kopf holen, im Gegentheil wird er mit seinem rechten und linken Flügel von Sieg zu Sieg fliegen und sich mit Ruhm bedecken!«

Diese falsche Prophezeiung steigerte den Enthusiasmus der Truppen auf das Höchste. Nun wußten sie, daß sie die Palme des Tages abschießen würden, und bis in den anbrechenden Abend hinein dauerte die Illumination.

Am anderen Morgen mit Sonnenanbruch rückten die Rebellen bis zum Brunnen von Teb den egyptischen Truppen entgegen. Noch einmal hatte der falsche Prophet vorhergesagt, nicht allein er würde mit seinem nackten Leben über seine eigene Klinge springen, sondern auch sein Heer würde derart decimirt werden, daß nicht Gras genug zum Hineinbeißen aufzutreiben sein würde. Da mischte schon Baker Pascha seine Krupp'schen Kanonen in den Jubelruf der siegessicheren Rebellen.

Der Kampf begann und, richtig! wie der falsche Prophet gesagt hatte, so kam es auch nicht. Er rief noch: Der Feind wird kein Carré bilden! und sofort bildete der Feind ein solches, und die Rebellen stürmten auf dasselbe los, um es zu sprengen. »Das gelingt uns nicht!« wahrsagte der immer falscher werdende Mahdi, und nach zehn Minuten war 107 das Carré ein Kreis, ein Oval, ein Parallelogramm, ein Dreieck, kurz Alles, nur kein Carré mehr. Es war wie eine Spielbank gesprengt. Das entstehende Chaos glich einem wüsten Durcheinander. Hier flehten die Aegypter um Gnade, dort bildeten andere Kameele einen unentwirrbaren Knoten. Wer fliehen konnte, nahm keinen Pardon. Die Aegypter wurden von einem Schrecken ergriffen, der ihnen selbst panisch vorkam, sie warfen die Flinte nicht einmal ins Korn, sondern überall hin, wo es ihnen gerade paßte, und ließen alle Kanonen und Munition im unrettbaren Stich. Nach kaum 10 Minuten waren die Truppen Baker Paschas seitwärts in die Büsche geschlagen.

Während dieser Action hatte der falsche Prophet in seinem Zelte gesessen und die Kriegskarten gelegt, aus denen er fortwährend den Sieg des Feindes herauslas. Das erfüllte seine Soldaten stets mit neuer Zuversicht, bis kein Aegypter mehr zu sehen war. Die Rebellen kehrten dann, mit den abgeschnittenen Köpfen ihrer Feinde bedeckt, das Lied »Mahdi, Mahdi über Alles« singend, nach Tokar zurück.

Erst Abends erschien General Gordon auf der Bildfläche. Er ritt einen goldenen Esel und war mit Instrumenten zum Bestechen der umwohnenden Stämme reich versehen. Zu spät! Der falsche Prophet, der ihm gern Alles abgenommen haben würde, hatte allerdings wieder richtig prophezeit, daß der englische General rechtzeitig eintreffen würde.


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